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Viele Flüsse und Flüßchen hat die Lüneburger Heide; ihr echtester Heidfluß aber ist die Örtze. Sie hat als Heidjerin keine Sehnsucht nach anderen Ländern; in der Heide kommt sie auf die Welt, in der Heide will sie enden.
Sie ist so bescheiden, so klug und so still, wie ein richtiges Heidjerkind; es wäre ihr ein leichtes, wenn sie ihren eigenen Weg ginge bis zum Meere; denn selbst in den trockensten Sommern hat sie Wasser genug, die Flüßchen und Bäche aus den Mooren, die Schmarbeck und Sotriet, Lutter und Wittbeck, Wietze und Brunau, lassen sie nicht verdursten. Aber ihr liegt nichts an der weiten Welt.
Das Stückchen Heidland von Töpingen bis Winsen genügt ihr; in friedlichem Fließen gleitet sie an rosigen Heidbergen, dunklen Fuhrenwäldern, glitzernden Sandbrinken vorüber, stolze Eichen wachsen an ihren Ufern und stattliche Fichten; ihre Uferhügel lassen Platz genug für fruchtbare Wiesen, gehen aber nie so weit von ihr fort, daß unendliche Marschflächen die stillen Schönheiten der Heide beiseite schieben, wie an der Aller.
Die ist ja auch gar kein Heidfluß, sondern so ein richtiger Allerweltsfluß; aus Sachsen gebürtig, bringt sie eine fremde Sprache und fremde Sitten mit, prahlt von Bergen und Burgen, um plötzlich, noch mitten in der Heide, sich als Marschenbäuerin aufzuspielen; stolz und hoffärtig, weiß sie nicht, wie dick sie sich tun soll an guten Tagen, um dann wieder ganz klein zu werden in der Sonne, wenn die Bergflüsse, die Leine, die Ruhme und die Innerste, ihr nicht mehr aushelfen können.
Die Örtze aber bleibt, wie eine richtige Heidjerin, sich immer gleich, im heißen Sommer und wintertags, im Frühling und wenn der Herbst im Lande ist; sie ist fröhlich in guten Zeiten, aber mit Maßen, sinnig, aber nicht schläfrig, still, aber nicht langweilig; es fällt ihr nicht ein, sich so zu überstürzen, wie die wilde Böhme, aber so langsam, wie die faule Fuhse ist sie auch nicht. Sie hält immer die richtige Mitte.
Ihr liegt gar nichts daran, in der Leute Mäuler zu kommen; es wäre eine Kleinigkeit für sie, aus dem Wietzeberg bei Müden in einigen Jahrhunderten ein ebenso berühmtes Fleckchen zu machen, wie es die Böhme bei Fallingborstel schuf. Sie aber gibt, was sie hat, und nicht mehr.
Sie hat auch genug für den, den der Weg an ihr vorbeiführt; erst Munster mit seinem bunten Soldatenleben, dann das freundliche Müden mit seinen alten Eichkämpen um die Häuser, dann Hermannsburg, wo ihre Wiesen sich weiten, dann Beckedorf, Oldendorf, Eversen, Wolthausen mit vielen heimlichen Winkeln und traulichen Ecken, und selbst da, wo es mit ihr zu Ende geht, bei Winsen.
Das Örtzeende vor Winsen ist ein kleines Paradies; wer da im Mai ist, wenn die Bäume grünseidene Blätter haben und alle Hecken blühen, wenn an den Ufern die goldenen Schwertlilien leuchten und aus allen Zweigen die Vögel singen, dann lacht das Herz im Leibe; und ist er dort, wenn der Tag zur Rüste geht, wenn die Fische sich werfen und das Rotkehlchen sein Abendlied singt, dann kommt Seligkeit über ihn.
Vielleicht aber wird er auch traurig, weil er dort Abschied für immer nehmen muß von der Örtze, und er bleibt lieber in Wohlthausen, lehnt sich über das Brückengeländer und läßt sich von ihr alllerlei erzählen, von uralten Zeiten, da Thor und Wode in den Eichenwäldern des Kuhhorns geehrt wurden mit duftendem Opferbrand und schäumendem Met, und von kommenden Tagen, wo die Diamantbohrer die Heide zernagen werden im Örtzetale, hungrig nach Salz und durstig auf Öl.
Viel kann die Örtze erzählen, Gutes und Böses: wenn die Abendsonne ihr goldbraunes Wasser mit Blut färbt, dann schluchzen ihre Wellen laut im Röhricht in jammernden Gedenken der edlen Mannen mit den langen Bärten, denen die Heide zu eng zu mager war; sie zogen südwärts, gründeten stolze Reiche und verschwanden. Heidkraut verträgt keinen fetten Boden.
Von den Billungen weiß sie, die den Wenden den Eintritt in die Heide wehrten, und von den vielen zweiten Söhnen und geringen Leuten, die mit den Ordensrittern in die Ostmarkt zogen und zwischen Russen und Polen deutsche Art pflanzten und hüteten; Hermann Billung singt die Loblieder und murmelt Verwünschungen gegen seinen Bruder, Wichmann Neidherz, der die Wenden in die Heide rief und Brand und Mord über die Dörfer brachte, bis er fern von der Heimat ein blutiges Ende fand.
Einen ganzen Tag und eine volle Nacht kann sie singen und sagen und kommt nicht zu Rande damit; des edlen Löwen trotziges Bild zaubert sie hervor und klagt laut über seinen Sturz und des Rotbarts grimme Rache, seufzt über den elften Juni von dreizehnhundertachtzigundacht, als die Winsener Heide Blutrosen trug, und flüsterte stolz von Heinrich, dem König der Heide, dem nichts so lieb war wie das Pfeifen der Pfeile und das Klirren der Klingen.
Aber noch anderes weiß sie, als nur Blut und Tod; von friedlichen Tagen kann sie plaudern, als in dem festen, grauen Poststalle vor der Wirtschaft oft über hundert Pferde die blankbenähten Kummete klingen ließen, als es noch keine Eisenbahn gab und über ihre Brücke aller Verkehr zwischen Hannover und Hamburg mußte; da ist es oft lustig genug hergegangen bei vollen Gläsern, mit Kartjen und Knöcheln; oft zog der Tabaksrauch so dick aus den Fenstern der Wirtshäuser wie ein Nebel, und vor dem lauten Gesang stoben die wilden Enten aus den Buchten unter der Brücke.
Jetzt ist es stille dort; Radfahrer und Jäger bringen ab und zu Leben dorthin; zweimal am Tage klingt das Posthorn, seltsam neumodische Wagen ohne Pferde kommen vorbeigedonnert und scheuchen die Hühner, die auf der Straße herumpicken, durch die Zäune; sonst aber geht das Leben seinen stillen Gang, wechselnd zwischen Feldbestellung und Ernte, Torfstich und Holzschlag, Mahd und Einfuhr, Arbeit und Schlaf.
Wer die Stille des Landes liebt und den Frieden des Dorfes, der weilt dort gerne einen Tag oder zwei. Er sitzt unter der Linde an der Straße, sieht den Frauen und Mädchen nach, die, in weißem Flutthut, rotem Leibchen und blauem Rocke, die Harke in den braunen Händen, von den Wiesen kommen, schaut den Imkern zu, die, ihre Völker auf dem Leiterwagen, hier Rast machen, um die Pferde zu füttern, und läßt sich die seltsame Geschichte erzählen, die sich vor langen Jahren in der Mühle zugetragen hat.
Das war damals, als die Mühle noch eine Klippmühle war, kein Müllergeselle blieb länger als eine Nacht da; denn wenn die Uhr zwölf ausgeschlagen hatte, kamen drei barbarisch große Katzen angeschlichen, jagten den Gesellen aus dem Schlaf mit Quarren und Prusten, hatten allerlei sonderbare Anliegen an ihn und richteten ihn übel zu, wenn er nicht darauf einging.
Der Müller wußte nicht aus noch ein und hätte die Mühle am liebsten verkauft, wenn er nur einen Käufer gefunden hätte. Da kam eines Tages ein reisender Rollfritze zur Mühle, grüßte die Kunst nach alter Art und fragte um Arbeit an. Den Müller dauerte das glatte Gesicht des frischen Jungkerls und er erzählte ihm, welche Bewandtnis es mit der Mühle habe; der Geselle aber lachte und sagte: »Wenn's weiter nichts ist! Ich bin schon mit so manchem leegen Hund fertig geworden, da werde ich mich auch nicht vor ein paar alten Katzen graulen.« Er bat sich einem großen Kessel, Roggenmehl, drei Liter Milch und einen neuen Handbesen aus und blieb, als die Tagesschicht zu Ende war, allein.
Er machte sich ein ordentliches Feuer auf dem Herd, stellte den Kessel darauf, goß die Milch hinein, und als es kochte, schüttete er solange Mehl dazu, bis es einen schönen steifen Brei gab; auch ein Stück Butter tat er daran, daß er lieblich roch, und eine Prise Baldrian; dann setzte er sich zu dem Feuer, rauchte seine Pfeife und rührte mit dem Handbesen den Brei, damit er nicht anbrenne.
Als es Mitternacht war, kamen zwei großmächtige Katzen in die Mühle, eine gelbgriese und eine schwarzbunte; die hielten die Schwänze hoch, murrten und mauten, machten krumme Buckel und stellten sich schnurrend vor das Feuer; der Knecht tat aber, als sähe er sie nicht, rauchte ihnen in die grünen Augen hinein und rührte seinen Brei weiter.
Nach einer Weile fragte die gelbgriese Katze ihm: »Was macht er denn da?« Der Knecht erschrak sich kein bißchen, als die Katze mit menschliche Stimme sprach, und antwortet grob: »Dumme Trine, hast ja große Augen, sieh selbst zu!« Da fragte die schwarzbunte: »Woher weiß er denn, daß die Trine heißt?« Der Knecht schmunzelte und erwiderte; »Ja, Wehmanns Lotte, so fragt man die Dummen aus!« Da prustete die Katze und sprach: »Na, wart' er nur, bis unsere Base kommt!« Der Knecht aber lachte in Halse und sagte: »Ich wart' ja auch bloß auf Margret.«
Da kam auch schon die dritte Katze; die war noch größer als die anderen, ganz schwarz und hatte Augen wie Eibenfeuer. Alle drei fingen nun schrecklich an zu quarren, reckten sich und streckten sich, daß ihnen die blauen Funken vom Balge flogen, und rückten mit Schnurren und Prusten dem Geselle immer näher auf dem Leib; der aber tat, als ginge ihn das nicht mehr an, als den Nachtwächter in Burg die Celler Turmuhr, er rührte seinen Brei und ging immer um den Kessel herum, daß er Trine, Lotte und Margret' vor sich behielt.
Auf einmal tauchte er den Handbesen ganz tief in den kochenden Brei, zog ihn heraus und strich damit den drei Unholdinnen durch die Gesichter, die kreischten jämmerlich auf und fuhren zum Türloch hinaus; der Knecht aber goß das Feuer aus, schloß die Tür und schlief.
Als es Tag wurde kam der Müller; er wunderte sich sehr, daß sein Geselle ein heiles Gesicht hatte. Als er mittags ins Dorf ging, fiel es ihm auf, daß eine Frau aus dem Dorfe ein verbundenes Gesicht hatte; er fragte sie, was ihr fehle, aber sie brummte nur etwas, das was ich nicht verstand, noch eine zweite Frau ging die nächsten Tage mit einen Tuch um den Kopf und eine dritte konnte nicht zum Heumachen gehen, weil sie eine verbrannte Hand hatte. In der Mühle war es von da ab wieder geheuer, und die Wolthäuser Frauen sind nur manchmal zu Hause noch Katzen, aber nicht alle, und so schlimm machen auch die es nicht mehr.
Die alte Klippmühle ist längst verschwunden, und die andere, die achtzehnhundertsechsundvierzig an ihre Stelle gebaut wurde, brannte vor ein paar Jahren herunter. Jetzt ist eine ganz neue gebaut, ein stolzer Bau, aber so schön, wie die alte Mühle mit ihrem dunklen Gebälk und ihrem moosigen Dach, ist sie doch nicht.
Vor und hinter der Mühle ist aber alles noch beim alten geblieben. Da sind vor dem hohen Ufer der Örtze noch die Buchweizenfelder, grün im Mai, weiß im Juni, schwarz in Juli und rot im August; da blühen noch die blauen Glöckchen und die gelben Sternchen auf den Wiesen; da gleiten noch die Flößer unbeweglich hinter den Ellernbüschen her, zwischen denen man über dem jenseitigen Ufer im Frühherbst die blühenden Heidberge leuchten sieht.
Hinter dem Mühlenteiche führt ein heimlicher Weg zwischen Wiesen und Heide durch Busch und Holz nach den Bindestelle am Örtzeufer, wo die Fichten und Fuhren aus dem Kuhhorn und Mastbruch zu Flößen gebunden werden. Dort ist es am allerschönsten, vorzüglich zur Abendzeit, wenn das Wasser in Gold und Purpur glüht: dann huschen die Fledermäuse über die blanke Flut, in der Horst heult eine Eule, Enten fallen klatschend ein, ein Reiher ruft hoch über den Bäumen und die roten Rehe stehen in den weiß übernebelten Wiesen.
Unter dem hohen Ufer aber fließt, mit goldenen Ringen und silbernen Ketten geschmückt, die Örtze dahin, leise plaudernd; und wer still zuhört, versteht, was sie sagt.