Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Die Käuzchen

Hinter den letzten Häusern des Dorfes am Abhange des Berges liegt ein alter Steinbruch; über seine steilen zerrissenen Wände lassen die Wildrosen und Brombeerbüsche ihre zackigen Ranken herabhängen, und die Schlehen bilden dichte Verhaue.

Unterhalb des Steinbruchs fließt der Bach in tiefen Ufern, an beiden Seiten von alten strubbelköpfigen Weiden besäumt, zwischen denen allerlei Gestrüpp und Gekraut wächst, das moosige Steintrümmer halb verdeckt. Neben dem Steinbruche zieht sich die Trift mit einer Treppe über der anderen hin, die die Schafe getreten haben. Rechts und links von dem Bache wechselt das Feld mit der Wiese ab und oben am Berge beginnt der Wald. Kann man sich eine bessere Gegend für ein Käuzchenpaar denken? Gewiß nicht! Im Steinbruche sind tiefe Ritzen und Spalten, aus denen kein Junge den Eulen Eier und Junge rauben kann. Mäuse gibt es hier mehr als genug, an Spatzen ist kein Mangel, und Mistkäfer, Maikäfer, Brachkäfer, Schmetterlinge mit dicken Leibern und Heuschrecken, fett und fastig, sind hier in Menge zu finden, besonders für jemand, der so scharfe, in der hellen Sonne ebensogut wie in der Dämmerung und bei Nacht sehende Augen hat, wie die Käuzchen.

Es ist noch lange nicht Abend, aber die Käuzchen sind schon munter. Eins sitz auf einer Felsplatte im Steinbruch, macht einen Knicks nach dem anderen und späht mit den gelben Augen umher. Da unter klettert eine große, grasgrüne Heuschrecke langsam einem Schmetterlinge näher. Jetzt hat sie ihn und will ihn gerade verzehren, da wirft sich das Käuzchen herab, faßt sie und huscht in die Felsenritze unter dem Rosenbusche, der ganz voller Blüten hängt. In dieser Ritze sitzen nämlich fünf grauweiße, dickköpfige Wollklümpchen, und das sind die jungen Käuze. Jämmerlich fiepen sie alle, als die Mutter kommt; aber die weiß ganz genau, welches an der Reihe ist, und dem hält sie die Heuschrecke hin.

Schon ist das Käuzchen wieder draußen. Einen Augenblick bleibt es auf der Felsplatte sitzen und knickst. Dann schwebt es dorthin, wo der Rainfarn ein dichtes Buschwerk zwischen moosigen Steinblöcken bildet. Ein Weilchen rüttelt es in der Luft, dann stößt es herab, »piep« geht es, und mit einer Waldmaus in den Krallen fliegt es dem Nestloche zu, aus dem eben Vater Kauz herauskommt; er hat den Kleinen einen Spatzen gebracht, der so dumm war, gerade unter der Kopfweide sich zu baden, auf der das Käuzchen saß. Als er pudelnaß am Bachufer saß und sein Gefieder schüttelte, schwebte das Käuzchen herab, faßte ihn, biß ihm das Genick durch und trug ihn den Jungen zu.

An Nahrung mangelt es hier nicht, und das ist ein Segen; denn es ist unglaublich, was die fünf Kleinen für einen gesunden Hunger haben. Vater und Mutter Kauz sind die ganze Nacht und den halben Tag unterwegs, und wenn sie denken: »Nun können wir uns eine Stunde Ruhe gönnen«, dann geht das hungrige Gepiepe in der Felsritze wieder los. Von Tag zu Tag wird es ärger damit; denn die Kleinen wachsen, daß es eine Freude ist, aber je mehr sie wachsen, und so mehr fressen sie auch. Darum fliegen Vater und Mutter Kauz schon lange vor der Sonnensinke hin und wieder; bald jagen sie am Bache, bald auf der Trift; jetzt rütteln sie über dem Feldraine, nun stoßen sie in das Wiesengras, und gleich darauf schwebt eins von ihnen dem Walde zu und jagt dort, obgleich da eigentlich das Jagdgebiet von Waldkauz und Ohreule ist.

So ganz wohl ist ihnen bei der Jagd am Tage nicht. Am Bache sind die frechen Bergbachstelzen, und sowie sie die Käuzchen zu Gesichte bekommen, geht das Geschimpfe los. Das dauert dann meist nicht lange, und die Sumpfmeisen sind da, und nun kommen auch die unverschämten Kohlmeisen an und die Grasmücken, die Laubvögel und die Rohrsänger und wer weiß was noch für Lärmmacher; schließlich, wenn das Käuzchen sich in eine hohle Weide oder in eine Felsspalte retten will, kommen die Schwalben angesaust mit ihrem spitzen Geschrei, und es setzt Puff auf Puff.

Viel gemütlicher ist es darum, wenn die Sonne hinter dem Dorfe verschwindet und alle die Störenfriede zur Ruhe gehen. Wenn dann die Laubfrösche in den Flachsröstekuhlen meckern und die Unken läuten, die Schleiereule in den Grasgärten schnarcht und der Waldkauz im Forste lacht, daß es schallt, dann fühlen sich die Käuzchen wohl, und bald hier, bald da geht es: »Kuwitt, kuwitt« und »Käw, käw« und »Huuk, huuk« und Huük, huük« und schließlich »Puu, puu«. Hier schwebt eins über den Boden und nimmt den Mistkäfer fort, der sich zu Boden fallen ließ; da rüttelt das andere über der dickköpfigen Purpurdistel, stößt zu und fliegt mit einer wunderschönen Brandmaus ab, die sich gerade einen Brachkäfer zu Gemüte führte, und dann schwebt es damit nach dem Rosenbusche, unter dem fünf gelbäugiege Köpfe aus der Felsritze sehen und sich gegenseitig drängen, um die Maus zu erhaschen, die der Vater ihnen vorhält.

Hübsch groß geworden sind sie, die jungen Käuzchen, so groß schon, daß eins nach dem anderen es wagt, aus der Felspalte auf die breite Platte herabzuflattern. Da sitzen sie, verrenken sich die Hälse, knicken wie die Alten und pfeifen so hungrig, als hätten sie seit drei Tagen nichts zu fressen bekommen. Jetzt pfeifen sie lauter und drehen alle die Köpfe nach rechts; denn da kommt die Mutter angeflogen, macht eine Schwenkung und läßt eine Feldmaus hinfallen. Fünf krumme Schnäbelchen fassen zu und fünf Paar Krallenfüße; diesmal war das Nestkücken das schnellste; es packt die Maus und zerfleischt sie. Darüber wird das Älteste so ärgerlich, daß es nicht wartet, bis der Vater herankommt; es flattert ihm entgegen und bekommt zum Lohne eine junge Wühlratte zugeworfen, die auf die breite Felsplatte unten fällt. Ein Weilchen überlegt das junge Käuzchen, dann flattert es hinab und holt sich die Maus.

Noch drei Tage weiter, und alle Jungen fliegen den Eltern entgegen, und wieder einige Tage, so begleiten sie sie, und sowie der Vater oder die Mutter eine Beute haben, fliegen die Jungen näher. Nun aber beißen die Alten die Beutetiere nicht tot: lebend lassen sie sie fallen, und wenn die Jungen vorbeistoßen, schweben sie herab, und greifen sie wieder, bis diesem oder jenem von den Jungen der Griff gelingt. Es dauert nicht lange, und die Jungen stoßen nicht mehr daneben, und von da ab währt es nur noch wenige Tage, und sie jagen allein. Mancher Griff gelingt ihnen nicht, manche Maus entschlüpft ihnen; aber schließlich sind sie ebenso sicher wie die Alten.

Dann verteilen sie sich; von Abend zu Abend jagen sie weiter weg, schlafen allein in einem Baumloche, in einer Felsritze, in einem Schuppen oder einem alten Kalkofen und finden sich nicht wieder zusammen. Unstet treiben sie sich den Herbst und Winter über umher, suchen die Korndiemen nach Mäusen und die Grasgärten nach Spatzen ab, um, wenn der Frühling da ist, sich irgendwo niederzulassen, wo es sich so gut leben läßt wie in dem alten Steinbruche über dem Bache, wo sie aus den Eiern krochen.


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