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Göttingen, den 30. August 1790
Liebster Freund,
Ihren meisterhaften Brief, den Sie mir über die Brüsseler Gemälde-Sammlung und über einige fromme Karikaturen zu Köln schrieben, habe ich gewiß, aber das Wo? auszumachen, war mir in diesen Tagen, in welchen ich meine Antwort aufgeschoben habe, unmöglich. Man verliert zuweilen Sachen à force de les garder, und das ist hier der Fall. Ich habe ihn, weil die epistola nicht bloß ostensibilis war, sondern in die höchste Klasse der ostendendarum gehörte, häufig ausgeliehen, und so kann es gar sein, daß ich einmal zu stark meine Ängstlichkeit, ihn zu behalten, habe merken lassen, und dieses hat mich darum gebracht. Vielleicht tut der Zufall, der Vater so vieler herrlichen Erfindungen, am Ende das Beste dabei. Ich werde ihm wenigstens täglich Gelegenheit dazu zu geben suchen. Verzeihen Sie mir, liebster Freund, daß ich, statt Ihnen Ihren Brief wieder zu verschaffen, nur den Verlust desto empfindlicher mache und also im eigentlichen Verstande ein leidiger theologischer Tröster bin. Aber warum auch trösten? Ja, wenn der Kopf nicht mehr wäre, aus dem jenes alles hervorging. Aber das carum caput ist ja noch da und wie? Wahrhaftig, ob ich Ihnen gleich nicht schreibe und nicht mit Ihnen rede, so bin ich doch öfter unter den Ihrigen mitteninne, als Sie vielleicht glauben, ich meine den Segen, der aus Ihrem Haupte mit einem Reichtum, als ruheten Abrahamitische Verheißungen auf Ihnen, hervorgeht. Und warum sage ich das? Deswegen, weil ich Ihnen sagen will und muß, aufrichtig, daß ich die Fortschritte Ihres Geistes und den calorem δεόπνευστον Ihres Stils bewundere. Ich möchte wissen, was für ein Hauch von Philosophie seit einigen Jahren Ihre Sammlung von Kenntnissen durchweht hat, daß sie nun mit einer Art von Verklärung hervorgehen, die vielleicht niemand weniger merkt als Sie. Glauben Sie mir, liebster Freund, Sie sind seit einiger Zeit sehr viel stärker geworden. Ihre Rezension von Meierottos Buch über die Entstehung der baltischen Länder möchte ich lieber gemacht haben als in einer duftenden Geißblatt-Laube, in einer heitern mondhellen Frühlingsnacht – den schönsten Jungen der schönsten Frau auf Gottes Erdboden. Ich rede aufrichtig, so wahr der Himmel lebt oder, besser als diese Versicherung, so aufrichtig, als man es nur meinen kann, wenn man sich selbst lobt, und Selbstlob ist es doch fast würklich, selbst wenn man sagt, man habe so etwas gefühlt, das sich ohne eine Art von Geistesverschwisterung nicht fühlen läßt. Da haben Sie Aufrichtigkeit with a vengeance, noch dazu mit dem Notariatssiegel des Enthusiasmus vidimiert, mit dem ich diese Seite in etwa ebenso viel Sekunden geschrieben habe, als sie Hälften von Zeilen hat. – Und nun kommen Sie mir (diese Worte müssen langsam gelesen werden) einmal mit einem Verweise über verlorne Briefe. – Für Ihre liebevolle Einladung nach Mainz danke ich Ihnen mit innigstem Vorgefühl alles dessen, was aus meiner Hülle werden könnte, wenn ich im Stande wäre, die Einladung anzunehmen. Allein ich sehe gar keine Möglichkeit, wenn nicht die Engel Dieterichs Wohn- oder Volborths Gartenhause die Ehre erzeigen, die sie dem Hause zu Loretto erwiesen haben, welches mir, wegen des nicht sonderlich heiligen Geruchs, worin ich und die selige Volborthin bei den lieben Engelchen stehen, gar nicht wahrscheinlich ist. Gegenteils haben sichs die Engelchen seit einiger Zeit, wie Sie werden gehört haben, nicht undeutlich merken lassen, daß sie große Neigung haben, mich ehestens in einem tragbaren Häuschen nach dem Kirchhof schleppen zu lassen, wohin ich aus einem der obigen nur fünfzig Schritte habe. O! Freund! Freund! was ich ausgestanden habe diese dreiviertel Jahr! Aber gottlob, ich fühle jetzt eine Kraft und einen Mut, den ich seit sieben Jahren nicht verspürt habe, ich meine bloß im obern Ende. Bleibt mir diese und der, wohlan so will ich mein noch übriges Leben die Zeit des neuen Bundes nennen und meine ganze Krankheit, so gedrängt voll von Jammer sie auch war, ansehen, wie Sheridan sagt: as the blank leaf between the old and new Testament. Aber ich kränkle immer noch, das obere Ende, von dem ich eben sprach, erinnert mich an das untere. Stille, ich habe eine Frau, die dieses liest oder lesen möchte, davon also künftig einmal, Gott gebe mit einem Gevatterbrief. Von meiner lieben Frau, dem einzigen Geschöpfe, dessen Sorgfalt ich mein Leben zu danken habe, von dem einzigen weiblichen, das für mich gemacht war, und meinem kleinen Jungen, meinem einzigen Trost und dem vermutlichen Quell meiner Geistesgesundheit, künftig einmal weitläuftig.
Grüßen Sie mir Ihre liebe Therese recht herzlich so wie auch den braven Sömmerring und sagen Sie ihm, er soll heiraten. Cato schloß seine Rede mit dem Refrain: delendam esse Carthaginem und ich alle Reden und Briefe mit uxorem esse ducendam. Ich schreibe ihm vielleicht diese Woche noch. Leben Sie recht wohl, bester Mann, und schreiben Sie mir bald etwas zum Verlieren à force de le garder...
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