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An Agnes Wendt

Göttingen, den 16. Dezember 1797

Der empfindungsvolle und mit Sinn und Hand gleich schön geschriebene Brief, womit Sie mich, meine teuere Freundin, beehrt haben, hat mir und allen den Meinigen, denen sowohl, die ihn lesen und empfinden, als denen, die ihn bloß buchstabieren konnten, außerordentliche Freude gemacht.

Das liebe kleine Geschöpf, das Ihren Namen trägt und dessen Sie mit so vieler rührender Herzlichkeit gedenken, ist bisher sehr gesund gewesen, ob es gleich von ungemein zartem und feinem Körperbau ist. In ihren Mienen hat sie sehr viel Sanftes, fast möchte ich sagen, Heiliges, daher sie auch vorzüglich von Personen geschätzt wird, denen die Madonnen-Gesichtchen lieber sind als die von runden pausbäckigen Porzellan-Püppchen. Es ist ein vortreffliches Kind. Etwas eigen freilich, aber eben weil sie einen Charakter hat. Wir geben hierin um desto williger vieles nach, als wir gefunden haben, daß ihren Eigenheiten immer etwas Gutes zum Grunde liegt. Meine Uhr und Bücher trägt sie mir jetzt nicht mehr aus dem Collegio, weil sie seit einiger Zeit angefangen hat selbst Collegia zu hören. Von morgens neun Uhr an bis um eilf und nachmittags von zwei bis um vier übt sie sich im Stricken außer dem Hause und nebenher in den ersten Anfangsgründen der deutschen Literatur. Wenn sie in die Collegia geht, so trägt die Magd den Strickbeutel, sie selbst aber das Buch unter dem Arm, ausgenommen bei sehr schweren Witterungs-Fällen, da sie zwar das Buch unter dem Arm behält, aber nun der Magd verstattet, noch außer dem Strickbeutel auch sie mitsamt dem Buche zu tragen. Mit dem Stricken soll es, wie ich höre, ganz leidlich gehen, wenigstens übertrifft einiges, was ich davon gesehen habe, meine in dieser Kunst im zehnten Jahre gewagten Versuche bei weitem. Allein mit der Literatur will es noch nicht so recht fort. Ich höre nämlich, daß sie die Betrachtung der 4 Evangelisten, die auf der Decke des Kompendiums in Gold abgedruckt stehen, dem Inhalte desselben gar sehr vorziehen soll. – Doch dieses alles hindert nichts. Sie ist ein Kind von dem vortrefflichsten Herzen und zeigt so viel herzliche Teilnahme an jedem, auch dem geringsten Leide, das uns oder ihren sonstigen Bekannten zustößt, daß wir öfters darüber bis zu Tränen gerührt werden.

Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen hier etwas von unserer hausbackenen heiligen Christ-Ware beizulegen. Der Himmel gebe nur, daß Ihnen bei meinem Kalender der alte Stammvater dieser kleinen Race, ich meine der hinkende Bote, nicht einfällt. Der Artikel von der Wurst und der Auktions-Katalog hat so was von jenem Ahnherrn.

Nun bitte ich, teuerste Freundin, mich und die Meinigen Ihrem Herrn Vater, Frau Mutter und Herrn Bruder bestens zu empfehlen und zugleich einen kleinen Gruß von Ihrer lieben kleinen Freundin anzunehmen, die soeben neben mir sitzt. ... An Margarethe Lichtenberg

Wohlgeborne, insonders Hochzuehrende, Liebe Hexe.

Gott Lob und Dank, mein Gebet ist erhört. Die Professoren haben sich geregt, und die meisten fangen erst den 30ten April an. – Also, liebe Bett-Schwester, komme morgen mit Sack und Pack, Haus und Hof heraus. Ich bin wie neu geboren. Der Teufel hole alle neue Anstalten. – Ganz der Deinige

G.C.L.

[Göttingen.] Den 21ten April 1798

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