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Nasir hatte tüchtige Arbeit geleistet. Wir hatten von Tafileh für eine Woche Mehl bekommen, so daß wir unsere Bewegungsfreiheit wiedererlangten. So konnten wir Akaba erreichen, bevor wir wieder am Verhungern waren. Er hatte gute Nachrichten von den Dhumanijeh, den Darauscha und den Dhiabat, drei Howeitatclans am Nagb el Schtar, dem ersten schwierigen Paß auf der Straße von Maan nach Akaba. Sie waren bereit, uns zu helfen, und wenn sie bald und energisch bei Aba el Lissan losschlugen, war es wahrscheinlich, daß sie schon durch die Überraschung einen Erfolg errangen.
Meine Hoffnungsfreudigkeit verleitete mich zu einem zweiten verrückten Ritt, der mißglückte. Aber die Türken bekamen nicht Wind davon. Als ich mit meinen Leuten zurückkehrte, kam ein Eilbote von Nuri Schaalan. Er brachte Grüße von ihm und die Nachricht, daß die Türken seinen Sohn Nawaf als Führer und Geisel angefordert hätten; er sollte mit vierhundert Mann Kavallerie von Dera nach dem Sirhan vorgehen, um uns zu suchen. Nuri hatte statt dessen seinen Neffen Trad gesandt, der eher auf Schonung rechnen konnte; dieser führte die Türken auf Nebenwege, wo Mann und Pferde schwer unter dem Durst zu leiden hatten. Sie näherten sich jetzt Nebk, unserem alten Lagerplatz. Das türkische Oberkommando würde glauben, daß wir noch dort im Wadi standen, bis ihre Kavallerie zurückgekehrt war und Nachricht brachte. Für Maan insbesondere hegten die Türken keinerlei Besorgnis, da ihre Ingenieure, die Bair gesprengt hatten, berichteten, daß jede Wasserquelle bis auf den Grund zerstört sei und die Brunnen von Dschefer ein paar Tage später gesprengt worden wären.
Möglicherweise fanden wir in Dschefer überhaupt kein Wasser; aber es blieb immerhin die Hoffnung, daß auch bei den dortigen Zerstörungen die jämmerlichen Türken schlechte Arbeit gemacht hatten. Dhaif-Allah, einer der nach Wedsch zum Treuschwur gekommenen Führer der Dschasi-Howeitat, war zugegen gewesen, als der Königsbrunnen in Dschefer durch rings um seinen Rand gelegte Dynamitladungen gesprengt worden war. Er schickte uns geheime Nachricht von Maan, daß, soviel er wüßte, die steinerne Umfassung in sich zusammengebrochen wäre und den Brunnenmund verstopft hätte; seiner Ansicht nach wäre der Schacht intakt und seine Öffnung erfordere nur eine Arbeit von wenigen Stunden. Wir konnten nur hoffen, daß dem so wäre, und marschierten programmäßig am 28. Juni von Bair ab.
Rasch durchritten wir die unheimlich öde Ebene von Dschefer, und zu Mittag des nächsten Tages erreichten wir die Brunnen. Sie waren vollkommen unbrauchbar gemacht; und die Besorgnis wuchs, daß wir hier auf die erste Störung unseres Operationsplans stoßen würden, die bei einem so bis in alle Einzelheiten ausgearbeiteten Plan weitreichende Folgen haben konnte.
Indessen machten wir uns zu dem Brunnen – Audas Familienbesitz – auf, über den uns Dhaif-Allah Nachricht gegeben hatte, und begannen den Boden ringsum mit unsern hölzernen Schlegeln abzuklopfen. Es klang hohl unter den Schlägen, und wir riefen Freiwillige zum Graben auf. Einige der Ageyl meldeten sich unter der Führung des tüchtigen Mirsugi, eines von Nasirs Dienern. Mit den wenigen Werkzeugen, die wir hatten, machten sie sich an die Arbeit, während wir übrigen rings um die Brunnensenkung standen, die Schaffenden durch Gesang ermunterten und klingende Belohnung versprachen, wenn sie Wasser fänden.
Es war eine heiße Arbeit unter der vollen Glut der Sommersonne, denn die zwanzig Meilen breite Ebene von Dschefer war wie eine flache Tenne aus hartem Lehm, mit grell blendenden Salzflächen überzogen. Doch die Zeit drängte, und fanden wir kein Wasser, so mußten wir noch in der gleichen Nacht fünfzig Meilen weiter bis zum nächsten Brunnen marschieren. So wurde in der Mittagshitze weiter geschafft und das Werk durch Ablösung und Einstellen frischer Kräfte – alle waren zum Mithelfen bereit – beschleunigt. Glücklicherweise ging das Ausgraben ziemlich leicht, denn durch die Explosion, die die Steine durcheinandergeworfen hatte, war auch der Boden gelockert worden.
Schließlich, nachdem man eine Weile gegraben und die Erde herausbefördert hatte, trat im Mittelpunkt der Grube der Kopf des Brunnens, ein hochgetürmter Haufen roter Steine, zutage. Mit aller Vorsicht wurde nun das obere zerstörte Mauerwerk beiseite geschafft, ein schwieriges Werk, denn die Steine hingen infolge der Sprengung nur lose aneinander; aber das war ein gutes Zeichen, und unsere Zuversicht wuchs. Kurz vor Sonnenuntergang riefen die Arbeitenden herauf, daß die Blöcke von Schutt und Erde frei wären, und daß man hören könnte, wie die in den Lücken durch die Ritzen fallenden Lehmbrocken mehrere Fuß tief ins Wasser plantschten.
Eine halbe Stunde später gab es ein mächtiges Gepolter in die Tiefe stürzender Steine, gefolgt von dumpfem Aufklatschen und Freudenrufen. Wir eilten herbei, und im Lichte von Mirsugis Fackel blickten wir in die gähnende Öffnung des Brunnens. Der Schacht war zu einer tiefen, flaschenförmig erweiterten Grube geworden, auf dem Grunde etwa zwanzig Fuß breit. Die dunkle Wasserfläche spritzte in der Mitte weißschäumend auf von dem verzweifelten Umsichschlagen des Ageyli, der beim Nachgeben der Ummauerung mit in die Tiefe gerutscht war. Wir amüsierten uns über sein Gepaddel, bis ihm dann Abdulla eine Seilschlinge zuwarf und er daran heraufgezogen wurde, patschnaß und schimpfend, aber unverletzt.
Wer mitgeholfen hatte, wurde belohnt, und wir feierten das Ereignis durch Schlachtung eines mageren Kamels, das auf dem Marsch versagt hatte. Dann wurde die ganze Nacht hindurch getränkt, während eine Gruppe Ageyl, unter aufmunternden Chorgesängen, unten im Brunnen arbeitete und einen aus Lehm und Steinen festgefügten Schacht von acht Fuß Breite aufrichtete. Bei Morgengrauen wurde ringsum die Erde festgestampft, und nun stand der Brunnen fix und fertig, genau so schön wie vorher, nur gab er nicht mehr viel Wasser. Wir schöpften vierundzwanzig Stunden lang ununterbrochen bis auf den modrigen Grund, aber doch blieben einige der Kamele ungesättigt.
Von Dschefer aus wurde das weitere Vorgehen eingeleitet. Reiter wurden zu den Zelten der Dhumanijeh vorgeschickt zur Durchführung des von ihnen zugesagten Angriffs auf das Blockhaus bei Fuweilah, das den Paßübergang von Aba el Lissan sperrte. Der Angriff sollte gerade zwei Tage vor dem Eintreffen der türkischen Proviantkolonne stattfinden, die von Maan aus regelmäßig einmal in der Woche die verschiedenen Posten an der Straße versorgte. Sahen sich all die kleinen, weit auseinandergezogenen Abteilungen vollständig von ihren Verbindungen abgeschnitten, so mußte ihnen sehr bald der Hunger eindringlich zu Gemüte führen, daß jeder Widerstand nutzlos war.
Inzwischen mußten wir in Dschefer den Ausgang des Unternehmens abwarten. Von seinem Erfolg oder Mißlingen hing die Richtung unseres weiteren Marsches ab. Die erzwungene Rast entbehrte nicht eines gewissen Reizes, denn unsere Lage hatte auch ihre komische Seite. Wir konnten von Maan aus gesehen werden während der kurzen Minuten des Tages, in denen nicht die flimmernde Luftspiegelung jeden Gebrauch von Auge oder Glas unmöglich machte; und dennoch streunten wir hier, unseres wiederhergestellten Brunnens froh, in voller Seelenruhe umher, weil die türkische Besatzung jedes Wassernehmen hier oder in Bair für ausgeschlossen hielt und sich in dem angenehmen Glauben wiegte, wir lägen uns gerade mit ihrer Kavallerie im Sirhan hoffnungslos in den Haaren.
Ich lag stundenlang, träge vor Hitze, im Schatten eines Busches ausgestreckt, meinen weiten, seidenen Ärmel über das Gesicht gezogen als Schleier gegen die Fliegen, und tat, als ob ich schliefe. Auda saß neben mir. Er redete wie ein Wasserfall und gab seine schönsten Geschichten in großer Form zum besten. Schließlich unterbrach ich ihn mit dem lächelnden Tadel, daß er zuviel rede und zu wenig tue. Er leckte sich zur Antwort nur vergnügt die Lippen im Vorgenuß der kommenden Taten.
In der Frühe des nächsten Morgens erschien ein erschöpfter Reiter in unserem Lager und brachte die Nachricht, daß die Dhumanijeh am Nachmittag gleich nach Eintreffen unserer Boten den Angriff auf das Blockhaus bei Fuweilah begonnen hätten. Doch war die Überrumpelung nicht ganz gelungen, die Türken hätten ihre steinernen Brustwehren besetzt und den Angriff abgeschlagen. Die entmutigten Araber zogen sich in sicheren Schutz zurück; und der Feind, in dem Glauben, es handle sich hier um einen der gewöhnlichen Überfälle durch die Stämme, hatte eine Abteilung Berittener gegen das nächstgelegene Zeltlager ausgesandt.
Dort waren nur ein alter Mann, sechs Frauen und sieben Kinder zurückgeblieben. In ihrem Ärger darüber, daß sie keinen mannbaren Gegner antrafen, zerstörten sie das ganze Lager und schnitten den Wehrlosen die Kehle durch. Die in den Bergen versteckten Dhumanijeh hörten erst davon, als es schon zu spät war; dann aber warfen sie sich wuterfüllt den Mördern auf ihrem Rückzug entgegen und machten sie bis fast auf den letzten Mann nieder. Um ihre Rache vollständig zu machen, griffen sie das nunmehr nur noch schwach besetzte Blockhaus an, eroberten es im ersten wilden Ansturm und machten keine Gefangenen.
Wir hatten sehr rasch gesattelt und aufgeladen, und zehn Minuten später waren wir auf dem Marsch nach Ghadir el Hadsch, der ersten Eisenbahnstation südlich Maan, auf unserm direkten Weg nach Aba el Lissan gelegen. Gleichzeitig entsandten wir eine schwache Abteilung nordwärts, die hart oberhalb Maan die Eisenbahn überschreiten und dadurch die Aufmerksamkeit des Feindes nach jener Seite ablenken sollte. Insbesondere sollte sie die starken Herden erholungsbedürftiger Kamele bedrohen, die von der türkischen Palästinafront auf die Weiden von Schobek gesandt worden waren, um wieder verwendungsfähig zu werden.
Wir rechneten damit, daß die Nachricht vom Fall des Postens bei Fuweilah erst am Morgen Maan erreicht haben konnte, und daß sie nicht vor Einbruch der Nacht diese Kamelherden in Sicherheit bringen und eine Entsatzexpedition in Marsch setzen konnten. Und wenn wir dann die Eisenbahn bei Ghadir el Hadsch angriffen, so würden sie aller Voraussicht nach die Entsatzabteilung dahin abbiegen lassen, während wir ungehindert unsern Weg auf Akaba fortsetzen konnten.
In dieser Hoffnung ritten wir in stetigem Tempo durch die wogende Spiegelung der Wüste, und am Nachmittag erreichten wir die Eisenbahn. Hier wurde zunächst eine breite Strecke von feindlichen Posten und Patrouillen gesäubert, und dann machten wir uns an die wichtigsten Brücken innerhalb des gewonnenen Abschnittes. Die schwache Besatzung von Ghadir el Hadsch machte mit dem Mut des Ahnungslosen einen Ausfall gegen uns, aber der Dunst der Hitze blendete sie, und wir trieben sie mit Verlusten zurück.
Sie verfügten über den Telegraphen, und es war anzunehmen, daß sie Maan benachrichtigen würden, wo man überdies die wiederholten Detonationen unserer Sprengungen hören mußte. Unsere Absicht war, in der Dunkelheit den Feind auf uns zu locken, oder vielmehr hierher, wo er keinen Gegner, wohl aber viele zerstörte Brücken finden würde, denn wir arbeiteten rasch und mit gutem Erfolg. Jede der Wasserrinnen im Mauerwerk der Brücken wurde mit drei bis vier Pfund Sprengstoff geladen. Dann wurden die Minen durch Kurzzündung zur Explosion gebracht, und in weniger als sechs Minuten Arbeit hatten wir die Bogen durchschlagen, den Oberbau gesprengt und den Damm aufgerissen. Auf diese Weise zerstörten wir zehn Brücken und viele Gleise und verbrauchten dabei unsern ganzen Vorrat an Sprengmaterial.
Nach Einbruch der Dunkelheit, als unser Abmarsch nicht mehr gesehen werden konnte, zogen wir uns zehn Meilen nach Westen zu in sichere Deckung. Dort wurde Feuer angemacht und Brot gebacken. Doch war unser Mahl noch nicht bereitet, als drei Reiter in vollem Galopp herankamen und meldeten, daß eine lange Kolonne neuer feindlicher Truppen – Infanterie und Geschütze – soeben von Maan herkommend bei Aba el Lissan aufgetaucht sei. Die durch den Sieg desorganisierten Dhumanijeh hatten das Gebiet kampflos räumen müssen. Sie waren jetzt in Batra und warteten auf uns. So hatten wir also Aba el Lissan, das Blockhaus, den Paß und den Besitz der Straße nach Akaba verloren, ohne daß ein Schuß gefallen wäre.
Später erfuhren wir, daß diese höchst unwillkommene und ungewohnte Kraftentfaltung der Türken mehr ein Zufall gewesen war. Gerade an jenem Tage war ein Ersatzbataillon in Maan ausgeladen worden. Zu gleicher Zeit war die Nachricht von einer Demonstration arabischer Stämme gegen Fuweilah eingetroffen; daraufhin war das Bataillon, das eben auf dem Bahnsteig zum Abmarsch nach den Baracken bereitstand, schleunigst durch eine Sektion Gebirgsartillerie und eine kleine Kavallerieabteilung verstärkt und zum Entsatz des vermeintlich belagerten Blockhauses abgesandt worden.
Sie hatten Maan am Vormittag verlassen und marschierten langsam auf der großen Straße vor; die Mannschaften, meist den schneebedeckten Bergen Kaukasiens entstammend, schwitzten in der Glut dieses südlichen Landes und taten sich an jeder Quelle gütlich. Von Aba el Lissan stiegen sie bergaufwärts bis zu dem alten Blockhaus, das still und verlassen dalag. Nur lautlose Geier zogen ihre langsamen, unheimlichen Kreise über den Mauern. Der Bataillonskommandeur fürchtete, daß der Anblick, der sich im Innern der Station bot, für seine jungen Truppen zuviel sein möchte, und führte sie zu der Quelle an der Straße von Aba el Lissan zurück, wo sie die ganze Nacht friedlich um das Wasser herum lagerten.