Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundfünfzigstes Kapitel

Ich war jetzt vier Monate in Arabien ständig in Bewegung gewesen. Ich hatte in den letzten vier Wochen Kamelritte von insgesamt vierzehnhundert Meilen zurückgelegt und mich nie und in keiner Weise geschont, um den Krieg vorwärtszutragen; aber ich hatte keine Lust, auch nur eine einzige Nacht länger als nötig in Gesellschaft des Ungeziefers zu verbringen, das sich bei mir schon recht gemütlich eingenistet hatte. Mich verlangte nach einem Bad, nach etwas zu trinken, mit Eis darin; mich verlangte danach, meine Kleider, die voller Dreck an den wundgerittenen Stellen anklebten, zu wechseln und etwas Bekömmlicheres zu essen als grüne Datteln und Kamelsehnen. Ich ließ mich nochmals mit dem Wasseramt verbinden und redete wie der heilige Chrysostomos. Das hatte ebensowenig Erfolg, und ich wurde recht deutlich, worauf sie wieder einfach abhängten. Ich war nahe daran, fuchsteufelswild zu werden, als sich von der militärischen Umschaltstelle eine Stimme in vertrauten Heimattönen durch den Draht vernehmen ließ: »Es ist zum K…, hat gar keinen Zweck, Herr, mit dem besch… Wasseramt zu reden.«

Damit war offenbar der Nagel auf den Kopf getroffen, und der freundliche Mittler verband mich nunmehr mit dem Büro des Schiffahrtsamts. Dies leitete Major Lyttleton, der Tüchtigsten einer, der es sich neben seinen sonstigen zahllosen Obliegenheiten auch noch zur Aufgabe gemacht hatte, jedes einzelne Kriegsschiff der Rote-Meer-Flotte, das die Suezstraße passierte, anzuhalten und ihm mit freundlicher Überredung so lange zuzusetzen, bis es sich, oft mit saurer Miene, bereit erklärte, seine Decks mit Material für Wedsch oder Janbo vollzustopfen.

Auf diese Art expedierte er mühelos und sozusagen im Nebenamt Tausende von Ballen und Mannschaften für uns und fand dabei noch Zeit, über die sonderbaren Methoden von uns sonderbaren Leuten zu lächeln.

Wir konnten stets auf seine Hilfe rechnen; und auch heute, sobald er hörte, wer und wo ich war und wie das Binnenwasseramt versagt hatte, war jede Schwierigkeit mit einem Schlage behoben. Seine Barkasse stand bereit, sie würde in einer halben Stunde in Schatt sein. Ich sollte direkt in sein Büro kommen und nichts davon verlauten lassen (außer etwa nach dem Kriege), daß eine gewöhnliche Hafenbarkasse sich ohne ausdrückliche Genehmigung der zuständigen Behörde in die geheiligten Gewässer des Kanals gewagt hatte. Und so geschah es. Meine Begleiter sandte ich mit den Kamelen nordwärts nach Kubri, wo ich ihnen telephonisch von Suez aus Unterkunft und Verpflegung in dem dortigen Tierdepot an der asiatischen Küste verschaffte. Später kam dann natürlich ihre Belohnung in Gestalt herrlicher und aufregender Tage in Kairo.

Lyttleton sah meine Erschöpfung und sandte mich gleich in das Hotel. Vorzeiten war es mir höchst schäbig vorgekommen, jetzt erschien es mir aber als ein Paradies; und nachdem der erste befremdende Eindruck meiner Person und meiner Kleidung überwunden war, bekam ich mein heißes Bad, eisgekühlte Getränke (gleich sechs hintereinander) und das Diner und das Bett meiner Träume. Ein Nachrichtenoffizier, den man von dem verdächtigen Aufenthalt eines verkleideten Europäers im Sinai-Hotel unterrichtet hatte, besuchte mich; bereitwillig übernahm er die Sorge für meine Leute in Kubri und verschaffte mir Fahrkarte und Paß nach Kairo für den nächsten Tag.

Die strenge Kontrolle des zivilen Verkehrs in der Kanalzone verkürzte die langweilige Reise. Aus Engländern und Ägyptern zusammengesetzte Militärpolizei bestieg den Zug, verhörte uns und prüfte unsere Pässe. Es gehörte sich, daß man mit den Paßkontrolleuren auf Kriegsfuß stand, und so erwiderte ich ihre arabischen Fragen vergnügt in fließendem Englisch: »Vom Stab des Scherifs von Mekka.« Höchstes Erstaunen. Der Sergeant entschuldigte sich: er habe wohl nicht richtig verstanden. Ich wiederholte noch einmal, daß ich die Stabsuniform des Scherifs von Mekka trage. Sie blickten auf meine nackten Füße, die weißen, seidenen Gewänder, die goldenen Kopfschnüre und den Dolch. Unmöglich! »Welche Armee, Herr?« – »Die Mekka-Armee.« – »Nie was davon gehört, die Uniform kenn' ich nicht.« – »Wissen Sie denn zum Beispiel, wie ein montenegrinischer Dragoner aussieht?«

Das war ein Hieb. Alle Soldaten der Alliierten durften in Uniform ohne Paß reisen. Die Polizei kannte nicht alle Alliierten, geschweige denn ihre Uniformen. Meine konnte wirklich die irgendeiner ausgefallenen Armee sein. Sie gingen auf den Gang hinaus, hielten mich unter Beobachtung und telegraphierten um Unterstützung. Kurz vor Ismailia bestieg ein schwitzender Nachrichtenoffizier in einer durchgeweichten Kakhiuniform den Zug, um meine Angaben nachzuprüfen. Erst als wir fast am Ziel waren, zeigte ich ihm meinen Sonderpaß, mit dem man mich in Suez vorsorglich ausgestattet hatte und der meine Harmlosigkeit erwies. Erfreut war er nicht gerade.

Ismailia war die Umsteigestation für Kairo, und auf dem Bahnsteig warteten die Reisenden auf den Expreß von Port Said. Ein zweiter Zug lief ein mit einem üppigen Salonwagen, dem Admiral Wemyss, Burmester und Neville entstiegen, in Begleitung eines Generals von sehr hohem Rang und sehr umfangreicher Erscheinung. Der ganze Bahnsteig geriet in gewaltige Spannung, während die vier in gewichtigem Gespräch auf und ab schritten. Offiziere grüßten einmal, ein zweites Mal: die vier schritten immer noch auf und ab. Dreimal war zuviel. Einige zogen sich an die Schranke zurück und blieben dort in strammer Haltung stehen: das waren die unterwürfigen Seelen. Einige verdrückten sich: das waren die Stolzen. Einige wandten sich nach dem Bücherstand um und studierten eifrig die Titel: das waren die Schüchternen. Nur einer blieb dreist und gottesfürchtig stehen.

Burmesters Blick fiel auf mich, wie ich dastand und starrte. Er überlegte, wer das wohl sein könnte, denn ich war kupferrot gebrannt und knochenhager von den langen Ritten (später stellte ich fest, daß ich kaum sechsundvierzig Kilo wog). Schließlich redete er mich an, und ich erzählte ihm die Geschichte unseres noch nicht gemeldeten Vorstoßes auf Akaba. Er fing sogleich Feuer. Ich bat ihn, den Admiral zu veranlassen, sofort ein Schiff mit Proviant nach Akaba zu entsenden. Burmester sagte, daß die heute eintreffende »Dufferin« in Suez Proviant laden und direkt nach Akaba fahren sollte, die dortigen Gefangenen könnte sie dann gleich zurücktransportieren (großartig!). Er würde gleich selbst den Befehl geben, ohne erst den Admiral oder Allenby damit zu belästigen.

»Allenby!« rief ich, »was macht er hier?« »Er hat den Oberbefehl übernommen.« »Und Murray?« »Ist nach Hause gegangen.« Das waren gewaltige Neuigkeiten von allergrößter Bedeutung für mich; ich stieg wieder in meinen Zug, und während der Weiterfahrt überdachte ich in meinem Herzen, ob dieser schwerfällige Mann mit dem geröteten Gesicht wohl ebenso wäre wie die meisten andern Generäle, und ob es uns wieder sechs Monate Arbeit kosten würde, ihn zu überzeugen. Murray und Belinda Belinda = Spitzname für General Lynden Bell (A. d. Ü.). waren so zögernd an die Sache herangegangen, daß wir anfangs immer nur darauf bedacht sein mußten, nicht den Feind, sondern die Widerstände unserer eignen Führung zu besiegen. Erst ganz allmählich und mit glücklichem Fortschreiten des Aufstandes waren Sir Archibald Murray und sein Stabschef gewonnen worden, hatten sich dann aber während der letzten Monate beim Kriegsamt in London für das arabische Unternehmen und insbesondere für Faisal mit aller Entschiedenheit eingesetzt. Das war hochherzig und zugleich für uns ein stiller Triumph; denn die zwei waren ein höchst ungleiches Gespann – Murray intuitiv, scharf zupackend, nervig, elastisch, unbeständig; Lynden Bell dagegen ganz und gar aus soliden Berufsanschauungen aufgebaut, gehalten vom Mörtel offizieller Meinung und Billigung und dann poliert und abgeschliffen zum vollendeten Normaltyp.

In Kairo schlappten meine Sandalen über die mittäglich stillen Gänge des Savoy-Hotels zu Claytons Zimmer, der seine Mahlzeiten tunlichst abzukürzen pflegte, um sich die stets dringliche Arbeit vom Halse zu schaffen. Als ich eintrat, blickte er kurz vom Schreibtisch auf und murmelte: »Musch fadi« (englisch-ägyptisch für »beschäftigt«); doch dann erkannte er mich und hieß mich überrascht willkommen. Ich hatte am Abend vorher in Suez einen kurzen Bericht niedergeschrieben; so brauchten wir nur über das zu sprechen, was zunächst zu tun war. Während der Unterredung klingelte der Admiral an und teilte mit, daß die »Dufferin« bereits in Suez war und Mehl für Akaba an Bord nahm.

Clayton ließ sechzehntausend Pfund in Gold anweisen und sorgte für Begleitmannschaft, die das Geld noch mit dem Dreiuhrzug nach Suez bringen sollte. Vor allem mußte Nasir in die Lage gesetzt werden, seine Schulden zu bezahlen. Denn wir hatten in Bair, Dschefer und Guweira nur auf Depeschenformulare geschriebene Anweisungen ausgegeben, zahlbar auf den Inhaber in Akaba. Ein großzügiges, aber etwas ungewohntes System; denn bis dahin hatte noch keiner gewagt, in Arabien mit Papiergeld zu bezahlen, weil die Beduinen weder Taschen in ihren Kleidern noch Geldschränke in ihren Zelten haben und Noten nicht gut zur sicheren Aufbewahrung vergraben werden können. Daher bestand ein unüberwindliches Vorurteil gegen Papiergeld, und im Interesse unseres Ansehens war es dringend notwendig, die Anweisungen so bald als möglich einzulösen.

Da ich in meiner arabischen Tracht überall Aufsehen erregte, mußte ich mir andere Kleidung beschaffen; aber meine alten Sachen waren von Motten zerfressen, und es dauerte drei Tage, bis ich wieder in der europäisch-fragwürdigen Weise angezogen erscheinen konnte.

Unterdessen wurde mir von der Ernennung Allenbys und Murrays letzter Tragödie berichtet, jenem zweiten Angriff auf Ghasa, den London ihm aufgezwungen hatte. Murray war zu schwach gewesen, sich dagegen zu wehren, oder unterließ es aus politischen Gründen; und als der Angriff begann, waren alle Generale und Stabsoffiziere, ja sogar die Soldaten, fest überzeugt, daß er nicht gelingen werde. Fünftausendachthundert Namen standen in den Verlustlisten. Es hieß, Allenby würde Armeen von frischen Mannschaften und Hunderte von Geschützen bekommen, und alles würde anders werden.

Noch vor meiner Umwandlung war der Oberkommandierende auf mich aufmerksam geworden und wünschte mich zu sprechen. In meinem Bericht hatte ich die Bedeutung der östlichen Stämme Syriens besonders hervorgehoben, als einen wirksamen Faktor zur Bedrohung der rückwärtigen Verbindungen der Türken jenseits Jerusalem. Das paßte gut in seine Pläne, und er wollte sich ein Urteil über mich bilden.

Es war ein recht drolliges Interview; denn Allenby war bei sehr umfangreicher und selbstsicherer Physis auch geistig von so großem Format, daß er sich nur langsam auf uns kleine Leute einstellen konnte. Er saß in seinem Stuhl und beobachtete mich – nicht geraden Blickes, wie es sonst seine Gewohnheit war, sondern halb von der Seite und etwas verdutzt. Er war eben erst aus Frankreich gekommen, wo er jahrelang ein Rad gewesen war in der großen Maschinerie, die an der Zermürbung des Feindes arbeitete. Er war erfüllt von westlichen Ideen über die ausschlaggebende Bedeutung der Artillerie – für unsern Feldzug hier die wenigst geeignete Vorbereitung –, aber als alter Kavallerist doch schon halb und halb bereit, die neuen Kriegstheorien in dieser so ganz andersartigen Welt Asiens abzuwerfen und sich wieder zu Dawnay und Chetwode und ihren alten guten Lehren vom Bewegungskrieg zu bekehren. Immerhin war er kaum auf eine so fremdartige Erscheinung wie mich vorbereitet – einen kleinen barfüßigen, in seidene Gewänder gekleideten Mann, der sich anheischig machte, den Apostel und Prediger dieses Aufstandes zu spielen, wenn man ihm Waffen, Material und einen Fonds von zweihunderttausend Pfund zur Verfügung stellte, um der Wirkung seiner Bekehrungskünste Nachdruck und Dauer zu verleihen.

Allenby konnte sich nicht recht klar darüber werden, wieweit er es hier mit einem ehrlich Überzeugten oder mit einem Scharlatan zu tun hatte. Ich merkte, wie diese Frage hinter seiner Stirn arbeitete, tat aber nichts, ihm auf die Sprünge zu helfen. Er redete nicht viel, stellte nur wenige Fragen, aber studierte die Karte und hörte aufmerksam meinem Vortrag über das östliche Syrien und seine Bewohner zu. Zum Schluß warf er das Kinn hoch und sagte kurz: »Gut, ich werde für Sie tun, was ich kann.« Damit war ich entlassen.

Ich wußte nicht recht, wieweit ich ihn gewonnen hatte. Aber mit der Zeit sollten wir erfahren, daß er es vollkommen ernst damit meinte, und daß, was ein General Allenby »tun konnte«, vollauf genügte, auch für seinen anspruchsvollsten Untergebenen.


 << zurück weiter >>