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Vierundsiebzigstes Kapitel

Es war längst dunkel geworden, als unsere Karawane, nach gehöriger Tränkung der Tiere, von Bair aufbrach. Wir Führer blieben noch zurück, bis die Beni Sakhr mit ihren Vorbereitungen fertig waren. Mifleh beabsichtigte, unterwegs dem Grabmal des Essad, des angeblichen Ahnherrn ihres Stammes, einen Besuch abzustatten; es lag nahe bei Annads Grab. Die Beni Sakhr waren doch schon so weit bodenständig geworden, daß sie den dörflichen Aberglauben an heilige Orte, heilige Bäume und Gräber angenommen hatten.

Die Gelegenheit erforderte, so meinte der Scheik, daß er eine weitere Kopfschnur der dürftigen Sammlung hinzufügte, die sich um den Grabstein Essads schlang; und bezeichnenderweise bat er uns, ihm diese Weihgabe zu verschaffen. Ich überreichte ihm eine meiner reichen rotseidenen, silberdurchwirkten Mekka-Kopfschnüre und bemerkte dabei, ihren wahren Wert erhielte die Gabe erst durch den Geber. Der knickrige Mifleh nötigte mir dafür einen halben Penny auf, damit es so aussah wie ein Kauf. Und als ich dann wenige Wochen danach wieder an dem Grabmal vorbeikam und sah, daß das Weihegeschenk verschwunden war, schimpfte er laut, so daß ich es hören konnte, über die Heiligtumsschändung irgendeines gottlosen Scherari, der das Grab seines Ahnherrn beraubt habe. Turki hätte mir mehr darüber erzählen können.

Ein steiler alter Paßweg führte uns aus dem Wadi Bair hinaus. Dicht unterhalb eines Höhenkammes fanden wir unsern Trupp für die Nacht um ein Feuer gelagert, aber diesmal gab es weder Unterhaltung noch Kaffeekochen. Wir lagen still beisammen und lauschten angestrengt, um den fernen Donner von Allenbys Kanonen zu hören. Sie sprachen sehr beredt; und das Wetterleuchten im Westen mochte man für ihr Mündungsfeuer nehmen.

Am nächsten Tage marschierten wir links an den Thlaithukhwat vorbei, den »Drei Schwestern«, deren strahlende weiße Gipfel ringsum die ganze Gegend beherrschten; und nach Überquerung der hohen luftigen Wasserscheide, zu der sie gehören, stiegen wir die sanft geschwungenen Hänge jenseits hinab. Der wundervolle Novembermorgen war lind und mild wie ein Sommertag in England, doch war keine Zeit, seine Schönheit zu genießen. Während der Märsche und auch bei den Rasten war ich stets mit den Beni Sakhr zusammen, gewöhnte mein Ohr an ihren Dialekt und merkte mir, was sie von den Verhältnissen innerhalb ihres Stammes verlauten ließen.

In der schwachbevölkerten Wüste kannte jeder achtbare Mann den anderen, und an Stelle von Büchern studierte man Familiengeschichte. In solchen Kenntnissen zu versagen, bedeutete, daß man entweder ungebildet war oder ein Fremder; und Fremde wurden weder zu Familiengesprächen oder zum Familienrat zugelassen noch ins Vertrauen gezogen. Es gab nichts, was so ermüdend war, aber nichts, was so wichtig war für den Erfolg wie dies ständige geistige Training, bei jedem Zusammentreffen mit einem neuen Stamm Allwissenheit vorzutäuschen.

Bei Einbruch der Nacht lagerten wir in dem trockenen Bett eines Nebenflusses des Wadi Dschescha; einiges Buschwerk mit zartem, graugrünem Laub gab unsern Kamelen willkommenes Futter und lieferte uns Feuerholz. In dieser Nacht hörte man den Kanonendonner sehr klar und laut, vielleicht weil die dazwischenliegende Senke des Toten Meeres das Echo auf das Hochplateau zu uns hinübertrug. Die Araber flüsterten: »Sie sind schon näher. Die Engländer gehen vor. Gott erbarme sich der Männer in diesem (Kugel-)Regen.« Sie dachten voll Mitleid der weichenden Türken, ihrer schwächlichen Bedrücker seit so langer Zeit, aber ihnen um eben dieser Schwäche willen dennoch lieber als der starke Fremde mit seiner blinden, unterschiedlosen Gerechtigkeit.

Der Araber schätzt die Macht ein wenig, mehr aber die List, die er oft in beneidenswertem Maße besitzt; aber am meisten schätzt er die offene Ehrlichkeit des Wortes, nahezu die einzige Waffe, die ihm Gott für seine Rüstung versagt hatte. Der Türke besaß das alles je nach Bedarf, und so empfahl er sich den Arabern, solange er nicht in seiner Gesamtheit gefürchtet wurde. Viel lag an dieser Unterscheidung zwischen der Gesamtheit und dem Einzelnen. Es gab Engländer, die als Einzelne von den Arabern jedem Türken und jedem anderen Fremden vorgezogen wurden; aber wenn man dies verallgemeinert und daraufhin die Araber als pro-englisch angesehen hätte, so wäre dies töricht gewesen. Jeder Fremde mußte allein sehen, wie er sich unter ihnen bettete.

Wir waren früh auf und hatten die Absicht, bis zum Sonnenuntergang den weiten Weg bis Ammari zu schaffen. Wir überschritten Rücken auf Rücken des sonnverbrannten Kieselbodens, der mit einer kleinen safrangelben Pflanze so dicht bedeckt war, daß alles wie Gold aussah. »Safra el Dschescha« nannten die Sukhur sie. Die Wadis waren nur einige Zoll tief, der Untergrund gekörnt wie Marocainleder und durchzogen von einem verworrenen, kurvenreichen Netz der zahllosen Wasserrillen von den letzten Regenfällen. Die Windung jeder Kurve war eine graue Sandbrüstung, mit Schlamm befestigt, manchmal von Salzkristallen glitzernd, manchmal rauh an der Oberfläche, aus der halbverborgene Zweige hervorragten. Diese Talausläufer, die nach dem Sirhan führten, waren reich an Weideland. Wenn sich Wasser in ihren Senken fand, sammelten sich die Stämme und bevölkerten sie mit ihren Zeltdörfern. Die Beni Sakhr, die mit uns ritten, hatten dort gelagert. Als wir die eintönigen Niederungen kreuzten, zeigten sie bald nach einer kaum wahrnehmbaren Vertiefung mit einem Feuerplatz und geraden Abzugsgräben, und bald nach einer anderen und erklärten: »Da war mein Zelt, und da lag Hamdan el Saih. Seht die trockenen Steine, die mir als Schlafstelle dienten, und die der Tarfa daneben. Gott sei ihr gnädig, sie starb im Jahre des Samh im Snainirat an einem Schlangenbiß.«

Gegen Mittag erschien auf dem Bergrücken vor uns eine Gruppe Kamelreiter, in flottem Trab offensichtlich auf uns zusteuernd. Der junge Turki galoppierte auf seiner Kamelstute vor, den schußbereiten Karabiner quer über den Schenkeln, um festzustellen, was sie wollten. »Ha«, rief mir Mifleh zu, als sie noch eine Meile entfernt waren, »das ist Fahad da an der Spitze, auf seiner Schaara. Es sind unsere Blutsbrüder.« Und so war es auch. Fahad und Adhub, die Hauptanführer der Sebn auf Kriegszügen, hatten bei Sisa westlich der Eisenbahn gelagert, als ihnen ein Gomani die Nachricht von unserm Vormarsch brachte. Sie hatten sofort gesattelt und uns nun in scharfem Ritt bereits auf halbem Wege abgefangen. Fahad machte mir in liebenswürdig scherzhafter Form Vorwürfe, wie ich mich erdreisten könnte, durch ihr Gebiet auf Abenteuer auszureiten, indes seines Vaters Söhne in ihren Zelten lägen.

Fahad war ein stiller, ernster Mann von etwa dreißig Jahren mit sanfter Stimme, bleichem Gesicht, kurz gestutztem Bart und schwermütigen Augen. Sein jüngerer Bruder Adhub war größer von Wuchs und kräftiger, wenn auch nicht über Mittelgröße. Im Gegensatz zu Fahad war er lebhaft, laut, grobschlächtig, mit einer Stupsnase, bartlosem Kindergesicht und grünlich schimmernden Augen, die begehrlich von Gegenstand zu Gegenstand flackerten. Die Armseligkeit seines Äußeren wurde noch betont durch sein ungekämmtes Haar und die schmutzigen Kleider. Fahad war sauberer, aber auch äußerst einfach gekleidet; und in diesem Paar auf ihren zottigen Kamelen einheimischer Zucht hätte man wahrhaftig nie zwei so hochangesehene Scheiks und weitberühmte Krieger vermutet.

In Ammari blies ein heftiger kühler Nachtwind und wirbelte den aschenartigen Staub des salzhaltigen Bodens um die Brunnen in dichten Wolken hoch, daß er uns zwischen den Zähnen knirschte. Auch das Wasser enttäuschte uns. Es lag, wie stets im Sirhan, offen zutage, aber die meisten Tümpel waren bitter und ungenießbar. Nur das Wasser eines einzigen, genannt Bir el Emir, erschien uns, verglichen mit den andern, sehr wohlschmeckend. Dieser lag in einer kleinen nackten Kalksteinfläche zwischen Sandhügeln.

Sein Wasser, milchig-trüb und nach Salz und Ammoniak schmeckend, lag gerade unterhalb eines Felsvorsprunges in einer steinigen Höhlung mit zerklüfteten, überhängenden Rändern. Daud machte die Probe auf seine Tiefe, indem er Farradsch völlig bekleidet hineinstieß. Er versank in der gelblichen Flut und tauchte dann wieder leise an der Oberfläche gerade unter dem Felsvorsprung auf, wo er im Finstern nicht gesehen werden konnte. Daud wartete eine angstvolle Minute, warf dann den Mantel ab und tauchte nach ihm – um ihn dann vergnügt lachend unter dem überhängenden Felsen zu entdecken. Sie hatten früher im Golf nach Perlen getaucht und waren mit dem Wasser vertraut wie Fische.

Sie wurden herausgezogen und gerieten dann draußen auf dem Sand bei dem Wasserloch in eine wilde Rauferei. Sie richteten sich beide gehörig zu, und die sonst so zarten und anmutigen Gestalten erschienen dann bei meinem Feuer triefend vor Nässe, zerfetzt, blutig; Haare, Gesicht, Kleider über und über mit Schlamm und Dornen bedeckt, recht wie zwei wilde Teufel. Sie sagten, sie hätten getanzt und wären dabei über das Gestrüpp gestolpert, und es würde meiner Großmut angemessen sein, ihnen neue Kleider zu schenken. Ich enttäuschte ihre Hoffnung und schickte sie fort, die Schäden auszubessern.

Meine Leibgarde, besonders die Ageyl unter ihnen, waren von Natur aus putzsüchtig und gaben ihre Löhnung für Kleidung und eitlen Tand aus. Sie brauchten viel Zeit, um ihr glänzendes Haar zu flechten. Sie rieben es mit Butter ein, kämmten es oft mit engzahnigen Kämmen, um das Ungeziefer niederzuhalten, und besprengten es oft mit Kamelurin. Ein deutscher Arzt in Bersaba hatte, als sie noch bei den Türken dienten (es waren die gewesen, die an einem dunstigen Morgen unsere Landwehr in Sinai überfallen und einen Posten ausgehoben hatten), ihnen beigebracht, sich sauber zu halten, indem er die Verlausten so lange in die Latrinen einsperrte, bis sie alle ihre Läuse verspeist hatten.

Am nächsten Morgen hatte der Wind etwas nachgelassen, und wir setzten uns auf Asrak hin in Marsch, eine Tagereise vor uns. Kaum aber waren wir aus den Sanddünen bei den Wasserstellen heraus, als es Alarm gab. In dem Buschwerk vor uns waren Reiter gesehen worden. Das bedeckte Gelände hier war so recht der Tummelplatz für Räuberbanden. Die Kolonne machte sofort halt und marschierte an einer günstigen Stelle auf. Die Inder erwählten sich einen schmalen Bergrücken, dessen Vorgelände von zahlreichen, tiefeingeschnittenen Wasserrinnen durchzogen war. Ihre Kamele ließen sie in einer gedeckten Mulde niedergehen, und in wenigen Augenblicken standen ihre Maschinengewehre schußbereit in Stellung. Ali und Abd el Kadir entfalteten ihre tiefroten Banner und ließen sie im Winde flattern. Unsere Plänkler, geführt von Ahmed und Awad, zogen sich seitlich rechts und links heraus, und einzelne Schüsse wurden gewechselt. Plötzlich hatte alles ein Ende. Der Gegner kam aus seiner Deckung heraus und marschierte in breiter Front auf uns zu, Mäntel und Ärmel hoch in der Luft schwenkend und seinen Kriegsgesang zur Begrüßung anstimmend. Es waren die wehrfähigen Männer des Serahin-Stammes, gerade auf dem Wege zu Faisal, um ihm den Treueid zu schwören. Als sie erfuhren, daß wir von Faisal kamen, kehrten sie mit uns zusammen zu ihrem Lager zurück, sehr froh, sich den Weg erspart zu haben, denn der Stamm führte für gewöhnlich ein seßhaftes Hirtenleben. Es gab einiges Gepränge bei unserer gemeinsamen Ankunft vor ihren Zelten bei Ain el Beidha, wenige Meilen östlich von Asrak, wo der ganze Stamm versammelt war; und die Zurückgebliebenen begrüßten uns mit lautem Freudengeschrei, denn es hatte am Morgen großes Jammern und Klagen unter den Frauen gegeben, als sie ihre Männer davonreiten sahen in die Unsicherheit eines Aufstands.

Nun aber kamen sie am gleichen Tag zurück mit einem richtigen Scherif, arabischen Bannern und Maschinengewehren, etwa hundert Mann in breiter Front, so vergnügt singend, wie sie fortgezogen waren. Meine Augen hefteten sich auf ein auffallendes rotes Kamel, das vielleicht sieben Jahr alt war und von einem Sirhan in der zweiten Reihe geritten wurde. Das große Tier ließ sich nicht zügeln, sondern schob sich mit langem, schwebendem Schritt, der seinesgleichen nicht hatte, ganz nach vorn und blieb dort. Ahmed huschte fort, um seinen Besitzer ausfindig zu machen.

Die Führer verteilten unsere Schar auf die einzelnen Zelte zur gastlichen Aufnahme. Ali, Abd el Kadir und ich kamen in das Zelt von Mteir, dem obersten Scheik des Stammes, einem alten, zahnlosen, freundlichen Wesen mit herabhängendem Unterkiefer, den er beim Sprechen mit der Hand stützte. Nach umständlicher und wortreicher Begrüßung ließ er uns ein sehr üppiges Mahl auftragen von gesottenem Hammelfleisch und Brot. Wood und Abd el Kadir zeigten sich vielleicht etwas allzu heikel, aber in der Tat schien bei den Serahin die Tischdisziplin reichlich primitiv zu sein, und es gab um die gemeinsame Schüssel mehr Gespritze und Geschmatze, als es sich für ein besseres Zelt gehörte. Für die eine Nacht blieben wir, auf Mteirs eifriges Drängen hin, in seinem Zelt und lagerten uns auf seine Teppiche. Alles, was an Flöhen, Läusen und Wanzen vorhanden war, kam begierig herbeigeströmt, denn nach der mageren und ewig gleichen Kost an den Sirhan boten ihnen unsere Leiber eine hochwillkommene Abwechselung. Ihr Entzücken über diese ungewohnten Leckerbissen machte sie so gefräßig, daß ich beim besten Willen der Welt mich ihnen nicht länger als Festbraten zur Verfügung zu stellen vermochte. Ali schien es ähnlich zu gehen, denn er richtete sich ebenfalls auf und erklärte, nicht schläfrig zu sein. Also wurde Scheik Mteir geweckt und nach Mifleh ibn Bani gesandt, einem jungen unternehmungslustigen Mann und erprobten Führer in den Kämpfen des Stammes. Ihnen setzten wir nun Faisals schwierige Lage auseinander und unsern Plan, ihm zu Hilfe zu kommen.

Sie hörten uns mit ernster Miene an. Mit der westlichen Brücke, sagten sie, wäre überhaupt nichts zu machen. In jene Gegend hätten die Türken gerade vor kurzem Hunderte von militärisch ausgebildeten Holzfällern zusammengezogen. Nicht der kleinste Trupp könnte dort ungesehen durchschlüpfen. Gegen die algerischen Dörfler und insbesondere gegen Abd el Kadir äußerten sie das stärkste Mißtrauen. Nichts könnte sie bewegen, diese Ortschaften unter seiner Führung zu betreten. Bei einer Unternehmung gegen die nächstgelegene Brücke, bei Tell el Schibab, fürchteten sie, von den dortigen Dorfbewohnern, ihren eingefleischten Feinden, von rückwärts her überfallen zu werden. Und wenn es dann regnete, könnten die Kamele nicht rasch genug über die schlammige Ebene von Remthe zurück, so daß der ganze Trupp abgeschnitten und niedergemacht werden würde.

Das brachte uns in die größte Verlegenheit. Die Serahin waren unsere letzte Hilfsquelle, und wenn sie sich weigerten mitzukommen, so waren wir außerstande, den mit Allenby abgemachten Plan zur vereinbarten Zeit auszuführen. Demgemäß versammelte Ali um unser kleines Feuer noch eine Anzahl der Tüchtigsten des Stammes und ließ, um die Partei der Mutigen zu stärken, auch Fahad und Mifleh und Adhub herbeiholen. Vor solchem Kreis begannen wir nun den Redekampf gegen diese unverhohlene Zimperlichkeit der Serahin, die uns nach dem langen Aufenthalt in der herzstärkenden Wildnis als etwas geradezu Beschämendes erschien.

Wir suchten ihnen, nicht abstrakt, sondern konkret, ganz nur im Hinblick auf ihren besonderen Fall, zu Gemüte zu führen, daß man ein Leben in Gemeinschaft nur wahrhaft leben und lieben könne, wenn man jederzeit zum Äußersten bereit sei. Ein Aufstand sei kein Asyl für Ruhebedürftige, keine Zahlstelle für Dividenden des Behagens. Aufstand, das bedeute immer neues Wagnis und Abenteuer, immer härtere Entbehrung, immer schärfere Pein. Söhne der Wüste zu sein, das hieße, wie sie wohl wüßten, nie endenden Kampf zu wagen mit einem Gegner, der nicht von dieser Welt und diesem Leben wäre, sondern des Name Hoffnung sei, und Mißlingen erscheine als die dem Menschen von Gott gewährte Freiheit. Und wir könnten diese unsere Freiheit nur dann üben, wenn wir nicht das täten, was in unserer Macht läge; und dann würde das Leben uns gehören, und wir würden es beherrschen, weil wir es gering achteten. Der Tod würde als die beste unserer Taten erscheinen, die letzte freie Hingabe, die in unserer Macht läge, unsere endgültige Muße. Und von diesen beiden Polen, Tod und Leben, oder weniger endgültig, Muße und Daseinserhaltung, müßten wir die Daseinserhaltung (die das Materielle im Leben ist) in allem, außer in ihren höchsten Verfeinerungen, meiden. Deshalb würden wir die Untätigkeit eher fördern als das Tun. Gewiß, es mochte unschöpferische Menschen geben; deren Muße wäre leer, aber ihr Tun würde rein materiell sein. Um immaterielle Dinge hervorzubringen, Schöpferisches, dem Geistigen Zugehöriges, nicht dem Fleischlichen, dürften wir keine Zeit und keine Mühe auf physisches Verlangen verschwenden, da ja in den meisten Menschen die Seele lange vor dem Körper altere. Und durch dessen Sklaverei hätte die Menschheit nichts gewonnen.

Ein sicherer Erfolg könne keine Ehre einbringen, aber viel könne einer sicheren Niederlage entrungen werden. Die Allmacht und das Unbegrenzte seien unsere würdigsten Feinde, wahrlich die einzigen, mit denen sich ein ganzer Mann messen könne, denn sie seien ja Ungeheuer, die sein eigener Geist geboren habe; und die ärgsten Feinde seien immer die, die uns am meisten wesensverwandt seien. Im Kampf gegen die Allmacht müßte die Ehre ihren Stolz darein setzen, stets die schwachen Hilfsmittel, die wir hätten, von sich zu werfen und ihr mit leeren Händen entgegenzutreten, um besiegt zu werden, nicht rein durch höhere Geisteskraft, sondern durch den Vorteil ihrer besseren Werkzeuge. Dem Klarsehenden sei der Mißerfolg das einzige Ziel. Wir müßten glauben, durch und durch, daß es keinen Sieg gebe, außer in den Tod zu gehen, kämpfend, laut den Mißerfolg selbst herbeiwünschend, in einem Übermaß an Verzweiflung der Allmacht zuschreiend, noch härter zuzuschlagen, auf daß gerade durch ihr Zuschlagen sie unser gemartertes Ich zurechtschmieden möchte zur Waffe ihres eigenen Verderbens.

Es waren stockende, halbzusammenhängende Worte, aus dem Augenblick geboren, die wir verzweifelt, in äußerster Bedrängnis, diesen naiven Gemütern rund um das ersterbende Feuer einhämmerten, und ich konnte mich ihrer späterhin kaum entsinnen. Ich fühlte nur, wie die Serahin langsam nachgaben und wie ihre Engherzigkeit sich löste in der Stille der Nacht und einem jähen Eifer wich, mit uns zu reiten, wohin es auch immer sei.

Kurz vor Tagesanbruch riefen wir den alten Abd el Kadir herbei, nahmen ihn beiseite in das sandige Dickicht und schrien ihm in die tauben Ohren, daß die Serahin nach Sonnenaufgang mit uns und unter seiner Führung nach dem Wadi Khalid aufbrechen wollten. Er grunzte nur, es wäre gut. Und wir schworen uns zu, nie wieder im Leben, wenn die Gelegenheit sich böte, einen tauben Mann zum Verschwörer zu nehmen.


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