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Den 22. März 1768
»Alles dieses läßt sich abermals aus der Malerei sehr wohl erläutern. In charakteristischen Porträten, wie wir diejenigen nennen können, welche eine Abbildung der Sitten geben sollen, wird der Artist, wenn er ein Mann von wirklicher Fähigkeit ist, nicht auf die Möglichkeit einer abstrakten Idee losarbeiten. Alles was er sich vornimmt zu zeigen, wird dieses sein, daß irgendeine Eigenschaft die herrschende ist; diese drückt er stark, und durch solche Zeichen aus, als sich in den Wirkungen der herrschenden Leidenschaft am sichtbarsten äußern. Und wenn er dieses getan hat, so dürfen wir, nach der gemeinen Art zu reden, oder, wenn man will, als ein Kompliment gegen seine Kunst, gar wohl von einem solchen Porträte sagen, daß es uns nicht sowohl den Menschen, als die Leidenschaft zeige; gerade so wie die Alten von der berühmten Bildsäule des Apollodorus vom Silanion angemerkt haben, daß sie nicht sowohl den zornigen Apollodorus, als die Leidenschaft des Zornes vorstelle.Non hominem ex aere iecit, sed iracundiam. Plinius libr. 34. 8. Dieses aber muß bloß so verstanden werden, daß er die hauptsächlichen Züge der vorgebildeten Leidenschaft gut ausgedrückt habe. Denn im übrigen behandelt er seinen Vorwurf ebenso, wie er jeden andern behandeln würde: das ist, er vergißt die mitverbundenen Eigenschaften nicht und nimmt das allgemeine Ebenmaß und Verhältnis, welches man an einer menschlichen Figur erwartet, in acht. Und das heißt denn die Natur schildern, welche uns kein Beispiel von einem Menschen gibt, der ganz und gar in eine einzige Leidenschaft verwandelt wäre. Keine Metamorphosis könnte seltsamer und unglaublicher sein. Gleichwohl sind Porträte, in diesem tadelhaften Geschmacke verfertiget, die Bewunderung gemeiner Gaffer, die, wenn sie in einer Sammlung das Gemälde, z. E. eines Geizigen (denn ein gewöhnlicheres gibt es wohl in dieser Gattung nicht), erblicken und nach dieser Idee jede Muskel, jeden Zug angestrenget, verzerret und überladen finden, sicherlich nicht ermangeln, ihre Billigung und Bewunderung darüber zu äußern. – Nach diesem Begriffe der Vortrefflichkeit würde Le Bruns Buch von den Leidenschaften eine Folge der besten und richtigsten moralischen Porträte enthalten: und die Charaktere des Theophrasts müßten, in Absicht auf das Drama, den Charakteren des Terenz weit vorzuziehen sein.
Über das erstere dieser Urteile würde jeder Virtuose in den bildenden Künsten unstreitig lachen. Das letztere aber, fürchte ich, dürften wohl nicht alle so seltsam finden; wenigstens nach der Praxis verschiedener unserer besten komischen Schriftsteller und nach dem Beifalle zu urteilen, welchen dergleichen Stücke gemeiniglich gefunden haben. Es ließen sich leicht fast aus allen charakteristischen Komödien Beispiele anführen. Wer aber die Ungereimtheit, dramatische Sitten nach abstrakten Ideen auszuführen, in ihrem völligen Lichte sehen will, der darf nur Ben Jonsons › Jedermann aus seinem Humor‹Beim B. Jonson sind zwei Komödien, die er vom Humor benennt hat; die eine »Every Man in his Humour« und die andere »Every Man out of his Humour«. Das Wort Humor war zu seiner Zeit aufgekommen und wurde auf die lächerlichste Weise gemißbraucht. Sowohl diesen Mißbrauch als den eigentlichen Sinn desselben bemerkt er in folgender Stelle selbst:
In der Geschichte des Humors sind beide Stücke des Jonson also sehr wichtige Dokumente, und das letztere noch mehr als das erstere. Der Humor, den wir den Engländern itzt so vorzüglich zuschreiben, war damals bei ihnen großenteils Affektation; und vornehmlich diese Affektation lächerlich zu machen, schilderte Jonson Humor. Die Sache genau zu nehmen, müßte auch nur der affektierte, und nie der wahre Humor ein Gegenstand der Komödie sein. Denn nur die Begierde, sich von andern auszuzeichnen, sich durch etwas Eigentümliches merkbar zu machen, ist eine allgemeine menschliche Schwachheit, die, nach Beschaffenheit der Mittel, welche sie wählt, sehr lächerlich oder auch sehr strafbar werden kann. Das aber, wodurch die Natur selbst oder eine anhaltende zur Natur gewordene Gewohnheit einen einzeln Menschen von allen andern auszeichnet, ist viel zu speziell, als daß es sich mit der allgemeinen philosophischen Absicht des Drama vertragen könnte. Der überhäufte Humor in vielen englischen Stücken dürfte sonach auch wohl das Eigene, aber nicht das Bessere derselben sein. Gewiß ist es, daß sich in dem Drama der Alten keine Spur von Humor findet. Die alten dramatischen Dichter wußten das Kunststück, ihre Personen auch ohne Humor zu individualisieren, ja die alten Dichter überhaupt. Wohl aber zeigen die alten Geschichtschreiber und Redner dann und wann Humor: wenn nämlich die historische Wahrheit oder die Aufklärung eines gewissen Fakti diese genaue Schilderung καθ' έκαστον erfodert. Ich habe Exempel davon fleißig gesammelt, die ich auch bloß darum in Ordnung bringen zu können wünschte, um gelegentlich einen Fehler wiedergutzumachen, der ziemlich allgemein geworden ist. Wir übersetzen nämlich itzt fast durchgängig Humor durch Laune; und ich glaube mir bewußt zu sein, daß ich der erste bin, der es so übersetzt hat. Ich habe sehr unrecht daran getan, und ich wünschte, daß man mir nicht gefolgt wäre. Denn ich glaube es unwidersprechlich beweisen zu können, daß Humor und Laune ganz verschiedene, ja in gewissem Verstande gerade entgegengesetzte Dinge sind. Laune kann zu Humor werden; aber Humor ist, außer diesem einzigen Falle, nie Laune. Ich hätte die Abstammung unsers deutschen Worts und den gewöhnlichen Gebrauch desselben besser untersuchen und genauer erwägen sollen. Ich schloß zu eilig, weil Laune das französische Humeur ausdrücke, daß es auch das englische Humour ausdrucken könnte; aber die Franzosen selbst können Humour nicht durch Humeur übersetzen. – Von den genannten zwei Stücken des Jonson hat das erste, »Jedermann in seinem Humor«, den vom Hurd hier gerügten Fehler weit weniger. Der Humor, den die Personen desselben zeigen, ist weder so individuell, noch so überladen, daß er mit der gewöhnlichen Natur nicht bestehen könnte; sie sind auch alle zu einer gemeinschaftlichen Handlung so ziemlich verbunden. In dem zweiten hingegen, »Jedermann aus seinem Humor«, ist fast nicht die geringste Fabel; es treten eine Menge der wunderlichsten Narren nacheinander auf, man weiß weder wie noch warum; und ihr Gespräch ist überall durch ein paar Freunde des Verfassers unterbrochen, die unter dem Namen Grex eingeführt sind und Betrachtung über die Charaktere der Personen und über die Kunst des Dichters, sie zu behandeln, anstellen. Das aus seinem Humor, out of his Humour, zeigt an, daß alle die Personen in Umstände geraten, in welchen sie ihres Humors satt und überdrüssig werden.
As when some one peculiar quality
Doth so possess a Man, that it doth draw
All his affects, his spirits, and his powers,
In their constructions, all to run one way.
This may be truly said to be a humour.
But that a rook by wearing a py'd feather,
The cable hatband, or the three-pil'd ruff,
A yard of shoe-tye, or the Switzer's knot
On bis French garters, should affect a humour!
O, it is more than most rediculous.
Auch hierin, müssen wir anmerken, ist Shakespeare, so wie in allen andern noch wesentlichern Schönheiten des Drama, ein vollkommenes Muster. Wer seine Komödien in dieser Absicht aufmerksam durchlesen will, wird finden, daß seine auch noch so kräftig gezeichneten Charaktere, den größten Teil ihrer Rollen durch, sich vollkommen wie alle andere ausdrücken und ihre wesentlichen und herrschenden Eigenschaften nur gelegentlich, so wie die Umstände eine ungezwungene Äußerung veranlassen, an den Tag legen. Diese besondere Vortrefflichkeit seiner Komödien entstand daher, daß er die Natur getreulich kopierte und sein reges und feuriges Genie auf alles aufmerksam war, was ihm in dem Verlaufe der Szenen Dienliches aufstoßen konnte: dahingegen Nachahmung und geringere Fähigkeiten kleine Skribenten verleiten, sich um die Fertigkeit zu beeifern, diesen einen Zweck keinen Augenblick aus dem Gesichte zu lassen und mit der ängstlichen Sorgfalt ihre Lieblingscharaktere in beständigem Spiele und ununterbrochner Tätigkeit zu erhalten. Man könnte über diese ungeschickte Anstrengung ihres Witzes sagen, daß sie mit den Personen ihres Stücks nicht anders umgehen, als gewisse spaßhafte Leute mit ihren Bekannten, denen sie mit ihren Höflichkeiten so zusetzen, daß sie ihren Anteil an der allgemeinen Unterhaltung gar nicht nehmen können, sondern nur immer, zum Vergnügen der Gesellschaft, Sprünge und Männerchen machen müssen.«