Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Unter dem Machandelbaum

Auf dem Heidberg stocken viele Machandelbüsche; aber nur einer von ihnen erhebt sich so hoch wie ein Baum.

Schenkeldick ist sein eisgrauer Stamm, und zuerst auf unheimliche Art verborgen; dann aber reckt er sich strack empor und läuft in eine breite, oben zugespitze, dunkle, hell überlaufene Krone aus, die mit grünen, blauen und schwarzen Beeren reichlich bedeckt ist.

Einen anderen Schattenplatz gibt es hier nicht, und so mache ich mich, wenn ich des Weidwerkens im Bruche müde bin, hier lang, denke an nichts, sehe mit halben Augen über das rosenrote Moor, vergesse das schnelle Leben der hastigen Stadt, horche auf das halblaute Geplapper der Quelle unter mir und träume von der Zeit, die da war, und von den Tagen, die da sein werden.

Die Sonne meint es gut. Im Bruche war es mir zu heiß. Die blinden Fliegen machten es zu schlimm, der trockene Wind dörrte mir den Hals aus und trieb mich zum Sprung unter den Machandel. Ich trank mich satt, wusch mir die Hände und Füße, und nun liege ich da, horche auf das Geläute der Bienen, die um den voll blühenden Honigbaum fliegen, sehe den dünnen weißen Windwolken zu, die an dem hohen Himmel dahinziehen, und den Schwalben, die unter ihnen spielen, blicke auch nach den Bauern, die hinten im Moore Torf fahren, und bin auf einmal anderswo, in einer Zeit, die mir fremd ist, in einer Welt, die ich nicht kenne.

Unter dem Himmel kreisen zwei Adler und rufen laut. Je nachdem sie sich wenden, sehen sie bald silbern, bald goldig aus. Das Moor ist rosenrot, wie vorhin, doch vor ihm leuchten keine Lupinen, schimmert kein Buchweizen. Über mir rauschen Eichen, in denen die Blaurackern, wunderbar blitzend, ab und zu fliegen, heiser krächzend. Die Quelle ist schon da, doch in dem Schmorboden unter ihr ist eine sonderbare, große breite Fährte, fast wie der Tritt eines nackten Menschenfußes anzusehen, jedoch mit dickeren Ballen und scharfen Krallen versehen.

Es bricht und rauscht in den Ellernbüschen am Grunde des Anberges, in Mannshöhe schiebt sich eine mächtige, laut schnaufende Muffel heraus, unter ihr ein gewaltiger Hals mit einem langen, dünnen Bärtchen, darüber zwei riesenhafte, vielendige Schaufeln, dahinter ein klobiger Lein, auf vier hohen, weißen Läufen ruhend, ein Elen. Es tritt bis an den Spring heran, senkt den Hals zu dem Wasser, prustet dann erschrocken auf und poltert wild zurück in das Buschwerk, daß die Zweige krachten. Der Elch ist auf die Fährte des Bären gestoßen, der heute in der Frühe hier Wasser genommen hat.

Eine Weile ist es still bis auf das Geigen der Grillen und das Dudeln der Heidlerchen. Blaue und grüne Schillebolde umflirren die gelben, purpurrot überlaufenen Fruchtrispen des Beinheils, die sich aus den Rischbülten in dem Quellbecken erheben, eine Ringelnatter windet sich durch das abgeblühte Wollgras und verschwindet in der Flur, und da, wo eben die Adler waren, kreist ein Schwarzstorchpaar und bringt seinen drei Jungen den Hochflug bei. Wie blitzblankes Edelerz leuchtet das Gefieder der fünf großen Vögel. Da erklingt ein wilder Weidschrei, sie stiebten auseinander, drängen sich wieder zusammen, aber schon kommt, hastig rudernd, ein Adler angejagt, greift das letzte Stück und zwingt es zu Boden.

Der Tag geht fort; der Abend kommt herauf. Die letzten Bauern fahren aus dem Moore heim. Laut quietschen die plumpen, zweirädrigen, hoch mit Torf bepackten Karren, aus denen die Spitzen der Wurfspieße hervorblitzen. Wie eine rosenrote Scheibe steht die Sonne über der Wolke und ist dann verschwunden, doch ihr Licht färbt noch dem Himmel. Die Moorfrau beginnt zu atmen; ihr Hauch bedeckt alle Gründe und verhüllt sie nach und nach. Im Bruche ruft der Uhu, die Kraniche trompeten, die wilden Gänse sausen laut gickernd nach der Ise; ihnen entgegen kommen, heiser krächzend die Reiher angestrichen. Allerlei Enten klingeln hinüber und herüber. Unheimlich brüllt die Dommel.

Es wird kühl und feucht, aber ich darf nicht fort von hier, denn ich habe Wachtdienst. Ich schlage den kurzen Mantel aus Schnuckenfell um die Schultern und ziehe die Knie darunter. Gern machte ich mir ein Feuer, aber das darf ich nicht, denn es ist unfriedlich in der Heide geworden. Fremdes Volk ist angeritten gekommen, hat hier und da gemordet und gebrannt und Mädchen und Vieh fortgeführt. Dreißig Stück von den schwarzhaarigen, gelbhäutigen, plattnasigen Kerlen kesselten wir gestern im Bruche ein. Aus allen Dörfern um das Bruch hatten die Hörner und die Hillebillen das Mannsvolk zusammengerufen. Keiner von den fremden Männern blieb am Leben, so arbeiteten Pfeil und Schleuderstein, Spieß und Wurfaxt. Die letzten, die vor Angst von ihren strupphaarigen, kleinen Gäulen sprangen und sich im Porst bargen, arbeiteten wir mit den Hunden und schlugen sie vor die Köpfe. Ob sie auch noch so bettelten und baten. Bloß einen ließen wir leben, und der wird jetzt durch den Gau geführt, damit die Weiber, die Kinder und die alten Leute ihn zu sehen kriegen. Dann wird er aufgehängt.

Ein Wolf heult im Bruche, noch einer, und nun ein dritter und vierter. Die brauchen jetzt keine Schnucken zu reißen und auf Elchkälber Jagd zu machen; quappsatt können sie sich fressen an den fremden Menschenmördern und Hausbrennern, deren Köpfe an den Dietwegen auf Stangen gesteckt sind, damit andere die nach ihnen kommen, sich belehren lassen, was für Beute hier in der Heide zu holen ist. Wer nicht hierher gehört, der soll da wegbleiben; wir vertragen ja wohl einen kleinen Spaß, aber Bählämmer sind wir nun doch nicht. Das haben sie merken müssen, als wir sie zwischen uns hatten. Sie schnatterten wie die Gänse und pfiffen wie die Ziegenmelker, und hopsten hin und her auf ihren Gäulen, und schossen und warfen ihre Schlingen nach uns. Half ihnen alles nicht. Wir waren unser Hundert und kannten uns in dem Morast besser aus. Und so mußten sie alle bleiben, wo sie waren, und wir kamen fort, bis auf Eike Sötmund, der einen Pfeil in das Herz bekam. Dafür schlug ich dem Kerl, der das tat, das Genick ab.

Eike war mein liebster Freund, und Sötmund nannten ihn die Mädchen, weil er so schön singen konnte. Ich machte die Lieder und er fand die Weisen dazu, sang sie und spielte auf der Fiedel. Manchen lustigen Tag haben wir zusammen verlebt, und daß er morgen in den Hehlberg muß, das will mir gar nicht in den Kopf. Bei allem, was er tat, lachte er, und als wir ihn aufhoben, hatte er noch ein Lachen um den Mund. Drei Finger und drei Zehen gäbe ich darum, könnte ich ihn noch einmal lachen hören, und nichts als Wasser wollte ich trinken all' mein Leben lang. Und ehe daß ich einmal wieder von Herzen lachen kann, darüber wird Jahr und Tag vergehen. Ich will ihm die drei goldenen Armringe in die Erde mitgeben, die ich dem Kerl abnahm, der ihn totschoß, und mein eisernes Messer, das er so gut leiden mochte, aber nicht geschenkt haben wollte. Ja, das soll er mithaben, und die Kette von den Perlen, die ich aus der Ise fischte, und nach der sich alle Mädchen die Hälse abdrehten.

Ich glaube, es will Morgen werden. Der Wind macht sich auf und die Kraniche fangen wieder an, loszulegen. Da unten wird es auch schon lichter, und die Raben wecken sich auf. Wie kalt das ist; man sollte meinen, es ist Nebelung und nicht Erntemond. Mich schuddert ordentlich. Ich wollte, die Ablösung käme. Ein Krug Warmbier käme mir just paßlich. Horch! Was war das? Ach so; es hat sich da ein Wolf in der Klobenfalle gefangen; die Stange mit dem Strohwisch ist in die Höhe gewippt. Na, einer weniger! Es sind mehr als genug von den Grauhunden da. Bären auch, drei Beutfuhren haben sie mir allein die letzte Zeit leer gemacht; es ist Zeit, daß wir ihnen an den Balg gehen. Vielleicht übermorgen. Schade, daß Eike nicht dabei sein kann; so gut wie er fing keiner Vetter Plattfoot ab.

»Süh'n büschen geschlafen!« Vor mir steht Eike Sötmund, aber in schwarzes Beiderwand gekleidet, und heute heißt er auch anders, nämlich Heini Hennecke, und ist Wiesenmacher und Imker. Aber er sieht genau aus wie Eike und ist der beste Sänger und Tänzer im Dorfe, und arbeiten kann er für vier. Ich glaube, er ist auch ein Stück Dichter; denn seine fröhlichen blauen Augen können manchmal weit weg sein.

Ich gehe mit ihm nach dem Dorfe, und um zu hören was er sagt, erzähle ich ihm, was mir geträumt hat. Erst sagt er gar nichts, sondern nickt bloß. Dann sieht er mit verlorenen Augen über das rosenrote Moor und meint: »Ja, Machandelbaumschatten, das gibt absonderliche Träume.«

Das muß wohl so sein.


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