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Göttingen, den 1. Julius 1791
Wertgeschätzter Freund,
Wenn es mir vor zehn Jahren möglich gewesen wäre, Vergehungen gegen Sie, mein Teuerster, mit Vergehungen so zu häufen wie jetzt, so hätte ich Ihnen auch gewiß in meinem Leben nicht wieder geschrieben. Allein weil ich seit einiger Zeit fast nichts mehr tue, was ich tun soll (Gott weiß warum! es ist ein kompliziertes Übel), so habe ich auch das herrlichste Fell dazu, dem Beleidigten unter die Augen zu treten, sobald ich nur gehen kann, welches mir nicht immer gelingt. Mein Zustand ist unbeschreiblich, könnte ich ihn so ganz schildern, wie er ist, ich glaube, meine Feinde selbst würden mir vergeben, was ich bisher non agendo verübt habe. Wenn ich ein paar Pfunde Blei trage, so habe ich nichts zu überwinden, als das Gewicht davon, denn ein Element desselben trägt das andere mit unerforschter Kraft, ohne daß ich das mindeste dazu beitrage. Sollte ich auch die Kräfte hierzu hergeben, wer wüßte, ob meiner Zehntausende im Stande wären, das Blei über meinen Schreibtisch zu heben. So geht es mir jetzt oft im Moralischen. Wenn ich etwas sein will, so muß ich mich erst dazu machen und erhalten, – das ermüdet entsetzlich! Ich habe aber auch gesehen, daß der Mensch viel mehr vermag, als ich ihm sonst zutraute. Was müßte nicht aus dem Mann werden können, der sehr vieles ist, ohne es zu wissen, wenn er nun noch Kraft von der Art anwendete zu Selbsterschaffung und Erhaltung. Aber ich fürchte, man lernt jene Fähigkeit des menschlichen Geistes nicht kennen als in dem Zustande von kränklicher Empfindlichkeit und kränklich scharfer Bemerkungsgabe, die wieder von einer Seite die Ausführung erschwert. Liebster Freund, was ich zwischen meinen vier Wänden hierin getan habe, würde mich verewigen können, wenn ich entweder schreiben könnte wie Sie, oder diese Kräfte auf Gegenstände anwenden, die mehr ins Auge fielen. Allein man setzt niemanden Ehrensäulen, der mit Heldenmut bloß verhindert, daß er nicht – zum alten Weibe wird. – Für Ihr vortreffliches Geschenk, ich meine für Ihre Ansichten und Ihre Sakontala, danke ich Ihnen vielleicht mit größerer Herzlichkeit, als es sonst gewöhnlich ist, für Geschenke von Büchern zu danken. Ich sage Ihnen ebenso aufrichtig als gerade heraus, daß ich Ihre Ansichten für eins der ersten Werke in unserer Sprache halte. Ich bin aber auch stolz genug zu glauben, daß sie nicht von jedem Leser so verstanden und so innigst anerkannt werden möchten als von mir. Ich habe einmal in einem Feen-Märchen eine sehr angenehme Vorstellung gelesen; der Held nämlich reiset, und unter der Erde reist ihm beständig ein Schatz nach, wohin er auch geht. Bedarf er etwas, so pocht er nur leise an die Erde, so steht der Schatz still und öffnet sich ihm. Sie sind mir, bester Freund, auf Ihrer Tour hundertmal so vorgekommen wie jener Glückliche in der Feen-Welt. Auch da, wo Ihr Stab den Boden nicht anschlug, sah ich immer den Schatz Ihnen folgen. Wer Ihre Worte zu wägen weiß, kann es auch unmöglich übersehen. Die Gabe, jeder Bemerkung durch ein einziges Wort Individualität zu geben, wodurch man sogleich erinnert wird, daß Sie die Bemerkung nicht bloß sprechen, sondern machen, habe ich nicht leicht bei einem Schriftsteller in einem solchen Grade angetroffen. Dazu kommt noch bei mir, daß ich alles als das Werk meines Freundes lese, dessen immer steigendem Ruhm ich mit einer Art von Wollustgefühl zusehe, jeder Ausdruck, jede Wendung, die mich frappiert, freut mich als mein eigen. Nun bedenken Sie, Freund, was Sie mir für ein Vergnügen gemacht haben. O, die innigste Teilnahme an allem, was den Verfasser angeht, verbreitet über das Werk ein unbeschreiblich angenehmes Licht! Manche Ihrer trefflichen Bemerkungen würden mir aus dem Munde des Mongolen Meiners gewiß als wenigstens unangenehme Wahrheit geklungen haben, dieses Menschen unbändiger Eigendünkel würde mir alles entstellen. Zum Glück gibt es bei ihm nichts zu entstellen. Ich soll Ihr Buch für die hiesige Zeitung rezensieren. Ich habe den Antrag auf gut Glück angenommen; allein was kann man in einem so engen Blättchen sagen! – Wenn mir nur mein seltsames Befinden des Morgens die gehörige Ruhe gestattete, des Nachmittags nimmt mir mein Collegium, da ich einen neuen Gehülfen anlernen muß, sehr viel Zeit weg, und dann bin ich zwar nicht für das Lesen, aber für das Schreiben verloren. Indessen wenn auch die Rezension etwas spät kommt, so läßt sich das ja mit einer Zeile entschuldigen. Wenn ich nur den Riesen von Tätigkeit, Ihren Herrn Schwiegervater, nicht immer so bona fide betröge. Wenn ich verspreche, so glaube ich auch, ich könnte leisten, und dann schwindet aller Mut wieder. Doch es wird ja gehen. Die Sakontala habe ich noch nicht gelesen, weil jetzt meine Neigung in der Lesestunde nicht da hinaus hegt. Das Wörterbuch aber habe ich keinen Tag ungelesen gelassen, denn es kam von Ihnen, und ich konnte vergleichen, mir anpassen, lernen pp.
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