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XIII

Zu Ostern blitzte ihm endlich der erste Lichtstrahl auf.

Diese Tage waren für sie alle eine Zeit inneren Ausruhens, wo die schweren Gedanken für eine Weile anderswohin zogen. Die älteren Leute versenkten sich in Feiertagserinnerungen. Helka saß den ganzen langen Tag in ihrer tavastländischen Osterschaukel, die ihr die Brüder gezimmert hatten und bei der auch die steifen Burschen wieder zu fröhlichen Kindern wurden, denn sie wollten froh sein.

In Uutelas Leben stellte diese Zeit einen Wendepunkt dar.

Schon die alten Volksüberlieferungen von der Gründonnerstagsnacht und dann besonders das Lesen der Leidensgeschichte lenkten ihn darauf, sich selber zu prüfen. Dort, in der Leidensgeschichte, kamen Menschen vor, die in einer schweren Stunde die Wahrheit geleugnet und dann Gewissensqualen gelitten hatten. Ihm blieb von alledem dieses Gefühl: hatte denn auch er vielleicht etwas geleugnet, und rief ihm nun, wie einstmals Petrus, der Mahner?

Da wurde ihm klar, daß er wirklich etwas geleugnet hatte, ohne daß er je gewagt, seinen eigenen Anteil an der Sache bis auf den Grund aufzuwühlen.

Wie wenn seine Schwester Karoliina aus Tavastland über den knusperigen Osterschnee zu ihm gekommen wäre und gesagt hätte:

»Haben wir uns nicht damals darüber unterhalten? Und habe ich dich nicht gewarnt?«

»So ist's«, mußte er einräumen. »Davon ist ja freilich die Rede gewesen.«

»Aber du wolltest unbedingt eine Junge, und nun hat wohl gerade diese Jugend und der Altersunterschied zu diesem Straucheln geführt. – Du hättest dir ja auch aus einer Alten nichts gemacht?«

»Nein, das hätte ich auch nicht«, antwortete er ehrlich.

Und als er bis hierher gelangt war, mußte er noch weiter gehen – zu Dingen, die nur er allein kannte.

»Das ist auch wahr«, gab er zu, obwohl ihm dieses Zugeständnis Schweißperlen der Angst und Scham auf der Stirn hervorpreßte, »wahr ist, daß ich mitunter auf den sündhaften Gedanken verfallen bin, Maija habe gleichsam zu lange gelebt – – weil ich von Anfang an anders gedacht hatte und es auch anders gewünscht hätte.«

Er bebte vor innerer Bewegung, indem er bedachte, welcherlei Begierden im Grunde des menschlichen Herzens rasen, wenn man es nur wagte, sie zu bekennen.

»Wahrhaftig«, fuhr er in seinen Zugeständnissen fort, »ich habe Keskitalos Tochter nicht der Arbeit wegen genommen – auch nicht, weil ich Liebe brauchte – es war freilich etwas anderes.«

Da begriff er, daß zwischen ihnen gar keine richtige Ehe bestanden hatte. Oder eigentlich hatte er das schon einige Zeit begriffen, obwohl er es nicht hatte zugeben wollen. Er fühlte, daß er gegen das Gesetz des Lebens gefrevelt habe, als er einen jungen Menschen an sich fesselte, dessen Hoffnungen und Bedürfnisse er nicht in Betracht gezogen hatte, sondern wobei er nur an sich gedacht hatte. Also schuldig, mitschuldig war – er selbst!

Das war ein schweres Endergebnis, das ihn im ersten Augenblick zu Boden schmettern wollte. Lief also hierauf sein langes, ehrsames Leben hinaus?

Doch aus dieser Niederschmetterung sprang auch ein Trost hervor – die Klarheit, nach der er wochenlang vergebens gesucht hatte. Er verstand jetzt, weshalb alles dies hatte geschehen müssen: damit er nur die Verwirrung sühnte, deren geheime Wurzeln bis in seine Jugendjahre zurückreichten.

Jetzt verstand er das Leben – das unerschütterlich strenge, aber doch tröstliche: darum, weil es nicht Schuldlose bestrafte, wie er noch eben zweifelnd gewähnt hatte.

·

Kurz darauf blinkte ein zweiter, noch hellerer Strahl in seiner Seele.

Dieser kam ihm aus der niederdrückenden Erkenntnis, daß gar keine richtige Ehe zwischen ihnen bestanden hatte. Aber daraus wurde in gewisser Beziehung ein jubelndes Gefühl der Befreiung in dem Augenblick, als er einsah, daß, da nie körperliche Gemeinschaft zwischen ihnen bestanden hatte, sie ja frei und rein voreinander waren!

Das war für ihr ganzes Verhältnis entscheidend, für den allerempfindlichsten Punkt. Eine Verletzung seiner Mannesehre war also in Wirklichkeit gar nicht erfolgt, niemand war ihm eigentlich zu nahe getreten. Und sie – sie war zwar schuldig, aber eine Ehebrecherin nur dem Namen nach, da sie auch nur dem Namen nach Mann und Frau waren.

Von dem Augenblick an begann sich ein großer, stiller Friede in seine Seele hinabzusenken. Das Leben erschien ihm nun in einem ganz neuen Licht. Die Handlungen des einen gingen den anderen nichts an; die äußeren scheinbaren Bande, auf die die Menschen so viel Gewicht legten, bedeuteten nichts. Die Eltern waren nicht für ihre Kinder, die Kinder nicht für ihre Eltern und der Mann nicht für seine Frau verantwortlich. Jeder lebte durchaus sein eigenes Leben, irrte, stand auf, bereute, litt – immer nur allein.

Er war über diese neue Lebensauffassung so erfreut, daß seine Augen nach langer Zeit wieder strahlten.

Zugleich veränderte sich sein Verhältnis zu den anderen. Das Ereignis ruhte auch weiterhin als ein schwerer Schallboden der Sorge in seinem Leben, aber er war gegen niemand mehr erbittert, nicht einmal gegen Keskitalo.

»Du kriegst auch schon noch deine Lektion!« dachte er. »Du bist schon bald so weit, und es kommt immer mehr hinzu – dann bist du reif. Wir haben jetzt Nachsitzen auf unsere alten Tage, Keskitalo!«

Die neue Weltordnung begann ihm immer großartiger zu erscheinen.

Jeder bekommt nach seinen Taten, jedermann!« jubelte er. »Manta bekommt – ihr steht die Last noch bevor. Die ganze Familie bekommt, auch die Kinder zur Anleitung, damit sie nicht alles selber durchzumachen brauchen. Und ganz sicher bekommt auch der, der das Bett des anderen betreten hat, obwohl er es insgeheim getan zu haben glaubt.«

Er dachte oft über diesen seinen neuen Glauben nach. Wie verwickelt war doch die Auffassung des Menschen vom Leben, und wie einfach war das Leben selbst! Nur für sich sorgen und seine eigenen Handlungen verantworten – das war alles.

Uutela war jetzt voll befriedigt von seinem Schulgang. Und er freute sich, als er bemerkte, daß er einen Funken seiner ehemaligen Lebenslust zurückgewann.

Er hatte allerdings nicht mehr die früheren Zukunftspläne und die Freude über die Neugeburt des Gutshofs, aber er fühlte doch, daß er das Beil kräftig in seiner Hand schwang, als er jetzt gegen den Frühling zu an dem neuen Korndarrenbau mithalf. Er fühlte, daß er Zuchthäuslerarbeit ausführte – aber auch diese Arbeit mußte gewissenhaft getan werden, weil sie in einem gerechten Urteil begründet war.

Auch die anderen bemerkten seine Veränderung. Die Zeit, dachten sie, besänftigt, und Uutela ist ein verständiger Mann – gerade, wie sie gehofft hatten.

Aber es befreite sie nicht. Sie blickten mit aus Angst und Achtung gemischten Gefühlen auf die geheimnisvolle Ruhe, mit der Uutela jetzt seinen Weg ging.


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