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XVI

Zwei Tage später fuhr Uutela langsam vom Kirchdorf nach Hause.

Er hustete, und seinen Körper schüttelte ein heftiges Fieber, das in kalten Schauern vom Kopf nach den Füßen zog. Doch seine Augen strahlten wie in früheren Tagen.

Dieses Strahlen hatte sich in dem Augenblick entzündet, als er das Kind segnete. Ein großer Sonntagsfrieden hatte sich in seine Seele herabgesenkt und war nicht mehr ins Wanken geraten. Nach dem, was an dem Tage geschehen war, fühlte er, daß er reif war und sicher und schnell dem großen, endgültigen Frieden entgegenschritt.

Aber er fühlte daneben, daß er noch eins zu tun hatte. Wie wenn er, durch das Leben geschult, zugleich ein Werkzeug zur Schulung der anderen in der Hand des Lebens gewesen wäre.

»Freilich, Keskitalo« – dachte er – »du hast ja gelitten, das weiß ich wohl. Aber was macht das, da dein unrechter Wunsch doch in Erfüllung zu gehen scheint.«

Es war ihm, als müsse er Keskitalo geradezu zu Hilfe eilen.

»Sieh mal, Keskitalo« – dachte er wieder – »dies ist nun unser Nachsitzen! Mir ist genommen worden, wonach ich unrechtmäßig getrachtet habe. So muß auch dir der Gegenstand deines Trachtens genommen werden. Erst dann wirst auch du den Frieden finden – weiter brauchst du jetzt nichts mehr.«

·

Uutela kehrte gewissermaßen vom Arzt zurück.

Die anderen, vor allem Hanna, hatten ihn gedrängt, wegen seiner heftigen Erkältung Hilfe zu suchen. Er war gegangen.

Nicht seinetwegen, denn er fühlte, daß ihn das Leben fast vollständig gesund gemacht hatte, es fehlte kaum noch etwas. Und hier hatten äußere Arzneien keine Bedeutung, das fühlte er auch. Wegen der anderen hatte er sich jedoch in der Apotheke seine Flasche mit etwas füllen lassen.

Aber Arznei wollte er wirklich von dieser Fahrt mitbringen – für die anderen.

Die Arznei hatte er jetzt in der Tasche.

Er war ihrer Wirkung sicher. Und als er nun langsam den einsamen Waldweg dahinfuhr, wiederholte er in seiner Erinnerung noch einmal, aus welchen Stoffen sie zubereitet war.

»Ich tue als meinen letzten Willen kund, daß der mir gehörige Gutshof Hovi nach meinem Tode an meine Ehefrau Manta Kustaas Tochter Uutela und an unser einziges Kind Kustaa Juhas Sohn fallen soll, und zwar nach dem Gesetz zu gleichen Teilen.«

Das ist recht und billig – dachte er –, denn der Keskitalo-Hof ist genau für ihre Schulden daraufgegangen, so daß sie hier nichts zu beanspruchen haben. Du, Kustaa Keskitalo, gedachtest für deine Familie aus fremdem Eigentum erben zu können. Nun ist von der Straße ein fremder Erbe gekommen, der alles an sich reißt – damit du verstehst, wie empfindlich uns das Leben in die Schule nimmt.

»Da aber das Erbteil unseres Sohnes, wenn es in einem großen Gutshof angelegt wäre, von dessen zukünftiger Bewirtschaftung niemand etwas weiß, vor seinem Mündigwerden sich verringern oder verloren gehen könnte, bestimme ich, sein Vater, daß das Gut nach meinem Tode sofort in Geld verwandelt und des Kindes Anteil auf der Bank niedergelegt werde, wovon ihm die laufenden Zinsen ein sorgenloses Auskommen gestatten werden.«

Das kann dir hart erscheinen, Keskitalo – dachte er wieder. Aber so muß es geschehen; wonach man unrechtmäßig die Hand ausgestreckt hat, davon muß das Herz losgerissen werden. Und ich weiß, daß ihr alle gern nach Tavastland zurückkehren möchtet; wider euern Willen seid ihr hierhergekommen. Jetzt könnt ihr gehen, und niemand hat etwas zu sagen, denn auf dem Papier steht, als das letzte Wort des Sterbenden, daß er mein Sohn ist.

»Drittens fallen alle fahrende Habe und alles Geld nach dem Gesetz an meine Ehefrau und meinen Sohn, außer den siebentausend Mark, die ich auf der Sparkasse zu Tavastehus auf den Namen meiner Schwester Karoliina Hetas Tochter niedergelegt habe, und die nach meinem Tode folgendermaßen zu verteilen sind: an meinen Schwiegervater Kustaa Keskitalo und seine Ehefrau je tausend Mark, an ihre Kinder Vihtori, Kalle, Hanna und Helka je tausend Mark sowie an meine vorgenannte Schwester Karoliina Hetas Tochter tausend Mark. Das Sparkassenbuch befindet sich in meinem Wandschrank.«

Nun, Keskitalo, wirst du wohl einsehen, daß ich keinen Groll gegen dich hege, sondern daß ich alles gut habe einrichten wollen. – Hanna hätte ich gern den doppelten Anteil gegeben. Da aber für jeden gerade tausend Mark vorhanden waren, muß ich es als einen Wink Gottes auffassen, daß man Herzensgüte nicht mit Geld belohnen soll.

Er fuhr lange still weiter, in die sommerliche Natur ringsum blickend und sich gleichsam fragend, was sie wohl von diesen seinen Verfügungen denke.

»Das dürfte richtig sein sowohl vor Gott als vor den Menschen«, schloß er.

Er stellte sich weiter vor, wie er dann in seiner Todesstunde das Testament Manta geben werde.

»Sieh es nicht an, bis ich gewaschen, gekleidet und auf dem Brett ausgestreckt bin – dann lies es.«

Und er stellte sich weiter noch den Augenblick vor, wo sein Testament schließlich gelesen wurde. Er glaubte alle leibhaftig vor sich zu sehen. Wie die ganze Familie still in der guten Stube saß, die Türe zu der Kammer geöffnet, in der er, Uutela, auf seinem Brett ruhte.

»Uutela hat ein Testament hinterlassen«, sagt Manta leise und zieht das Papier hervor.

»Ein Testament!« rufen alle – Keskitalo laut, die anderen mit Blicken.

Manta fängt an zu lesen. Er gewahrt von seinem Brett aus, wie sich der erste Absatz schwer und erdrückend auf sie herabsenkt, wie sie einander überrascht ansehen.

»Gerade, wie ich gedacht habe«, lächelt er auf seinem Brett.

Manta liest weiter. Der zweite Absatz verbreitet gleichsam den Klang der Posaune des Jüngsten Gerichts in der Stube, indem er verkündet, daß die Pläne der Menschen zuschanden werden vor der Ewigkeit.

Er sieht, wie Keskitalo seiner Frau den Kopf zuwendet und ihr einen langen, gebrochenen Blick zuwirft. Dann bekommt er einen Hustenanfall, einen heftigeren als je, und die alte Frau eilt herzu und klopft ihn auf die Schultern. Den Burschen sind die Tränen in die Augen geschossen, und sie blicken einander an: hat denn Uutela gar nicht an uns und unsere gemeinschaftliche Arbeit gedacht?

Er fühlt einen Schmerz, als er dies sieht.

»Jetzt könntest du weiterlesen, Manta!« nickt er von seinem Brett aus, während er die Tränen auch in seinen Augenwinkeln spürt.

Manta liest den dritten Absatz. Auch Keskitalo versucht seinen Husten zu unterdrücken, damit er hören kann.

Als er zu Ende ist, scheint es ihm, als sei die Nacht des Gerichts nun vorbei, und die Erde liege in Asche, dafür aber dämmere eine neue Welt im tagenden Widerschein der Ewigkeit.

Alle sehen sich an, und er bemerkt, wie sich in ihren Augen ein großer, stiller Frieden entzündet.

»Gerade, wie ich gedacht habe«, lächelt er auf seinem Brett.

Sie sitzen lange schweigend da, ohne daß einer ein Wort spricht. Da steht Helka kindlich froh auf und geht fast laufend zu Keskitalo und der alten Frau.

»Jetzt kommen wir ja nach Tavastland?!« ruft sie aus.

»Gewiß, jetzt kommen wir hin«, sagt Keskitalo langsam und nickt mit dem Kopf.

»Das verdanken wir Uutela«, fügt die alte Frau hinzu, indem sie sich die Tränen aus den Augen wischt.

Keskitalo aber steht auf und kommt an die Kammertür. Er blickt nach dem auf dem Brett ruhenden Uutela – dann nickt er ihm zu:

»Ja, Uutela, du hast alles gut gemacht. Erst jetzt erkenne auch ich Gott – daß er nicht in den Bibelsprüchen ist, sondern im Leben.«

·

Das Pferd ging gemächlich die lange Steigung hinan.

Uutela fühlte, wie ihm das Fieber in allen Gliedern riß, sie zerrte, durchkältete und steif machte.

Er hustete auf. Denn in der Brust war es erst an der Arbeit, hämmerte und blies seine Bälge auf wie in einer qualmenden Schmiede.

»Wenn ich nur glücklich nachhause komme«, dachte er. »Dann ist alles bereit.«


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