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Abdullas Vermittlung schritt gut voran. Gasim war nicht länger herausfordernd, aber eigensinnig und vermied es, sich öffentlich zu äußern. Deshalb wagten es etwa hundert Leute von den kleineren Clans, ihm zu trotzen, und erklärten, mit uns reiten zu wollen. Wir besprachen diesen Vorschlag mit Saal und entschlossen uns, unser Glück mit dem, was wir zur Verfügung hatten, zu versuchen. Wenn wir das Unternehmen noch länger aufschoben, konnten wir Anhänger, die wir hatten, wieder verlieren, ohne daß wir bei der gegenwärtigen Stimmung unter den Stämmen auf andere rechnen konnten.
Es war nur eine kleine Schar, etwa ein Drittel dessen, was wir als notwendig erachtet hatten. Dieser bedauerlichen Schwäche wegen mußten wir unsere Pläne abändern, und außerdem hatten wir auch keinen wirklich brauchbaren Führer. Saal, der bei allen sachlichen Vorbereitungen praktisch und umsichtig war, zeigte sich wie stets als ungeeignet zur Führung. Er hatte Mark in den Knochen, aber war zu sehr mit Auda verbunden, um sich den anderen anzupassen; seine scharfe Zunge und die Spottreden, die stets auf seinen blauen feuchten Lippen schwebten, verbreiteten Mißtrauen, so daß die Leute auch seinem guten Rat nicht folgen wollten.
Am nächsten Tag kamen Faisals Lastkamele, zwanzig davon von zehn Freigelassenen geführt und von vier seiner Leibsklaven bewacht. Das waren die treuesten Elemente der Armee, die sich ganz besonders auf die Pflichten des persönlichen Dienstes verstanden. Sie würden ihr Leben eingesetzt haben, um ihren Herrn zu schützen, und würden, wenn er tödlich verwundet war, mit ihm gestorben sein. Wir gaben jedem Sergeanten zwei von ihnen, so daß die sichere Rückkehr der beiden, auch wenn mir etwas zustieß, gewährleistet war. Das Gepäck für den verkleinerten Zug wurde herausgesucht, und wir machten uns bereit, zeitig aufzubrechen.
Bei Morgengrauen des 16. September 1917 verließen wir die Rumm. Aid, der blinde Scherif, hatte darauf bestanden, weiter mitzukommen, ungeachtet seines verlorenen Augenlichts. Er sagte mir, könnte er auch nicht mehr schießen, so könnte er doch reiten; und später, wenn Gott uns günstig, wolle er, im Hochgefühl des Erfolges, von Faisal Urlaub nehmen und, leidlich getröstet, heimkehren zu dem lichtlosen Leben, das ihm noch bliebe. Saal führte seine fünfundzwanzig Nowasera, einen zu Audas Arabern gehörigen Clan, die sich selbst zu »meinen Leuten« zählten und weit und breit in der Wüste berühmt waren wegen ihrer Reitkamele. Mein scharfes und ausdauerndes Reiten hatte mir ihr Herz erobert.
In der Vorhut ritt der alte Motlog el Awar auf seiner El Dschedha, der besten Kamelstute Nordarabiens. Wir blickten mit stolzen oder neiderfüllten Blicken zu ihr hin, je nachdem wie wir zu Motlog standen. Meine Ghasala war schlanker und höher gebaut, und ihr Schritt war freier, doch war sie zu alt, um Galopp zu gehen. Immerhin war die Ghasala das einzige Tier in unserer Schar oder eigentlich in der ganzen Wüste, das sich überhaupt mit der Dschedha messen konnte, und ihr Wert kam wiederum meinem Ansehen zugute.
Der Rest der Abteilung war in einzelne Trupps zerstreut, gleich einem in Stücke gerissenen Halsband. Da gab es Gruppen von Suweida, Darauscha, Togatga und Selebani, und schließlich die Hammad el Tugtagi, auf deren Tapferkeit ich bei diesem Unternehmen zum erstenmal aufmerksam wurde. Eine halbe Stunde nach unserem Aufbruch ritten aus einem Seitental einige beschämt aussehende Dhumanijeh hervor, die es nicht über sich bekamen, faul bei ihren Frauen zu liegen, während andere auf Beute auszogen. Keine Gruppe wollte mit einer andern marschieren oder sprechen; und ich flitzte wie ein Weberschiffchen den ganzen Tag vor und zurück, um bald dem einen, bald dem andern mürrischen Scheik gut zuzureden, und versuchte so, sie zusammenzubringen, damit, ehe es ans Werk ging, doch einigermaßen Geschlossenheit herrschte. Zunächst erreichte ich nur, daß sie sich bereit erklärten, wenigstens auf die Marschanordnungen Saals zu hören – aber sonst auf kein Wort von ihm, obwohl er anerkanntermaßen als der intelligenteste und erfahrenste Kriegsmann galt. Er war, meiner persönlichen Ansicht nach, der einzige, dem man weiter trauen konnte, als der Blick reichte. Bei den übrigen schien mir weder auf ihre Worte noch auf ihre Ratschläge noch selbst vielleicht auf ihre Flinten Verlaß.
Da der arme Scherif Aid nicht einmal als nomineller Führer zu brauchen war, mußte ich selber die Leitung übernehmen, entgegen meinen Grundsätzen und meinem vernünftigen Urteil; denn die besonderen Künste, die für solche Züge nötig waren, und die Einzelheiten, wann man zum Essen und zum Weiden halt machte, Wegfindung, Entlohnung, Schlichten von Streitigkeiten, Verteilen der Beute, Blutfehden und Marschordnung standen in Oxford nicht im Studienplan für moderne Geschichte. Da ich mich mit all diesen Dingen abgeben mußte, hatte ich so viel zu tun, daß ich die Landschaft nicht betrachten und mir nicht darüber den Kopf zerbrechen konnte, wie wir Mudewwere angreifen und unser Dynamit am besten verwenden sollten.
Zu Mittag rasteten wir auf einem grünbewachsenen Platz, einem sanften Hang, auf dessen sandigem Grunde der letzte Frühlingsregen dicke Büschel silbrigen Grases hervorgelockt hatte, das unsern Kamelen vortrefflich mundete. Das Wetter war mild, fast wie ein August in England, und wir ruhten behaglich ausgestreckt, endlich befreit von der gereizten Stimmung des Morgens vor dem Abmarsch und von jener leicht nervösen Aufregung, die jeder Aufbruch, sei's auch nur aus zeitweiligem Marschlager, unvermeidlich mit sich bringt.
Spät am Tage marschierten wir weiter; in Windungen ging es bergabwärts und dann durch ein enges, von mäßig hohen Sandsteinfelsen eingeschlossenes Tal. Noch vor Sonnenuntergang kamen wir wieder auf eine Fläche festen, bräunlichgelben Lehms, ähnlich jener, die uns als ein Vorspiel der Herrlichkeiten der Rumm erfreut hatte. Wir lagerten an ihrem Rande. Meine Bemühungen hatten Früchte gezeitigt, denn wir waren jetzt in nur drei Parteien um hellprasselnde Feuer aus Tamariskenzweigen gruppiert. An dem einen hatten sich meine Leute zum Essen zusammengesetzt, an dem zweiten die Saals und an dem dritten die übrigen Howeitat; und spät am Abend, nachdem sich alle Scheiks an Gazellenfleisch und frischgebackenem Brot gesättigt hatten, gelang es mir, sie sämtlich um mein neutrales Feuer zu versammeln, wo wir dann die Maßnahmen für den morgigen Tag einträchtig besprachen.
Es schien möglich, daß wir bis gegen Sonnenuntergang den Mudewwere-Brunnen, der zwei bis drei Meilen diesseits der Bahnstation in einem geschützten Tale lag, erreichen und dort tränken konnten. Dann, bei Einbruch der Nacht, wollten wir weiter gegen die Station vorgehen, um die Verhältnisse dort zu erkunden und namentlich um festzustellen, ob wir mit unsern schwachen Kräften einen Angriff gegen sie versuchen konnten. Daran hielt ich mit aller Entschiedenheit fest (entgegen der allgemeinen Neigung), denn die Station Mudewwere bedeutete in vieler Beziehung den entscheidenden Punkt der Eisenbahnlinie. Die Araber konnten das nicht einsehen, da sie sich in ihrem Kopf keine Vorstellung zu machen vermochten von der Gesamtheit der türkischen Front mit ihren gegenseitigen Abhängigkeiten und schwierigen Versorgungsverhältnissen. Aber schließlich einigten wir uns doch, und voller Zuversicht legten wir uns zum Schlafen nieder.
Am nächsten Morgen wurde das Abkochen auf später verschoben, da wir nur einen sechsstündigen Marsch vor uns hatten. Wir überschritten die Lehmfläche und kamen auf eine Ebene mit hartem Kalksteinboden, bedeckt mit einer Schicht brauner, abgeschliffener Kiesel. Es folgten niedrige Berge mit einzelnen weichen Sandstrecken am Fuß der steileren Hänge, die dort von den Staubstürmen aufgeschichtet waren. Danach stiegen wir durch flache Täler auf einen Kamm und jenseits durch ähnliche Täler wieder bergab; und dann, beim Austritt aus dunklem, engem Felsgestein, sahen wir eine weite sonnenüberflutete Ebene vor uns, die eine einzelne niedrige Triebsanddüne in langer Linie durchquerte.
Die Mittagsrast hatten wir gleich beim Eintritt in das bewegte Gelände gehalten und erreichten nun, wie vorgesehen, am Spätnachmittag den Brunnen. Es war ein offenes Loch, wenige Yards im Geviert, und lag in einem engen, mit Sand, Kieseln und Steinplatten bedeckten Tal. Das stehende Wasser mutete wenig einladend an. Seine Oberfläche war mit einer dicken Schicht grünlichen Schlammes bedeckt, auf dem merkwürdige, fettige, rosa Blasen schwammen. Die Araber erklärten, das käme von toten Kamelen, die die Türken in den Brunnen geworfen hätten, um das Wasser ungenießbar zu machen; aber das sei schon eine ganze Weile her, und die Wirkung sei nur noch ganz schwach zu merken. Nach meinem Geschmack hätte sie noch schwächer sein können.
Indessen war es der einzige uns zur Verfügung stehende Brunnen, sofern wir nicht die Station Mudewwere einnahmen; daher saßen wir ab und füllten unsere Wasserschläuche. Dabei glitt einer der Howeitat an dem schlüpfrigen Rande aus und fiel ins Wasser. Der grünliche Schlammteppich schloß sich ölig über seinem Kopf zusammen und verschlang ihn einen Augenblick; dann kam er grimmig schnaufend wieder hoch und krabbelte unter allgemeinem Gelächter heraus. Hinter ihm blieb ein schwarzes Loch in dem grünen Modder, aus dem, fast wie eine sichtbare Säule, ein fürchterlicher Gestank von fauligem Fleisch aufstieg, der – nicht eben erfreulich – an ihm und uns sich festhängte und sich über das ganze Tal verbreitete.
Saal, ich, die beiden Sergeanten und andere schlichen uns bei Dunkelwerden vorsichtig vorwärts. Nach einer halben Stunde erreichten wir den letzten Höhenkamm, auf dem die Türken Schützengräben ausgehoben hatten, nebst einem aus Steinen ausgebauten, mit Schießscharten versehenen Außenposten. Er war unbesetzt in dieser finstern Neumondnacht. Vor uns in der Tiefe lag die Station, deren Türen und Fenster von den gelben Wachtfeuern der Besatzung grell beleuchtet waren. Sie schien dicht zu unsern Füßen zu liegen, aber die Entfernung war doch weiter, und unsere Grabenmörser reichten nur auf dreihundert Yard. Also pirschten wir uns näher heran, bis wir die Geräusche beim Feinde hörten, stets ängstlich auf der Hut, nicht durch ein Anschlagen der Hunde drüben verraten zu werden. Sergeant Stokes hielt nach rechts und links Ausschau, um Geschützstellungen ausfindig zu machen, fand aber nichts Geeignetes.
Inzwischen waren Saal und ich in der letzten Bodenfalte so nahe herangekrochen, daß wir die unbeleuchteten Zelte zählen und die Leute sprechen hören konnten. Einer kam heraus, ging einige Schritte auf uns zu und blieb dann stehen. Er strich ein Zündholz an, um sich eine Zigarette anzustecken; die Flamme überleuchtete sein Gesicht und einen Teil seiner Gestalt, und wir sahen, daß es ein junger, hohlwangiger und kränklich aussehender Offizier war. Er kauerte sich einen Augenblick nieder, um etwas zu untersuchen, und kehrte dann zu seinen Leuten zurück, die verstummten, als er an ihnen vorbeiging.
Wir krochen zu unserm Hügel zurück und beratschlagten flüsternd. Die Station war ziemlich ausgedehnt, mit sehr festen steinernen Gebäuden, die unseren nur mit Zeitzünder versehenen Granaten standzuhalten versprachen. Die Garnison schien etwa zweihundert Mann stark zu sein. Wir hatten nur hundertsechzehn Gewehre und waren überdies keine sehr einträchtige Familie. Nur völlige Überraschung konnte uns zugute kommen.
Daher entschied ich, die Station jetzt in Frieden zu lassen und den Angriff auf eine spätere, wahrscheinlich baldige Gelegenheit zu verschieben. Tatsächlich aber rettete eine Reihe von Zufällen Mudewwere; und erst im August 1918 wurde ihm durch Buxtons Kamelreiterkorps das so lang hinausgeschobene Schicksal bereitet.