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Den 1. Januar 1768
Wenn in dieser Vergleichung, sage ich, die satirische Laune nicht zu sehr vorstäche: so würde man sie für die beste Schutzschrift des komisch-tragischen, oder tragisch-komischen Drama (Mischspiel habe ich es einmal auf irgendeinem Titel genannt gefunden), für die geflissentlichste Ausführung des Gedankens beim Lope halten dürfen. Aber zugleich würde sie auch die Widerlegung desselben sein. Denn sie würde zeigen, daß eben das Beispiel der Natur, welches die Verbindung des feierlichen Ernstes mit der possenhaften Lustigkeit rechtfertigen soll, ebensogut jedes dramatische Ungeheuer, das weder Plan, noch Verbindung, noch Menschenverstand hat, rechtfertigen könne. Die Nachahmung der Natur müßte folglich entweder gar kein Grundsatz der Kunst sein; oder, wenn sie es doch bliebe, würde durch ihn selbst die Kunst, Kunst zu sein aufhören; wenigstens keine höhere Kunst sein, als etwa die Kunst, die bunten Adern des Marmors in Gips nachzuahmen; ihr Zug und Lauf mag geraten, wie er will, der seltsamste kann so seltsam nicht sein, daß er nicht natürlich scheinen könnte; bloß und allein der scheinet es nicht, bei welchem sich zu viel Symmetrie, zu viel Ebenmaß und Verhältnis, zu viel von dem zeiget, was in jeder andern Kunst die Kunst ausmacht; der künstlichste in diesem Verstande ist hier der schlechteste, und der wildeste der beste.
Als Kritikus dürfte unser Verfasser ganz anders sprechen. Was er hier so sinnreich aufstützen zu wollen scheinet, würde er ohne Zweifel als eine Mißgeburt des barbarischen Geschmacks verdammen, wenigstens als die ersten Versuche der unter ungeschlachteten Völkern wieder auflebenden Kunst vorstellen, an deren Form irgendein Zusammenfluß gewisser äußerlichen Ursachen oder das Ohngefähr den meisten, Vernunft und Überlegung aber den wenigsten, auch wohl ganz und gar keinen Anteil hatte. Er würde schwerlich sagen, daß die ersten Erfinder des Mischspiels (da das Wort einmal da ist, warum soll ich es nicht brauchen?) »die Natur ebenso getreu nachahmen wollen, als die Griechen sich angelegen sein lassen, sie zu verschönern«.
Die Worte getreu und verschönert, von der Nachahmung und der Natur, als dem Gegenstande der Nachahmung, gebraucht, sind vielen Mißdeutungen unterworfen. Es gibt Leute, die von keiner Natur wissen wollen, welche man zu getreu nachahmen könne; selbst was uns in der Natur mißfalle, gefalle in der getreuen Nachahmung, vermöge der Nachahmung. Es gibt andere, welche die Verschönerung der Natur für eine Grille halten; eine Natur, die schöner sein wolle, als die Natur, sei eben darum nicht Natur. Beide erklären sich für Verehrer der einzigen Natur, so wie sie ist: jene finden in ihr nichts zu vermeiden; diese nichts hinzuzusetzen. Jenen also müßte notwendig das gotische Mischspiel gefallen; so wie diese Mühe haben würden, an den Meisterstücken der Alten Geschmack zu finden.
Wann dieses nun aber nicht erfolgte? Wann jene, so große Bewunderer sie auch von der gemeinsten und alltäglichsten Natur sind, sich dennoch wider die Vermischung des Possenhaften und Interessanten erklärten? Wann diese, so ungeheuer sie auch alles finden, was besser und schöner sein will als die Natur, dennoch das ganze griechische Theater, ohne den geringsten Anstoß von dieser Seite, durchwandelten? Wie wollten wir diesen Widerspruch erklären?
Wir würden notwendig zurückkommen und das, was wir von beiden Gattungen erst behauptet, widerrufen müssen. Aber wie müßten wir widerrufen, ohne uns in neue Schwierigkeiten zu verwickeln? Die Vergleichung einer solchen Haupt- und Staatsaktion, über deren Güte wir streiten, mit dem menschlichen Leben, mit dem gemeinen Laufe der Welt, ist doch so richtig!
Ich will einige Gedanken herwerfen, die, wenn sie nicht gründlich genug sind, doch gründlichere veranlassen können. – Der Hauptgedanke ist dieser: Es ist wahr, und auch nicht wahr, daß die komische Tragödie, gotischer Erfindung, die Natur getreu nachahmet; sie ahmet sie nur in einer Hälfte getreu nach und vernachlässiget die andere Hälfte gänzlich; sie ahmet die Natur der Erscheinungen nach, ohne im geringsten auf die Natur unserer Empfindungen und Seelenkräfte dabei zu achten.
In der Natur ist alles mit allem verbunden; alles durchkreuzt sich, alles wechselt mit allem, alles verändert sich eines in das andere. Aber nach dieser unendlichen Mannigfaltigkeit ist sie nur ein Schauspiel für einen unendlichen Geist. Um endliche Geister an dem Genusse desselben Anteil nehmen zu lassen, mußten diese das Vermögen erhalten, ihr Schranken zu geben, die sie nicht hat; das Vermögen abzusondern und ihre Aufmerksamkeit nach Gutdünken lenken zu können.
Dieses Vermögen üben wir in allen Augenblicken des Lebens; ohne dasselbe würde es für uns gar kein Leben geben; wir würden vor allzu verschiedenen Empfindungen nichts empfinden; wir würden ein beständiger Raub des gegenwärtigen Eindruckes sein; wir würden träumen, ohne zu wissen, was wir träumten.
Die Bestimmung der Kunst ist, uns in dem Reiche des Schönen dieser Absonderung zu überheben, uns die Fixierung unserer Aufmerksamkeit zu erleichtern. Alles, was wir in der Natur von einem Gegenstande oder einer Verbindung verschiedener Gegenstände, es sei der Zeit oder dem Raume nach, in unsern Gedanken absondern, oder absondern zu können wünschen, sondert sie wirklich ab und gewährt uns diesen Gegenstand, oder diese Verbindung verschiedener Gegenstände, so lauter und bündig, als es nur immer die Empfindung, die sie erregen sollen, verstattet.
Wenn wir Zeugen von einer wichtigen und rührenden Begebenheit sind, und eine andere von nichtigem Belange läuft quer ein: so suchen wir der Zerstreuung, die diese uns drohet, möglichst auszuweichen. Wir abstrahieren von ihr; und es muß uns notwendig ekeln, in der Kunst das wieder zu finden, was wir aus der Natur wegwünschten.
Nur wenn ebendieselbe Begebenheit in ihrem Fortgange alle Schattierungen des Interesse annimmt, und eine nicht bloß auf die andere folgt, sondern so notwendig aus der andern entspringt; wenn der Ernst das Lachen, die Traurigkeit die Freude, oder umgekehrt, so unmittelbar erzeugt, daß uns die Abstraktion des einen oder des andern unmöglich fällt: nur alsdenn verlangen wir sie auch in der Kunst nicht, und die Kunst weiß aus dieser Unmöglichkeit selbst Vorteil zu ziehen. –
Aber genug hiervon: man sieht schon, wo ich hinaus will. –
Den fünfundvierzigsten Abend (freitags, den 17. Julius) wurden »Die Brüder« des Herrn Romanus, und »Das Orakel« vom Saint-Foix gespielt.
Das erstere Stück kann für ein deutsches Original gelten, ob es schon größtenteils aus den »Brüdern« des Terenz genommen ist. Man hat gesagt, daß auch Molière aus dieser Quelle geschöpft habe; und zwar seine »Männerschule«. Der Herr von Voltaire macht seine Anmerkungen über dieses Vorgeben: und ich führe Anmerkungen von dem Herrn von Voltaire so gern an! Aus seinen geringsten ist noch immer etwas zu lernen: wenn schon nicht allezeit das, was er darin sagt: wenigstens das, was er hätte sagen sollen. Primus sapientiae gradus est, falsa intelligere (wo dieses Sprüchelchen steht, will mir nicht gleich beifallen); und ich wüßte keinen Schriftsteller in der Welt, an dem man es so gut versuchen könnte, ob man auf dieser ersten Stufe der Weisheit stehe, als an dem Herrn von Voltaire: aber daher auch keinen, der uns, die zweite zu ersteigen, weniger behilflich sein könnte; secundus, vera cognoscere. Ein kritischer Schriftsteller, dünkt mich, richtet seine Methode auch am besten nach diesem Sprüchelchen ein. Er suche sich nur erst jemanden, mit dem er streiten kann: so kömmt er nach und nach in die Materie, und das übrige findet sich. Hierzu habe ich mir in diesem Werke, ich bekenne es aufrichtig, nun einmal die französischen Skribenten vornehmlich erwählet, und unter diesen besonders den Hrn. von Voltaire. Also auch itzt, nach einer kleinen Verbeugung, nur darauf zu! Wem diese Methode aber etwan mehr mutwillig, als gründlich scheinen wollte: der soll wissen, daß selbst der gründliche Aristoteles sich ihrer fast immer bedient hat. Solet Aristoteles, sagt einer von seinen Auslegern, der mir eben zur Hand liegt, quaerere pugnam in suis libris. Atque hoc facit non temere et casu, sed certa ratione atque consilio: nam labefactatis aliorum opinionibus, usw. O des Pedanten! würde der Herr von Voltaire rufen. – Ich bin es bloß aus Mißtrauen in mich selbst.
»›Die Brüder‹ des Terenz«, sagt der Herr von Voltaire, »können höchstens die Idee zu der Männerschule, gegeben haben. In den ›Brüdern‹ sind zwei Alte von verschiedner Gemütsart, die ihre Söhne ganz verschieden erziehen; ebenso sind in der ›Männerschule‹ zwei Vormünder, ein sehr strenger und ein sehr nachsehender: das ist die ganze Ähnlichkeit. In den ›Brüdern‹ ist fast ganz und gar keine Intrige: die Intrige in der ›Männerschule‹ hingegen ist fein und unterhaltend und komisch. Eine von den Frauenzimmern des Terenz, welche eigentlich die interessanteste Rolle spielen müßte, erscheinet bloß auf dem Theater, um niederzukommen. Die Isabelle des Molière ist fast immer auf der Szene und zeigt sich immer witzig und reizend und verbindet sogar die Streiche, die sie ihrem Vormunde spielt, noch mit Anstand. Die Entwicklung In den ›Brüdern‹ ist ganz unwahrscheinlich; es ist wider die Natur, daß ein Alter, der sechzig Jahre ärgerlich und streng und geizig gewesen, auf einmal lustig und höflich und freigebig werden sollte. Die Entwicklung in der ›Männerschule‹ aber ist die beste von allen Entwicklungen des Molière; wahrscheinlich, natürlich, aus der Intrige selbst hergenommen, und was ohnstreitig nicht das Schlechteste daran ist, äußerst komisch.«