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Am 19. Juni 1917 brachen wir eine Stunde vor Mittag zum Vorstoß auf Akaba auf. Nasir hatte die Führung; er ritt seine Ghasala – ein Kamel, gewaltig und hochbordig wie ein antikes Schiff, seine Nachbarn gut um einen Fuß überragend, und doch wohlproportioniert und mit dem leichten und geräumigen Schritt eines Straußes – eine bildschöne Stute edelster Howeitatzucht, die nachweislich neunmal gekalbt hatte. Neben ihm ritt Auda, während ich um sie herumschwärmte auf meiner leichten Naama, genannt »die Straußenhenne«, einem Rennkamel – meiner jüngsten Erwerbung. Hinter mir folgten meine Ageyl mit Mohammed, dem Plumpen. Er hatte jetzt Gesellschaft bekommen in der Person eines anderen Bauern, Ahmed, der dank seiner Schlauheit und Gewandtheit sechs Jahre bei den Howeitat gelebt hatte – ein ausgepichter, gewitzigter Schuft.
Es ging sechzig Fuß bergan; dann waren wir aus dem Sirhan heraus und gelangten auf die erste Terrasse des Ard el Suwan. Der Boden bestand aus mergeligem Kalkstein, mit schwärzlichen Steintrümmern bedeckt; er war nicht sehr fest, doch hatten die seit Jahrhunderten darüber hinziehenden Kamele eine ein bis zwei Zoll tiefe, ziemlich harte Spur getreten. Unser Ziel war Bair, eine Gruppe von Brunnen und Ruinen aus der Ghassanidenzeit, dreißig oder vierzig Meilen östlich der Hedschasbahn in der Wüste gelegen, etwa sechzig Meilen vor uns. Dort wollten wir ein paar Tage bleiben, während uns unsere Boten von den Bergdörfern oberhalb des Toten Meeres Brot besorgten. Die Vorräte, die wir von Wedsch mitgenommen hatten, waren fast aufgebraucht (nur von dem kostbaren Reis hatte Nasir etwas für besondere Gelegenheiten aufbewahrt), und den Zeitpunkt unserer Ankunft in Akaba konnten wir nicht mit Sicherheit im voraus bestimmen.
Unser Trupp war jetzt auf mehr als fünfhundert angewachsen. Und der Anblick dieser stattlichen Schar kräftiger, zuversichtlicher Nordländer, die in übermütiger Laune Gazellen über die weite Wüste hetzten, nahm uns im Augenblick jede ängstliche Besorgnis über den möglichen Ausgang unserer Unternehmung. Am Abend nach dem Marsch kamen die Führer der Abu Taji zum Essen zu uns. Es war eine festliche Nacht, und nach dem Mahle saßen wir draußen auf den Teppichen, angenehm erwärmt in der Kühle dieses nördlichen Hochlandes durch die glimmenden Kaffeefeuer, und sprachen von allerlei fernen Dingen.
Nasir lag auf dem Rücken und betrachtete durch mein Fernglas die Sterne; er nannte der Reihe nach alle bekannten Sternbilder und ließ jedesmal einen überraschten Ruf hören, wenn er ein neues Lichtpünktchen entdeckt hatte, das dem unbewaffneten Auge nicht sichtbar war. Auda kam auf Fernrohre zu sprechen – auf die ganz großen – und wie der Mensch seit dem ersten Versuch vor dreihundert Jahren so weit fortgeschritten war, daß er jetzt Rohre baute, so hoch wie ein Zelt, durch die er Tausende von unbekannten Sternen entdecken konnte. »Und die Sterne – was sind sie?« Und darauf sprachen wir von Sonnen und immer neuen Sonnenwelten dahinter, von Zeiten und Räumen jenseits jeder menschlichen Vorstellung. »Und was soll uns dieses Wissen nützen?« fragte Mohammed. »Wir werden immer weiter forschen und immer mehr erkennen. Und kluge Männer werden kommen und neue Fernrohre bauen, an Größe und Wirksamkeit die jetzigen um so vieles übertreffend, wie unsere das Fernrohr Galileis; und trotzdem werden immer noch Hunderte von Astronomen kommen und Tausende von neuen, ungekannten Sternen entdecken und sie aufzeichnen und jedem seinen Namen geben. Und wenn wir dann alles entdeckt haben, dann wird es keine Nacht mehr geben am Himmel.«
»Warum wollt ihr Westländer immer alles wissen?« sagte Auda. »Wir können hinter unsern wenigen Sternen Gott sehen, der nicht hinter euren Millionen ist.« »Wir suchen das Ende der Welt, Auda.« »Aber das ist Gottes«, rief Saal erschrocken und voller Unmut. Doch Mohammed wollte sich von dem Thema nicht abbringen lassen. »Und sind die größeren Welten auch von Menschen bewohnt?« fragte er. »Das weiß nur Gott.« »Und haben sie auch ihren Propheten, ihren Himmel und ihre Hölle?« Auda schnitt ihm das Wort ab: »Ihr Brüder, wir kennen unser Land, unsere Kamele und unsere Frauen. Übermaß und Ehre stehen bei Gott. Wenn es das Ende der Weisheit ist, immer nur Stern auf Stern zu häufen, so läßt sich bei unserer Torheit wohl sein.« Darauf sprach er von Geld und lenkte die Gemüter ab, bis sie alle auf einmal schwatzten. Dann wandte er sich zu mir und flüsterte, ich müßte ihm von Faisal ein würdiges Geschenk verschaffen, wenn wir Akaba eingenommen hätten.
Wir brachen in der Dämmerung auf, erreichten in einer Stunde die Höhe des Wagf, die Wasserscheide, die wir dann jenseits hinunterritten. Der Rücken, aus Kreidekalk bestehend, war nur hundert Fuß hoch. Wir befanden uns jetzt in der Senke zwischen Snainirat im Süden und den drei weißen Gipfeln des Thleithukhwat im Norden, einer Gruppe kegelförmiger Berge, die im Sonnenschein wie Schnee erglänzten. Bald erreichten wir das Wadi Bair und marschierten drei Stunden lang das Tal hinauf. Eine Frühlingsflut hatte zwischen den verkümmerten Büschen reichen Graswuchs hervorgebracht. Nach der langen Öde des Sirhan war das Grün erfrischend für unsere Augen und für die hungrigen Mägen unserer Kamele.
Als wir in der Frühe des nächsten Tages aufbrachen, sagte mir Auda, daß er nach Bair vorausreiten wollte, und ob ich Lust hätte, mitzukommen. Nach einem scharfen zweistündigen Ritt sahen wir von einem Hügel aus plötzlich Bair vor uns liegen. Auda war vorausgeeilt, um das Grab seines Sohnes Annad zu besuchen, dem fünf seiner Motalga-Vettern bei Bair aufgelauert hatten aus Rache für Abtan, ihren besten Fechter, der von Annad im Einzelkampf erschlagen worden war. Auda erzählte, wie Annad gegen sie angeritten war, einer gegen fünf, und gestorben war, wie es sich geziemte. So war ihm nur noch der kleine Mohammed als einziges Kind und unsicherer Erbe geblieben. Auda hatte mich mitgenommen, um einen Zuhörer für seine Klagen über den Tod seines Sohnes zu haben.
Als wir jedoch nach den Gräbern zu hinabritten, bemerkten wir zu unserm Erstaunen aus der Niederung bei dem Brunnen Rauch aufsteigen. Wir schlugen einen scharfen Bogen und näherten uns auf Umwegen vorsichtig den Gräbern. Niemand war zu sehen, aber die dicke Dungschicht um den Brunnen war zum Teil verkohlt und sein Rand zertrümmert. Der Boden war aufgewühlt und wie durch eine Explosion geschwärzt; und als wir in den Brunnenschacht blickten, stellten wir fest, daß die Innenwand zerrissen und zersplittert und der Grund bis zur halben Höhe durch Steintrümmer verstopft war. Es schien mir in der Luft nach Dynamit zu riechen.
Auda eilte zu dem nächsten Brunnen, im Grunde des Tales unterhalb der Gräber. Auch dessen Umfassung war zerstört und der Schacht mit Steinen angefüllt. »Das ist das Werk der Dschasi«, meinte Auda. Wir gingen quer durch das Tal zum dritten – dem Beni-Sakhr-Brunnen. Er war nur noch ein Steinkrater. Saal traf ein und machte eine sehr ernste Miene, als er die Zerstörungen sah. Wir untersuchten den ebenfalls in Trümmer gelegten Khan und fanden frische, nur eine Nacht alte Spuren von etwa hundert Pferden. Jenseits des Tals in der offenen Ebene gab es noch einen vierten Brunnen; und wir machten uns dahin auf, ohne jede Hoffnung und in trüben Gedanken, was aus uns werden sollte, wenn ganz Bair zerstört war. Zu unserer freudigen Überraschung fanden wir den Brunnen unberührt.
Es war ein speziell den Dschasi gehöriger Brunnen, und seine Unversehrtheit bestätigte die Richtigkeit von Audas Vermutung. Dieses rasche Eingreifen der Türken brachte uns in ernste Verlegenheit, und wir mußten befürchten, daß sie wahrscheinlich auch El Dschefer, östlich von Maan, zerstört hatten. Waren die dortigen Brunnen, die wir zum Sammelpunkt vor dem Angriff auf Akaba bestimmt hatten, unbrauchbar, so bedeutete das ein kaum zu überwindendes Hindernis für das Unternehmen. Indessen, dank dem unversehrten vierten Brunnen war unsere Lage, wenn auch unbequem, so doch nicht wirklich gefährdet. Seine Wassermenge aber reichte natürlich nicht aus für die Versorgung von fünfhundert Kamelen; und wir mußten daher versuchen, den am wenigsten zerstörten Brunnen – den bei den Gräbern, mit dem schwelenden Kamelmist – wieder zu öffnen. Auda, Nasir und ich machten uns daher zu einer erneuten Besichtigung dahin auf.
Ein Ageyl brachte einen leeren Kasten, der Dynamitpackungen enthalten hatte, offenbar das von den Türken benutzte Sprengmaterial. Aus den Spuren im Boden ging deutlich hervor, daß mehrere Ladungen zugleich rings um den Rand und im Schacht zur Explosion gebracht worden waren. Als sich das Auge an die Dunkelheit im Innern des Brunnens gewöhnt hatte, entdeckten wir eine Anzahl Aushöhlungen im Schacht, etwa zwanzig Fuß unter dem Rand, zum Teil noch gefüllt und mit herabhängender Zündschnur.
Augenscheinlich war das eine zweite Serie von Ladungen, deren Zündung entweder versagt hatte, oder die – was auch möglich war – mit einer sehr langsam wirkenden Zeitzündung versehen waren. In aller Eile wurden die Stricke unserer Wassereimer losgemacht, dann zusammengeknüpft und das Ende an einem starken Querbalken über der Mitte des Schachts befestigt, denn der Rand war so bröckelig, daß die Steine unter dem Druck des Taus nachgegeben hätten. Unten fand ich dann, daß die Ladungen ziemlich schwach waren, keine über drei Pfund und durch Feldtelephondraht gruppenweise verbunden. Irgend etwas hatte bei der Sache nicht funktioniert. Entweder hatten die Türken schlechte Arbeit gemacht, oder ihre Posten hatten uns kommen sehen, bevor sie Zeit gehabt hatten, die Zündungen richtig anzulegen.
So verfügten wir denn nach kurzer Zeit über zwei brauchbare Brunnen und hatten noch obendrein eine Zugabe von dreißig Pfund feindlichen Sprengmaterials. Wir beschlossen, eine Woche in dem sich so günstig anlassenden Bair zu bleiben. Zu der dringenden Notwendigkeit, Nahrung herbeizuschaffen und Nachrichten einzuholen über die Stimmung der Stämme zwischen Maan und Akaba, kam jetzt noch eine dritte Aufgabe, nämlich die, den Zustand der Brunnen bei Dschefer zu erkunden. Zu diesem Zweck wurde ein geeigneter Mann nach Dschefer entsandt. Ferner wurde eine Karawane von Lastkamelen mit dem Brandstempel der Howeitat zusammengestellt und über die Eisenbahnlinie hinweg nach Tafileh entsandt, begleitet von drei bis vier gänzlich unbekannten Clanhäuptlingen, von denen niemand vermuten konnte, daß sie gemeinsame Sache mit uns machten. Sie sollten alles Mehl aufkaufen, das sie bekommen konnten, und in fünf bis sechs Tagen wieder zurück sein.
Was die Stämme längs der Straße nach Akaba betraf, so brauchten wir ihre tätige Mitwirkung gegen die Türken, um den in Wedsch in allgemeinen Zügen entworfenen Plan durchführen zu können. Unsere Absicht war, von El Dschefer aus überraschend vorzustoßen, die Eisenbahnlinie zu überschreiten und den großen Paß Nagb el Schtar zu besetzen, über den die Straße vom Plateau von Maan in die rote Ebene von Guweira hinunterführte. Um den Paß zu halten, mußten wir Aba el Lissan nehmen, die beherrschende Wasserstelle auf der Paßhöhe; aber die Besatzung war nur schwach, und wir hofften, sie durch Handstreich zu überrumpeln. Dann waren wir Herren der Straße, konnten sie absperren, und die verschiedenen, längs des Weges stationierten Posten würden im Verlauf einer Woche entweder verhungern oder wahrscheinlich schon vorher durch die Bergstämme aufgehoben werden, die sich uns bei der Kunde von unserm erfolgreichen Vordringen anschließen würden.
Die Hauptschwierigkeit des Plans lag darin, Aba el Lissan einzunehmen, bevor die in Maan stehenden türkischen Kräfte Zeit hatten, zum Entsatz herbeizueilen, um uns vom Paß von Schtar wieder zu vertreiben. Blieb die dortige Besatzung, wie zur Zeit, nur ein Bataillon stark, so war anzunehmen, daß sie sich nicht herauswagen, sondern in Erwartung von Verstärkungen untätig zusehen würde, wie Aba el Lissan fiel. Alsdann mußte sich uns Akaba ergeben, wir konnten uns auf einen Zugang zum Meer stützen und hatten den günstigen Engpaß von Ithm zwischen uns und dem Feind. Der Erfolg hing also davon ab, daß wir Maan in Unkenntnis hielten über unser gefahrdrohendes Anrücken, so daß die dortige Besatzung nicht vorzeitig verstärkt werden konnte.
Nun war es durchaus nicht leicht, unsere Bewegungen geheimzuhalten, da wir ja den lokalen Stämmen auf unserem Wege den Anschluß an den Aufstand predigen mußten und die Nichtbekehrten uns den Türken verraten konnten. Der Feind war natürlich von unserm langen Marsch durch den Sirhan unterrichtet, und selbst der Laie konnte unschwer erkennen, daß unser Operationsziel Akaba war. Die Zerstörung von Bair (ebenso wie die von Dschefer, denn es wurde uns gemeldet, daß die sieben Brunnen von Dschefer ebenfalls gesprengt waren) bewies, daß die Türken bereits weitgehend alarmiert waren.
Indessen der Stumpfsinn der türkischen Armee war unbegrenzt; und dieser Umstand half uns jetzt, wie auch später, weiter, wenn er uns auch in gewisser Weise wieder nachteilig wurde. Denn wir konnten nicht umhin, über die Türken deswegen geringschätzig zu denken (die Araber waren ein Volk von ungewöhnlich schneller Fassungskraft und überschätzten diese Begabung), und eine Truppe leidet immer darunter, wenn sie keine Achtung vor dem Feind zu haben vermag. Im Augenblick aber konnte uns der türkische Stumpfsinn dienlich sein, und wir hatten daher eine ganze Reihe von Täuschungsmanövern eingeleitet, um sie in den Glauben zu versetzen, daß unser Ziel eigentlich auf Damaskus ginge.
Für eine Beunruhigung dieser Gegend waren die Türken außerordentlich empfindlich, denn die von Damaskus über Dera und Amman verlaufenden Bahnlinien stellten nicht nur die Verbindung mit dem Hedschas, sondern auch mit Palästina her, und wenn wir diese angriffen, taten wir den Türken also einen zwiefachen Schaden an. Deshalb hatte ich bei meinem langen Ritt durch den Norden Andeutungen fallen lassen, daß wir demnächst im Dschebel Drus erscheinen würden, und es war mir durchaus gelegen gekommen, daß Nesib, der dort bekannt war, mit viel Lärm, aber wenig Mitteln im Dschebel Drus aufgetaucht war. Nuri Schaalan hatte den Türken eine Warnung im gleichen Sinne zukommen lassen; und Newcombe hatte in der Nähe von Wedsch absichtlich ein paar amtliche Papiere verloren, auf denen der Plan verzeichnet stand (bei dem wir die Vorhut bildeten), von Wedsch über Dschefer und den Sirhan nach Tadmor zu marschieren mit der Absicht, Damaskus und Aleppo anzugreifen. Die Türken nahmen diese Dokumente sehr ernst und legten, zu unserem Vorteil, eine starke Besatzung nach Tadmor, die dort bis zum Kriegsende verblieb.