Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Einsame Heidfahrt

Nordwestwind pfiff über das Land, veranlaßte die ernsten Fuhren durch sein ungestümes Kosen zu unwilligem Gebrumm und die starren Machandelbüsche zu ärgerlichem Kopfschütteln, ließ den Landstraßenstaub sich in Kringeln drehen und erlaubte es den Hunderten von himmelblauen Faltern, die im Heidekraute hin- und hertaumelten, nicht, fröhlich um die ersten Doppelheideblüten zu tanzen. Ab und zu warf mir der neckische Gesell eine Handvoll Staub in das Gesicht; aber er entschädigte mich wieder dadurch, daß er mir gleich darauf den betäubenden, süßen Duft der Lupinen zufächelte, deren schweres Goldgelb die braune Heide unterbrach. Wie ein Hund die Schnuckenherde mit heiserem Gebell vor sich hertreibt, so hetzte der Wind graue Wolken nach Südost, und wenn eine Herde vorüber war, dann leuchtete blauer Himmel aus dem Grau, und stechend sengte die Sonne herunter. Dann erklang das Summen der fleißigen Immen lauter, dann tanzten die verschüchterten Bläulinge lustiger um die rosigen Heideglöckchen, die Sandammer ließ dann fleißiger ihr müdes Liedchen ertönen, und die Heidelerchen, die unsichtbaren Sänger der Heide, belebten mit froheren Strophen ihren einförmigen Singsang, bis eine neue Wolkenherde, einen dicken, schwarzen Widder an der Spitze, sich vor die Sonne drängte und die Heide wieder ihr trübes Aussehen gewann.

Ich fuhr allein, mutterseelenallein, durch die Heide. Gern habe ich im frohen Bergland lustige Wandergesellschaft; in der Heide hasse ich sie. Die Heide ist nicht gesellig, und nur dem einsamen Wanderer gegenüber ist sie mitteilsam, ganz wie der echte Niedersachse. Der ist auch ein schlechter Gesellschafter, ein uninteressanter Mensch, in bunter Reihe, wo gelacht und geschwatzt und getändelt wird. Aber im stillen Aug'-in-Aug' mit dem Freunde wird er mitteilsam, gesprächig; da kramt er aus dem verschlossenen Herzen allerlei Schätze hervor, wunderschöne Dinge, die niemand vermutete hinter dem kalten Blauaugenblick, unter den gleichmütigen Zügen.

Viel Liebes und Schönes hatte mir die Heide schon gewiesen, wenn ich als einsamer Wanderer ihr nahte; heute aber wollte ich sie bitten, mir ihre ältesten Erbstücke, tief versteckt in der Fuhrentruhe, zu zeigen: den Steinhäusern galt meine Pilgerfahrt. Lange hatte ich mir den Besuch schon vorgenommen, aber immer hielt eine heilige Scheu mich ab, in großer Gesellschaft die Fahrt zu machen, mit Leuten die bei den ehrwürdigen Denkmälern Mettwurst und Kognak hervorholen und die Steinplatten als Fremdenbücher mißbrauchen.

Heute aber war ich ganz allein, allein wie der Schäfer, der hinter Bergen seine Schnucken weidete, allein wie ein grauer Findling auf brauner Heide. Schnell ließ ich mein Rad dahinsausen über die gelben, glatten Fußwege, in deren Grasborden blutrote kleine Nelken leuchteten, flog vorüber an den Häusern von Bleckmar und tauchte unter in Heideeinsamkeit und Waldstille, die die Straße nach Fallingbostel umgibt, eine Straße, die der Heide echteste Schönheiten erschließt. Der Wald endet auf des Hügels Kuppe, und Heidberge, baumlos und kahl, nehmen mit ihrem braungrünen Violett das Auge gefangen. Wie einfach sind die Mittel der Heide, wie viel schafft sie damit! Diese kahlen Hügel, gleichmäßig überzogen mit dem braunen Tuche, sie beruhigen die Seele. Es ist eine köstliche Farbe; das braungrüne Violett, eine Farbe, die das Herz gefangen nimmt, von der die Augen nicht fort wollen. Kein Haus, kein Mensch weit und breit, Heidhügel an Heidhügel, einige ganz ernst braun, einer mit schmaler gelber Binde geschmückt; ein Heidweg ist es, der sich über seine Kuppe zieht. Ein Wall graugrüner Fuhren rahmt dieses Heidebild ein und blaue Hügel, die am Himmelsrande mit grauen Wolken verschmelzen.

Nach stundenlanger Rast im spärlich blühenden Heidekraute, riß ich mich los, flog bergauf, talab und stellte mein Rad in Nordbostel ein. Den Wirtshause gegenüber führt ein breiter Weg nach Süden, von Hängebirken beschattet; den schlug ich ein. In der Grasheide, die wie ein riesiges Löwenfell sich an weißen Buchweizen anschließt, zirpten die Grillen. Mitten in der kahlen Heide weidete der Schäfer, das Knüttzeug in den Händen, die grauen Schnucken. Über dem notreifen Roggen rüttelte ein Sperber, und ein Hase, von den Schnucken hochgemacht, flüchtete in den hohen Brahm, der mit der grasigen, grünen Farbe seiner hohen Büsche ganz absonderlich von dem Heidebraun abstach und im Verein mit den toten Gestalten der Wacholderbüsche die Landschaft belebte. Hohe Tannen und breitästige Eichen zeigten einen Bauernhof an, hinter dessen Zaun kein Menschenlaut erschallte. Es war die Zeit der Heuernte. Ein zweiter Hof, Homanns Hof, blieb links liegen, und dann suchte ich mich durch prächtigen Tannenhochwald hindurch, bis sandige hügelige Heide, übersät mit Feuersteinen, bestanden mit ästigen Kiefern, auf deren Wipfelsprosse der Baumzier mit schmetterndem Sange sich niederließ, mich wieder in ihre braunen Arme schloß.

An dem Schienenstrang entlang, der zur Abfuhr von Grubenhölzern die Heide unbarmherzig zerreißt, führt der Weg zu den uralten Grabstätten unbekannter Häuptlinge, Helden eines Volkes, von dem kein Zeichen, keine Überlieferung auf unsere Zeit gekommen ist. Als steinerne Rätsel nahen die fünf grauen Grabkammern aus dem Fuhrenwäldchen; keine verwischte Rune meldet dem Forscher, welcher Stamm hier seine Großen beisetzte. Unverstand hat die Grabkammern durchwühlt, Gleichgültigkeit den Boden mit Papier und Flaschenscherben besät, Dummheit schrieb ihre albernen Namen auf die ehrwürdigen Steinplatten. Aber der Wind fegt das häßliche Papier fort, er schüttet trockene Nadeln auf die scheußlichen Scherben, und mitleidiger Regen leckt an den Steinen, bis die Namen, die unfromme Tröpfe an die grauen Flächen schmierten, verschwunden sind.

Auf dem grauen Steine, der abseits gefallen ist, saß ich und sann. Über mir summten die Fuhren ihre gleichmäßigen Weisen, goldene Sonnenflecke zuckten auf dem Boden, blitzende Fliegen schossen an mir vorbei. Ein Stückchen spitzen Feuersteines fesselte meine Augen. Ich wollte ihn aufnehmen, da zischte es warnend: ein breiter Kopf mit rotfunkelnden Katzenaugen richtet sich empor aus dem warmen, sonnenbeschienenen grauen Sande, und zwei nadelscharfe Giftzähne in weit aufgerissenem, rotem Rachen hackten nach meinen Fingern. Schon erhob ich den Stock zum tödlichen Schlage – und ließ ihn sinken. In diesem Walde breche ich keinen Ast, töte ich kein lebend Wesen. Wer weiß, wer die Schlange ist? Wer weiß, wer der einsame Kolkrabe ist, der hoch in der Luft seine Adlerkreise zieht und sein rauhes »Rauk, rauk« über die Heide krächzt? Grabwächter schienen sie mir zu sein, der Königsrabe und die todbringende Otter mit den Karfunkelaugen, Wächter an heiliger Stätte.

Eine schwarze Wolke mit gelben, Hagel kündenden Rändern legt sich vor die Sonne. Verschwunden sind die blanken Fliegen, verklungen des einsamen Finken Schmettergesang, und die Schatzwächterin, die Schlange mit dem Zickzackband, kriecht fröstelnd unter den Grabstein. Mit dem Stocke scharre ich den spitzen Stein zu mir heran; es ist eine Lanzenspitze, künstlich zurechtgeschlagen aus dem stahlharten Feuerstein, mit dem die Heide besät ist. Glatt, wie geschliffen, sind seine Ränder; ein Kunstwerk ist er, das wir heute mit unserer großen Technik kaum nachbilden können. Wer fand den Stein vor Jahrtausenden auf einsamer Heide, wer formte ihn zu schneidender Speerspitze mit dem Steinhammer, wer führte ihn auf der Pirsch gegen Ur und Bär und focht mit ihm im blutigen Kampfe, wo Steinbeile auf Birkenschilden dröhnten und runde Steine, aus Lederschlingen geworfen, Schädel zerbrachen?

Schon wollte ich den Stein in die Tasche stecken, da breitete sich schwarze Finsternis über den Himmel; ein Blitz zuckte schwefelgelb über die Heide, und grell knatternder Donner polterte widerhallend durch die Stille. Erschrocken legte ich die Waffe an ihren Platz und deckte dürre Nadeln darüber. Ein Heulen ging durch die Luft, wie das Wutgebrüll eines Riesen, der Wind schüttelte die Fuhren, daß sie knirschten und schrillten, und eine Staubwolke mit Spreu und Reisig gemischt, tanzte durch den Wald. Dann ließ der Wind nach; er holte Atem. Noch ein Donnerschlag, und nun ging er hernieder, Hagel, und Regen, gepeitscht vom wütenden Sturme, daß der Waldboden schnell sich bedeckte mit grünen Fuhrenzweigspitzen und trockenem Geäst.

»Rauk, rauk« erklang es da freudig durch den Sturm; der Rabe war herabgeflogen und umflatterte einem Mann, der über die Heide gekommen war und zu dem einsamsten der fünf einsamen Gräber ging. Der Regen peitschte sein braunes, hartes Gesicht, zauste ihm die graublonden Haarsträhnen und den wirren Graubart und ließ die Marderschwänze an dem Schnuckenmantel des einsamen Heidegängers lustig tanzen, der sich bei jedem Schritte bückte und die Papierknäuel auflas, die den Boden befleckten, und sie in der Busenfalte des grauen Mantels barg. Mit einem Baststrick war der Mantel gegürtet, in dem Strick hing die Steinaxt aus dunkelgrünem Nephrit mit dem Griff aus Hirschhorn. Einäugig war der Alte; ein furchtbarer Hieb, vom rechten Schlaf bis zum linken Ohr, hatte das Auge zerstört und das Anlitz verwüstet. Die rechte Brust zeigte tiefe Narben, und an der Rechten fehlten zwei Finger. Mühsam bückte er sich und hob die Scherben und Fetzen auf, die ein Geschlecht ohne Scheu und Scham um die Gräber seiner Vorfahren gestreut hatte. Mir schweren Schritten ging er in die Heide und vergrub dort die Fetzen und Scherben. Dann kehrte er zurück zu dem einsamen Fürstengrabe, zu dem Grabe seines Herrn, nahm den großen Schild vom Rücken, die Steinaxt aus dem Gurt und saß nieder auf einer grauen Steinplatte. Hoch schwang er den Hammer und ließ ihn dröhnend auf den Schild fallen; siebenmal erklang es dumpf, und dann sang der Alte ein altes Lied, eine Totenklage für seinen Herrn. Seltsam waren die Worte, unerhört die Weise, wie Sturmgeheul die Stimme des alten Speerträgers, und jeder Strophe Endreim waren sieben dumpfe Steinhammerschläge auf dem breiten Schild aus Birkenrinde und Wisenthaut.

Wie betäubt saß ich unter der Tanne bei dem Grabe. Ich wollte fort, aber des singenden Alten Einauge blitzte mich drohend an. Ein dröhnender Hammerschlag endete das gewaltige Heldenlied, ein Schlag, so erschütternd, daß ich die Augen schloß. Als ich sie öffnete, war der greise Mann verschwunden; in der Ferne grummelte das abziehende Gewitter; aus blauem Himmel lachte die Sonne hernieder auf das alte Grab, um das frische Fuhrenbrüche an Stelle der Fetzen und Scherben lagen, die jetzt alle verschwunden waren. Auf meinen Knien aber glitzerte die steinerne Speerspitze, ein Geschenk des Alten für den einsamen Heidewanderer.


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