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Kew. Den 10ten Jänner 1775
Mein wertester Freund,
Sie haben mich durch Ihr freundschaftliches Schreiben aus einer rechten Last von Gedanken, die ich mir Ihres Stillschweigens wegen machte, ausgespannt, und innigst froh, daß ich einen so werten Mann gleichsam wieder gefunden habe, setze ich mich nieder und beantworte, unter der Menge von Briefen, die mir der Ostwind am vorigen Sonnabend herübergeweht hat, den Ihrigen zuerst.
Ich sitze noch immer in dem neblichten Kew, bewohne ein Königliches Haus allein, schlafe zwischen königlichen Bett-Tüchern, trinke königlichen Rheinwein und kaue, wenigstens 2 mal die Woche, mein königliches Rostbeef. Ich bewohne ein Eckzimmer des Hauses, ein Fenster desselben geht gegen Osten und zwei gegen Süden. Aus dem ersten sehe ich auf einen großen, grünen und teils mit königlichen teils andern Gebäuden fast ganz umgebenen Platz, der Kewgreen genannt wird. Im Sommer spazieren hier eine Menge Personen beiderlei Geschlechts und genießen der frischen Luft, jetzt ist da nichts zu sehen als einige Pferde und Knaben, die darauf herumtollen, und zuweilen eine englische – – – – Hunde-Hochzeit. An der Seite, wo der Platz mehr offen ist, etwas nördlich, sehe ich die Themse, die hier schon starke Ebben und Fluten hat, und das wegen seiner Middlesex-Election, wegen seines Pastor Horne und des daselbst über Wilkes und Liberty im Jahr 1768 entstandenen Auflaufs und verübten Mordtaten berüchtigte Brentford. Die Aussicht gegen Osten begrenzt die Rauchwolke, die beständig über dem unermeßlichen London ruht, das etwas über eine deutsche Meile entfernt ist, und hinter dieser Rauchwolke, aber – aber über 100 Meilen weiter hinaus (denke ich oft wenn ich an dem Fenster stehe) da liegt Göttingen, mit einigen wenigen, sehr wenigen Freunden von mir, die ich aber nicht um alle die dazwischen liegende Reichtümer entbehren wollte. Die beiden andern Fenster gehen in den weltberühmten Garten und zwar grade auf einen Tempel der Sonne, den Sir William Chambers im Jahr 1761 gebaut hat. Er steht auf einem mit Lorbeer und Taxus wild und verloren besetzten Platz. Die Säulen sind korinthisch und das Gebälk ist nach einem von den Tempeln von Balbek angeordnet.
Wenn das Wetter schön ist, so habe ich herrliche Tage. Ich gehe alsdann nach dem Observatorio bei Richmond, oder wenn es nicht ganz heiter ist, so spaziere ich in den Gärten. Der Winter hat hier wenig zu bedeuten, und die Gärten von Kew und Richmond sind so mit Lorbeer und andern immergrünen Stauden und Bäumen besetzt, unter denen so viel Vögel singen und flattern, daß ich kaum inne werde, daß das die Zeit ist, da man in Göttingen (fast in derselben Breite) in Schlitten fährt. Noch vorgestern habe ich an einem solchen Tag die ganze Tour durch den hiesigen Garten gemacht. Die Glashäuser waren zum Teil aufgezogen, die Vögel sangen vollstimmig, die Gold- und Silberfische spielten in ihren Bassins, bei jedem Schritte fast sah ich bald nah bald fern den Goldfasan oder ein andern Vogel über den Weg schlüpfen, der nun nach einem Wasser zu führen schien, dann sich auf einmal wendete und mir eine reizende Gegend oder einen niedlichen Tempel in der Ferne zeigte. Die zwo Stunden, die ich in diesen romantischen Spaziergängen in der süßesten Melancholie zugebracht habe, sind mir wie wenige Minuten hingegangen.
So lebe ich, wenn das Wetter schön ist, was tue ich aber, wenn es häßlich ist? Wenn es nebelt, gütiger Himmel, was für ein Ort ist Kew da? Die Nebel sind nicht allein häufiger als bei uns und am Rhein, sondern auch dicker, neulich ritt bei einem solchen Nebel um 9 Uhr des Morgends ein Bedienter in voller Karriere gegen den Schaft einer Postchaise, daß der Schaft dem Pferd auf einen Fuß tief in den Leib drang. Der Engländer zieht den Kragen seines Überrocks über die Nase und schleicht in seinen Grillen fort, einige weissagen, andere bekehren sich und andere erschießen sich, und was tue ich? Ich sehe zuweilen stundenlang in mein Kaminfeuer, suche Gesichter in den Kohlen und ihre Gestalten, und denke an Göttingen und zwar, weil ich weder Barde, noch Schäfer bin, ganz schlechtweg an meine Freunde und Freundinnen. Wohl dem, der bei einem so schweren Himmel ein gutes Gewissen hat und nicht verliebt ist, wenigstens nicht mit bösen Prospekten, sonst schneidet er sich den Hals ab wie Lord Clive, erschießt sich, wie mein Nachbar neulich, oder erhenkt sich wie am vorigen Sonnabend ein junges schönes Mädchen von 16 Jahren getan hat. Sehr oft aber stehe ich alsdann auf, sehe nach meinem Geldbeutel, und wenn es da auf gut Wetter steht, so nehme ich eine Kutsche und fliege für 18 pence nach London; dieses habe ich während meines hiesigen Aufenthaltes auf 14 mal getan. Da vergesse ich mich denn sehr leicht, und um Ihnen einigermaßen zu zeigen, daß es kaum anders möglich ist, will ich Ihnen ein flüchtiges Gemälde von einem Abend in London auf der Straße machen, das ich mündlich nicht bloß ausmalen, sondern auch noch mit einigen Gruppen vermehren will, die man nicht gern mit so dauerhafter Farbe als Dinte malt. Ich will dazu Cheapside und Fleetstreet nehmen, so wie ich sie in voriger Woche, da ich des Abends etwas vor 8 Uhr aus Herrn Boydells Haus nach meinem Logis ging, gefunden habe. Stellen Sie sich eine Straße vor etwa so breit als die Weender, aber, wenn ich alles zusammen nehme, wohl auf 6 mal so lang. Auf beiden Seiten hohe Häuser mit Fenstern von Spiegelglas. Die untern Etagen bestehen aus Boutiquen und scheinen ganz von Glas zu sein; viele Tausende von Lichtern erleuchten da Silberläden, Kupferstichläden, Bücherläden, Uhren, Glas, Zinn, Gemälde, Frauenzimmer-Putz und Unputz, Gold, Edelgesteine, Stahl-Arbeit, Kaffeezimmer und Lottery Offices ohne Ende. Die Straße läßt wie zu einem Jubelfeste illuminiert, die Apotheker und Materialisten stellen Gläser, worin sich Dietrichs Kammer-Husar baden könnte, mit bunten Spiritibus aus und überziehen ganze Quadratruten mit purpurrotem, gelbem, grünspangrünem und himmelblauem Licht. Die Zuckerbäcker blenden mit ihren Kronleuchtern die Augen und kützeln mit ihren Aufsätzen die Nasen, für weiter keine Mühe und Kosten, als daß man beide nach ihren Häusern kehrt; da hängen Festons von spanischen Trauben, mit Ananas abwechselnd, um Pyramiden von Äpfeln und Orangen, dazwischen schlupfen bewachende und, was den Teufel gar los macht, oft nicht bewachte weißarmigte Nymphen mit seidenen Hütchen und seidenen Schlenderchen. Sie werden von ihren Herrn den Pasteten und Torten weislich zugesellt, um auch den gesättigten Magen lüstern zu machen und dem armen Geldbeutel seinen zweitletzten Schilling zu rauben, denn Hungriche und Reiche zu reizen, wären die Pasteten mit ihrer Atmosphäre allein hinreichend. Dem ungewöhnten Auge scheint dieses alles ein Zauber; desto mehr Vorsicht ist nötig, alles gehörig zu betrachten; denn kaum stehen Sie still, Bums! läuft ein Packträger wider Sie an und ruft by Your leave wenn Sie schon auf der Erde hegen. In der Mitte der Straße rollt Chaise hinter Chaise, Wagen hinter Wagen und Karrn hinter Karrn. Durch dieses Getöse, und das Sumsen und Geräusch von Tausenden von Zungen und Füßen, hören Sie das Geläute von Kirchtürmen, die Glocken der Postbedienten, die Orgeln, Geigen, Leiern und Tambourinen englischer Savoyarden und das Heulen derer, die an den Ecken der Gasse unter freiem Himmel Kaltes und Warmes feil haben. Dann sehen Sie ein Lustfeuer von Hobelspänen Etagen hoch auflodern in einem Kreis von jubilierenden Betteljungen, Matrosen und Spitzbuben. Auf einmal ruft einer, dem man sein Schnupftuch genommen: stop thief, und alles rennt und drückt und drängt sich, viele, nicht um den Dieb zu haschen, sondern selbst vielleicht eine Uhr oder einen Geldbeutel zu erwischen. Ehe Sie es sich versehen, nimmt Sie ein schönes, niedlich angekleidetes Mädchen bei der Hand: come, My Lord, come along, let us drink a glass together, or I'll go with You if You please; dann passiert ein Unglück 40 Schritte vor Ihnen; God bless me, rufen einige, poor creature ein anderer; da stockt's und alle Taschen müssen gewahrt werden, alles scheint Anteil an dem Unglück des Elenden zu nehmen, auf einmal lachen alle wieder, weil einer sich aus Versehen in die Gosse gelegt hat; look there, damn me, sagt ein Dritter und dann geht der Zug weiter. Zwischendurch hören Sie vielleicht einmal ein Geschrei von Hunderten auf einmal, als wenn ein Feuer auskäme oder ein Haus einfiele oder ein Patriot zum Fenster herausguckte. In Göttingen geht man hin und sieht wenigstens von 40 Schritten her an, was es gibt; hier ist man (hauptsächlich des Nachts und in diesem Teil der Stadt, the City) froh, wenn man mit heiler Haut in einem Nebengäßgen den Sturm auswarten kann. Wo es breiter wird, da läuft alles, niemand sieht aus, als wenn er spazieren ginge oder observierte, sondern alles scheint zu einem Sterbenden gerufen. Das ist Cheapside und Fleetstreet an einem Dezemberabend.
Bis hieher habe ich fast, wie man sagt, in einem Odem weg geschrieben, mit meinen Gedanken mehr auf jenen Gassen als hier. Sie werden mich also entschuldigen, wenn es sich zuweilen hart und schwer liest, es ist die Ordnung von Cheapside. Ich habe nichts übertrieben, gegenteils vieles weggelassen, was das Gemälde gehoben haben würde, unter andern habe ich nichts von den umzirkelten Balladen-Sängern gesagt, die in allen Winkeln einen Teil des Stroms von Volk stagnieren machen, zum Horchen und zum Stehlen. Ferner habe ich die liederlichen Mädchen nur ein einziges Mal auftreten lassen, dieses hätte zwischen jede Szene, und in jeder Szene wenigstens einmal, geschehen müssen. Man wird alle 10 Schritte angefallen, zuweilen von Kindern von 12 Jahren, die einem gleich durch ihre Anrede die Frage ersparen, ob sie auch wüßten, was sie wollten. Sie hängen sich an einen an, und es ist oft unmöglich von ihnen los zu kommen, ohne ihnen wenigstens etwas zu schenken. Sie packen einen zuweilen auf eine Art an, die ich Ihnen dadurch deutlich genug bezeichne, daß ich sie Ihnen nicht sage. Dabei sehen sich die Vorbeigehenden nicht einmal um, da ist liberty und property. So lang einem dieses neu ist, so lacht man wohl darüber, zumal da die meisten wie Christtagspuppen gekleidet und, wenn sie wollen und Gehör finden, hundertmal mehr belebt sind als manche unserer lebendigen vornehmen Christtagspuppen, hingegen ist man es einmal gewohnt und ist mehr auf seine Geschäfte als auf dieses Hexenwesen bedacht, so ist es höchst unangenehm, und kann ich nicht begreifen, warum man diesem Unheil kein Einhalt zu tun sucht. Ich habe von einigen, die wie Fräuleins aussahen, Fragen an mich tun hören, bei welchen ein junger Student durch ein sohlendickes Fell rot geworden wäre.
(Eben als ich diese Zeile geschrieben habe, will ich, unterdessen sie trocken wird, eine Mischung von Branntwein und warmem Wasser in den Mund nehmen, weil ich mir gestern einen Zahn habe ausziehen lassen, und siehe, ich stoße mit dem Ellenbogen an und bespritze die eine Seite dieses Blatts erbärmlich. Weil ich sie jetzt nicht umschreiben kann, so bitte ich um Entschuldigung.)
Ich habe nunmehr das Volk so ziemlich kennen lernen und versäume keine Gelegenheit meine Kenntnis darin zu erweitern. Ich habe zuweilen zu meiner größten Satisfaktion Engländer sagen hören, daß sie nicht gewagt hätten, was ich gewagt habe. Wenn ich den Eifer in mir verspüre, so sind mir Rippenstöße und Schimpfwörter grade was Stoppeln dem Behemoth; ich folge allzeit dabei dem ersten Eindruck, den der Anblick eines Mob oder einer Gesellschaft auf mich macht, dieser belehrt mich bald, ob ich ohne Gefahr untertauchen kann oder nicht, und ich betrüge mich alsdann selten, unterdessen habe ich ein Schnupftuch und ein silbernes Petschaft eingebüßt, denn es ist bei einer einzigen Seele nicht möglich oft zugleich über die Haut und die Taschen zu wachen und Beobachtungen anzustellen.
Englische Schauspiele habe ich genug gesehen, und darunter Herrn Garrick fünfmal. Meine Beobachtungen über diesen Mann sollen Sie zu einer andern Zeit lesen. Im ganzen kommt ihm in beiden Häusern nicht ein einziger nur nah. In einzelnen Rollen hat er einige sehr glückliche Nachahmer gefunden, und in dem Drolligten, so wie es sich in unerfahrnen, treuherzigen Leuten äußert, ist ein gewisser Weston, der ebenfalls zu Garricks Theater gehört, über ihn. Sie können also denken was es für ein Vergnügen sein muß, diese beiden außerordentlichen Männer in derselben Szene zusammen zu sehen, dieses Vergnügen habe ich gehabt, nämlich in The stratagem, einem berühmten Stück des Farquhar, machte Garrick den Archer, einen Herrn von Stande, der sich für einen Bedienten ausgibt, und Weston den Scrub, einen würklichen Aufwärter in einem armseligen Wirtshaus, worin jener logiert. Garrick erscheint mit allen Insignien einer Lakaien-Majestät mit besetztem Kleid und einer roten Feder, weißen seidenen Strümpfen und ein paar Waden und Schnallen, wie sie sein müssen. Weston hingegen, der arme Teufel, in einer abgeregneten traurigen Hanf-Perücke, mit einem grauen Camisol, das er wohl ausfüllen könnte, wenn er mehr zu essen kriegte, und einer grünen Schürze und roten Strümpfen. Er gerät in eine Art von andächtigem Erstaunen, wenn er den Herrn Bedienten (wie das Mädchen zu Kerstlingröder Feld einmal sagte) erblickt: den er doch zu derselben Klasse von Geschöpfen rechnet..... Archer, der ihn zu seinen Absichten braucht, ist besonders gnädig, und Scrub fängt sich würklich an zu fühlen, er schlägt sogar so gut seine Beine im Sitzen nachlässig übereinander als Archer, allein wenn dieser im Sprechen seine seidenen Waden auslegt, so sucht jener arme Teufel seine roten wollenen so viel als möglich mit der grünen Schürze zu bedecken. Diese Szene und einige andere, wo Scrub und Archer beisammen sind, werden so gespielt, daß vielleicht nichts in dieser Art Vollkommneres ist. Denn bedenken Sie, Garrick an der einen Seite, der größte Schauspieler vielleicht in den neuern Zeiten, und an der andern Weston, der einzige Mann, der es in solchen Rollen Garricken, nach einem allgemeinen Geständnis, zuvortut, und sagen Sie, ob ich Unrecht haben kann. Weston ist ein ganz eignes Geschöpf, die Natur scheint ihn bloß bestimmt zu haben, andere Leute lachen zu machen, ohne ihm Fähigkeit gegeben zu haben, selbst zu lachen. Ich habe ihn auf dem Theater nie lachen sehen, ja man sieht nicht das geringste Zeichen von einer Mühe, die ihn die Unterdrückung desselben kostete; aber er soll auch außer dem Theater sehr selten lachen; indessen ist sein Körper und ganze Seele des Ernsthaften völlig unfähig, und er würde eine jede eigentlich ernsthafte Rolle schlechterdings verderben. Einige neuere Schauspieldichter haben nun gar Charaktere nach dem seinigen gebildet, und da ist er freilich unnachahmlich, so habe ich ihn in einem neuen Stück The maid of the oaks gesehen, wo er wieder ein Aufwärter ist, wiewohl in besseren Umständen als Scrub. Er stellt da einen treuen, guten Kerl vor, der zwar unerfahren ist, aber sich bisher ganz gut in seinem Dienst zu finden gewußt hat, allein an dem Tage da ein Hochzeitfest gefeiert werden soll mit aller der Pracht, die sich der Dichter in seiner Begeisterung nur denken, und die englischen Feuerwerker, directeurs des plaisirs und Zuckerbäcker nur ausführen können, da weiß er nicht, was er machen soll; als Bedienter vom Haus muß er einen gewissen Rang vor allen übrigen Bedienten behaupten; er läuft daher beständig in einer völlig unnötigen und unzweckmäßigen Geschäftigkeit herum, will immer und kann vor lauter Wollen nicht, gibt Ordre bloß um Contreordre geben zu können, und das mit einem Ansehen von Treuherzigkeit und Redlichkeit, daß man dem ehrlichen Tropf von Herzen gut wird, zugleich aber mit einem Ansehen von Wichtigkeit gegen die Weißbinder, Lampenanstecker, Gartenleute und Tafeldecker, daß man sich des herzlichsten Lachens unmöglich enthalten kann. Er und eine gewisse Mrs. Abington, von der ich nachher etwas sagen will, machen allein das Stück sehenswürdig und haben allein es zur 23ten Vorstellung in diesem Winter gebracht, und ohne sie würde es, der herrlichen Dekorationen ungeachtet, die den Garrick 9000 Taler gekostet haben, vielleicht die erste Vorstellung nicht ganz überlebt haben.
Unter den Aktricen, die ich gesehen habe, sind die größten Mrs. Barry, die oben genannte Mrs. Abington und Miß Pope. Noch nicht gesehen habe ich Mrs. Yates und Mrs. Hartley, werde sie aber vielleicht noch diese Woche sehen. Mrs. Barry habe ich schon vor fünftehalb Jahren als Desdemona im Othello gesehen, dieses Mal als Cordelia in King Lear und als Beatrice in Much ado about nothing. Sie ist eine wahre Schönheit und eine geborne Schauspielerin; in ihrem neunten Jahr schmiß sie das Strickzeug und den Katechismus weg und schlich sich mit dem Shakespeare auf den Boden des Hauses und sprach mit den Schornsteinen. Wenn ich Geld hätte, so packte ich einmal die deutschen Aktricen, die ich kenne, zusammen auf ein Schiff und brächte sie nach London, um von Mrs. Barry den Gebrauch der Arme zu lernen. Sie hat in ihren Gesichtszügen vieles von Mamsell Stock, allein ihr Tun ist geschmeidiger und ihre Miene sanfter. Wuchs und Busen unverbesserlich. Als sie neulich im König Lear die Hände gegen den Himmel zusammen schlug und darauf ihren Vater umarmte, so war ich völlig weg; alles außer der Freiheit, Mrs. Barry zuweilen auf dem Theater zu sehen, hätten Sie von mir für einen Mattier haben können.
Mrs. Abington war ehmals eins von den Geschöpfen, die ich auf der 5ten Seite meines Briefs mit Come, my Lord pp redend eingeführt habe. Ihre vortreffliche Figur fesselte einmal einen solchen Vorbeigehenden, der sie aus einer Allgemeinen zu einer Besondern machte und so bloß zu seinem Gebrauch fütterte. Dieser Mann starb bald und hinterließ ihr, ob er sie gleich nie geheiratet hatte, ein solches Vermögen, daß sie selbst mit einiger Pracht, ohne in Drurylane zu dienen, leben könnte; sie erscheint daher in den höheren Rollen immer mit echten Steinen, die ihr selbst zugehören. Ihr Wuchs und Art sich zu tragen ist höchst vollkommen, ihr Gesicht aber nichts weniger als schön; sie hat aber ein gewisses schneidendes, mehr französisches als englisches Wesen in ihren Mienen, das sich für die Rollen, die ihr Garrick erteilt, außerordentlich schickt. Im Komischen, und zwar wo die Sitten des ersten Rangs (wie man in Hannover sagt) lächerlich gemacht werden sollen, ist sie die einzige in ihrer Art auf dem englischen Theater. In dem erwähnten Schauspiel The maid of the oaks spricht sie den Epilog meistermäßig; sie vergleicht darin die Logen einer- und Parterre und Galerie andererseits mit dem Ober- und Unterhaus und ficht und wispert und zischelt, daß es eine rechte Freude ist anzusehen. Künftig mehr von dieser einnehmenden Hexe.
Daß ich Herrn Wilkes einige Stunden hintereinander, ganz in der Nähe, angeguckt und sogar zu zeichnen versucht habe, wissen Sie vermutlich schon von Herrn Sprengeln, dem ich es, wo ich nicht irre, geschrieben habe. Vor einigen Wochen habe ich sogar (das sich nur wenige Personen rühmen können) mit dem Könige von diesem politischen Monster gesprochen. Doch alles dieses würde mich zu weit führen, also nur noch einiges.
Meine Gesundheit ist in diesem Jahr (es ist heute der 24te Jänner) schlechter als jemals. Ich habe es bisher bald im Hals, bald in den Augen und bald in den Zähnen gehabt, gestern bin ich expreß nach London gegangen um mir einen ausziehen zu lassen, welches mir wenigstens von dieser Seite Ruhe geschafft hat. Ich habe seit einiger Zeit so schlecht geschlafen und so wenig Solides essen können, daß ich ganz verfallen bin, ich glaube Ew. Wohlgeboren würden mein Gesicht nicht mehr kennen, wenn Sie es sähen. Noch gestern fragte mich die Königin, was mir fehlte, weil ich so blaß aussähe. Es ist bloß allein der Mangel an Schlaf und, wie ich sage, in diesen letzten Tagen an solider Nahrung, denn ich mußte fast wie ein Kind bloß von Milch und Brei, und diese sparsam genommen, leben. Wenn uns die Sonne etwas näher kommt und ich dieses feuchte Nest verlassen kann, so soll es, wills Gott, besser werden.
Ich werde mit diesem Kurier an Herrn und Madame Dieterich schreiben, aber nichts von dem, was ich Ihnen geschrieben habe, daher ich Sie bitte, diesen Freunden alles aus diesem Brief vorzulesen, was Sie für dienlich erachten. Ich werde ihnen auch sagen, ein Gleiches mit ihren Briefen zu tun. Herr Dumont, Sprengel, Meckel, Zimmermann und andere Freunde von mir, denen ich mich gehorsamst zu empfehlen bitte, sind hierin eingeschlossen. Sie werden alle meine Art zu schreiben, die und's und die aber's entschuldigen, nicht als einem, der auf dieser Insul seine Muttersprache vergessen, sondern als einem, der so viel zu schreiben hat, daß es ihm unmöglich ist Konzepte zu machen und Perioden zu drechseln.
Nun Ihre Frau Liebste. Empfehlen Sie mich ihrem geneigten Andenken tausendmal. Dieser Brief – ich getraue es kaum zu sagen – ist zugleich mit an sie. Doch über diejenigen Stellen, die mehr für den Hausvater als die Haus-Mutter sind, wird sie, mit der ihr eigenen und leider! in Göttingen so seltenen Diskretion, den Mantel christlicher Verzeihung schlagen. Ich schreibe so dahin, oft mutwillig, oft unbesonnen und übereilt, aber wahrhaftig immer wohlmeinend und immer mit einem Herzen voll Freundschaft, vorzüglich für Sie und Ihr ganzes Haus.
N.S.
Ich werde an Kästnern einige englische Bücher-Verzeichnisse schicken und ihn ersuchen, sie Ihnen und Heynen mitzuteilen; sie sind eigentlich für Herrn Kirchenrat Geißler in Gotha, der sie bei mir bestellt hat. Verschonen Sie mich nicht mit Aufträgen für sich und Ihre Freunde, es sei an wen es wolle. Warum haben Sie mir Ihr Buch für Pringeln nicht geschickt. Er hat mir durch die Königin sagen lassen, daß er mich gerne sähe, was wäre das für eine Empfehlung für mich gewesen!
Die Rezension von Mayers Werken ist nicht mitgekommen, Sie haben doch auch die Schnitzer bemerkt, das kommt von der Korrektion in den Bogen. Ich habe sie doch noch früh genug bemerkt, um sie in den Exemplaren zu korrigieren, die ich ausgeteilt habe. Doch das sind Possen, wenn nur die Sachen besser wären. Die Dedikation habe ich auf dem Wege von Hannover nach Osnabrück geschrieben, und die hat hier vorzüglichen Beifall erhalten. Ich habe sie aus Mißtrauen an Heynen geschickt, und der hat in der zweitletzten Zeile ein einziges Wort geändert.
Leben Sie recht wohl, mein bester Freund, vielleicht bin ich im Mai wieder bei Ihnen. Da sollen Sie hören!
N. S. (2)
London, den 29ten Jänner 1775
Schon wieder in London. Ich reiße Ihren Brief wieder auf bloß um Ihnen zu sagen, daß ich unter den kleinen Bildern, die man hier von den hiesigen Schauspielern hat, auch die Szene angetroffen, die ich oben beschrieben habe. Nur hat da Garrick keine rote Feder und Weston eine andere Perücke und auch einen Rock an. Weston gleicht sich, wie in einem Spiegel. Garrick gar nicht. Hingegen habe ich noch kein besseres Porträt von ihm gesehen, als er auf einem dieser kleinen Gemälde in dem Charakter von Abel Drugger vorgestellt ist. Es ist sein völliges Gesicht. Ich habe dieser teuern kleinen Dinger 6 gekauft und an Herrn Schernhagen geschickt, von dem Sie sie abfodern und für mich aufheben können. Herr Hofrat Heyne und Herr Professor Feder müssen sie vor allen Dingen sehen. Auch in den beiden Charakteren von Sir John Brute, wo er sitzt und wo er besoffen ist, gleicht er sich, auch da so ziemlich, wo er sich in Frauenskleidern mit den Londonschen Polizei-Jägern prügelt. Sir John Brute ist die Favorit-Rolle Garricks, ob man ihn gleich dieses Stücks wegen schon öfters angegriffen, ja sogar, aus dem Eifer, womit er es auf der Bühne erhält, öffentlich gesagt hat, sein eigner Charakter könne unmöglich viel besser sein als Sir John Brute's, so spielt er es immer fort, diesen Winter schon zweimal, und ich habe ihn auch hisce oculis gesehen. Das Stück ist zuweilen sehr schmutzig, aber wegen Sir John's Charakter, der so außerordentlich von Garricken gespielt wird, höchst unterhaltend. – Nun habe ich auch das Paket erhalten, worin die Hallische Zeitung lag. Ich danke Ihnen gehorsamst für Ihre Anzeige.
Was denken Sie von dem Musen-Almanach? Meines Erachtens ist das meiste förmlich abscheulig, zumal das Klopstockische und das darnach Geschnittene der andern. Haben Sie wohl ein einziges neues Bild darin gefunden, das ist das ewige Rauschen im Hain, das Silbergewölk und die Eiche, die wir schon hunderttausendmal gehabt haben, und dieses glauben sie neu zu machen, wenn sie es mit dicker Gurgel wie vom Dreifuß geheimnisvoll herunter lallten. In dem Fach lobe ich mir allemal den Jakob Böhm. Der Teufel hol's, der konnte Quartbände wegschreiben, die keine lebendige Seele verstund als die initiierten Narren, und 20 Musen-Almanache wiegen noch keinen Quart-Band. Einige Gedichte von dem Jahr gefallen mir, zumal unter den kleinen, und die Höltyischen. Wer wohl der Md. sein mag auf der 214. Seite; das ist recht, so wie man sie in Sekunda macht, wenn's nur mit den Worten geht, für den Sinn sorgt der Rektor. Haben Sie in Ihrem Leben gehört, daß etwas, das strahlt und hoch steht, nur gesehen werden kann, wenn man sich auf einen Schemel stellt? Das Männchen hat an die Sonne gedacht, wie ich aus dem letzten Strahl verstehe; allein wenn man hoch stehen muß, um ihre letzten Strahlen zu sehen, so steht sie tiefer als der Beobachter und ist entweder schon wieder unter oder noch nicht aufgegangen. Und das wird ihm der vernünftigste Teil von Deutschland gerne einräumen, daß Klopstock entweder noch nicht auf oder schon wieder untergegangen ist. Vermutlich wird nun der Musen-Almanach besser. Ich wollte unmaßgeblich raten, daß keine Oden hinein kommen als wie von Leuten, die sich legitimiert haben, daß sie auch etwas Vernünftiges nüchtern und im Ernste schreiben können; solchen Leuten hört man gerne zu und wenn sie würklich rasten. Ein Einfaltspinsel, der närrisch wird, ist gewiß im Tollhaus der letzte Einfaltspinsel, aber Simson und Lee, wenn sie närrisch werden, sind immer hörenswert, so gut wie Hamlet wenn er sich rasend stellt. Aber wer sind denn unsere Oden-Dichter? Meistens Leute, welche die Welt so wenig kennen, als die Welt sie. Und wie ist es anders möglich, als daß Leute, die mehr Kenntnis der Welt als diese Säuglinge besitzen, alles, was sie sagen, höchst albern finden müssen, ob sie selbst gleich glauben, sie berührten mit erhabenem Nacken die Sterne, wie Pastor Lange den Horaz sagen läßt.
G. C. Lichtenberg
Dem guten Dieterich sagen Sie, daß ich alle seine Briefe erhalten und daß ich ihm bald, und viel schreiben würde, seine eine Hälfte bekommt einen Brief mit diesem Kurier, wie oben gemeldet, ich weiß aber nicht, ob der an die andere fertig werden wird.
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