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Der Oktober 1917 war daher für uns ein Monat des Abwartens, da wir wußten, daß Allenby mit den Generälen Bols und Dawnay einen Angriff gegen die Ghasa-Berseba-Front plante. Die Türken indessen – in einer stark ausgebauten Stellung mit vorzüglichen Flankenverbindungen – waren durch eine Reihe von Erfolgen zu dem Glauben gekommen, daß alle englischen Generäle unfähig wären, das lediglich durch das schneidige Vorgehen ihrer Truppen gewonnene Gelände auch wirklich zu halten.
Aber sie täuschten sich. Durch die Ankunft Allenbys war in der britischen Armee ein Wandel eingetreten. Das Übergewicht seiner Persönlichkeit fegte den Wust privater und bürokratischer Eifersüchteleien fort, der die Tätigkeit Murrays und seiner Mitarbeiter gehemmt hatte. General Lynden Bell machte dem General Bols Platz, Allenbys Stabschef in Frankreich, einem kleinen, tapferen, lebhaften und umgänglichen Mann, vielleicht ein mehr für die Front geeigneter Soldat, aber in der Hauptsache eine vorzügliche Ergänzung für Allenby, der sich auf Bols unbedingt verlassen konnte. Unglücklicherweise besaß keiner von ihnen die Fähigkeit, die richtigen Männer auszuwählen; aber auf Chetwodes Empfehlung wurde Guy Dawnay als drittes Mitglied ihrem Stabe zur Vervollständigung zugewiesen.
Bols hatte nie eine Ansicht noch irgendwelche Kenntnisse. Dawnay war vor allem Verstandesmensch. Ihm fehlte Bols' Rührigkeit und das ruhige Zielbewußtsein Allenbys, sowie dessen Gabe der Menschenbehandlung. Allenby war der Mann, dem wir dienten, das Idol, das wir anbeteten. Dawnays kühler, verschlossener Geist betrachtete unsere Bemühungen mit frostigen Augen, immer rechnend und rechnend. Unter dieser korrekten Oberfläche lagen vielseitige, leidenschaftliche Überzeugungen verborgen, ein fundiertes Wissen um die höhere Kriegskunst und das bitterscharfe Urteil eines von uns und dem Leben überhaupt Enttäuschten.
Er war der am wenigsten ausgesprochene Berufssoldat, ein kühner Spieler, der griechische Geschichte las, ein wagemutiger Stratege und ein glühender Poet, der über den Dingen des Alltags stand. Während des Krieges hatte er das Unglück gehabt, den Plan für den Angriff auf Suvla zu entwerfen (der durch unfähige Taktiker verdorben wurde) sowie den Plan für die Schlacht von Ghasa. Als jeder seiner Entwürfe an der Unzulänglichkeit anderer scheiterte, zog er sich noch tiefer in einen harten, frostigen Stolz zurück, denn er war aus dem Holz geschnitzt, aus dem Fanatiker gemacht sind.
Allenby übersah Dawnays vielfache Enttäuschungen und gewann ihn dadurch ganz für sich; und Dawnay dankte ihm dafür durch den vollen Einsatz seines so reichen Könnens bei dem Vorstoß auf Jerusalem. Die herzliche Einigkeit zweier solcher Männer machte die Lage der Türken von vornherein hoffnungslos.
Ihre gegensätzlichen Charaktere spiegelten sich in dem verwickelten Plan. Ghasa war nach europäischem Muster mit mehreren hintereinanderliegenden Verteidigungslinien und Reservestellungen ausgebaut worden. Es war so offensichtlich der stärkste Punkt des Feindes, daß die Engländer schon zweimal einen frontalen Angriff dagegen versucht hatten. Allenby, frisch aus Frankreich gekommen, bestand darauf, daß jeder fernere Angriff mit einer gewaltigen Übermacht an Mann und Geschützen durchgeführt und ihre Kampfkraft durch ungeheure Mengen von Nachschub aller Art sichergestellt werden mußte. Bols nickte zustimmend.
Dawnay war nicht der Mann, den Feind bei den Hörnern zu packen. Er trat dafür ein, den Widerstand des Feindes mit dem geringsten Kraftaufwand zu brechen. Er riet, einen Vorstoß gegen den äußersten linken Flügel der Türken bei Bersaba zu machen. Um diesen Sieg sicher und auch wohlfeil zu haben, war es nötig, daß die Hauptkräfte des Feindes auf seinem rechten Flügel bei Ghasa stehenblieben; das ließ sich am besten dadurch erreichen, daß die Ansammlung starker englischer Kräfte gegenüber dem feindlichen linken Flügel den Türken verborgen blieb, so daß sie glauben mußten, es handle sich hier nur um einen schwachen Scheinangriff. Bols nickte zustimmend.
Alle unsere Bewegungen mußten daher in größter Heimlichkeit vollzogen werden. Dafür aber fand Dawnay in seinem Nachrichtenstab einen Helfer, der ihm riet, über negative Vorsichtsmaßregeln hinauszugehen und dem Feind ganz bestimmte (und absichtlich falsche) Informationen über die Pläne der Engländer in die Hand zu spielen.
Dieser Helfer war Meinertzhagen, ein in die Soldaterei hineingeratener Ornithologe, dessen glühender, hemmungsloser Haß gegen die Türken sich ebenso in Listen wie Gewalttaten Luft machte. Er überredete Dawnay, Allenby stimmte zögernd zu, Bols war einverstanden, und das Werk begann.
Meinertzhagen kannte keine Halbheiten. Er vereinigte logisches Denken und höchsten Idealismus in sich und war so besessen von seinen Überzeugungen, daß er bereit war, die gute Sache auch mit anrüchigen Mitteln zu betreiben. Er war erfindungsreich, gelehrt und ein sich heimlich lustig machender herrischer Mensch. Es machte ihm ebensoviel Spaß, seinen Feind (oder seinen Freund) durch ein skrupelloses Manöver täuschen zu können, wie beispielsweise einer völlig abgeschnittenen Schar Deutscher, einem nach dem anderen, mit seiner afrikanischen Kampfkeule den Schädel einzuschlagen. Seine Instinkte wurden noch von seinem überstarken Körper und seinem wilden Geist angestachelt, der sein Ziel auf dem geeignetsten Wege, ungehemmt von Bedenken oder Herkommen, verfolgte. »Meiner« dachte sich falsche, vertrauliche, ins einzelne gehende Heeresdokumente aus, die einem geschulten Generalstäbler eine unrichtige Verteilung von Allenbys Hauptstreitkräften, eine verkehrte Richtung des bevorstehenden Angriffs und einen verspäteten Termin anzeigen würden. Diese Informationen wurden durch sorgfältige Andeutungen in chiffrierten drahtlosen Nachrichten vorbereitend in Umlauf gesetzt. Als Meinertzhagen wußte, daß der Feind diese Nachrichten aufgefangen hatte, unternahm er einen Erkundungsritt, bei dem er seine Aufzeichnungen mitnahm. Er ging so weit vor, bis der Feind ihn bemerkte. In dem Verfolgungsgalopp verlor er dann das meiste von seinen Sachen mitsamt den Aufzeichnungen und beinahe auch sein Leben, aber er wurde dadurch belohnt, daß die feindlichen Reserven tatsächlich hinter Ghasa stehenblieben und die Türken alle Vorbereitungen gegen die britische Offensive nach der Küste zu verlegten und sie überhaupt weniger drängend betrieben. Gleichzeitig erging ein Armeebefehl Ali Fuad-Paschas, der seinen Stab warnte, Dokumente in die vorderen Linien mitzunehmen.
Wir an der arabischen Front waren stets auf das genaueste über den Feind orientiert. Die arabischen Offiziere hatten zum größten Teil in türkischen Diensten gestanden und kannten jeden gegnerischen Führer persönlich. Wir standen in ständiger Beziehung mit der Gegenseite, denn die Zivilbevölkerung in den feindlichen Bezirken war uns, auch ohne Geld und Überredungskünste, ganz ergeben. Unser Nachrichtendienst war daher der denkbar vollständigste und zuverlässigste.
Wir kannten somit besser als Allenby die innere Unsicherheit des Feindes und den ganzen Umfang der englischen Möglichkeiten. Aber wir unterschätzten dabei, daß Allenby in seinen Bewegungen stark gehemmt war durch seine allzu zahlreiche Artillerie und die Schwerfälligkeit seiner Infanterie- und Kavalleriemassen, die nur mit gleichsam rheumatischer Langsamkeit vorwärtskamen. Wir hofften, daß Allenby ein Monat trockenen Wetters beschieden sein würde, und erwarteten in diesem Fall von ihm, daß er nicht nur Jerusalem, sondern auch Haifa nehmen und die Reste der türkischen Streitkräfte in die Berge hineintreiben würde.
Das war für uns der Augenblick zum Handeln, und wir mußten dann an der Stelle bereit stehen, wo unser Eingreifen am wenigsten erwartet und am nachhaltigsten zur Geltung kommen würde. Auf mich übte Dera die stärkste Anziehungskraft aus, der Schnittpunkt der Eisenbahnen Jerusalem – Haifa – Damaskus – Medina, der Nabel der türkischen Armee in Syrien, der gemeinsame Ausgangspunkt aller ihrer Fronten. Es war zufällig auch ein Gebiet, wo beträchtliche und noch ungenutzte Reserven arabischer Kämpfer lagen, durch Faisal von Akaba aus bewaffnet und ausgebildet. Wir konnten dort die Rualla, Serahin, Serdiyeh und Khoreischa zur Hilfe heranziehen, und weit stärker noch als die Stämme auch die seßhafte Bevölkerung des Hauran und Dschebel Drus.
So erwog ich denn eine Weile, ob wir alle diese Anhänger aufrufen und die türkischen Verbindungen mit Gewalt anpacken sollten. Wir konnten, bei einiger Geschicklichkeit, auf zwölftausend Mann rechnen: genügend, um Dera zu überrennen, alle Eisenbahnlinien zu zerstören und vielleicht sogar Damaskus durch Handstreich zu nehmen. Schon jede einzelne dieser Unternehmungen würde die türkische Berseba-Armee in eine höchst kritische Lage gebracht haben; groß war daher die Versuchung für mich, unser ganzes Kapital auf diese eine Karte zu setzen.
Nicht zum ersten- und auch nicht zum letztenmal war ich in der peinlichen Lage, zwei Herren dienen zu müssen. Ich war einer von Allenbys Offizieren und genoß sein Vertrauen. Dafür erwartete er von mir, daß ich mein Äußerstes für ihn tat. Ich war Faisals Berater, und Faisal verließ sich auf die Ehrlichkeit und Richtigkeit meiner Ratschläge bis zu dem Grad, daß er sie oft ohne Erörterung annahm. Und doch konnte ich Allenby nicht die ganze arabische Lage erklären, noch konnte ich Faisal den ganzen englischen Plan voll enthüllen.
Die eingesessene Bevölkerung beschwor uns zu kommen. Scheik Tallal el Hareidhin, der Führer in den Bezirken rings um Dera, sandte wiederholt Botschaft, daß, wenn wir ihm einige wenige Reiter als Garantie für die arabische Unterstützung schickten, er uns Dera überliefern könnte. Ein Vorhaben, das gewiß Allenby auf das wirksamste unterstützt hätte, dem aber Faisal nur dann zustimmen konnte, wenn er die sichere Hoffnung hatte, sich mit seiner ganzen Armee dort dauernd festzusetzen. Eine überraschende Einnahme von Dera, der dann nachher ein Rückzug gefolgt wäre, würde die Niedermetzelung oder wenigstens den Ruin der prächtigen Landbevölkerung jener Gebiete bedeutet haben.
Einmal nur konnten sie den Aufstand wagen, und der Erfolg mußte dann schlechthin entscheidend sein. Sie jetzt aufzurufen, hieße den stärksten Trumpf Faisals für den Enderfolg aus der Hand spielen, auf die bloße Voraussetzung hin, daß Allenbys erster Angriff den Feind werfen und daß der November regenlos sein und einen raschen Vormarsch ermöglichen würde.
Ich überprüfte in Gedanken die englische Armee und konnte zu keiner ehrlichen Überzeugung von ihrer unbedingten Zuverlässigkeit kommen. Die Mannschaften waren meist tapfer und ausdauernd; aber ihre Generäle gaben in ihrer Unfähigkeit oft das wieder preis, was die Soldaten in ihrer Einfalt gewonnen hatten. Allenby war noch gänzlich unerfahren auf diesem Kriegsschauplatz, und seine Truppen hatten durch die Murray-Periode schwer gelitten. Gewiß, wir kämpften für den Sieg der Alliierten, und da England der führende Partner war, mußten, wenn es nottat, die Araber für sie geopfert werden. Aber tat es denn wirklich schon not? Mit dem Krieg ging es im allgemeinen weder gut noch allzu schlecht vorwärts, und allem Anschein nach war auch im nächsten Jahr noch Zeit für einen derartigen Versuch. Ich beschloß daher, das Wagestück im Interesse der Araber aufzuschieben.