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Den 3. November 1767
Den einundvierzigsten Abend (freitags, den 10. Julius) wurden »Cenie« und »Der Mann nach der Uhr« wiederholt.S. den 23. und 29. Abend »Cenie«, sagt Chevrier gerade heraus,»Observateur des Spectacles«, Tome I. p. 211. »führet den Namen der Frau von Graffigny, ist aber ein Werk des Abts von Voisenon. Es war anfangs in Versen; weil aber die Frau von Graffigny, der es erst in ihrem vierundfunfzigsten Jahre einfiel, die Schriftstellerin zu spielen, in ihrem Leben keinen Vers gemacht hatte, so ward ›Cenie‹ in Prosa gebracht. Mais l'auteur, fügt er hinzu, y a laissé 81 vers qui y existent dans leur entier.« Das ist, ohne Zweifel, von einzeln hin und wieder zerstreuten Zeilen zu verstehen, die den Reim verloren, aber die Silbenzahl beibehalten haben. Doch wenn Chevrier keinen andern Beweis hatte, daß das Stück in Versen gewesen: so ist es sehr erlaubt, daran zu zweifeln. Die französischen Verse kommen überhaupt der Prosa so nahe, daß es Mühe kosten soll, nur in einem etwas gesuchteren Stile zu schreiben, ohne daß sich nicht von selbst ganze Verse zusammenfinden, denen nichts wie der Reim mangelt. Und gerade denjenigen, die gar keine Verse machen, können dergleichen Verse am ersten entwischen; eben weil sie gar kein Ohr für das Metrum haben und es also ebensowenig zu vermeiden, als zu beobachten verstehen.
Was hat »Cenie« sonst für Merkmale, daß sie nicht aus der Feder eines Frauenzimmers könne geflossen sein? »Das Frauenzimmer überhaupt«, sagt Rousseau,à d'Alembert, p. 133. »liebt keine einzige Kunst, versteht sich auf keine einzige, und an Genie fehlt es ihm ganz und gar. Es kann in kleinen Werken glücklich sein, die nichts als leichten Witz, nichts als Geschmack, nichts als Anmut, höchstens Gründlichkeit und Philosophie verlangen. Es kann sich Wissenschaft, Gelehrsamkeit und alle Talente erwerben, die sich durch Mühe und Arbeit erwerben lassen. Aber jenes himmlische Feuer, welches die Seele erhitzet und entflammt, jenes um sich greifende verzehrende Genie, jene brennende Beredsamkeit, jene erhabene Schwünge, die ihr Entzückendes dem Innersten unseres Herzens mitteilen, werden den Schriften des Frauenzimmers allezeit fehlen.«
Also fehlen sie wohl auch der »Cenie«? Oder, wenn sie ihr nicht fehlen, so muß »Cenie« notwendig das Werk eines Mannes sein? Rousseau selbst würde so nicht schließen. Er sagt vielmehr, was er dem Frauenzimmer überhaupt absprechen zu müssen glaube, wolle er darum keiner Frau insbesondere streitig machen. (Ce n'est pas à une femme, mais aux femmes que je refuse les talents des hommes.à d'Alembert, p. 78.) Und dieses sagt er eben auf Veranlassung der »Cenie«; ebenda, wo er die Graffigny als die Verfasserin derselben anführt. Dabei merke man wohl, daß Graffigny seine Freundin nicht war, daß sie Übels von ihm gesprochen hatte, daß er sich an eben der Stelle über sie beklagt. Demohngeachtet erklärt er sie lieber für eine Ausnahme seines Satzes, als daß er im geringsten auf das Vorgeben des Chevrier anspielen sollte, welches er zu tun, ohne Zweifel, Freimütigkeit genug gehabt hätte, wenn er nicht von dem Gegenteile überzeugt gewesen wäre.
Chevrier hat mehr solche verkleinerliche geheime Nachrichten. Eben dieser Abt, wie Chevrier wissen will, hat für die Favart gearbeitet. Er hat die komische Oper »Annette und Lubin« gemacht; und nicht sie, die Aktrice, von der er sagt, daß sie kaum lesen könne. Sein Beweis ist ein Gassenhauer, der in Paris darüber herumgegangen; und es ist allerdings wahr, daß die Gassenhauer in der französischen Geschichte überhaupt unter die glaubwürdigsten Dokumente gehören.
Warum ein Geistlicher ein sehr verliebtes Singspiel unter fremdem Namen in die Welt schicke, ließe sich endlich noch begreifen. Aber warum er sich zu einer »Cenie« nicht bekennen wolle, der ich nicht viele Predigten vorziehen möchte, ist schwerlich abzusehen. Dieser Abt hat ja sonst mehr als ein Stück aufführen und drucken lassen, von welchen ihn jedermann als den Verfasser kennet und die der »Cenie« bei weitem nicht gleichkommen. Wenn er einer Frau von vierundfunfzig Jahren eine Galanterie machen wollte, ist es wahrscheinlich, daß er es gerade mit seinem besten Werke würde getan haben? –
Den zweiundvierzigsten Abend (montags, den 13. Julius) ward »Die Frauenschule« von Molière aufgeführt.
Molière hatte bereits seine »Männerschule« gemacht, als er im Jahre 1662 diese »Frauenschule« darauf folgen ließ. Wer beide Stücke nicht kennet, würde sich sehr irren, wenn er glaubte, daß hier den Frauen, wie dort den Männern, ihre Schuldigkeit geprediget würde. Es sind beides witzige Possenspiele, in welchen ein Paar junge Mädchen, wovon das eine in aller Strenge erzogen und das andere in aller Einfalt aufgewachsen, ein Paar alte Laffen hintergehen; und die beide »Die Männerschule« heißen müßten, wenn Molière weiter nichts darin hätte lehren wollen, als daß das dümmste Mädchen noch immer Verstand genug habe, zu betrügen, und daß Zwang und Aufsicht weit weniger fruchte und nutze, als Nachsicht und Freiheit. Wirklich ist für das weibliche Geschlecht in der »Frauenschule« nicht viel zu lernen; es wäre denn, daß Molière mit diesem Titel auf die Ehestandsregeln, in der zweiten Szene des dritten Akts, gesehen hätte, mit welchen aber die Pflichten der Weiber eher lächerlich gemacht werden.
»Die zwei glücklichsten Stoffe zur Tragödie und Komödie«, sagt Trublet,»Essais de Litt. et de Morale«, T. IV. p. 295. »sind der ›Cid‹ und die ›Frauenschule‹. Aber beide sind vom Corneille und Molière bearbeitet worden, als diese Dichter ihre völlige Stärke noch nicht hatten. Diese Anmerkung«, fügt er hinzu, »habe ich von dem Hrn. von Fontenelle.«
Wenn doch Trublet den Hrn. von Fontenelle gefragt hätte, wie er dieses meine. Oder falls es ihm so schon verständlich genug war, wenn er es doch auch seinen Lesern mit ein paar Worten hätte verständlich machen wollen. Ich wenigstens bekenne, daß ich gar nicht absehe, wo Fontenelle mit diesem Rätsel hingewollt. Ich glaube, er hat sich versprochen; oder Trublet hat sich verhört.
Wenn indes, nach der Meinung dieser Männer, der Stoff der »Frauenschule« so besonders glücklich ist und Molière in der Ausführung desselben nur zu kurz gefallen: so hätte sich dieser auf das ganze Stück eben nicht viel einzubilden gehabt. Denn der Stoff ist nicht von ihm; sondern teils aus einer spanischen Erzählung, die man bei dem Scarron unter dem Titel »Die vergebliche Vorsicht« findet, teils aus den »Spaßhaften Nächten« des Straparolle genommen, wo ein Liebhaber einem seiner Freunde alle Tage vertrauet, wie weit er mit seiner Geliebten gekommen, ohne zu wissen, daß dieser Freund sein Nebenbuhler ist.
»Die Frauenschule«, sagt der Herr von Voltaire, »war ein Stück von einer ganz neuen Gattung, worin zwar alles nur Erzählung, aber doch so künstliche Erzählung ist, daß alles Handlung zu sein scheinet.«
Wenn das Neue hierin bestand, so ist es sehr gut, daß man die neue Gattung eingehen lassen. Mehr oder weniger künstlich, Erzählung bleibt immer Erzählung, und wir wollen auf dem Theater wirkliche Handlungen sehen. – Aber ist es denn auch wahr, daß alles darin erzählt wird? daß alles nur Handlung zu sein scheint? Voltaire hätte diesen alten Einwurf nicht wieder aufwärmen sollen; oder, anstatt ihn in ein anscheinendes Lob zu verkehren, hätte er wenigstens die Antwort beifügen sollen, die Molière selbst darauf erteilte, und die sehr passend ist. Die Erzählungen nämlich sind in diesem Stücke, vermöge der innern Verfassung desselben, wirkliche Handlung; sie haben alles, was zu einer komischen Handlung erforderlich ist; und es ist bloße Wortklauberei, ihnen diesen Namen hier streitig zu machen.In der »Kritik der Frauenschule«, in der Person des Dorante: Les récits eux-mêmes y sont des actions suivant la constitution du sujet. Denn es kömmt ja weit weniger auf die Vorfälle an, welche erzählt werden, als auf den Eindruck, welchen diese Vorfälle auf den betrognen Alten machen, wenn er sie erfährt. Das Lächerliche dieses Alten wollte Molière vornehmlich schildern; ihn müssen wir also vornehmlich sehen, wie er sich bei dem Unfalle, der ihm drohet, gebärdet; und dieses hätten wir so gut nicht gesehen, wenn der Dichter das, was er erzählen läßt, vor unsern Augen hätte vorgehen lassen, und das, was er vorgehen läßt, dafür hätte erzählen lassen. Der Verdruß, den Arnolph empfindet; der Zwang, den er sich antut, diesen Verdruß zu verbergen; der höhnische Ton, den er annimmt, wenn er dem weitern Progresse des Horaz nun vorgebauet zu haben glaubet; das Erstaunen, die stille Wut, in der wir ihn sehen, wenn er vernimmt, daß Horaz demohngeachtet sein Ziel glücklich verfolgt: das sind Handlungen, und weit komischere Handlungen, als alles, was außer der Szene vorgeht. Selbst in der Erzählung der Agnese, von ihrer mit dem Horaz gemachten Bekanntschaft, ist mehr Handlung, als wir finden würden, wenn wir diese Bekanntschaft auf der Bühne wirklich machen sähen.
Also, anstatt von der »Frauenschule« zu sagen, daß alles darin Handlung scheine, obgleich alles nur Erzählung sei, glaubte ich mit mehrerm Rechte sagen zu können, daß alles Handlung darin sei, obgleich alles nur Erzählung zu sein scheine.