Gotthold Ephraim Lessing
Hamburgische Dramaturgie
Gotthold Ephraim Lessing

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Dreiundsechzigstes Stück

Den 8. Dezember 1767

Die Königin ist von dem Landgute zurückgekommen; und Essex gleichfalls. Sobald er in London angelangt, eilte er nach Hofe, um sich keinen Augenblick vermissen zu lassen. Er eröffnet mit seinem Cosme den zweiten Akt, der in dem königlichen Schlosse spielt. Cosme hat, auf Befehl des Grafen, sich mit Pistolen versehen müssen; der Graf hat heimliche Feinde; er besorgt, wenn er des Nachts spät vom Schlosse gehe, überfallen zu werden. Er heißt den Cosme, die Pistolen nur indes in das Zimmer der Blanca zu tragen und sie von Floren aufheben zu lassen. Zugleich bindet er die Schärpe los, weil er zur Blanca gehen will. Blanca ist eifersüchtig; die Schärpe könnte ihr Gedanken machen; sie könnte sie haben wollen; und er würde sie ihr abschlagen müssen. Indem er sie dem Cosme zur Verwahrung übergibt, kömmt Blanca dazu. Cosme will sie geschwind verstecken: aber es kann so geschwind nicht geschehen, daß es Blanca nicht merken sollte. Blanca nimmt den Grafen mit sich zur Königin; und Essex ermahnt im Abgehen den Cosme, wegen der Schärpe reinen Mund zu halten und sie niemanden zu zeigen.

Cosme hat, unter seinen andern guten Eigenschaften, auch diese, daß er ein Erzplauderer ist. Er kann kein Geheimnis eine Stunde bewahren; er fürchtet ein Geschwär im Leibe davon zu bekommen; und das Verbot des Grafen hat ihn zu rechter Zeit erinnert, daß er sich dieser Gefahr bereits sechsunddreißig Stunden ausgesetzt habe.– Yo no me acordaba
De decirlo, y lo callaba.
Y como me lo entregó,
Ya por decirlo reviento,
Que tengo tal propiedad,
Que en un hora, o la mitad,
Se me hace postema un cuento.
Er gibt Floren die Pistolen und hat den Mund schon auf, ihr auch die ganze Geschichte von der maskierten Dame und der Schärpe zu erzählen. Doch eben besinnt er sich, daß es wohl eine würdigere Person sein müsse, der er sein Geheimnis zuerst mitteile. Es würde nicht lassen, wenn sich Flora rühmen könnte, ihn dessen defloriert zu haben.Allá va Flora; mas no,
Será persona más grave –
No es bien que Flora se alabe
Que el cuento me desfloró.
(Ich muß von allerlei Art des spanischen Witzes eine kleine Probe einzuflechten suchen.)

Cosme darf auf diese würdigere Person nicht lange warten. Blanca wird von ihrer Neugierde viel zu sehr gequält, daß sie sich nicht, sobald als möglich, von dem Grafen losmachen sollen, um zu erfahren, was Cosme vorhin so hastig vor ihr zu verbergen gesucht. Sie kömmt also sogleich zurück, und nachdem sie ihn zuerst gefragt, warum er nicht schon nach Schottland abgegangen, wohin ihn der Graf schicken wollen, und er ihr geantwortet, daß er mit anbrechendem Tage abreisen werde: verlangt sie zu wissen, was er da versteckt halte? Sie dringt in ihn; doch Cosme läßt nicht lange in sich dringen. Er sagt ihr alles, was er von der Schärpe weiß; und Blanca nimmt sie ihm ab. Die Art, mit der er sich seines Geheimnisses entlediget, ist äußerst ekel. Sein Magen will es nicht länger bei sich behalten; es stößt ihm auf; es kneipt ihn; er steckt den Finger in den Hals; er gibt es von sich, und um einen bessern Geschmack wieder in den Mund zu bekommen, läuft er geschwind ab, eine Quitte oder Olive darauf zu kauen.Ya se me viene a la boca
La purga. – –
O que regüeldos tan secos
Me vienen! terrible aprieto. –
Mi estómago no lo lleva;
Protesto que es gran trabajo,
Meto los dedos. – –
Y pues la purga he trocado,
Y el secreto he vomitado
Desde el principio hasta el fin,
Y sin dejar cosa alguna,
Tal asco me dió al decillo,
Voy a probar de en membrillo,
O a morder de una accituna. –
Blanca kann aus seinem verwirrten Geschwätze zwar nicht recht klug werden: sie versteht aber doch so viel daraus, daß die Schärpe das Geschenk einer Dame ist, in die Essex verliebt werden könnte, wenn er es nicht schon sei. »Denn er ist doch nur ein Mann«, sagt sie. »Und wehe der, die ihre Ehre einem Manne anvertrauet hat! Der beste ist noch so schlimm!«Es hombre al fin, y ay! de aquella
Que a un hombre fiò su honor,
Siendo tan malo, el mejor.
– Um seiner Untreue also zuvorzukommen, will sie ihn je eher je lieber heiraten.

Die Königin tritt herein und ist äußerst niedergeschlagen. Blanca fragt, ob sie die übrigen Hofdamen rufen soll: aber die Königin will lieber allein sein; nur Irene soll kommen und vor dem Zimmer singen. Blanca geht auf der einen Seite nach Irenen ab, und von der andern kömmt der Graf.

Essex liebt die Blanca: aber er ist ehrgeizig genug, auch der Liebhaber der Königin sein zu wollen. Er wirft sich diesen Ehrgeiz selbst vor; er bestraft sich deswegen; sein Herz gehört der Blanca; eigennützige Absichten müssen es ihr nicht entziehen wollen; unechte Konvenienz muß keinen echten Affekt besiegen.Abate, abate las alas
No subas tanto, busquemos
Más proporcionada esfera
A tan limitado vuelo.
Blanca me quiere, y a Blanca
Adoro yo ya en mi dueño;
Pues cómo de amor tan noble
Por una ambición me alejo?
No conveniencia bastarda
Venza un legítimo afecto.
Er will sich also lieber wieder entfernen, als er die Königin gewahr wird: und die Königin, als sie ihn erblickt, will ihm gleichfalls ausweichen. Aber sie bleiben beide. Indem fängt Irene vor dem Zimmer an zu singen. Sie singt eine Redondilla, ein kleines Lied von vier Zeilen, dessen Sinn dieser ist: »Sollten meine verliebten Klagen zu deiner Kenntnis gelangen: oh, so laß das Mitleid, welches sie verdienen, den Unwillen überwältigen, den du darüber empfindest, daß ich es bin, der sie führet.« Der Königin gefällt das Lied; und Essex findet es bequem, ihr durch dasselbe, auf eine versteckte Weise, seine Liebe zu erklären. Er sagt, er habe es glossieretDie Spanier haben eine Art von Gedichten, welche sie Glosas nennen. Sie nehmen eine oder mehrere Zeilen gleichsam zum Texte und erklären oder umschreiben diesen Text so, daß sie die Zeilen selbst in diese Erklärung oder Umschreibung wiederum einflechten. Den Text heißen sie Mote oder Letra, und die Auslegung insbesondere Glosa, welches denn aber auch der Name des Gedichts überhaupt ist. Hier läßt der Dichter den Essex das Lied der Irene zum Mote machen, das aus vier Zeilen besteht, deren jede er in einer besondern Stanze umschreibt, die sich mit der umschriebenen Zeile schließt. Das Ganze sieht so aus:

        Mote.

    Si acaso mis desvaríos
    Llegaren a tus umbrales,
    La lástima de ser males
    Quite el horror de ser míos.

        Glosa.

    Aunque el dolor me provoca
    Decir mis quejas no puedo,
    Que es mi osadía tan poca,
    Que entre el respeto, y el miedo
    Se me mueren en la boca;
    Y así no llegan tan míos
    Mis males a tus orejas,
    Porque no han de ser oídos
    Si acaso digo mis quejas,
Si acaso mis desvaríos.
    El ser tan mal explicados
    Sea su mayor indicio,
    Que trocando en mis cuidados
    El silencio, y vos su oficio,
    Quedarán más ponderados:
    Desde hoy por estas señales
    Sean de tí conocidos,
    Que sin duda son mis males
    Si algunos mal repetidos
Llegaren a tus umbrales.
    Mas ay Dies! que mis cuidados
    De tu crueldad conocidos,
    Aunque más acreditados,
    Serán menos adquiridos.
    Que con los otros mezclados:
    Porque no sabiendo a cuales
    Más tu ingratitud se deba
    Viéndolos todos iguales
    Fuerza es que en común te mueva
La lástima de ser males.
    En mi este afecto violento
    Tu hermoso desdén le causa;
    Tuyo, y mío es mi tormento;
    Tuyo, porque eres la causa;
    Y mío, porque yo le siento:
    Sepan, Laura, tus desvíos
    Que mis males son tan suyos,
    Y en mis cuerdos desvaríos
    Esto que tienen de tuyos
Quite el horror de ser míos.

Es müssen aber eben nicht alle Glossen so symmetrisch sein als diese. Man hat alle Freiheit, die Stanzen, die man mit den Zeilen des Mote schließt, so ungleich zu machen, als man will. Man braucht auch nicht alle Zeilen einzuflechten; man kann sich auf eine einzige einschränken und diese mehr als einmal wiederholen. übrigens gehören diese Glossen unter die älteren Gattungen der spanischen Poesie, die nach dem Boscan und Garcilasso ziemlich aus der Mode gekommen.

und bittet um Erlaubnis, ihr seine Glosse vorsagen zu dürfen. In dieser Glosse beschreibt er sich als den zärtlichsten Liebhaber, dem es aber die Ehrfurcht verbiete, sich dem geliebten Gegenstande zu entdecken. Die Königin lobt seine Poesie: aber sie mißbilliget seine Art zu lieben. »Eine Liebe«, sagt sie unter andern, »die man verschweigt, kann nicht groß sein; denn Liebe wächst nur durch Gegenliebe, und der Gegenliebe macht man sich durch das Schweigen mutwillig verlustig.«


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