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[Hannover] Sonntags, den 29ten Dezember 1771
Mein lieber Dietrich
Ja, mein Lieber Mann, und wenn der Herr von Behr Dein leiblicher Vater gewesen wäre, so müßte ich Dir doch sagen, er ist tot, der rechtschaffene Mann. Ich habe es in der Nacht in welcher ich abreisete schon um 3 Uhr in Einbeck erfahren. Du lieber Gott, wie ward mir zu Mute, Du kannst mir glauben, es war einmal eine Viertelstunde, da ich zwischen Weitergehen und Zurückgehen schwankte und beinah zurückgegangen wäre. Er ist an einer Entzündung der Brust, wozu ein hitziges Gallenfieber schlug, gestorben, die Entzündung in der Brust wenigstens rührte von einem zurückgetretenen Schnupfen her, den er auf dem neulichen uns so angenehmen Besuch gefangen hat. Er wird vermutlich ganz in der Stille beigesetzt werden, wenn ich aus dem Hause abkommen kann, so will ich ganz ungesehen und uneingeladen der Leiche folgen, keinem Menschen zu gefallen als mir selbst. Jedermann ist nun, da der heftigste Stoß vorüber ist, schon wieder voll von der sichersten Hoffnung, daß auch was die Vorsorge für die geringen Armen betrifft die Verlust wieder durch den Herrn Großvogt von Lenthe ersetzt werden wird, denn daß die Universität in ihm nicht alles wiederfinden sollte, was sie am 26. November des vorigen und am 26ten Dezember dieses Jahrs verloren hat, daran hat noch kein Mensch gezweifelt, hier wenigstens nicht, selbst auch diejenigen nicht, die bei vieler Einsicht in die hiesigen Herzen ebenso ängstlich für das Wohl von Göttingen besorgt sind, als wenn sie neue Druckereien in Göttingen hätten oder Commentarios verlegen wollten. Ich kann also aus Überzeugung sagen: Sei getrost, lieber Bruder, Du lebst in einem Lande, dessen König nicht mehr Trommeln machen läßt, als er just braucht, dessen Wild keine Bauern frißt, und der mehr Leute bisher glücklich gemacht hat als der L.... von D... seit einem Jahr unglückliche (sehr viel gesagt), kurz unter einem weisen Könige, und wenn man einmal einen weisen König hat, so denke ich immer, die weisen Diener finden sich noch wohl. Morgen werde ich dem Herrn Großvogt so wohl als Herrn von Bremer meine Aufwartung machen und den Gevatter nirgends vergessen, wo ich ihn anbringen kann.
Du kannst nicht glauben, wie ich hier im Hause aufgenommen worden bin, ich wohne in einem Zimmer mit Fußteppichen und habe ein so großes und weiches Bette, daß man beinah ohne böse Gedanken sich nicht hineinwerfen kann, und heute ging ich einmal an der Küche vorbei und wollte ganz unschuldig auf den Feuerherd sehen, auf einmal stießen meine Augen auf ein paar andere so an, daß ich es würklich noch fühle, wahrlich ich wollte meinen Ellenbogen sechsmal dafür mit der empfindlichsten Spitze an den Ofen gestoßen haben als so was. Aber so wahr ich lebe, ich will hier absolut nichts ansehen als Sterne, nur fällt mir eben ein, daß der Teufel oft andrer Leute Augen durch seine satanische Verblendung ein solches Ansehen geben kann, daß einer schwüre, es wären Sterne.
Herr Geheimer Sekretär Schernhagen und seine Frau sind ein vortreffliches Paar. Er ist einer von den liebreichsten und zutulichsten Leuten, die ich kenne, und besitzt in mechanischen und astronomischen Dingen Einsichten, worüber ich erstaunt bin.
Schlage Dir alle Sorgen, wozu Dir dieser Todesfall Anlaß geben könnte, ja aus dem Sinne, sie sind in mehr als einer Absicht vergeblich, wenn ich dieses nicht aus Herzensgrund spräche und mich nicht mein verständiger Hauswirt, der alles dieses durch und durch sieht, überzeugt hätte, daß wir alles wieder finden werden, so hätte ich wohl nicht in dem Ton schreiben können, wie ich zu Anfang dieser Seite getan habe und nun aus einer besondern Ursache auch noch am Ende derselben tun muß.
Daß es dem Himmel nicht mehr Mühe kostet, die Anschläge der Menschen zu zernichten, als mir etwa ein Wachslichtgen auszublasen, habe ich auch auf meiner Reise gesehen. Ich und Herr Kirchenrat Wundt (wenn er es allenfalls leugnen sollte aus Bescheidenheit, so will ich ihn künftigen Sonnabend zum Geständnis bringen) hatten uns vorgenommen in Einbeck auf eine Art lustig zu sein (innerhalb der Grenzen der Unschuld im weitläuftigsten Verstand genommen), die ein Professor in jedem Alter für erlaubt hält und ein Kirchenrat, so lange er jung ist. Aber nun vergleiche einmal unsern Plan mit dem würklich ausgeführten; das Schicksal hat ihn so durchkreuzt, daß beinah keine Linie stehen geblieben ist. Der Herr Kirchenrat wird abtrünnig und geht nicht mit, ein Strich über das ganze Ding, einmal; ich komme um 3 Uhr ungefähr nach Einbeck und höre erstlich gleich, daß wir keine halbe Stunde Zeit hätten uns aufzuhalten, auch ein Strich. In der Stube höre ich, Herr von Behr ist tot, ganz sicher, denn ich komme von Hannover, sagte der Mann, dieses heißt das Dintenfaß über den Plan gießen, ich wurde still, sprach und guckte nicht, ich habe zwar Spielsachen gesehen, aber ich weiß nicht ob sie schön waren oder nicht, so warf ich mich nach einem harten Kampf, wobei ich doch Kaffee trank, in die Kutsche und fuhr mit Vorstellungen, die nicht viel besser waren als Hiebe, nach Brüggen. Was sich weiter mit mir zugetragen, erzähle ich mündlich.
Nun grüße und tröste mir vor allen Dingen meine Frau Gevatterin, denn Herrn Kirchenrat und Herrn Boie (Herr Neyron muß nicht vergessen werden, ohnerachtet er nicht mit mir gereiset ist, denn die Rache dafür behalte ich mir noch vor), künftigen Sonnabend bin ich bei Dir und trinke wills Gott ein Glas Punsch auf Deinem Canapee.
Heute am Tisch wurde gesagt, daß man zween Musen-Kalender mit gemalten Decken an die Prinzen nach England schicken wollte. Man spricht überhaupt hier in Hannover so von Dir, daß ich immer gern hinterdrein sage, ich kenne ihn sehr gut, er ist mein Gevatter.
Aber nun will ich abbrechen, das ist zu arg, so viel an Leute zu schreiben, die man über ein kleines schon wieder spricht, also abgesetzt – –
G. C. Lichtenberg
présentement à Hannover
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