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Mifleh war den Tränen nahe, da er glaubte, ich hätte den Zug absichtlich durchgelassen; als die Serahin die wahre Ursache erfuhren, sagten sie: »Unglück ist mit uns.« Den Tatsachen nach hatten sie ja recht, aber sie meinten es als eine Prophezeiung, worauf ich einige sarkastische Bemerkungen machte über ihren kühnen Mut bei der Brücke neulich, und daß Kamelehüten wohl ihrem Stamm am besten läge. Sofort gab es Aufruhr; die Serahin stürmten zornentbrannt auf mich ein, die Beni Sakhr verteidigten mich. Ali sah den Tumult und kam eiligst herbeigerannt.
Als wir die Sache dann beigelegt hatten, war die anfängliche Niedergeschlagenheit schon halb überwunden. Ali unterstützte mich großartig, trotzdem der Ärmste blau war vor Kälte und von Fieberanfällen geschüttelt wurde. Er rief den Arabern zu, daß ihr Ahnherr, der Prophet, den Scherifs die Gabe des Hellsehens verliehen habe, und dadurch wisse er, daß sich jetzt unser Geschick wenden werde. Das gab ihnen wieder Mut und Vertrauen; und schon stellte sich auch gleichsam die erste Anzahlung auf kommenden Erfolg ein, indem es mir gelang, mit meinem Dolch als Werkzeug, den Zündkasten zu öffnen und das elektrische Triebwerk wieder richtig in Gang zu bringen.
Wir kehrten zu unserer Beobachtungsstelle an den Drähten zurück; aber nichts ereignete sich. Der Abend kam und brachte nur stärkere Regenschauer und heftigere Kälte. Alles war mißmutig und brummig. Ein Zug kam nicht, zum Feuermachen war es zu naß; zur Nahrung hatten wir nur die Kamele. Aber es verlangte niemanden, in dieser Nacht rohes Fleisch zu verzehren, so blieben unsere Tiere bis zum Morgen am Leben.
Ali lag auf dem Bauch – man spürt dann den Hunger weniger – und versuchte, sich sein Fieber wegzuschlafen. Khasen, Alis Diener, hatte ihm seinen Mantel als Extradecke geliehen. Ich stieg den Hang hinab, um den Zündapparat anzuschließen, und verbrachte dann die Nacht allein bei den singenden Telegraphendrähten, mit dem brennenden Wunsch, nur schlafen zu können, denn die Kälte war unerträglich. Alles blieb ruhig während der langen Stunden der Nacht, und die feuchtgraue Dämmerung des Morgens war noch bedrückender als zuvor. Als die türkische Frühpatrouille die Schienen entlang kam, kletterte ich zu meinem Trupp zurück. Der Tag hellte sich ein wenig auf. Ali erwachte und fühlte sich neu gestärkt. Seine gute Laune heiterte uns auf. Hamud, der Sklave, förderte etwas Brennholz zutage; er hatte es die ganze Nacht unter den Kleidern an seinem Körper geborgen, und es war daher ziemlich trocken. Wir schabten etwas Schießbaumwolle von einem Stück, und mit der heißen Flamme brachten wir ein leidliches Feuer zustande. Die Sakhr gingen hin und schlachteten ein Kamel, das magerste der Reittiere, und begannen es mit ihren Messern in handgerechte Stücke zu zerlegen.
Just in diesem Augenblick meldete der nördliche Posten einen Zug. Wir ließen Feuer Feuer sein und rannten in atemloser Hast in die vorgesehenen Stellungen, sechshundert Yard bergabwärts. Der Zug bog laut pfeifend um die Kurve – ein prächtiges Exemplar mit zwei Maschinen und zwölf Personenwagen – und dampfte mit voller Kraft der entscheidenden Stelle entgegen. Ich schaltete den Hebel ein, als das vordere Triebrad der ersten Maschine über der Mine war, und die Explosion war fürchterlich. Eine Wolke von Erde und Steinen spritzte mir ins Gesicht, und ich wurde wie ein Ball herumgewirbelt.
Als ich wieder zu mir kam, war mein Hemd an der Schulter zerfetzt, und von langen zackigen Rissen am linken Arm tropfte das Blut herab. Zwischen meinen Knien lag der Zündkasten, zertrümmert unter einem verbogenen Stück rußigen Eisenblechs. Vor mir lag die verbrannte und rauchende obere Hälfte eines Menschen. Soviel ich durch den Staub und Rauch der Explosion feststellen konnte, schien der ganze Kessel der ersten Maschine weggerissen zu sein.
Ich fühlte dumpf, daß es Zeit wäre, mich nach Hilfe umzusehen; aber als ich mich zu bewegen versuchte, fühlte ich im rechten Fuß starke Schmerzen, so daß ich nur hinken konnte, und der Kopf brummte mir noch von der Erschütterung. Die Bewegung aber weckte meine Lebensgeister, und ich humpelte mühsam das Tal hinauf, wo die Araber bereits in die zusammengeprallten Wagen hineinschossen, was das Zeug hielt. Noch ganz benommen, suchte ich mich zu ermuntern, indem ich ein paarmal laut auf Englisch vor mich hin sagte: »Ach, wäre das doch nicht geschehen.«
Als der Feind das Feuer zu erwidern begann, befand ich mich gerade zwischen beiden Parteien. Ali hatte mich fallen sehen, und in der Annahme, ich sei schwer verwundet, kam er mit Turki und zwanzig von seinen Dienern und den Beni Sakhr den Hang heruntergestürmt, um mir zu helfen. Die Türken hatten sich eingeschossen und trafen in wenigen Sekunden sieben von unseren Leuten. Die übrigen waren im Augenblick um mich und hätten, in ihrer Bewegtheit, die schönsten Modelle für einen Bildhauer abgeben können. Ihre weiten weißen Baumwollhosen, eingeschnürt an den schmalen Hüften und den Fesseln, bauschten sich glockenartig auf; ihre nackten, haarlosen braunen Körper und die Schmachtlocken, die sorgfältig gedreht über ihre Schläfen herabfielen, gaben ihnen das Aussehen von russischen Tänzern.
Wir krochen zusammen in Deckung zurück; dort tastete ich mich heimlich ab und fand, daß ich nicht ernstlich verletzt war, obwohl ich außer Beulen, Schnittwunden vom Kesselblech und einer zerbrochenen Zehe fünf verschiedene Streifschüsse hatte (einige davon waren ungemütlich tief) und meine Kleider in Fetzen herabhingen.
Von dem Wasserlauf aus konnten wir Umschau halten. Die Explosion hatte den Bogen der Überführung durchschlagen und die erste Lokomotive lag halbzertrümmert dicht daneben am Fuße des Dammes, den sie heruntergerollt war. Die zweite Lokomotive war in den Durchlaß gestürzt und lag quer über dem zerstörten Tender der ersten. Ihr Fahrgestell war verbogen. Beide Maschinen waren meiner Ansicht nach nicht mehr zu reparieren. Der zweite Tender war nach der anderen Seite hin verschwunden; die ersten drei Wagen hatten sich ineinander geschoben und waren völlig zerstört.
Der Rest des Zuges war gründlich entgleist; die Waggons, zum Teil geborsten und schief ineinander geschoben, standen kreuz und quer über dem Gleis. Einer war ein Salonwagen, mit Flaggen geschmückt: Mehmed Dschemal-Pascha, der Kommandierende General des achten türkischen Korps, war auf der Fahrt zur Front, um Jerusalem gegen Allenby zu verteidigen. Seine Pferde waren in dem ersten Wagen gewesen, sein Auto war am Ende des Zuges; wir zerschossen es. Unter seinen Leuten bemerkten wir einen fetten Geistlichen, den wir für Assad Schukair hielten, den Imam Ahmed Dschemal-Paschas, einen berüchtigten protürkischen Agenten. Wir feuerten auf ihn, bis er fiel.
Wir erkannten bald, daß wenig Aussicht war, an die zerstörten Waggons heranzukommen. Einige vierhundert Mann waren im Zuge gewesen, und die Überlebenden, vom ersten Schrecken erholt, lagen jetzt in Deckung und eröffneten scharfes Feuer. Im ersten Augenblick war ein Teil unserer Leute an das Geleise herangekommen und hätte beinahe das Spiel gewonnen. Mifleh auf seiner Stute jagte die Offiziere aus dem Salonwagen in den Graben hinein. Aber er war viel zu erregt, um anzuhalten und zu schießen, so daß sie unbeschadet davonkamen. Die Araber, die Mifleh folgten, hatten sich zerstreut, um herumliegende Gewehre und Orden aufzulesen, und dann begannen sie Säcke und Kisten aus den Waggons herauszuzerren. Wenn wir ein Maschinengewehr in Stellung gehabt hätten, um die Seite drüben zu bestreichen, dann würde nach meiner Erfahrung im Minenlegen nicht ein Türke davongekommen sein.
Mifleh und Adhub kamen zu uns auf die Anhöhe und fragten nach Fahad. Einer der Serahin sagte, er habe beim ersten Vorstürmen geführt, als ich besinnungslos beim Zündkasten lag, und sei in meiner Nähe gefallen. Sie wiesen mir Gewehr und Patronengürtel vor, als Zeichen, daß er tot war und sie ihn zu bergen versucht hatten. Adhub, ohne ein Wort zu sprechen, sprang aus der Wasserrinne, in der wir lagen, heraus und stürmte den Hang hinunter. Wir sahen ihm nach mit angehaltenem Atem, bis die Lunge schmerzte, aber die Türken schienen ihn nicht zu bemerken. Eine Minute später schleifte er einen Körper in den Schutz der Uferböschung zur Linken.
Mifleh ging zu seiner Stute zurück, saß auf und lenkte sie hinunter bis zu einem deckenden Vorsprung. Zusammen hoben sie den Verwundeten in den Sattel und kehrten zurück. Eine Kugel hatte Fahad ins Gesicht getroffen, vier Zähne eingeschlagen und die Zunge aufgerissen. Er war bewußtlos geworden, aber wieder zu sich gekommen und hatte eben, die Augen von Blut geblendet, davonzukriechen versucht, als Adhub ihn erreichte. Er erholte sich jetzt so weit, daß er sich zur Not im Sattel halten konnte; so setzte man ihn auf das erste beste Kamel und führte ihn hinweg.
Da die Türken uns untätig sahen, begannen sie gegen den Abhang vorzugehen. Wir ließen sie halbwegs herankommen und pfefferten dann mehrere Salven in ihre Reihen: zwanzig fielen, der Rest zog sich zurück. Der Boden rings um den Zug war mit Toten bedeckt; aber die Soldaten kämpften unter den Augen ihres Kommandierenden und begannen nun unverzagt, sich seitlich vorzuarbeiten, um unsere Stellung von der Flanke her zu fassen.
Wir waren unser nur noch vierzig und konnten offensichtlich nichts gegen sie ausrichten. So rannten wir in großen Sprüngen das schmale Flußbett hinauf, bei jeder Deckung gewährenden Biegung uns umwendend, um den Feind durch Schießen aufzuhalten. Der junge Turki zeichnete sich dabei durch kaltblütige Fixigkeit besonders aus, aber mit seinem langen türkischen Kavalleriekarabiner mußte er seinen Kopf so exponieren, daß ihm sein Kopftuch von vier Kugeln durchlöchert wurde. Ali war ärgerlich über mich, weil ich mich so langsam zurückzog. In Wahrheit aber konnte ich wegen meiner Verwundungen nicht so rasch weiter, und um den wirklichen Grund vor ihm zu verbergen, gab ich mich ungezwungen, tat interessiert und beobachtete das Vorgehen der Türken. Durch diese wiederholten Aufenthalte, bei denen ich Kraft sammelte, um wieder weiter zu können, blieben er und Turki weit hinter den anderen zurück.
Schließlich erreichten wir die Bergspitze. Dort angekommen, warf sich jeder auf das gerade zur Hand stehende Kamel, und dann ging's in wilder Fahrt eine Stunde weit ostwärts in die Wüste hinein. Sobald man hier einigermaßen in Sicherheit war, wurden wechselseitig die Reittiere ausgetauscht. Der vortreffliche Rahail hatte in der allgemeinen Aufregung noch Zeit gefunden, ein gewaltiges Stück des Kamels, das gerade bei Ankunft des Zuges geschlachtet worden war, auf seinen Sattel zu laden und mitzuschleppen. Darauf beschlossen wir, fünf Meilen weiter Rast zu halten, als ein kleiner Trupp mit vier Kamelen, in der gleichen Richtung mit uns ziehend, auftauchte. Es war unser Kamerad Matar, der von seinem Heimatdorf mit Rosinen und andern ländlichen Genüssen auf dem Rückweg nach Asrak war.
So machten wir sogleich im Wadi Dhulel unter einem großen Felsen bei einem kahlen Feigenbaum halt und bereiteten uns nach drei Tagen unser erstes Mahl. Dort verbanden wir auch Fahad, der sich infolge seiner schweren Verletzung kaum aufrechterhalten konnte. Als Adhub das bemerkte, nahm er einen von Matars neu erworbenen Teppichen, legte ihn doppelt über den Kamelsattel und heftete die Enden zu riesigen Taschen zusammen. In die eine wurde Fahad hineingelegt, während Adhub in die andere kroch, um das Gleichgewicht zu halten. Und dann wurde das Kamel südwärts nach den Zelten ihres Stammes geführt.
Auch für die anderen Verwundeten wurde nun gesorgt. Mifleh holte die Jüngsten unseres Trupps heran und ließ sie mit ihrem Urin, als gut wirkendes Antiseptikum, die Wunden überspülen. Auch wir andern, die wir noch leidlich beisammen waren, erholten uns in der Zwischenzeit. Ich kaufte noch ein weiteres mageres Kamel zur Ergänzung des Mahls, spendete Belohnungen und Entschädigungen für die Angehörigen der Gefallenen und gab Geldpreise für die erbeuteten sechzig oder siebzig Gewehre, eine recht magere, aber doch nicht zu verachtende Beute. Mehrere der Serahin, die ohne Gewehr hatten in den Kampf ziehen müssen und daher nur mit Steinen werfen konnten, besaßen nun jeder sogar zwei Flinten. Am nächsten Tage zogen wir in Asrak ein, wurden sehr freudig begrüßt und verkündeten – Gott vergebe uns –, daß wir die Sieger seien.