Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Am Muswillensee

Nach der Stille hatte ich Sehnsucht, und nach der Weite. Laut ist es in der Stadt und eng in ihren Straßen, und am stillsten und weitesten ist es im Moor.

Der Muswillensee im wilden Moor fiel mir ein, als ich über ein stilles Land mit weitem Horizont nachdachte, wo ich den Tag verbringen könnte.

Es wird schön sein da draußen. Die Sonne scheint, der Himmel ist ganz hellblau bis auf ein paar schneeweiße Wölkchen, und ein leichter Wind geht. So paßt es mir heute gerade.

Man sollte es gar nicht meinen, daß wir den Winter entgegengehen. Hier im Fuhrenkamp merkt man wenig vom Herbst. Seine Kronen sind immer grün und die Bickbeeren unter ihnen auch. Nur der rote Pilz am Grabenbord und das rote Ahornlaub am Wege melden, daß es Herbst geworden ist im Lande. Und die blühende Heide.

Ein gelbes Habichtskraut blüht noch am Wege und des Heideckers goldenes Röschen; die hat der Sommer vergessen, als er fortzog und dem Herbst Platz machte.

Der kommt nun mit seinen Farben. Er wirft blaue Enziansterne in die abgeblühte Heide und veilchenfarbene Teufelsabbißkugeln an den Grabenrand, läßt rote Vogelbeeren leuchten und schwarze Holdertrauben blitzen, und hinter den Zäunen von Engelbostel steht seine Gefolgschaft, die gelben, steifen Georginen und die rotgelben, rauhen Ringelblumen.

Den Birken am Wege hat er schon manches Blatt gebleicht, in Cananohe den Eichen aber konnte er noch nichts tun. Ihr Laub ist noch grün und dicht und wütend schütteln sie die Köpfe, wenn sein Wind ihnen in die Locken fährt.

Mit meinem Frühstück bin ich fertig. Ich stelle mein Rad in den Stall und gehe langsam die sonnige Straße entlang, neben der die Fuhren knarren und knirschen. Dann löst der braune Moorweg die helle Landstraße ab.

Hier ist es überwindig. Hier knarrt kein Fuhrenast, zittert kein Halm. Hier hat sich allerlei kleines Leben noch gerettet.

Libellen flirren über den nassen Weg und rauben bunte Fliegen. Hellgrüne Sandkäfer fliegen vor meinem Schatten fort. Eine kleine Eidechse raschelt unter die Brombeeren.

Man hört und sieht wenig von der Vogelwelt. Haubenmeisen spulen und kullern in den Fuhren, Goldhähnchen wispern in den Fichten. Ab und zu fliegt eine Zippe aus dem Gebüsch vor mir auf und aus der Dickung klingt des Goldfinks Lockton.

Ich bin auf den Pirschsteig in den Wald getreten. Da leuchtet das Moos wie Gold, silbern blitzt das Laub der Kronsbeeren, goldene Pfifferlinge und weiße Blätterpilze stehen zwischen den Moospolstern.

Auf dem Wege in der Sonne liegt eine Ringelnatter. Langsam rollt sie sich auseinander und gleitet über das Moos. Ihre goldenen Halsflecken leuchten in der Sonne. In einem hohlen Fuhrenstuken verschwindet sie.

Ich bin wieder auf den Hauptweg getreten, wo die Brombeeren am Graben stehen, ganz übersät mit roten, unreifen Früchten. An gemähten Wegen führt der Weg vorbei. Mitten in den Wiesen steht eine alte Ricke und läßt sich die Sonne auf die Decke scheinen. Im Randgebüsch schimpft der Zaunkönig. Da pflückt ein zweites Reh an den Brombeeren herum.

Tiefbraunes Wasser gurgelt neben dem Weg. Das ist die Auter. Sie kommt aus dem Moor. Nur die Wasserhirse will in ihr wachsen und legt lange grüne Streifen über das Braun des Wassers. Im Moorwasser gedeiht kein Leben.

Am Wege steht ein Rosenbusch, über und über voll von roten Hagebutten. Zwischen seinen Dornenästen blüht die Goldrute. Das wird das letzte bunte Leben sein, das heute an meinem Wege blüht, denn hier beginnt das Moor. Ich trete auf den braunen Damm und sehe in die Runde, bis zu den Wäldern am Moorrand. Vor Jahren war hier alles braun und fahl, und der toten Fuhren und Birken Gerippe standen wie Gespenster herum.

Ich weiß es noch, wie sie brannten, Pfingsten Neunzehnhundertundeins. Rund herum was alles Qualm und Rauch, stinkende Wolken fegten über das Moor, kleine Flammen züngelten über das Risch. Und aus dem Qualm und Rauch schlug hohe rote Lohe, und es knisterte und ächzte und zischte.

Der Tod ging durch das Moor. Er trat die Heide tot, tötete das blühende Wollgras, versengte die Moorbeerbüsche, und alles, was in ihnen lebte, Käfer und Grille, Raupe und Falter, Maus und Frosch, Wiesel und Schlange brachte er um, und die Bruten von Lerche und Schnepfe, Ente und Birkhuhn. Tot und schwarz war das Moor damals.

Neues Leben ist aus der Asche gekommen. Um die roten Heidblüten tanzen goldene Fliegen, unter den gelben Schmeelen pfeifen die Mäuse, über die Torfmoospolster springt der Moorfrosch und die Schlingnatter flieht in das Moorbeergestrüpp.

Dicke, gelbbraune Knollenpilze, wie Kartoffeln aussehend, sitzen überall im braunen Torf. Den einen hat ein Reh zertreten; man sieht sein dunkles Gewebe. Mit seiner bösen Farbe warnt uns die Natur vor ihm.

Mit spitzen silbergrauen Blättern prangt der Moorrosmarin. Ein Büschel ist voll von rosig überhauchten Glöckchen. Im Frühjahr ist seine Blütezeit. Alle rund um ihn haben dann geblüht, nur er allein blüht jetzt noch einmal.

Und da in der Kuhle blüht noch ein Wollgras. Auch seine Blütezeit ist der Frühling, aber dieses eine blüht jetzt, dicht vor dem Winter. Warum, warum? Aber was begreift man überhaupt. Der Mensch und die Natur kommen nie überein. Wir legen immer unsern Maßstab an sie, und der ist so klein. Ich weiß noch, wie glücklich ich war, als ich zuerst den Darwin las. Ich glaubte, nun begriffe ich alles da draußen. Aber heute weiß ich, daß ich nie dahin komme, ich nicht und andere auch nicht.

Das hat mich lange Zeit traurig gemacht. Heute habe ich es überwunden. Ich nehme die Natur so, wie sie ist, und zerbreche mir den Kopf nicht mehr über allerlei Zwecke und Absichten, die ich einst dahinter suchte. Schließlich ist die Natur doch nicht dazu da, daß eins ihrer Geschöpfe hinter alle ihre Geheimnisse kommt.

Hinten im Moore balzt ein Hahn. Soll ich darüber nachgrübeln, warum er balzt? Sein Balzen ist gerade so unzeitgemäßig, wie das späte Blühen des Moorrosmarin und der Murke, es folgt ihm keine Frucht. Wir Menschen sind furchtbar klug: wir meinen, die Natur soll uns zu allem gleich eine Erklärung geben. Aber die kümmert sich gar nicht um uns.

Ein kleiner Vogel fliegt vor mir auf. Traurig tönte sein Ruf. Aber das kommt mir bloß so vor. Manches, was uns traurig klingt, bedeutet Jubel und Lust.

Hier ist der See. Ein See ist es nicht, nur ein kleiner runder Moorteich. Aber die Leute von Cananohe und Otternshagen und Evershorst und Heitlingen nennen ihn so, weil er das größte Wasserbecken im Moor ist. Wären mehr da, so hießen sie ihn einen Pump und gäben ihm keinen besonderen Namen. So aber ist er der Muswillensee.

Sein Wasser soll sehr tief sein sagt man. Keiner hat es daraufhin geprüft. Keiner weiß, wie der See entstanden ist und warum er so heißt. Es gibt so viele Pumpe in der Heide, die größer sind als er und die doch keinen Namen haben. Aber er hat so etwas Unheimliches. Er sieht aus, als müßte hier einmal etwas Böses geschehen sein. Eine alte Frau in Krähenwinkel sagte mir, in der Johannisnacht ginge da das schwarze Pferd und in den heiligen Zwölfen liefe dort das glühende Rad.

Er ist immer etwas an solchen Sagen. Tausend Jahre und mehr kann ihr Ursprung zurückliegen, kann noch aus Zeiten stammen, als man dem alten Gotte zu Ehren in unsern Gauen Rosse schlachtete, kann aus noch älteren Tagen stammen, als ganz fremde Völker hier wohnten. Menschen, die die Steinhäuser bauten und mit Flintsteinmessern das Fleisch schnitten.

Eine einsame, hohe Birke stand früher an dem See. Sie paßte so gut dahin, die halb kahle, sturmzerpeitsche, wurmstichige. Jetzt ist sie umgefallen. Der Moorbrand gab ihr den Rest. Der Stumpf ist wieder ausgeschlagen, die Äste faulen im schwammigen Torfmoor.

Ich sitze neben den Trümmern auf einer Rischbülte und sehe auf das Wasser. Es ist braun, aber heute sieht es blau aus vom Himmel, und der Wind kräuselt es leicht.

Rund um das Wasser zieht sich ein gelbgrüner Rand von Torfmoos. Darauf kriecht die Moosbeere. Zwischen ihren Myrtenblättern leuchten die dicken roten Früchte wie Rabinen. In dichten dunkelgrünen Polstern wächst dazwischen die Krähenbeere. Darüber reckt straffes Risch seine Halme.

Das Ganze ist wie eine Welt für sich in dem braunen Moor. Und die große Libelle, die hin und her über das Wasser jagt, gehört dazu. Im Moor selbst flogen nur kleine Libellen.

Ich sitze und träume und sehe auf das Wasser und auf die lange, dünne Libelle, die immer darüber hin und her schießt, und höre dem Wind zu, der leise im Risch flüstert.

Er flüstert immer dasselbe. Verstehen kann ich es nicht, was er flüstert, aber mir ist so, als müßte er hier immer so flüstern, dürfte nie lauter reden, damit niemand erfährt, was es hier für eine Bewandtnis hat mit dem Muswillensee.

Denn irgend etwas geheimnisvolles ist damit verknüpft, oder etwas Unheimliches. An seinem Ufer die Moosbeeren müßten das Birkwild locken, aber ich fand kein Anzeichen dafür da. Die Rehfährten, die sich kreuz und quer durch das Moos ziehen, führen im Bogen um das Wasser. Die Krähen streichen niemals über den See fort, immer um ihn herum. Keine Bekassine liegt an seinem Ufer, kein Pieper trippelt an seinem Rande herum, keine Ente fällt auf ihm ein.

Am Tage fliegt nur die große Libelle über ihm hin und her, und in den Mainächten klagt dort die Sumpfeule vom Stumpf der gestürzten Birke, und mit beiden muß es auch seinen eigenen Sinn haben.

Unheimlich ist allem Getier ein Ort, wo um Johanni der schwarze Hengst trabt und in den Zwölfen das feurige Rad läuft.


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