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Siebenundvierzigstes Kapitel

So feierten wir in Isawija am ersten Tag einmal, am zweiten zweimal und am dritten ebenfalls zweimal. Dann, am 30. Mai, ritten wir ab und marschierten bequeme drei Stunden, über ein altes versandetes Lavafeld bis zu einem Tal, in dem es zahlreiche, etwa sieben Fuß tiefe Brunnen gab mit dem üblichen leicht salzigen Wasser. Die Abu Taji brachen auf, als wir aufbrachen, zogen mit uns zusammen und errichteten ihr Lager rings um uns her; so war ich heute zum erstenmal Zuschauer und Mitwirkender zugleich bei dem Schauspiel eines reisenden arabischen Stammes.

Unser Marsch war wesentlich verschieden von der gewöhnlichen Eintönigkeit unserer Wüstenreisen. Die ganze graugrüne, mit Steinen und niederem Buschwerk bedeckte Ebene erzitterte wie in einer Luftspiegelung unter den Tritten der dahinziehenden Scharen. Da sah man Fußgänger, Reiter auf Kamelen oder zu Pferd, Kamele mit den hohen schwarzen Buckeln aufgepackter Ziegenhaarzelte, Kamele, die gleich riesigen Schmetterlingen dahinschaukelten unter den bunt geputzten und reich befransten Sänften, den »Haudahs« für die Frauen, Kamele, die gleichsam gewaltige Stoßzähne hatten wie Mammuts oder breite herabhängende Schwänze wie Vögel infolge der Ladung hochgerichteter oder hinten nachschleppender Zeltstangen aus dem hellen Holz der Silberpappel: Es gab weder Ordnung noch Marschdisziplin noch irgendwelche Leitung; man zog in breiter Front dahin, jede Gruppe für sich, geregelt nur durch die Gleichzeitigkeit des Aufbruchs und einen natürlichen, aus zahllosen Generationen überkommenen Instinkt.

Der Marsch machte keinerlei Beschwer; und wir, die wir wochenlang auf uns allein angewiesen gewesen waren, empfanden es als unbeschreibliche Erleichterung, nun alle Gefahren mit einer so zahlreichen Gemeinschaft zu teilen. Selbst unsere ernsthaften Leute ließen sich ein wenig gehen, und die Leichtsinnigeren wurden geradezu ausgelassen – allen voran natürlich Farradsch und Daud, meine beiden Spaßmacher, deren gute Laune auch durch die Strapazen der früheren Märsche nicht einen Augenblick gedämpft worden war. Um ihren Platz in der Marschkolonne herum war stets ein Strudel von Leben und Bewegung, den ihr ewiger Unfug hervorrief. Schließlich stellten sie meine beharrliche Geduld aber allzu sehr auf die Probe. Das geschah so: die Schlangenplage, die uns bereits seit dem Betreten des Sirhan verfolgte, hatte sich nachgerade zu einem wahren Schrecken entwickelt. Für gewöhnlich, sagten die Araber, war es mit den Schlangen im Sirhan nicht schlimmer als an andern, wasserreicheren Stellen der Wüste; in diesem Jahr jedoch schien das ganze Tal förmlich zu wimmeln von Hornvipern und Puffottern, Kobras und schwarzen Schlangen. Bei Nacht war jeder Schritt gefährlich; und auch bei Tage wurde es schließlich notwendig, mit Stöcken zu marschieren und jedes Gebüsch nach allen Seiten abzuklopfen, ehe man nackten Fußes behutsam hindurchschritt.

Nach Eintritt der Dunkelheit konnten wir kaum Wasser holen, denn die Schlangen schwammen in den Brunnen oder lagen in Klumpen auf deren Rändern herum. Zweimal kamen Puffottern in den aufschreckenden Kreis unserer Kaffeefeuer-Unterhaltung gekrochen. Drei von unseren Leuten starben an Schlangenbissen; vier wurden wieder gesund, nachdem sie große Ängste und Schmerzen ausgestanden hatten. Die Behandlung von Schlangenbissen bei den Howeitat bestand darin, daß sie die verletzte Stelle mit einem Pflaster aus Schlangenhaut umwanden und dem Kranken Abschnitte aus dem Koran vorlasen, bis er starb. Wenn sie noch spät abends abseits gingen, zogen sie auch dicke rote Damaszener Halbschuhe mit blauen Quasten und hufeisenförmigen Absätzen über ihre hornigen Füße.

Die Schlangen hatten die merkwürdige Gewohnheit, nachts auf oder unter unsere Decken zu kriechen und, wahrscheinlich der Wärme wegen, sich neben uns zu legen. Wir mußten daher, als wir das gewahr wurden, stets unter großen Vorsichtsmaßregeln aufstehen: der erste, der sich erhob, klopfte die Lagerstätten seiner Kameraden mit dem Stock ab, bis er sie für schlangenfrei erklären konnte. Unsere fünfzig Mann töteten täglich etwa zwanzig Schlangen. Schließlich ging uns die Plage so auf die Nerven, daß selbst die Kühnsten unter uns sich scheuten, den Boden zu betreten; und ich, der ich einen angeborenen Abscheu vor aller Art Reptilien habe, wünschte mich sobald wie möglich wieder heraus aus dem Sirhan.

Nicht so Farradsch und Daud. Für sie bedeuteten die Schlangen eine neue, herrliche Belustigung. Alle Augenblicke erschreckten sie uns durch den Alarmruf und schlugen wie verrückt auf sämtliche harmlose Zweige und Wurzeln, die ihnen in den Weg kamen. Schließlich, bei der Mittagsrast, gab ich ihnen strengen Befehl, den Schlangenruf nicht ein einziges Mal mehr hören zu lassen; und von da ab hatten wir endlich Ruhe. Ich lag ausgestreckt am Boden, froh, jeder Bewegung enthoben zu sein, müßig dahindämmernd oder meinen Gedanken nachhängend; und so mochte etwa eine Stunde vergangen sein, als ich bemerkte, daß das Gaunerpaar in einiger Entfernung vor mir stand und sich lachend anstieß. Achtlos folgte ich der Richtung ihrer Blicke und sah nun unter dem Gebüsch dicht neben mir eine aufgerollte braune Schlange liegen, die nach mir züngelte.

Sehr rasch war ich zur Seite gerutscht und rief nach Ali, der herbeikam und das Tier mit dem Reitstock erschlug. Dann befahl ich ihm, den beiden Schlingeln je ein gutes halbes Dutzend aufzuzählen, um sie zu lehren, meine Weisungen nicht auf meine Kosten allzu buchstäblich auszuführen. Der hinter mir schlummernde Nasir hörte es und rief erfreut, es möchten von ihm aus noch weitere sechs hinzugefügt werden. Desgleichen tat Nesib, dann Seki und dann Ibn Dgheithir, bis schließlich das halbe Lager in den Ruf nach Vergeltung einstimmte. Die beiden Verbrecher waren sehr gedrückt, als sie sahen, daß sämtliche Riemen und Stöcke der Abteilung bereit gemacht wurden, um ihre Rechnung zu begleichen. Ich hatte indes ein Einsehen und rettete sie vor dem Strafgericht; statt dessen erklärten wir ihren moralischen Bankrott und steckten sie unter die Frauen bei den Zelten zum Holzmachen und Wasserholen.

Die zwei Tage, welche wir in Abu Tarfeijat verbrachten, mußten sie die schmachvollen Arbeiten verrichten, während wir uns am ersten Tag zweimal und am zweiten Tag dreimal vollaßen. Dann war Nesib erledigt, erklärte sich für krank, zog sich in Nasirs Zelt zurück und nährte sich dankerfüllt von trockenem Brot. Seki war schon unterwegs unpäßlich gewesen, und sein erstes Bemühen mit dem gesottenen Fleisch und dem fettigen Reis der Howeitat hatte ihn vollends niedergestreckt. Er lag ebenfalls im Zelt, krank in den Därmen und krank im Gemüt. Nasirs Magen war seit langem an die Stammesbräuche gewöhnt und bestand die Probe glänzend. Ihm lag es ob, zur Ehre unserer Gastfreunde jeder Einladung Folge zu leisten; und um der größeren Ehre willen mußte ich stets mitkommen. Wir beiden Führer repräsentierten also täglich das Lager, begleitet von einer entsprechenden Eskorte hungriger Ageyl.

Das war natürlich ziemlich eintönig; aber eine gewisse Genugtuung bestand dafür in der strahlenden Glückseligkeit unserer Gastgeber, die zu enttäuschen ein Verbrechen gewesen wäre. Oxford beziehungsweise Medina hatten alles getan, um Nasir und mich von übertriebenen Vorurteilen zu heilen, und uns so verfeinert, daß wir schon wieder einfach wurden. Die Menschen hier taten uns das höchste an, was sich ein nomadisches Gemüt vorstellen kann: eine ununterbrochene Orgie von gekochtem Hammelfleisch. Mein Himmel wäre ein einsamer, weicher Lehnstuhl gewesen, Ruhe zum Lesen und eine vollständige Sammlung der Klassiker, in Caslon gesetzt und gedruckt auf Bütten; aber ich hatte mich ja auch achtundzwanzig Jahre lang immer gut nähren können, und wenn die arabische Phantasie auf volle Schüsseln aus war, so waren solche Freuden um so leichter erreichbar. Man hatte sogar bereits für uns vorgesorgt. Ein paar Tage vor unserer Ankunft war ein Viehhändler bei ihnen eingekehrt, und auf Audas Befehl hatten sie fünfzig Schafe aufgekauft, um uns würdig zu bewirten. In fünfzehn Gastmählern (innerhalb einer Woche) hatten wir sie sämtlich aufgegessen und damit auch ihre Gastfreundschaft erschöpft. Das normale Leben kehrte zurück, und wir gewannen wieder unsere Bewegungsfreiheit.

Wir waren des Sirhan herzlich überdrüssig. Die Landschaft war von einer weit tieferen Hoffnungslosigkeit und Schwermut, als all die freien Wüsten, die wir durchquert hatten, öder Sand und Steine oder auch nackter Fels haben immer noch etwas fesselnd Erregendes und in bestimmter Beleuchtung die unheimliche Schönheit unfruchtbarster Einsamkeit. Hingegen lag etwas Unheilvolles, etwas bedrohlich Böses in diesem schlangenverseuchten, salzwassergeschwängerten Sirhan mit seinen krüppligen Palmen und Buschwerk, das weder zu Futter noch zu Brennholz taugte.

Verabredungsgemäß marschierten wir einen Tag und dann noch einen zweiten über Ghutti hinaus, dessen wenig ergiebiger Brunnen fast süß war. Als wir uns Agela näherten, sahen wir ein großes Zeltlager, und eine Reiterabteilung kam uns entgegen. Es war Auda, wohlbehalten von Nuri Schaalan zurück, mit dem einäugigen Dursi ibn Dughmi, der schon in Wedsch unser Gast gewesen war. Seine Anwesenheit, wie auch die starke Eskorte von Rualla bewiesen uns die Gewogenheit Nuri Schaalans. Die Reiterschar bewillkommnete uns vor Nuris leerstehendem Haus mit einer Art Fantasia: barhäuptig und mit wildem Geschrei jagten sie in vollem Galopp dahin, schwangen die Speere und schossen im hochwirbelnden Staub ihre Flinten und Pistolen ab.

Das bescheidene Gut hier hatte eine kleine umfriedete Palmenpflanzung; daneben war ein mesopotamisches Zelt aus weißem Segeltuch aufgeschlagen. Unweit davon stand auch Audas Zelt, ein großer Raum, sieben Stangen lang und drei breit, nahe dabei auch Saals Zelt und viele andere. Den Nachmittag über empfingen wir Ehrensalven, Abordnungen und Geschenke, wie Straußeneier, Leckereien aus Damaskus, Kamele und magere Pferde, während die Luft um uns erfüllt war von Rufen der Freiwilligen Audas, die ungestüm eingestellt zu werden verlangten, um gegen die Türken zu ziehen.

siehe Bildunterschrift

Alayan.
Pastellzeichnung von Kennington

Die Dinge ließen sich recht günstig an, und wir bestimmten drei Mann zum Kaffeemachen für die Besucher. Diese erschienen denn auch bald einzeln oder in Gruppen vor Nasir, schwuren Faisal und der arabischen Bewegung Treue und Gefolgschaft nach der Formel von Wedsch und versprachen den Befehlen Nasirs zu gehorchen und sich mit ihren Kontingenten ihm anzuschließen. Außer den offiziellen Geschenken hinterließ jeder Schub auf unseren Teppichen noch beiläufig seine ganze Privatgabe von Läusen; und bereits lange vor Sonnenuntergang waren Nasir und ich von einem förmlichen Juckfieber befallen. Auda, der von einer alten Verwundung am Ellbogen her einen steifen Arm hatte, konnte sich nicht überall eigenhändig kratzen; aber die Erfahrung hatte ihn ein sehr probates Mittel gelehrt in Gestalt eines gabelförmigen Kamelstocks, den er durch seinen linken Ärmel hinaufschob und dann immer rundherum gegen seine Rippen drehte und rieb – eine Methode, die ihm das Jucken gründlicher zu vertreiben schien als uns unser Händekratzen.


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