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London, den 19ten April 1770
Liebster Herr Gevatter.
Für Ihr Gutsagen bin ich Ihnen unendlich verbunden, als einem Freunde in der Not, deren ich noch sehr wenige gehabt habe. Ich hoffe bald wieder zurück zu sein, weil ich meine Rechnung nicht so finde wie ich glaubte, ohnerachtet ich so recht lebe was ein Darmstädtischer Oberförster glückselig nennen würde, und ich wünsche jeden fetten ehrlichen Mann, der auf Essen und Trinken reiset, an meine Stelle. Mit einem Wort, ich lebe (wider meinen Willen, das ist das schlimmste) recht kurfürstlich und bin überzeugt, wenn ich einen Sommer so fort lebte, so könnte mein Geschmack vielleicht überstimmt werden und in eine ewige Dissonanz mit meinem Beutel geraten. Der Engelländer speist simpel, sagt man, das ist wahr, man findet wenige zusammengesetzte Gerichte, aber der einfachen Dinge sind bei ihnen eine solche Menge, daß es Torheit sein würde zusammenzusetzen. In ihren Weinen sind sie unerschöpflich. Man ißt erstlich zu Mittag, und denn wird zu Mittag getrunken, zwei ganz verschiedene Dinge, bei dem letzteren sind keine Frauenzimmer mehr, dieses aus allerlei Ursachen, erstlich damit sie die Staatsgeheimnisse der Männer nicht entwenden, und zweitens, damit ihnen keine Geheimnisse entwendet werden, beim Tee kommt man wieder zusammen, dieses dauert nicht lang und jede Partei hält ihre Geheimnisse diese kurze Zeit über so gut als sie kann. Des Abends oder deutsch des Nachts geht es nicht besser, mit Essen und Trinken meine ich, denn mit den Geheimnissen geht es ganz ausgemacht schlimmer. O das ist erbärmlich, da ist an kein Teetrinken zu gedenken. In London ist alles feil, was man in andern Ländern gar nicht ums Geld bekommen kann, und was man ganz umsonst hat, alles durcheinander zu allen Stunden des Tags in allen Straßen auf allerlei Art zubereitet, gekleidet, gebunden, gefaßt, gepackt, ungebunden, geschminkt, eingemacht, roh, parfümiert, in Seiden und in Wolle, mit oder ohne Zucker, kurz was der Mensch hier nicht haben kann, wenn er Geld hat, das suche er beim Urgroßvater seliger in dieser greifbaren Welt nicht, wahrlich nicht. Ich schreibe sonst nicht gerne vom Frauenzimmer und fast niemals tue ich es, es müßte denn das Frauenzimmer, von dem, oder der Mann, an den ich schreibe, etwas Außerordentliches sein. Nun befinde ich mich in einem Fall wo beides eintrifft, und deswegen will ich mich einmal recht müde vom Frauenzimmer schreiben. Sobald man den Fuß in Engelland setzt, (ich setze aber voraus, daß man noch etwas mehr hat als Füße) so fällt, dem Studenten sowohl als dem Philosophen und dem Buchhändler, sogleich in die Augen die außerordentliche Schönheit der Frauenzimmer und die Menge dieser Schönheiten, dieses nimmt immer je mehr und mehr zu, je näher man London kommt. Wer sich von dieser Seite nicht recht sicher weiß, für den weiß ich nur ein einziges Mittel: Er gehe sogleich mit dem nächsten Paketboot nach Holland zurück, da ist er sicher. Ich habe in meinem Leben sehr viel schöne Frauenzimmer gesehen, aber seitdem ich in Engelland bin, habe ich mehrere gesehen als in meinem ganzen übrigen Leben zusammen genommen, und doch bin ich nur 10 Tage in Engelland. Ihr außerordentlich netter Anzug, der einer Göttingischen Obstfrau einiges Gewicht geben könnte, erhebt sie noch mehr. Die Aufwärterin, die mir täglich Feuer in das Kamin macht und mein Bette wärmt (mit der Bettpfanne versteht sich, Gevatter) kommt zuweilen mit einem schwarzen, zuweilen mit einem weißen seidenen Hut und mit einer Art von Schlender in die Stube, trägt ihre Bettpfanne mit so viel Grace als manche deutsche Damens den Parasol, kniet sich vor dem Bette in diesem Anzug mit einer Nonchalance nieder, daß man glauben sollte, sie hätte 40 solche Schlender, und spricht dabei ein Englisch, so wie es in euren besten englischen Büchern kaum steht, Gevatter. Wenn euer Herz etwas aushalten kann, so kommt herüber, ich stehe euch dafür, ihr sollt das Englische weghaben, ehe euch das Bette 40mal ist gewärmt worden. Von diesen Kreaturen wimmeln alle Straßen, die schönsten sind die Putzkrämerinnen, milliners, wie sie die Engelländer nennen, und eine solche war es, die den Lord Baltimore 120 000 Taler gekostet hat, und noch eine andere Gattung, von denen ich nichts zu sagen weiß, als daß man kein Exempel hat, daß sie den Leuten Kosten von 120 000 Taler gemacht hätten. Mit einem Wort, das poenitere, das dem Demosthenes einmal so erschrecklich hoch angeschlagen wurde, daß er es nicht kaufen konnte, steht hier niedriger als in der ganzen Welt. Wenn Sie diese sehr gelehrte Stelle nicht verstehen, so lassen Sie sie sich erklären. Es war mir hier unmöglich, modest und plan zugleich zu sein. Vom vornehmen Frauenzimmer habe ich über 200 in einem einzigen Saal, im Hause der Lords, gesehen, stellen Sie sich vor, 200, wovon eine jede dem Lord Baltimore wenigstens 150 000 Taler wert gewesen wäre, dieses macht 200 mal 150 tausend, das ist schon 30 Million Taler, die bloßen Frauenzimmer wie sie Gott erschaffen hat, ohne ein Körngen von Diamanten und Spitzen und Perlen und dgl. in Anschlag zu bringen. Das ist ein Kapital! Nun bin ich doch auch würklich müde von den Engelländerinnen zu schreiben, und ich denke überhaupt, wenn man nicht lange hier bleiben kann, wie ich, so ist besser zu gucken, als zu schreiben. Unterdessen verbitte ich diese Nachricht vom englischen Frauenzimmer in den Gothaischen Kalender einzurücken, nicht meinetwegen, sondern des deutschen Frauenzimmers wegen. Die Damen von Lima kann man ihnen loben so lange man will, allein das englische Frauenzimmer ist ihnen etwas zu nah. Man liest in der Geschichte, daß die Niedersachsen schon einmal nach Engelland haufenweis marschiert sind, man gibt sehr tiefsinnige politische Ursachen als den Grund davon an, man hat aber dieses gar nicht nötig, die guten Sachsen liefen von ihren Weibern weg. Also kein Wort muß von meiner Beschreibung in den Kalender.
Ihre Pränumerations-Plane habe ich häufig ausgeteilt, ich will sehen was erfolgen wird. Herrn Backhausens Rechnung beträgt meistermäßig angeschrieben, glaube ich, hundert und etliche sechzig Taler, keine 80.
Verzeihen Sie mir die vielen Possen, die ich in diesen Brief zusammengeschrieben habe. Wenn ich die Ehre haben werde Sie wiederzusehen, so sollen Sie genug hören, denn wie gesagt, es ist schwer, modest und plan, und ebenso schwer, vollständig und kurz zu sein. In einer Stunde gehe ich nach dem Tower. Vorgestern des Nachts waren viele Straßen wegen der Befreiung des Wilkes erleuchtet, aber ohne sonderlichen Tumult, Wilkes ist auf das Land gegangen, er nimmt als ausgemacht an, daß er Mitglied vom Parlament ist und wird ehestens seinen Sitz nehmen wollen, tut er dieses, so wird es große Unruhe setzen, denn man hat sich schon gefaßt gemacht, ihn alsdann sogleich nach Newgate, das ist das gemeine Stockhaus, zu bringen. Vermelden Sie meine Empfehlung an die werteste Frau Gevatterin von mir und den beiden Herren. Herr von Swanton zieht bis Donnerstag auf die Wache. Zeigen Sie diesen Brief nicht jedermann. Ich bin
Deroselben ergebenster Freund und Diener
G.C. Lichtenberg
Soeben da ich meinen Brief schließe, schickt der König seinen Kammerdiener an mich und läßt mir zu wissen tun, daß er seinen Astronomen besondere Ordre erteilt habe mir alles genau zu zeigen und daß ich mich nächsten Sonntag nach Richmond begeben soll.
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