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Der Mittag brachte eine neue Sorge. Durch mein gutes Fernglas sah ich, daß eine feindliche Abteilung, etwa hundert Mann stark, die Station Mudewwere verließ und über die Sandfläche hinweg direkt gegen unsern Standort vorging. Sie marschierten sehr langsam und zweifellos recht mißvergnügt, da sie auf diese Weise um ihren geliebten Mittagsschlaf gekommen waren; aber auch bei äußerst zögernder Vorwärtsbewegung konnten sie kaum länger als zwei Stunden brauchen, um uns zu erreichen.
Wir begannen aufzupacken, um nötigenfalls für den Abzug gerüstet zu sein. Mine und Leitung wollten wir ruhig liegenlassen in der Hoffnung, daß die Türken sie nicht finden würden, und daß wir vielleicht später zurückkehren könnten, um die Früchte des mühseligen Werks doch noch zu ernten. Zu unserer Deckungsabteilung im Süden wurde ein Bote abgesandt mit der Weisung, sie sollten tiefer in den Bergen zu uns stoßen, möglichst an schwer zugänglichen Stellen, die unseren Kamelen Schutz boten.
Gerade als der Bote abgeritten war, rief der Posten auf der Höhe, daß er in Richtung auf Hallat Ammar dicke Rauchwolken aufsteigen sehe. Saal und ich eilten hinauf und erkannten an Art und Dichtigkeit des Rauches, daß in der Tat ein Zug in der dortigen Station halten mußte. Während wir noch von der Bergkuppe aus beobachteten, setzte sich der Zug plötzlich auf uns zu in Bewegung. Wir riefen den Arabern zu, so rasch als möglich ihre Stellungen einzunehmen, und es begann eine wilde Hatz die Hänge hinauf. Stokes und Lewis konnten in ihren schweren Stiefeln das Rennen natürlich nicht gewinnen, aber sie kamen doch rasch genug hinauf und hatten plötzlich ihre Ruhr und alle sonstigen Beschwerden vergessen.
Die Schützen postierten sich längs des Höhenrandes, der sich – die Zündungsstelle verdeckend – von der Artilleriestellung bis zu dem Talausgang hinzog. Sie konnten von da aus die entgleisten Wagen auf eine Entfernung von kaum hundertfünfzig Yard beschießen, während die Schußweite für die Mörser und Maschinengewehre etwa dreihundert Yard betrug. Auf der Höhe hinter der Artillerie stand ein Posten und rief uns zu, wie der Zug sich verhielt. Das war eine durchaus notwendige Vorsichtsmaßnahme, denn wenn er Truppen heranbrachte und diese hinter unsern Höhen auslud, mußten wir mit blitzartiger Geschwindigkeit eine Drehung machen und uns – nur auf Erhaltung des Lebens bedacht – fechtend das Tal hinauf zurückziehen. Zum Glück fuhr er, von zwei mit Holz geheizten Lokomotiven gezogen, immer in der gleichen Geschwindigkeit weiter.
Er kam an die Stelle, wo man uns gestern gesehen hatte, und begann aufs Geratewohl in die Wüste hineinzufeuern. Ich hörte den Spektakel näher und näher kommen, während ich auf meinem Auslug oberhalb der Brücke hockte, um im geeigneten Moment das Zeichen an Salem zu geben, der in wilder Erregung auf den Knien um den Zündapparat herumrutschte und mit lauter Stimme Gott anflehte, ihm Gelingen zu gewähren. Das türkische Feuer klang stark; und ich überlegte besorgt, mit wieviel feindlichen Kräften wir es zu tun bekommen würden, und ob die Sprengung genügenden Schaden anrichten würde, um die zahlenmäßige Unterlegenheit unserer achtzig Mann wettzumachen. Ich hätte es lieber gesehen, wenn mein erster Versuch mit elektrischer Zündung unter weniger schwierigen Umständen erfolgt wäre.
In diesem Augenblick bogen die beiden, anscheinend sehr schweren Maschinen unter schrillem Pfeifen in die Kurve ein, und der Zug kam in Sicht. Er bestand aus zehn gedeckten Wagen, Fenster und Türen starrend von Gewehrmündungen, während auf den Dächern in kleinen Sandsacknestern türkische Schützen gespannt im Anschlag lagen, um auf uns zu feuern. Ich hatte nicht mit zwei Maschinen gerechnet, entschloß mich aber sofort, die Ladung unter der zweiten zur Explosion zu bringen, damit nicht, im Falle nur geringer Wirkung der Mine, die unbeschädigte Maschine abkuppeln und mit den Waggons zurückfahren könnte.
Demgemäß hob ich, als das vordere Triebrad der zweiten Maschine auf der Brücke war, die Hand zu Salem hin. Es erfolgte ein furchtbarer Knall, und die Bahn entschwand den Blicken hinter einer aufschießenden Säule schwarzen Staubs und Rauchs, hundert Fuß hoch und ebenso breit. Man hörte Krachen und Splittern und den schrillen Metallklang zerberstenden Stahls. Eisen- und Holzteile flogen hoch, und plötzlich wirbelte schwarz aus der Rauchwolke ein ganzes Lokomotivrad hoch in die Luft und segelte rauschend über unsere Köpfe hinweg, bis es mählich niedersank und schwer auf den Wüstenboden hinter uns aufschlug. Außer diesem singenden Flug herrschte Totenstille, kein Schreien oder Schießen, während der nun graue Dampf der Explosion von der Bahn zu uns herüberzog und sich über den Höhenrücken hinweg langsam in den Bergen verlor.
Während dieses lähmenden Schweigens eilte ich zur Artilleriestellung zurück. Salem hatte sein Gewehr ergriffen und schoß blindlings in den Rauch. Ehe ich noch unsere Geschütze erreicht hatte, war der ganze Hang nach der Eisenbahn zu lebendig geworden von Schüssen und den braunen Gestalten der Beduinen, die sich in großen Sätzen auf den Feind stürzten. Ich wandte mich um, um festzustellen, was sich inzwischen ereignet hatte, und sah jetzt auf dem Gleis den auseinandergerissenen Zug stehen. Die Waggonwände zitterten unter dem Geprassel der einschlagenden Geschosse, während aus den offenen Türen Türken herausstolperten, um in den Schutz des Bahndammes zu gelangen.
Indes ich noch schaute, knatterten über meinem Kopf die Maschinengewehre los, und die langen Reihen der Türken oben auf den Waggons kugelten durcheinander und wurden gleich Wollflocken von den Dächern heruntergefegt durch den Geschoßhagel, der prasselnd die Waggons entlang strich und ganze Wolken gelber Holzsplitter aufstieben ließ. Unsere überhöhte Geschützstellung war ein großer Vorteil für uns.
Als ich dann Stokes und Lewis erreichte, hatte der Kampf eine neue Wendung genommen. Der Rest der türkischen Truppen hatte sich hinter dem Bahndamm, der hier elf Fuß hoch war, gesammelt und eröffnete, gedeckt durch die Räder, ein wohlgezieltes Feuer auf die Beduinen, zwanzig Yard jenseits der sandgefüllten Senke. Der Feind lag hier an der erhöhten Kurve im toten Winkel für unsere Maschinengewehre. Doch nun feuerte Stokes seine erste Granate, die wenige Sekunden später jenseits des Zuges in der Wüste explodierte.
Stokes stellte die Richtschraube, und die zweite Granate schlug unmittelbar hinter den Gleisen in den toten Winkel unterhalb der Brücke ein, wo die Türken Schutz gesucht hatten. Sie machte die Stellung zur Schlachtbank. Die Überlebenden der Gruppe stürzten panikartig in die offene Wüste hinaus, im Laufen Gewehre und Ausrüstung von sich werfend. Jetzt kam die Gelegenheit für die Maschinengewehre; und Sergeant Lewis streute Garbe auf Garbe über die offene Fläche, bis der Boden mit Leibern besät war. Muschagraf, der junge Scherari, der das zweite Maschinengewehr bediente, sah, daß der Kampf vorbei war, warf mit einem Freudenschrei seinen Abzugshaken fort und eilte, sein Gewehr aufraffend, den andern nach, die gleich wilden Bestien über die Waggons herstürzten und zu plündern begannen. Das Ganze hatte nur etwa zehn Minuten gedauert.
Ich sah durch mein Fernglas die Strecke hinauf; die Abteilung aus Mudewwere wandte sich zögernd der Bahn zu, den Flüchtlingen entgegen, die, so eilig sie konnten, nach Norden zu entwichen. Ich sah nach Süden: unsere dreißig Mann kamen auf ihren Kamelen Kopf an Kopf angaloppiert, um ihren Anteil an der Beute zu erhalten. Als die Türken sie sahen, begannen sie, mit großer Bedachtsamkeit ihnen folgend, gegen uns vorzugehen und von Zeit zu Zeit zu feuern. Wir hatten noch eine halbe Stunde Zeit, dann würde uns der Feind von zwei Seiten bedrohen.
Ich ging hinunter an die Sprengstelle, um die Wirkung der Mine zu sehen. Ein Brückenbogen war in die Luft geflogen und der erste mit Kranken vollbesetzte Wagen in den Abgrund gestürzt. Der Aufprall hatte alle, bis auf drei oder vier, getötet und Sterbende und Tote an das zersplitterte Ende des Waggons zu einem blutenden Haufen zusammengerüttelt. Einer der noch Lebenden schrie im Delirium immer nur das eine Wort »Typhus«. Ich schloß die noch offenstehende Tür und überließ sie dort ihrem Schicksal.
Die nachfolgenden Wagen waren entgleist und ineinandergefahren; einige der Untergestelle waren hoffnungslos verbogen. Die zweite Maschine war nur noch ein Trümmerhaufen rauchenden Eisens. Die Triebräder waren in die Luft geflogen und hatten die Seiten des Feuerungskessels aufgespalten; Führerstand und Tender lagen in Stücke gerissen zwischen dem Schuttgeröll der Brücke. Diese Maschine war für immer dahin. Die vordere Lokomotive war besser weggekommen; zwar lag sie, vollständig entgleist, halb auf der Seite, und der Führerstand war geborsten, aber der Dampf stand noch unter Druck, und das Gestänge war intakt.
Unser wichtigstes Ziel war, die Lokomotiven zu zerstören, und ich hatte eine Sprengpatrone mit Zünder und Zündschnur bei mir, um für einen solchen Fall gerüstet zu sein. Ich brachte sie jetzt an dem Außenzylinder an. Der Kessel wäre dazu besser geeignet gewesen, aber ich fürchtete, daß durch den ausströmenden Dampf eine große Explosion entstehen konnte, die meine Leute (die wie Ameisen die Beute umschwärmten) in Stücke zerrissen hätte. Und sie hörten bestimmt nicht eher zu plündern auf, bis die Türken kamen. So steckte ich die Zündschnur in Brand und trieb während der halben Minute, die ich noch Zeit hatte, die Plünderer mit Mühe zurück. Dann explodierte die Ladung und zerriß den Zylinder und die Achse in Fetzen. Im Moment fürchtete ich, daß dieser Schaden nicht genügen würde; aber die Türken fanden später die Maschine unbrauchbar und verschrotteten sie.
Das Tal war der reinste Hexenkessel. Die Araber, wie von Sinnen gekommen, rasten umher, barhäuptig, halbnackt, brüllend, blindlings schießend und sich gegenseitig mit Nägeln und Fäusten bearbeitend, während sie Waggons aufbrachen und mit riesigen Ballen hin und her stolperten, die sie dann dicht bei den Gleisen aufschnitten und durchwühlten, alles entzweischlagend, was sie nicht brauchen konnten.
Der Zug war gesteckt voll von Flüchtlingen und Kranken gewesen, dazu von Freiwilligen für den Dienst auf den Euphratdampfern und türkischen Offiziersfamilien, die nach Damaskus zurückkehrten.
Da lagen weit umhergestreut Stapel von Teppichen; Dutzende von Matratzen und geblümten Polstern; Männer- und Frauenkleider in buntestem Durcheinander; Uhren, Kochtöpfe, Nahrungsmittel, Schmuckstücke, Waffen. Dort stand eine Gruppe von dreißig bis vierzig Frauen, unverschleiert, mit zerrissenen Kleidern, wie wahnsinnig schreiend und sich die Haare raufend. Die Araber, ohne einen Blick für sie, fuhren fort zu rauben und zu zerstören und sich nach Herzenslust satt zu plündern. Kamele waren Gemeingut geworden. Jeder packte in wahnsinniger Hast auf das nächste beste auf, was das Tier tragen konnte, und jagte es dann westwärts in die Weite, sofort wieder auf neuen Raub bedacht.
Die Frauen sahen mich unbeschäftigt stehen und stürzten, um Gnade jammernd, auf mich zu. Ich versicherte ihnen, daß ihnen nichts geschehen würde; doch wollten sie nicht von mir ablassen, bis einige der Ehemänner mich von ihnen befreiten. Sie stießen ihre Frauen weg, warfen sich vor mich hin und umklammerten meine Füße in wilder Angst, sofort getötet zu werden. Ein so jammervoll zusammengebrochener Türke war ein widerliches Schauspiel: ich stieß sie weg, so gut es mit meinen nackten Füßen ging, und wurde sie endlich los.
Dann kam ich zu einer Gruppe österreichischer Offiziere und Unteroffiziere, die mich ruhig auf türkisch um Schonung baten. Ich antwortete in gebrochenem Deutsch, worauf einer von ihnen mich auf englisch um einen Arzt für seine Verletzungen bat. Wir hatten keinen; aber das machte nichts, denn er war tödlich verwundet und lag im Sterben. Ich erklärte ihnen, daß die Türken in einer Stunde zurückkehren und sich um sie kümmern würden. Aber er starb schon vorher – und ebenso auch die meisten anderen (es waren Instrukteure für die neuen Skoda-Haubitzen, die der Türkei für den Hedschaskrieg geliefert worden waren). Es entstand nämlich ein Streit zwischen ihnen und meiner Leibgarde, und einer von ihnen schoß auf den jungen Rahail. Meine Leute wurden wütend und machten sie bis auf zwei oder drei nieder, bevor ich zurück war und mich ins Mittel legen konnte.
Soweit man bei der allgemeinen Aufregung feststellen konnte, hatten wir keine Verluste erlitten. Unter den neunzig gefangenen Soldaten waren fünf Ägypter in ihren Unterkleidern. Sie kannten mich und erzählten mir, daß sie bei einem nächtlichen Streifzug Davenports beim Wadi Aijs durch die Türken abgeschnitten und gefangengenommen worden seien. Sie berichteten mir einiges von Davenports Tätigkeit: wie er sich in Abdullas Abschnitt abmühte und ihn allein Monat für Monat weiter in Tätigkeit erhielt, ohne Ermutigung durch einen Erfolg oder die Begeisterung der örtlichen Stämme. Seine besten Helfer waren solche dumme Infanteristen wie die Ägypter, denen ich den Auftrag gab, die Gefangenen zu unserem festgesetzten Sammelplatz in den Salzbergen zu führen.