Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Die Heidjäger

Über Nacht war eine Hauptneue gefallen. Weiß und weich lag sie auf der Heide.

Nirgendswo war ein Büschel Heidkraut zu sehen; die Wacholder hatten weiße Röcke angezogen; der Kiefern dunkle Locken waren weiß geworden über Nacht.

Hungrig krächzten die Krähen über die weiße Wüste, sie fanden kein Futter; hungrig rief der Kolkrabe über die verschneite Heide; er traf keinen Raub an; hungrig schnürte der Fuchs durch das pfadlose Moor, es gab nichts zu reißen.

Als die letzten Sonnenmale auf dem Schnee verblichen, als die Stämme der Kiefern ihren roten Schein verloren, als Stern auf Stern am Himmel schien, da knirschte der harte Schnee.

Große schwarze Schatten mit langen Hälsen und hohen Lauschern schoben sich aus dem Stangenort, zogen in die Heide, machten halt, sicherten, zogen weiter, verhofften wieder, wenn die aufhakende Eule im Holze einen dürren Ast aufstieß, und zogen tiefer in die Heide hinein, den Feldmarken des Dorfes zu.

Als im Westen der allerletzte Schimmer zwischen Heide und Himmel verloschen war, brach es wieder im Holze, knirschte der Schnee wieder in der Heide; dicke, schwarze Klumpen tauchten auf, bliesen laut lange Dunstwolken vor sich hin, pflügten mit den Gebrächen den Schnee auf, bliesen wieder und trollten über die Heide.

Als sie an dem alten Dietwege angelangt waren, da preschte das Leittier zurück und die alte Bache verhoffte; denn über die Heide kam etwas heran, es kam mit dem Winde und hatte keine Witterung, es ging über dem Winde und ließ sich nicht vernehmen.

Regungslos erstarrt, nur die Lauscher regend und mit den Gehören spielend, stand das Rotwild da, verhofften die Sauen, vergebens zogen sie den Wind ein, er brachte ihnen keine Kunde; das Leittier machte einen großen Bogen nach Norden, die Bache trottete im Halbkreise nach Süden, dann stob das Rudel hierhin und die Rotte trollte dahin.

Quer über die Heide aber kam ein Mann; der war lang und dünn, hatte einen roten gelbverschnürten Rock an, einen Dreispitz auf dem Kopf, weiße Lederhosen um die dürren Schenkel und umgeschlagene Krempstiefel an den Füßen; um die Schultern hing die Rüdemannspeitsche; an der Hornfessel das gelbe Horn, die kurze Feuerschloßbüchse hatte er über das Kreuz geschoben und recht bequem die weißbehandschuhten Hände über Kolben und Mündung gelegt; ein Dutzend Fixköter aller Arten schnüffelten hinter ihm her.

Der Mann und die Hunde traten den harten Schnee so leise, daß er nicht knirschte; die Hunde hatten alle nur drei Läufe, kein weißer Dunst kam aus ihren Nasen, und auch der Mann hatte keinen sichtbaren Atem, und er ging doch so schnell und die Luft war so kalt.

Wo die Fährten des Rotwildes den Schnee narbten, da blieb er stehen; er bückte sich tief, legte die vier Finger der rechten Hand in die eine Fährte, lächelte, nickte und prüfte die andere starke Fährte ebenso, auch wo die Sauen sich fährteten, blieb er stehen und sah sich die Fährten an, und die Hunde streckten ihre Nasen hinein.

»Zwei jagdbare Hirsche, ein angehender Keiler und ein hauendes Schwein,« rief da eine Stimme. Die Hunde sträubten die Rückenhaare und knurrten, aber dann drängten sie sich winselnd und wedelnd um den Mann, der sich aus dem Schatten des breiten Wacholderbusches erhoben hatte; er trug eine Otterfellmütze, einen grünen Jagdkittel ohne Gürtel, ein Dachsholster an der Seite und hatte einen langen Vorderlader umgehängt; die Beine steckten in dicken Manchesterhosen, und er trug derbe Nagelschuhe und gelbe Knöpfgamaschen.

»Na, Eidi, schon lange da?« fragte der Mann im roten Rock und gab dem Grünkittel die Hand. Der lächelte still in seinen krausen rotbraunen Bart und nickte: »Oh ja, schon eine ganze Weile! Solange wenigstens, daß ich das Wild nicht vergrämte, wie andere Leute!« Der Rotrock lachte und meinte: »Die Luft ist mächtig kalt heute Abend; da täte ein kleiner Schluck gut,« und Grünrock lächelte wieder, holte aus seinem Holster eine dicke, runde Flasche, auf die ein feuerroter Hirsch und ein schwefelgelbes Reh, von giftgrünen Blattwerk umrankt, gemalt waren, nahm den Pfropfen ab, trank einen Schluck, setzte den Pfropfen wieder auf und reichte die Flasche dem Rotrock, der auch einen guten Zug tat.

Der Grünkittel schlug mit Stahl und Stein Funken in den Schwamm, legte ihn in seine kurze Pfeife, gab dem Rotrock glimmenden Tabak ab, der damit seine Tonpfeife in Brand setzte, und dann pfiff der Grünkittel dreimal gellend auf den Fingern. Da tauchte unten auf dem Dietwege eine Gestalt auf und kam näher. Es war ein bartloser Mann mit schlauem Fuchsgesicht, ganz in verschossenen Manchester gekleidet, trug er Kniestiefel, eine alte grüne Mütze, einen Rucksack aus Sackleinwand und eine Lesaucheuxbüchsflinte.

»Nanu,« sagte der Rotrock, »was ist denn das für ein Gast?« Der Grünkittel lächelte wieder: »Der Mann aus Magenhagen, Helljäger, den vorigen Herbst der Deubel geholt hat. Hast du davon nichts gehört? Der kleine Förster aus Öbese war fixer als er. Weidewund, in einer Stunde tot. Bißchen einfacher Kerl, Pötter heißt er, aber doch besser als dritter Mann beim Solo als der Mondschäfer, der das Faulspielen nicht lassen kann. Und man kann mit ihm noch über Wild und Weidwerk reden.

»'n Dag«, sagte der Ankömmling, zog langsam die Hand aus der Hosentasche und gab sie erst Eidi und dann dem Helljäger. »Heute Nacht müßte man ablappen: das ganze Zeug steht vor dem Dorfe im Holze. Zwei davon haben tüchtig auf.« Dann holte er ein Schwefelholz aus der Tasche, steckte sich eine Zigarre an und dampfte bedächtig.

Der Helljäger, der den Mann erst sehr von der Seite angesehen hatte, machte ein freundliches Gesicht, als er ihn so reden hörte, aber er meinte: »Ach was Jagd, ich danke; habe genug gejagt in meinem Leben; das bißchen Wild, das hier noch ist, können sich andere holen. Mich verlangt nach einem Solo und einem vernünftigen Gespräch. Man liegt sich ja krumm und dumm unter dem Rasen und weiß nicht mehr, was auf der Welt vorgeht. Holla, voran, die Nacht ist kurz!«

Da stiefelten denn die drei los, den Heidberg hinauf, den Dietweg entlang, in den alten Stangenort hinein, und wo der fünf uralten Steingräber weite Mäuler gähnten, da machten sie halt; Eidi räumte den Schnee vor dem größten Grabe fort, Pötter holte Steine zum Sitzen herbei, und der Helljäger sorgte für Brennholz.

Bald leuchteten rote Flammen aus der alten Steinkammer heraus, der Schnee taute von den Rändern der gewaltigen Steinplatten, und der Rauch zog durch die Wipfel der Kiefern; und hinter dem Feuer hockten die drei, ließen die Flaschen kreisen, dampften ihre Pfeifen und schmetterten die Karten auf dem alten Stein, daß es knallte.

Das Feuer und der Wacholderbranntwein taten bald ihre Schuldigkeit; die Köpfe glühten, die Augen glänzten; der Helljäger brüllte mit lauer Kehle das Lied: »Der Wilddieb Eidi war ein Mann von großen Geistesgaben,« und Eidi lächelte geschmeichelt. Langte aus Pötters Rucksack noch eine Steinkruke und trank dem Helljäger zu nach alter Art; lustig klang das durch den stillen Wald: »Helljäger, eck seih di!« »Eidi, dat freut mi!« »Eck sup deck to!« »Man to, man to.« »Eck hebb deck tosopen.« »Hest den richtigen dropen!« »Prost!« »Prost!« »Prost!« »Hoo-Rüd-Hoh! Wahrtoo min Hund, wahrtoo!«

Mächtig aufgekratzt waren die drei, ganz gewaltig, und als der Mondschäfer ankam, da ging das Leben erst recht los und eine Jägergeschichte nach der andern ging um; der Helljäger erzählte, wie er einmal drei Sauen hintereinander habe auf eine Feder auflaufen lassen, und Eidi beschrieb, wie er den Achtzehnender den ein hoher Prinz erlegen sollte, zehn Minuten vorher geschossen habe, ehe der hohe Herr ankam: »Junge,« sagte er und lachte, »da hieß es aber auskratzen. Ich mußte man machen, daß ich das Geweih herausschlug, und dann heidi! Es fehlte nicht viel, dann hatten sie mich. Aber ich goß mir Schnaps auf die Sohlen, und da verlor der Hund die Fährte. So ein kleiner Schnaps ist immer gut!«

Der Helljäger lachte und forderte Pötter auf, auch ein Stückchen zu erzählen, aber als der von gewilderten Böcken und Ricken anfing, da lachte der Rotrock: »Schöne Jagd das! Rehe, darauf pfiffen wir zu meiner Zeit; mit der minderen Jagd gaben wir uns nicht ab; der edle Hirsch und die ritterliche Sau, alles andere ist doch man zahme Jagd. Wenn ich noch an den Vierundzwanzigender denke, den ich meinem lieben Kameraden Bideloh hundert Schritt vor dem Hause wegschoß, hahaha! und an die andern alle! bis sie mich dann erwischten; und als sie mir den Ruß aus dem Gesicht wischten, na, die Gesichter! ›Donnerslag‹ sagte der Bideloh, ›und Haubitzen, das ist ja unser Gehegereuter. Dacht' ich's doch!‹ Wäre ich nicht dot gewesen, ich hätte mich dot gelacht damals!«

Sie lachten, der Helljäger, Eidi und Pötter, die drei Heidejäger, die alle mit einer Kugel ihr Freijagen gebüßt hatten, und sogar der Mondschäfer lachte lauthals mit; denn der hatte auch keine Grenzen gekannt und immer über den Grenzgräben gehütet; und als sie mitten im hellen Lachen waren, da schoben sich zwei lange, mit Lederhosen bekleidete riemenumschnürte Beine in die Steinkammer, und hinterher ein langer Oberleib in buntbenähter Lederjacke, und darauf saß ein schmaler, blondbärtiger Kopf, den eine Bärenfellmütze bedeckte, und der fremde Mann lachte und sagte: »Ihr machtet solchen Lärm, daß ich aufwachte in meinen Hügel. Was habt ihr denn zu trinken? und ich bin Hennecke, des Wulfes Sohn!«

Die anderen sahen ihn sich genau an. Es war ein stattlicher Kerl; er hatte eine langstielige Axt aus Bronze im Gürtel und ein breites Messer und über den Knien ein kurzen dicken Speer mit handbreitem Stichblatt liegen. Der Mann lachte, als der Helljäger von den Hirschen erzählte: »Ist mir eine schöne Jagd für Männer! hohoho! Unsere Jungens jagten den Hirsch, aber die hohe Jagd auf den Bär und den wilden Ochs, das war Manneswerk; den Bären habe ich mit dem Speer kalt gemacht und den wilden Ochsen mit dem Messer; das war anders damals hier; nicht lauter Fuhren: Eiche bei Eiche! und auf der Eiche saß ich, über dem Wechsel, und wenn die wilden Ochsen kamen, dann herunter, auf den Puckel gesprungen; Messer in das Herz! Das war noch eine Jagd!«

Der Helljäger machte ein langes Gesicht, als der Longobarde so prahlte, Eidi auch und Pötter erst recht. Aber da kam schon wieder ein neuer Gast, ein breitschultriger, langarmiger, kurzbeiniger, kleiner Kerl mit braungelben Gesicht, schiefen Augen, breiten Backenknochen und öligem, schwarzem Haar, das in einem Knoten auf dem Scheitel zusammengewickelt und mit Bernsteinperlen durchflochten war; Felle umhüllten ihn, in seinem Gürtel steckten Steinbeil und Flintmesser, und seine breite Faust umspannte einen dicken Bogen und lange dünne Pfeile.

Mit rauhen Kehltönen begrüßte er die Gesellschaft; Krwo hieß er, und habe hier früher auch gejagt, ehe die Longobarden im Lande saßen. »Bär und Ochs, die gab es damals auch, aber besseres Wild noch: den Riesenelefanten trieben wir in die Todesgrube, das Nashorn erschlugen wir mit dem Fallspeer, den Höhlenbären stachen wir im Lager tot, und unsere jungen Söhne erlegten den Riesenhirsch und den Schelch, den Bisamochsen und das Ren. Damals lohnte es sich noch Jäger zu sein. Unter diesen Steinen haben meine Leute meine Asche begraben, als meine Hände anfingen zu zittern und mein ältester Sohn mir mit dem Steinhammer den Ehrenhieb gab; und dreißig Gefangene gaben sie mir als Geleite mit. Ja, das waren Zeiten!«

Der Fremde saß und sann; in seinem blau tätowierten Gesicht glänzten die schwarzen Augen. Als ihm Eidi die Flasche bot, da zog er gehörig, seine Backen röteten sich und mit hohler Fistelstimme begann er zu singen: »Unsere kleinen Söhne jagen den Schelch und töten ihn in dem Moore; unsere jungen Männer jagen den Mordbären und töten ihn in dem Walde; wir Männer aber hetzen den Elefanten in die Grube, wenn unsere Weiber nach Fleisch schreien. Und alle Jahre einmal ziehen wir weit weg, ein besseres Wild zu jagen, wir Männer vom Stamme der roten Hunden; dann rauchen die Hütten der anderen Stämme, ihre Weiber weinen, unsere Hände sind rot und unsere kleinen Söhne schießen nach den Gefangenen an den Pfählen, und ihre Schwestern jubeln dabei.«

»Den Deubel auch,« sagte der Helljäger und stieß Eidi an, »das scheint ein schöner Bruder zu sein. Phui Luder! Ein Menschenjäger, hat am Ende Menschenfleisch gefressen.« Auch der Longobarde rückte von dem Kopfjäger fort, Pötter machte ein ganz verbiestertes Gesicht, und der Mondschäfer sagte, er müsse nach seinen Lämmern sehen. Der Mann mit dem Steinmesser aber höhnte die anderen, nannte ihr Jagen ein Knabenspiel und ein Kinderweidwerk, und im Handumdrehen gab es Zank und Streit, und durch den stillen Winterwald klangen Zankworte und Schimpfreden. Da trug der Wind vom Dorfe das Läuten der Neujahrsglocken heran, der Mondschäfer löste sich im Nebel auf, der Helljäger zerfloß in Dunst, der Longobarde verschwand wie ein Schatten, Eidi verblaßte zu einem Schemen und der Steinzeitmensch und Pötter, der Wilddieb, verloren sich in der grauen Luft.


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