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Der Tag brach an, frostgrau und schwer.
An dem Morgen beteten Keskitalo und seine Frau inständig, dieser bitterste Tag ihres Lebens, von dem Glück und Unglück so vieler Menschen abhing, möchte ein gutes Ende nehmen.
Nachdem die Frau an ihre Morgenbeschäftigungen gegangen war, blieb Keskitalo noch in der Kammer und las.
Als er dann kurz vor dem Frühstück unter den anderen erschien, fühlte er sich eisig ruhig, wie einer, der den Weg seines Schicksals wandert, ohne nach rechts oder nach links ausweichen zu können.
Am Frühstückstisch saß man wie in der, Kirche. Nur Uutela redete etwas, aber auch nur wenig, denn er dachte überhaupt mehr, als er sprach.
Nach dem Frühstück sollte es geschehen.
Keskitalo kam es vor, als habe ihm das Schicksal bei all seiner Strenge doch ermutigend mit dem Haupte zugenickt. Denn die Burschen fuhren gerade für die neuen Scheunen Baumstämme aus dem Wald, und er behieb sie mit Uutela zuhause an dem Bauplatz. Dort, weit weg auf dem Scheunenhügel, wollte er dann die Sache mit ihm ins klare bringen.
Eine einzige kleine Vorkehrung hielt er für erforderlich – er ließ Riitta zu ihrer fernab wohnenden Mutter auf Besuch gehen. Aber auch in dieser Hinsicht war das Schicksal gütig: Riitta hatte schon häufig davon gesprochen, weshalb man ihr nur mitzuteilen brauchte, jetzt passe es. Und diesmal war es ihm ganz gleichgültig, ob Riittas Augen aufblitzten oder nicht – die Hauptsache war, daß kein fremdes Auge in der Nähe war.
·
Sie waren endlich zu zweien – auf dem kahlen Scheunenhügel, inmitten der großen Balkenhaufen.
Keskitalos Stunde war gekommen.
Aber da überfiel ihn plötzlich eine solche Angst, daß er zu zittern, anfing. Es war das blinkende Beil in Uutelas Hand, das dieses Entsetzen hervorrief.
»Hier kann am Ende ein Mord geschehen!« dachte er. »Es muß im Hause erledigt werden.«
Jetzt wurde ihm klar, wie furchtbar es war, die eheliche Ehre eines Mannes zu verletzen. Er hielt es für ganz natürlich, daß Uutela, falls er auch nur etwas Verdacht schöpfte, ihn, ohne ein Wort zu sagen, mit seinem Beile erschlage, wenn er jetzt hier redete. Und daß er einen Verdacht hegte, das war nur zu klar.
In dem Augenblick geriet die Fassung, die er am Morgen besessen hatte, ins Schwanken.
»Wenn man versuchte, Manta selbst zum Sprechen zu bringen?« hastete er.
Doch das fand er zu kläglich, außerdem wußte er, daß seine Tochter auf keinen Fall darauf eingegangen wäre.
Da straffte sich der planende und ordnende Bogen seines Geistes von neuem. Er erkannte, daß er gar keine Vorsichtsmaßregeln ergriffen hatte, und begann sie auszudenken.
So ging der Tag zur Hälfte herum.
Die Burschen blickten ihn fragend und gespannt an, als sie mit ihrer Holzfuhre am Bauplatz anlangten.
»Noch nicht, wartet!« antwortete er beruhigend mit einem Blick.
»Noch nicht, ich werde es schon erklären«, sagte er im Vorübergehen zu seiner Frau, als er zum Mittagessen kam.
»Noch nicht … gleich«, antwortete er, als man sich an den Tisch setzte, auf Hannas ängstlichen Blick.
Als man sich nach dem Essen erhob, sagte er zu Uutela:
»Ich werde mich wohl ein bißchen ausruhen müssen, ich komme aber nach, sobald ich kann,«
»Ruh dich nur gesund, ich werde auch schon allein fertig werden«, erwiderte Uutela.
·
Keskitalo ruhte wirklich – mit pochenden Schläfen, an die Decke starrend – solange, bis seine Frau daranging, den Nachmittagskaffee zu kochen. Da stand er auf.
Zuerst legte er alle Beile, Messer und sonstige scharfe Geräte an sichere Orte.
Als der Kaffee fertig war, schickte er Helka zum Einkaufen nach dem am anderen Ende des Dorfes liegenden Laden und trug ihr auf, im Vorbeigehen Uutela zum Kaffeetrinken zu rufen.
Dann ließ er Manta sagen, sie solle in ihrer Kammer bleiben und den Schlüssel ausziehen.
Nachdem dies getan war, ließ er sich auf die Küchenbank nieder und wartete.
Uutela kam rotbäckig und heiter herein. Es war ihm, während er allein arbeitete, ein kleiner Aenderungsvorschlag zu ihrem Plan für die Korndarre eingefallen, und er setzte ihn jetzt fröhlich auseinander.
Keskitalo stimmte bei und wurde auch selber vergnügt – da konnte man gut fortfahren, ganz anders, als wenn sie schweigend dagesessen hätten. Seine angeborene Verschmitztheit, die in der letzten Zeit ganz darniedergelegen hatte, begann sich sofort zu regen.
So wurde die erste Tasse getrunken. Nachdem die alte Frau die zweite eingegossen, ging sie hinaus, indem sie, wie um Segen flehend, nach ihrem Manne blickte.
Keskitalo leerte seine Tasse schnell und wartete auf Uutela, das Gespräch auf geeignete Weise fortspinnend.
Uutela wurde mit dem Trinken fertig und stellte die Tasse auf den Tisch. Die Pause in dem Gespräch trat gerade ein, wie es Keskitalo gewünscht hatte.
»Ja – gewiß, so wirds ja – wirds ja gut – sehr gut werden«, sagte er, die Worte hinziehend. Das war der Abschluß des Vorhergehenden und der Uebergang zu dem Neuen, und er konnte nicht hindern, daß seine Stimme bebte. Er nahm alle Fassung zusammen und versuchte leicht zu lächeln, obwohl sein Gesicht starr war wie einem, der aus der Kälte hereintritt:
»Und wo es mit dir, Uutela, so schön kommen mußte, daß du hier auch noch einen Stammhalter kriegst – damit du die Scheunen nicht umsonst aufbaust.«
Es folgte ein eisiges Schweigen. Die beiden Männer sahen sich an.
In Uutela schien alles zu stocken, und seine kleinen Augen blickten rund, wie wenn sie ein Gespenst sähen.
Bei diesem Anblick bekam Keskitalo den scherzenden Satz nicht aus dem Munde, den er sich als Fortsetzung aufgespart hatte. Er nickte nur mit dem Kopfe und versuchte immer noch zu lächeln.
»Es ist wahr. Hat dir denn Manta noch nichts gesagt?«
Doch Uutela starrte weiter geradeaus, ohne etwas anderes als Verblüffung zu bekunden. Dann zuckten seine Lider, seine jählings erblaßten Lippen begannen zu erzittern, und er blickte Keskitalo mit hilflosen, verdrehten Augen an – dann wandte er sich, ohne ein Wort zu sagen, um und ging mit schweren, polternden Schritten hinaus.
In dem Augenblick brach der Rest von Keskitalos alter Verschmitztheit auch zusammen, und die Angst kam über ihn. Er wollte hinter dem anderen hereilen und ihn zurückhalten, aber er blickte zuerst schnell durch das Fenster.
Uutela stand mitten auf dem Hof wie ein Bettler, der nicht weiß, wohin er seine Schritte lenken soll. Dann sah ihn Keskitalo rasch auf das Gesindehaus zugehen.
Er selbst lief eher, als daß er ging, durch die Zwischenkammer in die gute Stube, um von dort besser zu sehen, wohin sich Uutela begebe. – Ganz richtig, er ging in die Gesindestube.
Das beruhigte Keskitalo ein wenig, und er blieb gleichsam, um Wache zu halten, ohne entscheiden zu können, ob es besser sei, sofort nachzueilen, oder ob er zunächst die Erholung von dem Schlag abwarten solle.
Während er da saß, sah er Hanna hastig mit bloßem Kopf hinter Uutela in das Haus laufen. Das gab der Sache eine neue Wendung – er begriff, daß Hanna dort jetzt besser am Platz war als er.
·
Uutela stand mitten in der Gesindestube – in seinem Innern wogte alles durcheinander.
Seine erste Empfindung war, daß er hingehen und die Betrügerin mit ihrem Balge erwürgen müsse. Diese Empfindung war so wild, daß er, ohne weiter nachzudenken, schon auf die Tür zuschritt. Aber da hielt er an, es fuhr ihm zugleich ein anderer Gedanke durch den Kopf.
Er müßte bei derselben Gelegenheit auch Keskitalo totschlagen, den Fuchs, der noch verabscheuenswerter als die Hure, seine Tochter, war. Durch seine Seele zog in den wenigen Augenblicken alles Hierhergehörige, die Gründe und Fäden der Uebersiedelung nach Savolax – nun war ihm alles klar wie der Tag. Wie war er hinters Licht geführt und betrogen, gegängelt worden, wie ein kleines Kind, das man zum besten hält.
Sein Haß auf Keskitalo nahm immer mehr zu, als er bedachte, daß der eben noch von dieser Beschimpfung mit lächelndem Munde hatte sprechen können, wie wenn das Kind von ihm, Uutela, wäre! Wußte und verstand der Schuft denn nicht, daß er keine solche Gemeinschaft mit seiner Frau hatte, sondern daß er gelebt hatte, wie es einem alten Mann geziemte? Oder wagte der gemeine Mensch, trotzdem er es wußte, ihn zu hintergehen?
Seine Wut hatte einen solchen Grad von Wildheit erreicht, daß er zitterte. Er blieb in der Stube, denn übereilte Handlungen waren ihm fremd, aber den Ausbruch seiner Scham und seines Hasses vermochte er nicht mehr zurückzuhalten. Er begann gegen die umherstehenden Gegenstände zu wüten. Zuerst trat er die mitten in der Stube befindliche Bank mit einem Krach um. Einen zweiten Tritt bekam die halbfertige Bütte, die knatternd zerbrach. Der Klang, ein Klang der Zerstörung, erregte ihn und ließ ihn aufjubeln. Er warf die zertrümmerten Reste wieder auf den Fußboden, riß die Reifen entzwei, zerstampfte die Dauben und schleuderte die Splitter über die Diele hin.
Zugleich flogen seine Gedanken wieder zu seiner Frau, der Betrügerin. Wie gemein hatte sie sich verstellt! Sie tat, als sei sie ein Eheweib, und trug zu derselben Zeit ein im Schandbett empfangenes Teufelsbalg im Schoß. Er wurde so wütend, daß er keine Gedanken mehr fassen konnte.
Er ließ von dem Toben ab – sein Denken stürzte in eine neue, aufreizende Spur. Wer war der Mann gewesen? Er selbst hatte von ihr getrennt gelebt – da war der andere …! Der Kopf begann ihm zu schwindeln, und ihn ergriff ein seltsames, erregendes Gefühl, das ihm die Nase weitete: wie wenn er hätte sehen wollen, wie alles das geschehen war. Und wie wenn er es auch gesehen hätte – die anderen in heimlicher Gemeinschaft, über ihn, den Betrogenen, lachend – Herr Gott!
Er packte von neuem die Bank und warf sie mit sprühenden Augen hin, so daß die Diele erdröhnte, als wollte sie zerbersten.
In demselben Augenblick trat Hanna herein.
Sie sah mit einem Blick alles: die umgeworfenen Gegenstände und die Splitter, Uutelas verzerrtes Antlitz. Sie stürzte dicht vor ihn und flehte ihn mit gefalteten Händen hastig an:
»Verzeihen Sie – Gott verzeiht auch! – Tun Sie Manta nichts zuleide – seien Sie dem Vater nicht böse – er hat so viel gelitten! – Sie sind so gut, Uutela – Gott weiß alles – dulden Sie, dulden Sie – Gott wird helfen!«
Doch Uutela erfaßte kaum, wer sprach und was er sagte – er war ganz im Bann von anderen, entsetzenden Kräften. Er glaubte immer noch die Betrüger zu sehen, jenes abscheuliche Schauspiel, das jetzt sein ansteckendes Grauen gegen ihn selbst richtete, Triebe erweckend, die seit Jahren erloschen waren.
»Deine Schwester ist eine Hure!« rief er mit seltsamer Stimme, wie wenn er schrecklich darüber gejubelt hätte, daß es so war.
Das brachte das Mädchen ganz außer sich. Sie flehte wieder:
»Manta hat gesündigt – sie ist ein schlechter Mensch – Sie wissen nicht, Uutela – sie wollte Sie nicht heiraten – sie war so jung – sie hat geweint – ich weiß es – dulden Sie, dulden Sie!«
Doch Uutela hörte und sah nichts. Es hatte ihn ein unheimliches Gefühl erfaßt, in dem die verletzte Mannesehre, Rachsucht und noch etwas Furchtbares, über das er sich selbst noch nicht klar war, durcheinanderschäumten. Das Verbrecherpaar zog ihn gleichsam auf dieselben Wege – um sich blutig an ihnen zu rächen, an den Leuten Keskitalos, an seiner eigenen makellosen Vergangenheit, seiner Ehrbarkeit, dem ganzen Menschenleben – mit den gleichen Waffen, mit denen er selbst verwundet worden war.
»Jetzt gehe ich zu der Sohvi!« zischte er zwischen den Zähnen hervor, in einem aus Weinen und Lachen gemischten Ton. »Nun machen wir Bankerte, alle Leute im Haus!«
Das Mädchen sah Uutela entsetzt an, wie wenn es ihn nicht wiedererkannt hätte, und begann zu zittern. Uutela schritt auf die Tür zu.
Da stürzte ihm das Mädchen nach und griff wie eine Ertrinkende nach seinem Arm:
»Gehen Sie nicht – lieber Uutela – beschimpfen Sie nicht – sich selbst – die Familie – es ist schon so viel Schimpf – Uutela, lieber Uutela!«
»Laß los!« rief er. Er trat heftig auf die Tür zu, so daß sich das Mädchen auf die Knie ziehen ließ.
Aber sie ließ nicht los, sondern griff nur noch verzweifelter nach Uutelas Rockschoß und nach seinen Knien. Sie war bleich wie Leinwand geworden, ihre blauen Augen starrten erschrocken und wie wahnsinnig.
»Haben Sie Erbarmen!« lallte sie, indem sie mit ihren letzten Kräften versuchte, ihren Arm um Uutelas Knie zu schlingen. »Uutela – Uutela …«
Dann lösten sich ihre Hände plötzlich – der Fußboden krachte.
Als Uutela sich umwandte, sah er das Mädchen regungslos auf der Diele liegen.
Es packte ihn eine furchtbare Angst.
»Hanna, Hanna!« sprach er und setzte das Mädchen leise auf, sie mit den Armen stützend.
Sie öffnete die Augen zu einem Spalt und blickte wie einer, der nicht weiß, wo er ist.
»Hanna, Hanna! Ich bin ja hier – ich gehe nirgendshin – nirgends.«
Da erwachte sie gleichsam und sah Uutela an. In dem Blick war Dank, Leiden, Kindesliebe.
»Kannst du jetzt wieder?« fragte Uutela, sie leise auf die Füße stellend und sie fast tragend zu der Bank führend.
Sie versuchte zu lächeln, war aber so matt, daß er sie immer noch mit dem Arm stützen mußte.
»Sie tun doch nichts, Uutela?« fragte sie langsam, kaum hörbar.
»Nein«, antwortete er und sank schwer auf die Bank nieder. »Wir sind allzumal Sünder …«
Es kam ein erdrückendes Gefühl der Scham über ihn wegen dessen, was er vorhin gedacht und gesprochen hatte, so daß er das Mädchen nicht mehr ansehen konnte, sondern sich abwandte. Heiße Tränen begannen langsam auf die Fensterbank zu tropfen, auf die er sich mit dem Ellbogen lehnte.
Das Mädchen sank auf die Diele, indem es den Kopf in die Hände gegen die Bank drückte, und begann die lange zurückgehaltenen Tränenströme ihres schwerem Herzens auszuweinen.