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Dies war sein Tag, dieser Tag des zweiten Aufgebots.
Uutela kam es vor, als habe sein ganzes bisheriges Leben, alles Arbeiten und Mühen seit den Zeiten von Lumikangas nur diesen Tag zum Zweck gehabt.
Er wachte schon gegen vier Uhr auf. Die Maisonne strahlte, die Tauperlen blinkten an den Bäumen und Gräsern. Er hatte nie zuvor eine solche Menge von Tauperlen bemerkt.
Auch alles andere schien ihm so anders. Die Luft war erfüllt von Vogelgesang, von lauten und leisen Stimmen, von Gezwitscher und Gepiep.
Am merkwürdigsten war ihm, daß auch die Hähne an diesem Morgen untereinander zu wetteifern schienen. Zuerst krähte der in Hankamäki, dann der in Alastalo und ganz gleichzeitig schon der in Tuomala, dann war das ganze Dorf von ihrem Schmettern erfüllt. Und dann wieder einer! – Der krähte hinter dem Hügel, von Keskitalo her.
»Ob wohl auch die Manta schon aufgewacht ist?« schmunzelte Uutela. »Man sollte meinen, dazu brauchte es minderer Freude!«
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Gegen acht Uhr machte sich Uutela nach dem Brauthaus auf – stattlich anzusehen in seinen schwarzen Tuchkleidern und seiner schwarzen Deckelmütze.
Er mußte auf dem Wege hinschreitend lächeln, als er daran dachte, wie Hanna, die jüngere Schwester seiner Braut, gemeint hatte, der Bräutigam solle sich auch einen Hut kaufen, wie ihn ihr Vater und die anderen trugen. »Kindereien, Kindereien«, hatte er gelächelt. »Ich bin mein lebelang in der Mütze einhergegangen.«
Das Frühstück aß er mit den Leuten von Keskitalo. Nur die Braut war nicht dabei, sie hatte noch mit dem Ordnen der Feiertagssachen in ihrer Kammer zu tun.
Dann brachen sie nach dem Kirchdorf auf.
Es ging Uutela ein wenig zu Herzen, daß er diese Fahrt mit dem Pferd eines anderen machen mußte, wenn dieser andere auch sein Schwiegervater war. Doch hatte er seinerseits das neue Gefährt und das blitzende Geschirr gekauft – das glich die Sache gewissermaßen aus.
Die Braut – ein festgebautes, rosig gesundes Mädchen – trat mit ihrem seidenen Kopftuch, ihrer spitzenbesetzten Bluse, ihrer langen goldenen Kette und ihrem Ring aus dem Hause.
Uutelas Augen strahlten mit ihrem hellsten Leuchten. Er wollte ein entzücktes Wort sagen, bedachte aber zugleich, daß das ja wie ein Lob auf sein Eigentum gewesen wäre, da all diese Pracht seine Brautgeschenke waren.
Keskitalo rettete ihn aus dieser Verlegenheit.
»Na, nun ist aber die Manta hübsch – wie die Königin von Saba in ihrer Herrlichkeit!« warf er leicht scherzend einen biblischen Vergleich hin.
Sie sah errötend zu Boden.
»Schön ist sie – von Gott geschaffen«, lächelte Uutela. Jetzt lobte er nicht sein Eigentum, und es war doch ausgesprochen.
Dann stiegen sie auf den Wagen, während alle Leute des Gehöfts zusahen. Uutela brachte das Pferd mit einem Schmatzer in Gang.
Liina war heute besonders gut gelaunt – wie wenn sie ebenfalls die Bedeutung des Tages begriffen hätte.
»In dir steckt wohl ein kleiner Renner«, schmunzelte Uutela, die Zügel straffer anziehend.
Das Pferd holte immer feuriger aus, die Räder sausten, und die Zinnbeschläge des Geschirrs blitzten – auch in Uutela selbst sauste und blitzte es.
Er hatte nie vorher bemerkt, daß das junge, helle Birkenlaub sich so wunderbar vom Blau des Himmels abhob.
»Sieh mal, wie die Birkenblätter schon hervorbrechen!« sagte er laut, indem er dachte, daß auch diese jetzt, wie er, ihre Zeit der Verjüngung hatten.
Das Dorfgelände blieb zurück, die Straße tauchte aus der Lichtung in eine kleine Waldinsel.
»Die Vögel singen so schön!« sagte er wieder, in die Bäume hinaufblickend.
Die Braut antwortete nicht.
Mitten in dem Wald befand sich eine flache Senkung. Da floß ein kleiner Bach und trug das letzte Schmelzwasser des Frühlings dahin.
»Der Bach rieselt auch so hübsch!« bewunderte Uutela von neuem.
Die Braut schwieg immer noch.
»Sieh, wie die Braut in Gedanken ist«, lächelte er. »Nun, lassen wir sie, mag sie jetzt für sich denken und sich freuen wie ich.«
Der Wald ging zu Ende, und Liina setzte auf dem sanftgeneigten Abhang zu einem scharfen Trabe an. Weiter vorn zeigten sich einige wandernde Kirchgänger.
Sie fuhren an ihnen vorbei, indem sie einen lächelnden Gruß wechselten.
»Sieh einer den Uutela an!« las er in ihrem Lächeln. »Hat er sich nicht eine Junge, Frische genommen, wie wenns nicht anders sein könnte! Nun, wer jung etwas ist, ist es auch alt!«
Danach sah man Kirchgänger in dichteren Scharen.
Als sie an den nächsten vorbeikamen, konnte sich Uutela nicht enthalten, hinzuzufügen: »Schönes Wetter heute!«
»Und ne angenehme Zeit!« erwiderte einer mit vielsagendem Zwinkern – die anderen lächelten.
»So ists, so ists«, schmunzelte Uutela immer zufriedener.
Die Straße führte jetzt durch einen großen, jungbesäten Acker. Die langen fetten Schläge taten Uutelas Landwirtschaftsauge wohl und lockten ihn gleichsam, den Frühlingsduft der feuchten Erde in die Nase einzuziehen.
»Da, kann das Haferkorn gut keimen!« äußerte er vergnügt.
Die Braut sagte auch dazu nichts.
Aber es schien Uutela, als müßten sie doch etwas miteinander reden.
»Wieviel Hekto sind denn bei euch in diesem Frühjahr Hafer gesät worden?« fragte er leichthin. »Weißt du das zufällig?«
»Nein!« antwortete die Braut. Aber sie erschrak selbst über ihre kurze Antwort und fügte eilig hinzu: »Ich hab' es nämlich nicht gehört.«
»Zehn Hekto hat doch dein Vater gewiß mindestens ausgesät«, sprach Uutela zufrieden.
Da wurde auch schon die Kirche sichtbar. Uutela ließ Liina scharf ausgreifen.
Näher herangelangt, fuhren sie an einer Schar Burschen vorbei. Uutela fühlte sich länger und schlanker werden, er straffte Liina stolz den Kopf in die Höhe und fuhr ohne einen Seitenblick vorbei.
»So wird ein Mädchen davongeführt!« hätte er gern gerufen. »Was meint ihr dazu?«
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Auf dem Kirchhügel waren schon ziemlich viel Leute beisammen. Die Pferde standen an den Zäunen und den Befestigungsbarren entlang. Menschen bewegten sich hin und her oder bildeten, leise mit einander redend, kleine Gruppen.
Uutela fuhr zu einer Barre. Er gedachte, seiner Braut richtig vom Wagen herunterzuhelfen, aber sie sprang so schnell herab, daß er nur ein wenig ihren Aermel streifen und lächeln konnte.
Dann setzten sie sich ebenfalls in Bewegung.
Uutela kam es vor, als sähen alle nur sie an, besonders jedoch ihn.
»Weshalb bist du denn so scheu?« schmunzelte er leise seiner Braut zu, die von Zeit zu Zeit leicht zu erröten und zu zögern schien. Er selbst schritt erhobenen Hauptes aus, lächelte mit seinem wärmsten Lächeln, nickte nach rechts und nach links und fuhr einigemal mit der Hand nach dem Mützenschirm.
»Wollen wir auf den Kirchhof gehen und uns die Grabkreuze ansehen?« schlug er seiner Braut vor.
»Ja, meinetwegen!« sagte sie, sich erheiternd, und ging gerade aus auf ein kleines Seitentor zu.
Uutela lachte: »Aber doch nicht durchs Hinterpförtchen, komm nur durch das Haupttor.« – Die Braut folgte ihm verlegen.
In der Nähe des Tores standen einige bekannte Bauernwirte. Uutela hielt jedoch nicht an, sondern nickte ihnen nur im Vorbeigehen zu.
»Du hast wohl jetzt keine Zeit, mit uns zu reden?« sagte einer, scherzhaft herüberblinzelnd.
»Ein andermal, ein andermal«, lächelte Uutela über die Schulter, während er seinen Weg zufrieden fortsetzte.
Bei dem Tor hielt ein Händler Kuchen feil, ja er hatte auch Limonade auf dem Deckel einer großen Kiste. Der Verkäufer zwinkerte ganz besonders Uutela zu und sah zugleich nach der Braut.
Uutela hätte gern etwas gekauft – nur deswegen, weil er alles dies so ergötzlich fand und die Menschen so besonders aufmerksam waren. Aber er war zu stolz, um vom Deckel einer Kiste anzubieten, darum lächelte er bloß und nickte freundlich mit dem Kopf.
Sie traten in den von einer bemoosten Blockmauer umgebenen Kirchhof, dessen eine Hälfte als Gottesacker diente. Die Birken und Weiden grünten, die Espen allein standen dunkel, kahl und ernst.
Die Verlobten gingen auf den Wegen des Friedhofs umher, indem sie dann und wann haltmachten und die Grabinschriften lasen. Die Braut sprach kaum etwas, Uutela aber hatte hin und wieder ein gutmütiges Wort über frühere Jugendbekannte, von denen viele bereits in der Erde ruhten.
Sie waren vor einem einfachen, polierten Stein stehengeblieben.
»Wer liegt denn hier?« fragte Uutela, der lateinische Buchstaben nicht lesen konnte.
»DIE DEUTSCHE INGRID«, las die Braut. Mehr stand nicht auf dem Stein, nicht einmal der Geburts- oder der Todestag.
»So, so, der gehört der deutschen Ingrid – und gar ein Stein!«
Die Braut ging weiter, Uutela aber blieb noch und betrachtete den Stein. Seltsam! Erst jetzt wurde ihm die Sage von Ingrid klar. Wie das junge fremdländische Mädchen den Major in Huhti gepflegt hatte, den alten Mann. – Ja, ja, das war viel gewesen, wenn man es richtig bedachte! Es drängte ihn, von dieser neuen Auffassung auch zu seiner Braut zu reden, aber dann erinnerte er sich: sie, der Major und Ingrid, waren ja nicht einmal getraut gewesen – und er schwieg.
Die Braut war mittlerweile nach der nördlichen Ecke zu geschritten.
Uutela kam fast die Angst – dort lag ja irgendwo Maijas Grab. Wie wenn dort in der Ecke, unter der großen Espe, ein armer Verwandter geruht hätte, von dem man nicht gern sprach.
»Wollen wir nicht in die Kirche gehen?« rief er seiner Braut nach. – »Sie sollens ja nicht gern hören, daß man sie an frühere Frauen erinnert«, verteidigte er sich in Gedanken. »Und was haben wir eigentlich mit den Toten zu tun!«
Sie gingen geradeswegs in die Kirche, ohne weiter nach den seitwärts stehenden Kreuzen zu sehen.
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Die Kirche war fast schon zur Hälfte besetzt, als sie durch die Tür des Hauptganges eintraten.
Aber die Braut begann gleich bei der Tür nach rechts und links zu blicken.
»Wollen wir nicht hier bleiben?« flüsterte sie. »Von hier sieht man so gut.«
Uutela hielt an und sah ihr wie prüfend ins Gesicht. Doch dann lächelte er wieder mit seinem stillen Lächeln.
»Nicht doch, wir gehen näher an den Altar«, sagte er. – »Nun, das ist ja kein übermäßiges Wunder – man muß die jungen Menschen verstehen«, beruhigte er sich.
Dies war für Uutela der allerfeierlichste Augenblick in seinem Leben, als er so mit seiner jungen Braut unter den Blicken aller Leute durch die Kirche schritt. Er ging mit langsamen, sicheren Schritten neben seiner heftig errötenden Braut her, grüßte sogar einige gute Bekannte mit einem Blick, da ein Kopfnicken hier nicht am Platze war.
Sie setzten sich in der Nähe des Altars nieder – Uutela rechts, seine Braut links von dem Gang.
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Der Gottesdienst hatte angefangen.
Uutela vermochte jedoch nicht besonders aufmerksam zu folgen; es hatte ihn ein anderer Gedanke erfüllt. Er hatte, solange der Pfarrer noch nicht erschienen war, das Altarbild betrachtet, und da war ihm eine neue Erleuchtung durch die Seele gegangen.
Das Bild stellte Maria und Joseph mit dem Jesuskind dar. Uutela war ein mäßiger Bibelkenner, aber irgendein Begebnis aus ihrem Leben mochte dies sein.
Maria war schön in ihrer jugendlichen Blüte – Uutela schien es, als gleiche ihr Antlitz sehr demjenigen Mantas, obwohl es natürlich schöner war, da sie die Mutter Gottes gewesen. Aber das war hier nicht das merkwürdigste, sondern – Joseph. Wie er erst jetzt bemerkte, daß Joseph ja ein alter Mann war, mindestens ein Sechziger, wenn nicht gar ein Siebziger! Und sein Scheitel auch schon ganz kahl! Er konnte nicht anders, er mußte vergleichen – er selbst hatte noch sein volles kräftiges Haar, und auch sonst sah er auf keinen Fall so alt aus.
Alles dies berührte ihn so eigentümlich, daß er einen leisen Schauer in seinem Körper fühlte, während er bedachte, was eben in dem Gang geschehen war, als seine Braut sich fast weigern wollte, neben ihm durch die Kirche zu schreiten. Man sah ganz deutlich, daß Maria auf dem Gemälde dort mit der einen Hälfte ihres Gesichtes Joseph lieblich zulächelte, wenn sie auch vor allem das Kind anblickte.
Er hätte diesen Gedanken gern auch in seiner Braut erweckt, sie aufgefordert, ebenfalls das Bild anzusehen. Doch sie saßen getrennt.
Uutela warf einen Blick über den Gang.
»Ganz richtig, da sieht sie schon hin!« jubelte er. »Zuerst natürlich nach der Maria – nun, gut so, ihn wirst du dann auch schon bemerken.«
Sie wurde gewahr, wie Uutela sie unverwandt ansah, ward rot im Gesicht und senkte den Kopf tiefer.
»Jetzt hat sies verstanden und schämt sich«, dachte er, sich wieder dem Gemälde zukehrend.
Die Geschichte von Maria und Joseph erschien ihm jetzt in einer ganz neuen Beleuchtung. Er dachte während der ganzen Predigt darüber nach. Wie Joseph in Nazareth gearbeitet und Häuser gebaut haben mochte – ob sie wohl auch in die Kirche gegangen waren? Natürlich!
Nur während der Aufgebote dachte er an anderes. Er saß gerade und würdevoll da und verspürte die Blicke der Leute in seinem Rücken. Und es deuchte ihn, als lese der Propst mit besonders nachdrücklicher Stimme: Hofbesitzerstochter, Jungfrau Manta Kustaas Tochter.
Indem er sich beim apostolischen Segen niederbeugte, betete er, es möchte zwischen ihnen ähnlich werden wie zwischen Maria und Joseph – wie es sich ihm heute in neuem Lichte aufgeklärt hatte.
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Nach der Kirche hatten alle Eile. Einige kauften sich noch Weißbrote, andere sagten sich Lebewohl, die Pferde scharrten ungeduldig mit den Hufen, während man auf den Wagen stieg.
Uutela war einer der ersten, die abfuhren. Er sah und hörte nicht viel hin. Es erfüllte ihn nur jener eine Gedanke, die Zufriedenheit darüber, daß ihr Kirchgang einen solchen Inhalt empfangen hatte.
Als das Pferd bei der ersten Steigung langsamer ausschritt, drängte es ihn, der Sicherheit halber doch zu fragen:
»Nun, wie hat dir das Bild gefallen – war es nicht schön?«
Die Braut schrak auf, ohne zu verstehen, was er meinte.
»Gewiss, das wars ja …«, antwortete sie aufs Geratewohl, fast mit Tränen im Halse.
»Das hab ich mir gedacht«, lächelte Uutela. »Sie hat es doch verstanden.«