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Den 20. November 1767
Nottingham geht, und bald darauf erscheinet Rutland. Man erinnere sich, daß Rutland, ohne Wissen der Königin, mit dem Essex vermählt ist.
»Die Königin. Kömmst du, liebe Rutland? Ich habe nach dir geschickt. – Wie ist's? Ich finde dich seit einiger Zeit so traurig. Woher diese trübe Wolke, die dein holdes Auge umziehet? Sei munter, liebe Rutland; ich will dir einen wackern Mann suchen.Rutland. Großmütige Frau! – Ich verdiene es nicht, daß meine Königin so gnädig auf mich herabsiehet.
Die Königin. Wie kannst du so reden? – Ich liebe dich; jawohl liebe ich dich. – Du sollst es daraus schon sehen! – Eben habe ich mit der Nottingham, der widerwärtigen! – einen Streit gehabt; und zwar – über Mylord Essex.
Rutland. Ha!
Die Königin. Sie hat mich recht sehr geärgert. Ich konnte sie nicht länger vor Augen sehen.
Rutland (beiseite). Wie fahre ich bei diesem teuern Namen zusammen! Mein Gesicht wird mich verraten. Ich fühl' es; ich werde blaß – und wieder rot. –
Die Königin. Was ich dir sage, macht dich erröten? –
Rutland. Dein so überraschendes, gütiges Vertrauen, Königin, –
Die Königin. Ich weiß, daß du mein Vertrauen verdienest. – Komm, Rutland, ich will dir alles sagen. Du sollst mir raten. – Ohne Zweifel, liebe Rutland, wirst du es auch gehört haben, wie sehr das Volk wider den armen, unglücklichen Mann schreiet; was für Verbrechen es ihm zur Last leget. Aber das Schlimmste weißt du vielleicht noch nicht? Er ist heute aus Irland angekommen; wider meinen ausdrücklichen Befehl; und hat die dortigen Angelegenheiten in der größten Verwirrung gelassen.
Rutland. Darf ich Dir, Königin, wohl sagen, was ich denke? – Das Geschrei des Volkes ist nicht immer die Stimme der Wahrheit. Sein Haß ist öfters so ungegründet –
Die Königin. Du sprichst die wahren Gedanken meiner Seele. – Aber, liebe Rutland, er ist demohngeachtet zu tadeln. – Komm her, meine Liebe; laß mich an deinen Busen mich lehnen. – O gewiß, man legt mir es zu nahe! Nein, so will ich mich nicht unter ihr Joch bringen lassen. Sie vergessen, daß ich ihre Königin bin. – Ah, Liebe; so ein Freund hat mir längst gefehlt, gegen den ich so meinen Kummer ausschütten kann! –
Rutland. Siehe meine Tränen, Königin – Dich so leiden zu sehen, die ich so bewundere! – Oh, daß mein guter Engel Gedanken in meine Seele, und Worte auf meine Zunge legen wollte, den Sturm in Deiner Brust zu beschwören, und Balsam in Deine Wunden zu gießen!
Die Königin. Oh, so wärest du mein guter Engel! mitleidige, beste Rutland! – Sage, ist es nicht schade, daß so ein braver Mann ein Verräter sein soll? daß so ein Held, der wie ein Gott verehret ward, sich so erniedrigen kann, mich um einen kleinen Thron bringen zu wollen?
Rutland. Das hätte er gewollt? das könnte er wollen? Nein, Königin, gewiß nicht, gewiß nicht! Wie oft habe ich ihn von Dir sprechen hören! mit welcher Ergebenheit, mit welcher Bewunderung, mit welchem Entzücken habe ich ihn von Dir sprechen hören!
Die Königin. Hast du ihn wirklich von mir sprechen hören?
Rutland. Und immer als einen Begeisterten, aus dem nicht kalte Überlegung, aus dem ein inneres Gefühl spricht, dessen er nicht mächtig ist. Sie ist, sagte er, die Göttin ihres Geschlechts, so weit über alle andere Frauen erhaben, daß das, was wir in diesen am meisten bewundern, Schönheit und Reiz, in ihr nur die Schatten sind, ein größeres Licht dagegen abzusetzen. Jede weibliche Vollkommenheit verliert sich in ihr, wie der schwache Schimmer eines Sternes in dem alles überströmenden Glanze des Sonnenlichts. Nichts übersteigt ihre Güte; die Huld selbst beherrschet, in ihrer Person, diese glückliche Insel; ihre Gesetze sind aus dem ewigen Gesetzbuche des Himmels gezogen und werden dort von Engeln wieder aufgezeichnet. – Oh, unterbrach er sich dann mit einem Seufzer, der sein ganzes getreues Herz ausdrückte, oh, daß sie nicht unsterblich sein kann! Ich wünsche ihn nicht zu erleben, den schrecklichen Augenblick, wenn die Gottheit diesen Abglanz von sich zurückruft und mit eins sich Nacht und Verwirrung über Britannien verbreiten.
Die Königin. Sagte er das, Rutland?
Rutland. Das, und weit mehr. Immer so neu, als wahr in Deinem Lobe, dessen unversiegene Quelle von den lautersten Gesinnungen gegen Dich überströmte –
Die Königin. Oh, Rutland, wie gern glaube ich dem Zeugnisse, das du ihm gibst!
Rutland. Und kannst ihn noch für einen Verräter halten?
Die Königin. Nein; – aber doch hat er die Gesetze übertreten. – Ich muß mich schämen, ihn länger zu schützen. – Ich darf es nicht einmal wagen, ihn zu sehen.
Rutland. Ihn nicht zu sehen, Königin? nicht zu sehen? – Bei dem Mitleid, das seinen Thron in Deiner Seele aufgeschlagen, beschwöre ich Dich, – Du mußt ihn sehen! Schämen? wessen? daß Du mit einem Unglücklichen Erbarmen hast? – Gott hat Erbarmen: und Erbarmen sollte Könige schimpfen? – Nein, Königin; sei auch hier Dir selbst gleich. Ja, Du wirst es; Du wirst ihn sehen, wenigstens einmal sehen –
Die Königin. Ihn, der meinen ausdrücklichen Befehl so geringschätzen können? Ihn, der sich so eigenmächtig vor meine Augen drängen darf? Warum blieb er nicht, wo ich ihm zu bleiben befahl?
Rutland. Rechne ihm dieses zu keinem Verbrechen! Gib die Schuld der Gefahr, in der er sich sahe. Er hörte, was hier vorging; wie sehr man ihn zu verkleinern, ihn Dir verdächtig zu machen suche. Er kam also, zwar ohne Erlaubnis, aber in der besten Absicht; in der Absicht, sich zu rechtfertigen und Dich nicht hintergehen zu lassen.
Die Königin. Gut; so will ich ihn denn sehen, und will ihn gleich sehen. – Oh, meine Rutland, wie sehr wünsche ich es, ihn noch immer ebenso rechtschaffen zu finden, als tapfer ich ihn kenne!
Rutland. Oh, nähre diese günstige Gedanke! Deine königliche Seele kann keine gerechtere hegen. – Rechtschaffen! So wirst Du ihn gewiß finden. Ich wollte für ihn schwören; bei aller Deiner Herrlichkeit für ihn schwören, daß er es nie aufgehöret zu sein. Seine Seele ist reiner als die Sonne, die Flecken hat und irdische Dünste an sich ziehet und Geschmeiß ausbrütet. – Du sagst, er ist tapfer; und wer sagt es nicht? Aber ein tapferer Mann ist keiner Niederträchtigkeit fähig. Bedenke, wie er die Rebellen gezüchtiget; wie furchtbar er Dich dem Spanier gemacht, der vergebens die Schätze seiner Indien wider Dich verschwendete. Sein Name floh vor Deinen Flotten und Völkern vorher, und ehe diese noch eintrafen, hatte öfters schon sein Name gesiegt.
Die Königin (beiseite). Wie beredt sie ist! – Ha! dieses Feuer, diese Innigkeit, – das bloße Mitleid gehet so weit nicht. – Ich will es gleich hören! – (Zu ihr.) Und dann, Rutland, seine Gestalt –
Rutland. Recht, Königin; seine Gestalt. – Nie hat eine Gestalt den innern Vollkommenheiten mehr entsprochen! – Bekenn' es, Du, die Du selbst so schön bist, daß man nie einen schönern Mann gesehen! So würdig, so edel, so kühn und gebieterisch die Bildung! Jedes Glied, in welcher Harmonie mit dem andern! Und doch das ganze von einem so sanften lieblichen Umrisse! Das wahre Modell der Natur, einen vollkommenen Mann zu bilden! Das seltene Muster der Kunst, die aus hundert Gegenständen zusammensuchen muß, was sie hier beieinander findet!
Die Königin (beiseite). Ich dacht' es! – Das ist nicht länger auszuhalten. – (Zu ihr.) Wie ist dir, Rutland? Du gerätst außer dir. Ein Wort, ein Bild überjagt das andere. Was spielt so den Meister über dich? Ist es bloß deine Königin, ist es Essex selbst, was diese wahre, oder diese erzwungene Leidenschaft wirket? – (Beiseite.) Sie schweigt; ganz gewiß, sie liebt ihn. – Was habe ich getan? Welchen neuen Sturm habe ich in meinem Busen erregt?« usw.
Hier erscheinen Burleigh und die Nottingham wieder, der Königin zu sagen, daß Essex ihren Befehl erwarte. Er soll vor sie kommen. »Rutland«, sagt die Königin, »wir sprechen einander schon weiter; geh nur. – Nottingham, tritt du näher.« Dieser Zug der Eifersucht ist vortrefflich. Essex kömmt; und nun erfolgt die Szene mit der Ohrfeige. Ich wüßte nicht, wie sie verständiger und glücklicher vorbereitet sein könnte. Essex anfangs, scheinet sich völlig unterwerfen zu wollen; aber, da sie ihm befiehlt, sich zu rechtfertigen, wird er nach und nach hitzig; er prahlt, er pocht, er trotzt. Gleichwohl hätte alles das die Königin so weit nicht aufbringen können, wenn ihr Herz nicht schon durch Eifersucht erbittert gewesen wäre. Es ist eigentlich die eifersüchtige Liebhaberin, welche schlägt, und die sich nur der Hand der Königin bedienet. Eifersucht überhaupt schlägt gern. –
Ich, meinesteils, möchte diese Szenen lieber auch nur gedacht, als den ganzen »Essex« des Corneille gemacht haben. Sie sind so charakteristisch, so voller Leben und Wahrheit, daß das Beste des Franzosen eine sehr armselige Figur dagegen macht.