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Auf der kleinen Bahnstation tief im Innern des Landes hatte sich zur Ankunft des Tageszugs eine Menge Bauernvolk versammelt.
Dies war so an Sonntagen Sitte. Man kam, um den Zug anzusehen und die Post abzuholen, man kam, um sich nach der Wochenarbeit in den einsamen Winkeln der spärlich besiedelten Gegend ein wenig zu unterhalten.
Diesmal sollte laut Gerücht noch etwas anderes als bloß die Post oder ein Ortsansässiger kommen.
»Jetzt kummen die naien Besitzer vom Hof, die Härrschaften aus Tavastland«, lachte, mit einem Auge blinkend, ein Tagelöhner des Gutshofs, der sich mit Pferd und Wagen an der Station eingefunden hatte, um sie abzuholen. »Sie habens geschrieben.«
»Kummen denn viele Laite?« forschte einer.
»Wär weiß – zwei alte Kerle zum wänigsten!«
Die Zuhörer lachten auf.
»Un der ältre sull der Schwiegersohn un der jüngre der Schwiegervatter sein«, lachte der Erzähler wieder.
»Ni gar! Was du sagst!« Die Heiterkeit nahm immer mehr zu.
»Das is wohl driben in Tavastland immer so?« schob einer dazwischen.
»Das mags wohl sein!«
Die Wartenden lächelten einander mit einem Funkeln gegenseitigen Verständnisses in den Augen zu. Sie waren offenbar neugierig, denn sie hatten nie zuvor einen echten Tavasten gesehen.
Aber sie hatten schon im voraus ein ziemlich bestimmtes Bild. Es lag etwas von Hörensagen Bekanntes und etwas Rasseninstinkt darunter, »zwei alte Kerle« verdeutlichte hübsch die äußeren Züge, und die Tatsache, daß beim Kauf des Gutes die savolaxische Findigkeit die tavastländische Einfalt um mehrere Tausende geprellt hatte, vervollständigte es im Innern. Das Bild war fast fertig.
·
Der Zug fuhr donnernd ein.
Dort kamen die Tavasten, sie stiegen langsam gemessen aus einem Wagen – Uutela, Keskitalo, die beiden Frauen und Helka, die letzteren kleine Bündel in der Hand tragend.
Voran schritt Uutela. Er war noch im Zuge niedergedrückt gewesen, doch gleich, als man nach Savolax herübergelangt war, hatte sein Tavastenblut angefangen, sich zu regen. Und da Keskitalo gleichsam ihn in den Vordergrund schieben zu wollen schien, indem er ihm sogar die Frachtbriefe der Güterwagen anbot, stellte er sich sozusagen an die Spitze.
Er lächelte mit seinem stillen Lächeln und den leise strahlenden Augen, während er, den Savolaxern zum Gruß, seine niedrige flache Mütze um einen Zoll lüftete.
Die Begrüßten wechselten einen vielsagenden Blick – da hatte man nun den echten Tavasten!
Keskitalo hob seinen Hut ein wenig geziert, die Frauen sagten leicht verwirrt Gutentag.
Die Blicke der Savolaxer kreuzten sich. Ueber alles waren sie im klaren und sicher, außer über die junge Frau, deren großartiges Kleid, viele Ringe, Goldkette und seidenes Kopftuch einer kleinen besonderen Musterung unterzogen wurden. Der darüber gewechselte Blick war unbestimmt.
Uutela hatte mittlerweile den Tagelöhner des Gutshofs herausgefunden.
»Da ist ja der Mann – viele Grüße aus Tavastland!« sprach er so still vertraulich, daß die Seitwärtsstehenden kaum etwas davon hörten. »Die Frauensleute kommen jetzt gleich mit dem Wagen, wir Männer warten aufs Vieh, denn der Güterzug soll auch bald kommen.«
»Also das wären nu die naien Frauen oder Damen von'n Gut oder wie man se titulieren sull!« sprach die lebhaft blickende Frau des Tagelöhners flink. »Na, die haben zu tun gehabt, bei so 'ner weiten Reise!«
Die alte Frau wurde heiterer und begann sofort in ihrer familiär herzlichen tavastländischen Art auseinanderzusetzen, dort im Güterzug seien noch Vihtori und Kalle und Hanna, dort seien auch die Kühe Kukka, Mansikki und Heipparinna und der Kater Mikko. Die seien schon zwei Tage früher abgefahren, weil die Übrigen noch von den Verwandten Abschied genommen hätten, so daß sie alle zu gleicher Zeit ans Ziel kämen. Und Ihana habe im Wagen den Milcheimer entzweigetreten, als Hanna sie melken wollte …
»Heilige Einfalt!« blitzten die Augen der ringsum zusammenstehenden Savolaxer.
»Guck, so'n Luder!« rief die Tagelöhnersfrau teilnehmend aus. Zugleich zwinkerten aber auch ihre Augen am Kopf der Frau vorbei: einfältige Leute, das sieht man ja!
Uutela bemerkte das Zwinkern der Augen, doch er lächelte nur.
»Geht nun langsam los!« sagte er kurz zu den Frauen, als er sah, daß die alte Frau noch einmal ihr Herz ausschütten wollte. Er selbst begab sich mit Keskitalo nach dem Stationsgebäude, um die Frachtbriefe zu erledigen.
Auch die Savolaxer kamen, um ihre Post zu holen. In der Hauptsache waren sie sich schon über die Ankömmlinge im klaren, doch blieben sie noch, um sie zu beschauen, da sie Zeit genug hatten.
Uutela und Keskitalo erschienen auf der Treppe des Stationsgebäudes und blieben daselbst stehen, die Ankunft des Güterzugs erwartend.
Rimpiläinen, ein zungenfertiger Hofbesitzer, konnte der Versuchung nicht widerstehen, die tavastländischen Männer ein wenig auszufragen.
»Seien Sie willkommen, und Glückauf!« sagte er, höflich den Hut lüftend. Da wir Nachbarn sind, mochte man gärn wissen, wär von Ihnen beiden denn der naie Gutshärr is.«
Er legte einen besonderen Nachdruck auf »Härr«. Die Nahestehenden wandten sich mit einem verhaltenen Lächeln im Augenwinkel herzu.
»Unter uns ist ja gar kein Herr«, schmunzelte Uutela, langsam die Haare über dem Ohr am Mützenrand zurückstreichend. Auch er legte einen besonderen, leicht ironischen Nachdruck auf das Wort »Herr« und warf zugleich einen vielsagenden Blick auf den Spazierstock in Rimpiläinens Hand.
Die Savolaxer zogen die Augenbrauen hoch: oho! Und Rimpiläinen, der merkte, daß die Alten auch nicht aus Klötzen geschnitten waren, wie es beiläufig schien, lenkte geschmeidig ein:
»Bauern sind wir ja hier alle – ich meinte bloß, war eigentlich der Wirt is.«
»Von der Wirtschaft verstehen wir alle ein bißchen – im Güterzug kommen noch zwei«, fuhr Uutela mit wohlwollendem Lächeln fort. »Aber wir Aelteren haben gedacht, zuerst Hand anzulegen!«
»Verteufel gut gesagt, Uutela – wir sind ja doch auch nicht hinterm Mond zuhause!« freute sich Keskitalo insgeheim.
»Also paarweis, also paarweis«, lachte Rimpiläinen. »Na, willkommen, und kummen Sie mal auf 'ne Pfeife Tabak!«
Einige gingen weg, die meisten aber blieben noch, um zuzusehen und abzuwarten.
·
Der Güterzug, den der Personenzug auf der vorhergehenden Station überholt hatte, traf sofort ein.
»Kommt, Jungens, und streckt euch ein bißchen die Beine aus, während sie unsere Wagen dort auf die hintere Spur schieben«, sprach Uutela geschäftig, mit den Frachtbriefen in der Hand.
Die Burschen blickten etwas unsicher auf die Menschenmenge, kamen aber doch. Hanna allein blieb noch bei dem Vieh im Wagen.
Es war den Burschen seltsam, nahe bei der musternden Menge aufundabzugehen. Da war eins und das andere, was sie gleich gewissermaßen zu quälen begann. Sie schienen so schlank und biegsam, diese Savolaxer, sie gingen auch in ihren weichen genähten Schuhen so geschmeidig einher, daß ihnen ihre dickbesohlten tavastländischen Stiefel mit einemmal plump und schwer vorkamen. Dann der spaßige Klang der Rede und die fließende Leichtigkeit der Unterhaltung – in all dem war etwas Herrenmäßiges. Dann die Blicke und das Lächeln, und als sie noch einige lachen sahen, da fühlten sie sich dumm und ungehobelt und wurden schlechter Laune.
»Kommen sie denn nicht endlich mit den Wagen?« sagte Vihtori, Uutela fast anfahrend.
»Nun nun, es wird bald so weit sein«, erwiderte Uutela, sich zu ihnen gesellend. »Nur keine Eile, Jungens«, lächelte er mit seinem stillen Lächeln. »Wir werden auch schon noch lachen, wenn wir erst an den Acker herankommen!«
Das tröstete die Burschen ein wenig. Sie gingen nach dem Pumpenhaus zu.
Uutela aber lächelte immer noch und spazierte dahin, die erloschene Pfeife in der einen Hand, mit unten gerade abgeschnittenem Haar und flacher Mütze wie ein wohlwollender Scheunenkobold inmitten der Menschenmenge, und im Scherz zwinkerte er manchmal den Savolaxern zu. Er sprach mit Keskitalo, dem Stationsvorsteher und dem Stationsdiener, gab den Frauen der Tagelöhner, die beim Treiben des Viehes helfen sollten, Anweisungen – alles leise, mehr durch einen Blick als durch Worte. Der Alte erschien auch den Savolaxern nicht uneben.
Nachdem der Zug schließlich abgefahren war, konnte man sich an das Umzugsgut machen.
Das Vieh, der langen Reise überdrüssig, setzte sich in Trab, so daß der ein paar Zoll tiefe erste Schnee mit dem Kies in der Luft herumflog. Dort liefen die Tagelöhnersfrauen, Hanna und die Burschen, dort kreuzten sich die savolaxischen und die tavastländischen Zurufe in dem eiligen Durcheinander.
Keskitalo und Uutela trugen für die Pferde Sorge, die übrigen Sachen mußten bis morgen bleiben.
Uutela war guter Laune, während er Liina vor den prächtigen Brautwagen spannte. Er glaubte sich gleichsam schon mit den Oertlichkeiten vertraut und nickte fast wie ein alter Bekannter mit dem Kopf, als er an den von der Station aufbrechenden Savolaxern vorbeifuhr.
·
Am Eingang zum Zaunweg des Gutshofs machten die Ankömmlinge für einen Augenblick Halt, schauten nach dem Gehöft und bekreuzten sich: da beginnt es nun!
Nachdem die Kühe angekettet und die Pferde im Stall untergebracht waren, nahmen sie noch eins und das andere vom Wagen. Auch die alte Frau war auf den Hof gekommen, um nach ihnen zu sehen und sie zum Einzugskaffee zu rufen.
»Was fehlt denn der Helka?« fragte Uutela warm das Mädchen, das mit hängendem Kopf etwas zur Seite stand.
»Hier ist ja nichts wie in Tavastland!« klagte sie mit weinerlicher Stimme und ließ den Kopf noch tiefer sinken.
»Wart nur ein bißchen«, tröstete Uutela leise. »Bald haben wir uns hier mit vereinten Kräften ein Stück Tavastland geschaffen!«
Er bemerkte zu seiner Verwunderung, daß auch alle anderen niedergeschlagen und stumm waren – wie wenn sie sich in ihren Gedanken verloren hätten und gar nicht hineingehen wollten.
»Donnerwetter, guck mal, wie sich die Ecke dort gesenkt hat!« rief er, nach dem nebenstehenden Speicher sehend. Dann rieb er sich mit scherzendem Eifer die Hände, wie wenn er zupacken wollte, und fügte hinzu:
»Was meinst du, Keskitalo, wollen wir sie nicht gleich heben, um uns warm zu machen?«
Alle begannen zu lächeln.
»Vielleicht lassen wirs doch bis morgen früh – oder wenigstens, bis wir Kaffee getrunken haben!« lachte Keskitalo.
In das Lachen stimmten auch die anderen und begaben sich, erleichterten Herzens, lebhaft redend hinein.