Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Den 10. November 1767
Was die Königin gefürchtet hatte, geschieht; Essex wird nach den Gesetzen schuldig befunden und verurteilet, den Kopf zu verlieren; sein Freund Southampton desgleichen. Nun weiß zwar Elisabeth, daß sie, als Königin, den Verbrecher begnadigen kann; aber sie glaubt auch, daß eine solche freiwillige Begnadigung auf ihrer Seite eine Schwäche verraten würde, die keiner Königin gezieme; und also will sie so lange warten, bis er ihr den Ring senden und selbst um sein Leben bitten wird. Voller Ungeduld indes, daß es je eher je lieber geschehen möge, schickt sie die Nottingham zu ihm und läßt ihn erinnern, an seine Rettung zu denken. Nottingham stellt sich, das zärtlichste Mitleid für ihn zu fühlen; und er vertrauet ihr das kostbare Unterpfand seines Lebens, mit der demütigsten Bitte an die Königin, es ihm zu schenken. Nun hat Nottingham alles, was sie wünschet; nun steht es bei ihr, sich wegen ihrer verachteten Liebe an dem Grafen zu rächen. Anstatt also das auszurichten, was er ihr aufgetragen, verleumdet sie ihn auf das boshafteste und malt ihn so stolz, so trotzig, so fest entschlossen ab, nicht um Gnade zu bitten, sondern es auf das Äußerste ankommen zu lassen, daß die Königin dem Berichte kaum glauben kann, nach wiederholter Versicherung aber, voller Wut und Verzweiflung den Befehl erteilet, das Urteil ohne Anstand an ihm zu vollziehen. Dabei gibt ihr die boshafte Nottingham ein, den Grafen von Southampton zu begnadigen, nicht weil ihr das Unglück desselben wirklich nahe geht, sondern weil sie sich einbildet, daß Essex die Bitterkeit seiner Strafe um so viel mehr empfinden werde, wenn er sieht, daß die Gnade, die man ihm verweigert, seinem mitschuldigen Freunde nicht entstehe. In eben dieser Absicht rät sie der Königin auch, seiner Gemahlin, der Gräfin von Rutland, zu erlauben, ihn noch vor seiner Hinrichtung zu sehen. Die Königin williget in beides, aber zum Unglücke für die grausame Ratgeberin; denn der Graf gibt seiner Gemahlin einen Brief an die Königin, die sich eben in dem Tower befindet und ihn kurz darauf, als man den Grafen abgeführet, erhält. Aus diesem Briefe ersieht sie, daß der Graf der Nottingham den Ring gegeben und sie durch diese Verräterin um sein Leben bitten lassen. Sogleich schickt sie und läßt die Vollstreckung des Urteils untersagen; doch Burleigh und Raleigh, denen sie aufgetragen war, hatten so sehr damit geeilet, daß die Botschaft zu spät kömmt. Der Graf ist bereits tot. Die Königin gerät vor Schmerz außer sich, verbannt die abscheuliche Nottingham auf ewig aus ihren Augen und gibt allen, die sich als Feinde des Grafen erwiesen hatten, ihren bittersten Unwillen zu erkennen.«
Aus diesem Plane ist genugsam abzunehmen, daß der »Essex« des Banks ein Stück von weit mehr Natur, Wahrheit und Übereinstimmung ist, als sich in dem »Essex« des Corneille findet. Banks hat sich ziemlich genau an die Geschichte gehalten, nur daß er verschiedne Begebenheiten näher zusammen gerückt, und ihnen einen unmittelbarem Einfluß auf das endliche Schicksal seines Helden gegeben hat. Der Vorfall mit der Ohrfeige ist ebensowenig erdichtet, als der mit dem Ringe; beide finden sich, wie ich schon angemerkt, in der Historie, nur jener weit früher und bei einer ganz andern Gelegenheit; so wie es auch von diesem zu vermuten. Denn es ist begreiflicher, daß die Königin dem Grafen den Ring zu einer Zeit gegeben, da sie mit ihm vollkommen zufrieden war, als daß sie ihm dieses Unterpfand ihrer Gnade itzt erst sollte geschenkt haben, da er sich ihrer eben am meisten verlustig gemacht hatte und der Fall, sich dessen zu gebrauchen, schon wirklich da war. Dieser Ring sollte sie erinnern, wie teuer ihr der Graf damals gewesen, als er ihn von ihr erhalten; und diese Erinnerung sollte ihm alsdann alle das Verdienst wiedergeben, welches er unglücklicherweise in ihren Augen etwa könnte verloren haben. Aber was braucht es dieses Zeichens, dieser Erinnerung von heute bis auf morgen? Glaubt sie ihrer günstigen Gesinnungen auch auf so wenige Stunden nicht mächtig zu sein, daß sie sich mit Fleiß auf eine solche Art fesseln will? Wenn sie ihm im Ernste vergeben hat, wenn ihr wirklich an seinem Leben gelegen ist: wozu das ganze Spiegelgefechte? Warum konnte sie es bei den mündlichen Versicherungen nicht bewenden lassen? Gab sie den Ring, bloß um den Grafen zu beruhigen; so verbindet er sie, ihm ihr Wort zu halten, er mag wieder in ihre Hände kommen oder nicht. Gab sie ihn aber, um durch die Wiedererhaltung desselben von der fortdauernden Reue und Unterwerfung des Grafen versichert zu sein: wie kann sie in einer so wichtigen Sache seiner tödlichsten Feindin glauben? Und hatte sich die Nottingham nicht kurz zuvor gegen sie selbst als eine solche bewiesen?
So wie Banks also den Ring gebraucht hat, tut er nicht die beste Wirkung. Mich dünkt, er würde eine weit bessere tun, wenn ihn die Königin ganz vergessen hätte und er ihr plötzlich, aber auch zu spät, eingehändiget würde, indem sie eben von der Unschuld oder wenigstens geringern Schuld des Grafen noch aus andern Gründen überzeugt würde. Die Schenkung des Ringes hätte vor der Handlung des Stücks lange müssen vorhergegangen sein, und bloß der Graf hätte darauf rechnen müssen, aber aus Edelmut nicht eher Gebrauch davon machen wollen, als bis er gesehen, daß man auf seine Rechtfertigung nicht achte, daß die Königin zu sehr wider ihn eingenommen sei, als daß er sie zu überzeugen hoffen könne, daß er sie also zu bewegen suchen müsse. Und indem sie so bewegt würde, müßte die Überzeugung dazu kommen; die Erkennung seiner Unschuld und die Erinnerung ihres Versprechens, ihn auch dann, wenn er schuldig sein sollte, für unschuldig gelten zu lassen, müßten sie auf einmal überraschen, aber nicht eher überraschen, als bis es nicht mehr in ihrem Vermögen stehet, gerecht und erkenntlich zu sein.
Viel glücklicher hat Banks die Ohrfeige in sein Stück eingeflochten. – Aber eine Ohrfeige in einem Trauerspiele! Wie englisch, wie unanständig! Ehe meine feinern Leser zu sehr darüber spotten, bitte ich sie, sich der Ohrfeige im »Cid« zu erinnere. Die Anmerkung, die der Hr. von Voltaire darüber gemacht hat, ist in vielerlei Betrachtung merkwürdig. »Heutzutage«, sagt er, »dürfte man es nicht wagen, einem Helden eine Ohrfeige geben zu lassen. Die Schauspieler selbst wissen nicht, wie sie sich dabei anstellen sollen; sie tun nur, als ob sie eine gäben. Nicht einmal in der Komödie ist so etwas mehr erlaubt; und dieses ist das einzige Exempel, welches man auf der tragischen Bühne davon hat. Es ist glaublich, daß man unter andern mit deswegen den ›Cid‹ eine Tragikomödie betitelte; und damals waren fast alle Stücke des Scudéry und des Boisrobert Tragikomödien. Man war in Frankreich lange der Meinung gewesen, daß sich das ununterbrochne Tragische, ohne alle Vermischung mit gemeinen Zügen, gar nicht aushalten lasse. Das Wort Tragikomödie selbst ist sehr alt; Plautus braucht es, seinen ›Amphitruo‹ damit zu bezeichnen, weil das Abenteuer des Sosias zwar komisch, Amphitruo selbst aber in allem Ernste betrübt ist.« – Was der Herr von Voltaire nicht alles schreibt! Wie gern er immer ein wenig Gelehrsamkeit zeigen will, und wie sehr er meistenteils damit verunglückt!
Es ist nicht wahr, daß die Ohrfeige im »Cid« die einzige auf der tragischen Bühne ist. Voltaire hat den »Essex« des Banks entweder nicht gekannt, oder vorausgesetzt, daß die tragische Bühne seiner Nation allein diesen Namen verdiene. Unwissenheit verrät beides; und nur das letztere noch mehr Eitelkeit, als Unwissenheit. Was er von dem Namen der Tragikomödie hinzufügt, ist ebenso unrichtig. Tragikomödie hieß die Vorstellung einer wichtigen Handlung unter vornehmen Personen, die einen vergnügten Ausgang hat; das ist der »Cid«, und die Ohrfeige kam dabei gar nicht in Betrachtung; denn dieser Ohrfeige ungeachtet, nannte Corneille hernach sein Stück eine Tragödie, sobald er das Vorurteil abgelegt hatte, daß eine Tragödie notwendig eine unglückliche Katastrophe haben müsse. Plautus braucht zwar das Wort Tragicocomoedia: aber er braucht es bloß im Scherze; und gar nicht, um eine besondere Gattung damit zu bezeichnen. Auch hat es ihm in diesem Verstande kein Mensch abgeborgt, bis es in dem sechzehnten Jahrhunderte den spanischen und italienischen Dichtem einfiel, gewisse von ihren dramatischen Mißgeburten so zu nennen.Ich weiß zwar nicht, wer diesen Namen eigentlich zuerst gebraucht hat; aber das weiß ich gewiß, daß es Garnier nicht ist. Hédelin sagte: Je ne sais, si Garnier fut le premier qui s'en servit, mais il a fait porter ce titre à sa »Bradamante«, ce que depuis plusieurs ont imité. (Prât. du Th. liv. II. ch. 10.) Und dabei hätten es die Geschichtschreiber des französischen Theaters auch nur sollen bewenden lassen. Aber sie machen die leichte Vermutung des Hédelins zur Gewißheit und gratulieren ihrem Landsmanne zu einer so schönen Erfindung. Voici la première Tragi-Comedie, ou, pour mieux dire, le premier poème du Théâtre qui a porté ce titre – Garnier ne connaissait pas assez les finesses de l'art qu'il professait; tenons-lui cependant compte d'avoir le premier, et sans les secours des Anciens, ni de ses contemporains, fait entrevoir une idée, qui n'a pas été inutile à beaucoup d'Auteurs du dernier siècle. Garniers »Bradamante« ist von 1582, und ich kenne eine Menge weit frühere spanische und italienische Stücke, die diesen Titel führen. Wenn aber auch Plautus seinen »Amphitruo« im Ernste so genannt hätte, so wäre es doch nicht aus der Ursache geschehen, die ihm Voltaire andichtet. Nicht weil der Anteil, den Sosias an der Handlung nimmt, komisch, und der, den Amphitruo daran nimmt, tragisch ist: nicht darum hätte Plautus sein Stück lieber eine Tragikomödie nennen wollen. Denn sein Stück ist ganz komisch, und wir belustigen uns an der Verlegenheit des Amphitruo ebensosehr, als an des Sosias seiner. Sondern darum, weil diese komische Handlung größtenteils unter höhern Personen vorgehet, als man in der Komödie zu sehen gewohnt ist. Plautus selbst erklärt sich darüber deutlich genug:
Faciam ut commixta sit Tragico-comoedia: Nam me perpetuo facere ut sit Comoedia Reges quo veniant et di, non par arbitror. Quid igitur? quoniam hic servus quoque partes habet, Faciam hanc, proinde ut dixi, Tragico-comoediam. |