Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Das Ende

Der Mai war in die Berge gekommen; er hatte den Wald grün gemacht und die Wiesen bunt von Blumen.

Hustend und prustend zog der alte Bock vor dem Tannenmantel des Hirtenbusches dahin. Er war schlechter Laune; trotz der warmen Sonne fröstelte es ihn, denn er war mitten im Haarwechsel, und weder das junge Gras noch der frische Klee wollten ihm so recht munden.

Es dröhnte ihm im Kopfe und kribbelte ihm im Halse, denn die Bremmenlarven waren reif und drängten nach außen. Auch die, die auf seinem Rücken zwischen Decke und Wildbret saßen, bohrten schlimmer als je, um an die Luft zu kommen. Und der Bast an dem hohen, klobigen Gehörn juckte ihn.

Wütend fiel er über einen Bergholderbusch her und bearbeitete ihn mit den Stangen, daß die gelbgrüne Blütenbüschel und das frische Laub nur so herumflogen, und schließlich auch die neuen Triebe und die Rinde, so daß von der ganzen Pracht nichts übrigblieb als der zerschundene Stamm und die zerknickten Zweige.

Was da nur war? Sonst hatte er schon Anfang April seinen Kopfschmuck sauber gehabt; in diesem Jahre dauerte es lange damit. Und das Winterhaar wollte auch nicht weichen. Mürrisch rieb er die Flanken an einem Fichtenstamme: aber nur sparsam fielen die grauen Flocken in die Hasenkleeblüten am Boden.

Er mußte wieder husten. Das paßte ihm nicht, denn er liebte es, still und geräuschlos dahinzuziehen. So trat er denn, weil er beim Atmen laut schnarchte, in den engen Stangenort, der ganz hellgrün von halbentfaltetem Buchenlaube war, und in dem die gelben Falter über den weißbesternten Waldmeisterteppich tanzten.

Auf einmal warf er auf und äugte seitwärts. Regungslos stand er da. Dann verdrehte er die Lichter zog die Lefzen herauf, schnaufte böse und zog mit steifen Tritten dahin, wo ein zweijähriger Bock sein Gehörn an einem Haselschosse reinigte, daß es lustig brummte und schrummte, und dann plätzte, daß Moos und Laub herumspritzten.

So vernahm er es nicht, daß der alte Bock heranzog, ihm die Enden in die Keulen jagte und ihn umwarf, daß er längelang in den Blumen lag. Hastig sprang er auf und stürmte laut plärrend durch das Unterholz. Hinter ihm her sauste der andere, sprengte ihn aus dem Busch heraus bis in die Wiese, ab und zu ihn forkelnd, daß der Jungbock vor Todesangst quietschte und in seiner Not auf den Bauer zufloh der einen Abzugsgraben vertiefte. Da erst ließ der Peiniger von ihm ab und trat wieder in den Hirtenbusch hinein.

Sein Sieg hatte ihm die Laune nicht verbessert. So hetzte er denn erst ein Schmalreh, das ihm in den Weg kam, hin und her, und mißhandelte es, bis es sich auf die Trift zwischen die Schafe rettete, behandelte eine hochbeschlagene Standricke, die im letzten Sommer seine Liebste gewesen war, ebenso schmählich, und ließ erst von ihr ab, als er bei der Hatz auf die Fährte eines guten Bockes stieß. Eine grimmige Wut faßte ihn. Ein fremder Bock hier, ein guter Bock sogar im Hirtenbusche, dem besten Stande nach Äsung und Windverhältnissen, den er sich vor fünf Jahren in heißem Kampfe erobert und seitdem festgehalten hatte? Ein Unverschämtheit sondergleichen, eine Frechheit über die Maßen, eine Tollkühnheit unglaublicher Art! Mit seinem Leben sollte er dafür büßen.

Eilig zog der Alte neben der fremden Fährte dahin, ab und zu verhoffend und um sich äugend, und dann und wann wütend in dem Vorjahrslaube plätzend. Als er wieder dabei war, fuhr er zusammen. Ihm gegenüber stand der Eindringling, schlug den Boden mit den Vorderläufen, daß die bunten Blumen durch die Luft wirbelten, warf dann auf, verdrehte die Lichter, senkte das Haupt und zog ihm mit steifen Tritten entgegen. Eine unbekannte Empfindung überkam den Standbock. Ihm war zumute, als müsse er flüchten. Aber wer war denn der Gegner? Ein Bock von vier bis fünf Jahren, ein jagdbarer Bock, aber doch kein Hauptbock, keiner wie er, der drei gute Böcke zu Tod geforkelt und viele andere, die ihm den Hirtenbusch streitig machen wollten, abgekämpft und so zugerichtet hatte, daß sie das Wiederkommen bleiben ließen. Er war freilich ein strammer Bock, voll ausgefärbt schon und das Gehörn war hoch, weit ausgelegt, und völlig vereckt. Aber weichen, flüchten, klein beigeben? Nie und nimmer!

Er senkte die mit schweißroten Bastfetzen häßlich verunzierten, mangelhaft vereckten Stangen, schnarchte wutentbrannt und wollte dem Nebenbuhler entgegenziehen, da stürmte der schon auf ihn los, rannte ihm die scharfen Enden zwischen die Stangen und warf ihn fast um. Und nun kam ein elendes Gefühl über den alten Bock, schwach wurde ihm und hilflos, er wendete und wollte flüchten, aber der fremde Bock ließ ihn nicht, er rannte ihm ein Dutzend Male die nadelscharfen Enden in die Keulen, in die Blätter, in die Dünnungen, hetzte ihn, als er flüchtete, hin und her in dem Holze und hinaus aus ihm über die Wiesen, und wenn nicht singend und jauchzend ein Trupp Maifahrer vor dem Kraihenholze aufgetaucht wäre, so hätte der alte Platzbock jetzt schon sein Ende gefunden.

So aber ließ der andere von ihm ab. Er aber floh dahin, halb ohne Besinnung, an den Menschen vorüber, bis er am Ausgange des Wäldchens in dem Ellernsohle zusammenbrach. Er wollte sich aufrichten aber er vermochte es nicht. Er fühlte, daß es zu Ende ging. Mücken über Mücken kamen angesummt und bedeckten ihn mit Stichen, und Hunderte und aber Hunderte von Gnitten, und er konnte sich ihrer nicht erwehren. Aus dem Moose und dem morschen Laube krochen die Holzböcke hervor und bohrten ihm ihre Rüssel in die Decke. Ameisen krabbelten auf ihm herum, große blaue und grüne Schmeißfliegen umschwärmten ihn. Dann quarrte eine Krähe über ihm. Eine zweite antwortete ihr, eine dritte und eine vierte. Sie flatterten zu Boden, näherten sich vorsichtig, kamen immer dichter heran, und schließlich führte die frechste einen Schnabelhieb nach seinem rechten Lichte. Er fuhr empor, brach aber wieder zusammen, und die Krähen die zurückgestoben waren, schwebten abermals heran. Ein bißchen Kraft war noch in ihm, und damit wehrt er sie ab, bis die Nacht herankam.

Doch es war eine laue Nacht. So summten die Mücken unaufhörlich heran. Eine saß neben der anderen, bis er ganz von ihnen bedeckt war, und von den Gnitten und Holzböcken, und sein Leib von oben bis unten brannte und feuerte, Schauer auf Schauer seine Flanken schüttelten und Todesfieberträume ihn umgaukelten. Der Wald war voller Schrecknisse und Ängste. Das Krispeln des Salamanders wurde zu heranschnüffelnden Hunden, das Gehüpfe des Frosches zum Tritte eines Menschen. Schließlich hörte die Angst auf in dem Bocke; das Ungeziefer hatte seine Empfindung getötet. Aber als mit der Morgenkühle, die Sonne in den Grund fiel und die Krähen sich zusammenriefen, und ihr Gekrächze und Geflatter dicht über seinem Haupte war, und Hieb auf Hieb ihn traf, da weckte ihn das Entsetzen noch einmal. Das letzte was seine Besinnung traf, war der Donner eines Doppelschusses und das verworrene Angstgequarre seiner Peiniger, und darauf eine Berührung an seinem Gehörn, die ihm wie eine Wohltat vorkam. Dann reckt und streckte er sich und wußte von nichts mehr auf der Welt, nichts mehr von Liebe und Haß, nichts mehr von Mut und Angst.

Das Weidmesser des Jägers war ihm in das Genick gefahren.


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