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Wir waren froh, das lärmende und glühende Lager von Guweira hinter uns zu lassen. Sobald wir die freundliche Begleitung dichter Fliegenschwärme los waren, machten wir halt; denn wir hatten in der Tat keine Eile, und meine beiden armen Sergeanten bekamen eine Hitze zu schmecken, wie sie sie nie zuvor gekannt hatten. Die stickige Luft legte sich wie eine Bleimaske über das Gesicht. Es war bewundernswert zu sehen, wie sie sich zusammennahmen, um kein Wort darüber zu verlieren und so, im Geist unserer Abmachung in Akaba, zu beweisen, daß sie es an Ausdauer mit den Arabern aufnehmen könnten. Dabei hätten sie sich den überflüssigen Heroismus solchen Stillschweigens mit Fug ersparen können; lediglich infolge ihrer Unkenntnis arabischer Sitte fühlten sie sich dazu verpflichtet. Denn die Araber selber machen sich in lauten Klagen Luft über die tyrannische Sonne und die Atemnot. Immerhin war diese Kraftprobe ganz lehrreich für sie, und aus erziehlichen Gründen spielte ich selber den Vergnügten und trieb meinen Spaß mit ihnen.
Am späten Nachmittag zogen wir weiter und rasteten zur Nacht unter dem dichten Blätterdach von Tamariskenbäumen. Die Lagerstelle war herrlich: hinter uns stieg, bis zu fast vierhundert Fuß Höhe, eine steile Felswand empor, tiefrot im Sonnenuntergang; zu unsern Füßen breitete sich, auf eine halbe Meile im Umkreis, bräunlich-gelber Lehmboden, harttönend wie Holzpflaster und glatt wie ein See; und zur Seite auf einem flachen Rücken stand der dichte Hain brauner Tamariskenstämme, umsäumt von spärlichem, bestaubtem Grün, so verblaßt von Licht und Hitze, daß ich an das Silbergrau denken mußte, das sich über die Olivenhaine von Les Baux legt, wenn der Wind von der Flußmündung her talauf rauscht und die bleiche Unterseite des Laubes nach oben kehrt.
Unser nächstes Ziel war die Rumm, wo der nördliche Brunnen der Beni Atijeh lag, ein Tal, das schon jetzt meine Gedanken in Erregung versetzte, da selbst die nüchternen Howeitat mir seine phantastischen Wunder gerühmt hatten. Der kommende Morgen sollte uns durch seinen Anblick erfreuen; doch schon sehr früh, als die Sterne noch glitzerten, weckte mich Aid, der ergebene Scherif der Harithi, der uns begleitete. Er kam zu mir herangekrochen und sagte mit trostloser Stimme: »Herr, ich bin erblindet.« Ich hieß ihn sich niederlegen und fühlte, daß Frostschauer ihn durchschüttelten; doch konnte er mir nichts weiter sagen, als daß er in der Nacht aufgewacht und kein Licht mehr in seinen Augen gewesen sei, sondern nur noch Schmerzen. Der Sonnenglanz hatte sie ausgebrannt.
Der Tag war noch jung, als wir, zwischen zwei ragenden Sandsteinnadeln, an den Fuß eines weiten flachen Hangs kamen, der von den hochgewölbten Bergen vor uns sanft hinablief. Er war mit Tamariskengebüsch bestanden und – wie man mir sagte – der Anfang des Tals von Rumm. Zu unserer Linken erhob sich eine langgezogene Felswand, die sich gleich einer tausend Fuß hohen Woge gegen die Mitte des Tals vorwarf; längs der rechten Talwand lief eine gleich hohe Kette steiler, rotzerklüfteter Felsen. Wir ritten, uns den Weg durch das spröde Unterholz brechend, den Hang hinan.
Im Aufstieg schloß sich das lose Buschholz zu Dickichten zusammen mit massigem Laubwerk, dessen tieferes Grün sich doppelt leuchtend abhob gegen die offenen Sandflecken von entzückend zartem Rosa. Die Böschung verflachte allmählich, bis das Tal zu einer engumgrenzten, leicht geneigten Fläche wurde. Die Berge zur Rechten wuchsen höher und schroffer, ein würdiges Gegenstück zur Umgrenzung links, die sich zu einem massiven Wall roten Gesteins aufstellte. Beide Seiten rückten bis auf nur zwei Meilen Zwischenraum zusammen; und dann, allmählich sich auftürmend bis zu tausend Fuß über uns, liefen diese beiden parallelen Felsmauern in meilenlanger Avenue dahin.
Sie waren keine geschlossenen Felswände, sondern in gewaltige Blöcke aufgeteilt, die gleich riesigen Bauwerken zu beiden Seiten der Straße standen. Tiefe, fünfzig Fuß breite Querschlünde trennten diese einzelnen Massive, in deren Wände die Verwitterung gewaltige Buchten und Apsiden ausgerundet hatte, überdeckt von feinen Rissen und Furchen wie mit Ornamenten. Manche Höhlungen hoch oben am Steilhang waren rundbogig wie Fenster; andere, näher dem Boden, gähnten wie offene Tore. Dunkle Flecken liefen über Hunderte von Fuß an der beschatteten Front hinab, gleichsam als wäre sie geschwärzt von vielem Gebrauch. Diese klippenartigen Blöcke, vertikal gefurcht nach ihrer körnigen Struktur, ruhten auf einem zweihundert Fuß hohen Sockel von einer härteren und dunkler gefärbten Gesteinsart, der nicht wie der obere Teil in Längsfalten herabhing, sondern tiefe, gleichsam wie eingehauene Horizontalfurchen zeigte, ähnlich einer Quader-Grundmauer.
Die einzelnen Massive waren gekrönt von hochgewölbten Gipfeln, gleich Gruppen von Domkuppeln, nicht so brennend rot wie das übrige Gestein, sondern nur leicht getönt und mehr ins Graue spielend. Damit vollendete sich der Eindruck einer byzantinischen Architektur um diesen unvergleichlichen Ort, diesen Prozessionsweg, gewaltiger, als ihn Phantasie sich vorzustellen vermochte. Die ganze arabische Armee hätte sich der Länge und Breite darin verlieren, und zwischen den Felswänden hätte ein Flugzeuggeschwader in Formation manövrieren können. Unsere kleine Karawane wurde nachdenklich, und keiner sprach mehr ein Wort; man fühlte sich beängstigt und beschämt, sich mit seiner Geringfügigkeit breit zu machen inmitten dieser riesenhaft ragenden Berge.
In unseren Kinderträumen sind Landschaften manchmal so weit und so stumm. Wir suchten zurück in unserer Erinnerung nach dem Urbild, wo einst alle Menschen zwischen solchen Felsmauern gewandert waren nach einem solchen freien Platz, wie dem vor uns, wo der Weg zu enden schien. Später, wenn wir wieder einmal ins Innere des Landes ritten, pflegte ich stets vom direkten Wege abzuweichen, um meine Seele zu erfrischen durch eine Nacht in der Rumm und durch einen Ritt durch das dämmerige Tal zu den leuchtenden Ebenen oder talaufwärts im Sonnenuntergang zu dem schimmernden Platz, den mein zaghaftes Vorausgenießen mich niemals erreichen ließ. Dann sagte ich zu mir: »Soll ich diesmal über Khasail hinaus reiten und all das sehen?« Aber in Wirklichkeit liebte ich doch die Rumm zu sehr.
Das ging so Stunden hin, während die Fernsicht immer gewaltiger und herrlicher wurde in ihren wohlgegliederten Umrissen, bis sich eine Schlucht in der Felsenfront zur Rechten zu einem neuen Wunder öffnete. Die Schlucht, eine vielleicht dreihundert Fuß breite Spalte in einer der Bergwände, führte zu einem Amphitheater von ovaler Gestalt – schmal nach vorn zu und breit ausladend nach beiden Seiten. Die Wände ringsum fielen fast senkrecht ab, wie stets in der Rumm, erschienen aber höher, da der kleine Kessel unmittelbar im Herzen einer beherrschenden Berggruppe lag und seine Winzigkeit die umliegenden Höhen übermächtig erscheinen ließ.
Die Sonne war hinter den westlichen Bergen verschwunden; der kleine Kessel selbst lag bereits im Schatten, aber die Felskulissen zu beiden Seiten des Eingangs, wie auch der stolze Koloß jenseits des Tals, waren vom Abendschein rotglühend überleuchtet. Der Boden rings um den Kessel war sandig und feucht, von dunklen Flecken niedern Buschwerks durchsetzt, während am Fuße all der Steilhänge Geröllblöcke lagen, größer als Häuser, manchmal in der Tat sich ausnehmend wie Bruchstücke von Festungswerken, die von den steilen Höhen ringsum heruntergestürzt waren. Vor uns führte ein viel begangener Pfad über eine Felsplatte hinauf bis zu dem Punkt, wo die Hauptwand aufstieg, und wandte sich über einen gefährlichen Pfad südwärts, längs eines flachen, mit einzelnen Laubbäumen bestandenen Rückens. Zwischen diesen Bäumen hindurch erklangen aus verborgenen Felsspalten seltsame Rufe: das langgezogene, singende Echo der Stimmen der Araber, die bei den dreihundert Fuß überm Talgrund entspringenden Quellen die Kamele tränkten.
Die Regenfälle, die sich über die grauen Dome der Berggipfel ergossen, schienen langsam in das poröse Gestein eingedrungen zu sein; und in Gedanken folgte ich ihnen, wie sie Zoll für Zoll durch diese Sandsteinberge abwärts sickerten, bis sie auf jene undurchlässige Felsplatte stießen, über die sie unter Druck hinwegrannen, um dann aus der Felswand am Zusammenstoß der beiden Gesteinslager hervorzusprudeln.
Mohammed wandte sich der linken Ausbuchtung des Amphitheaters zu. An seinem Ende hatten findige Araber einen freien Platz geschaffen unter einem überhängenden Fels; hier saßen wir ab und lagerten. Die Howeitat hatten mit aller Sorgfalt die Sprengstofflasten abgeladen und führten nun ihre Kamele, mit lauten Rufen sich am Echo ergötzend, den Saumpfad aufwärts zu den Quellen. Wir zündeten Feuer an und kochten Reis als Zugabe zu dem Fleisch aus den Satteltaschen der Sergeanten, indes mein Kaffeekoch die nötigen Vorbereitungen traf für die zu erwartenden Besucher.
Die Araber in den Zelten bei den Quellen hatten uns kommen sehen und waren natürlich begierig, Neues von uns zu hören. Innerhalb einer Stunde waren die Scheiks der Darauscha, Selebani, Suweida und Togatga um uns versammelt, und es entspann sich ein eifriges, aber von unserer Seite nicht allzu ergiebiges Gespräch. Aid, der Scherif, war wegen seiner Erblindung zu niedergeschlagen, um mir die Last der Unterhaltung tragen zu helfen; und ich meinerseits konnte eine Besprechung so besonderer Art nicht gut auf eigne Faust führen.
Diese kleineren Clans, die sich mit den Abu Taji überworfen hatten, hegten den Verdacht, daß wir Auda bei seinen ehrgeizigen Bemühungen, die Oberherrschaft über sie zu gewinnen, unterstützten. Sie waren nicht eher bereit, dem Scherif zu dienen, bis sie die Zusicherung erhalten hatten, daß der Scherif ihre sehr weitgehenden Forderungen ohne Abstrich unterstützen würde.
Gasim abu Dumeik, der tüchtige Reitersmann, der die Hochländer am Tage von Aba el Lissan geführt hatte, schien besonders gefährlich. Er war dunkelfarbig, mit arrogantem Gesicht und dünnlippigem Lächeln, im Grunde nicht schlecht, aber verbittert. An diesem Tage sprühte er vor Eifersucht auf die Toweiha. Ich allein vermochte nicht ihn im guten zu gewinnen; um daher seine Feindschaft offenkundig zu machen, behandelte ich ihn als Gegner und bekämpfte ihn scharf mit meiner Zunge, bis er zum Schweigen gebracht war. Seine Zuhörerschaft ließ ihn beschämt im Stich und schien sich mir zuzuneigen. Schwankend geworden in ihrem Urteil begann sie gegen ihre Häuptlinge aufzubegehren und dafür einzutreten, mit mir weiterzuziehen. Ich nahm die Gelegenheit wahr und sagte ihnen, Saal würde im Laufe des Morgens eintreffen, und wir waren bereit, sie alle einzustellen mit Ausnahme der Dhumanijeh; bei ihnen hätten Gasims Worte das unmöglich gemacht, sie würden aus Faisals Listen gestrichen werden und ihrer verdienten Belohnungen verlustig gehen. Gasim schwor, er würde sich sofort den Türken anschließen, und verließ zornmütig die Feuerstelle, während seine Freunde vergebens versuchten, ihn zum Schweigen zu bringen.