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Einundsechzigstes Kapitel

Lewis, der Australier, immer begierig, sich auszuzeichnen, kam zu mir und erklärte, daß er und Stokes sich mir gern anschließen möchten bei dem Unternehmen – ein mir nicht unwillkommener Vorschlag. Waren sie dabei, so konnte ich mich auf meine technische Abteilung, namentlich beim Angriff auf geschulte Truppen, unbedingt verlassen. Außerdem wünschten sie sehr dringend mitzugehen, und ihre bisherige Leistung verdiente Belohnung. Immerhin wurden sie darauf aufmerksam gemacht, daß ihre Erfahrungen dabei nicht immer erfreulicher Natur sein würden. Bei den Märschen und Kämpfen im Innern der Wüste ginge es, auch in puncto Verpflegung, nicht nach Vorschrift und Regel, und irgendwelche Erleichterungen könnten ihnen nicht gewährt werden. Sie müßten sich darauf gefaßt machen, alle gewohnte Bequemlichkeit und die bevorzugte Stellung des englischen Heeresangehörigen dranzugehen und alles, aber auch alles (ausgenommen die Beute!) mit den Arabern zu teilen und sich hinsichtlich Verpflegung und Disziplin völlig auf gleich und gleich mit ihnen zu stellen. Ginge überdies mit mir selbst etwas schief, so würden sie, die nicht Arabisch sprachen, in eine sehr bedenkliche Lage kommen.

Lewis entgegnete, daß gerade etwas so Ungewohntes ganz nach seinem Geschmack wäre. Stokes äußerte nur, wenn wir es könnten, so könnte er es auch. Also wurden ihnen zwei meiner besten Kamele zugewiesen (die Satteltaschen mit kaltem Fleisch und Zwieback gefüllt), und am 7. September 1917 brachen wir auf, das Wadi Ithm aufwärts, um uns unsere Howeitat von Auda in Guweira zu holen.

Im Interesse der beiden Sergeanten und um sie erst allmählich an das Neue zu gewöhnen, wurde die Sache anfangs nicht so gefährlich gemacht, wie ich gesagt hatte. Am ersten Tage, solange wir noch Herren unserer Entschlüsse waren, wurde nur langsam vorgerückt. Keiner von ihnen hatte vorher auf einem Kamel gesessen, und es stand zu befürchten, daß die fürchterliche Glut der nackten Felsen von Ithm sie zur Strecke bringen würde, ehe der Marsch noch richtig begonnen hatte. September war für diese Gegend ein sehr ungünstiger Monat. Einige Tage zuvor war das Thermometer im Schatten eines Palmenhaines am Strand von Akaba auf einhundertzwanzig Grad Etwa 50 Grad C. (A. d. Ü.) gestiegen. Zu Mittag wurde daher unter einem Felsvorsprung haltgemacht, gegen Abend nur noch zehn Meilen weitermarschiert und dann zur Nacht gelagert.

Wir waren reichlich mit Tee, Reis und Fleisch versehen. Es war ein stilles Vergnügen für mich, die Rückwirkung der neuen Umwelt auf die beiden Sergeanten zu beobachten. Jeder reagierte auf die Art, wie ich erwartet hatte.

Der Australier fühlte sich vom ersten Augenblick an wie zu Hause und gab sich den Arabern gegenüber ungezwungen. Als sie darauf eingingen und sich ihm gegenüber ebenfalls kameradschaftlich gaben, war er erstaunt und beinahe beleidigt, da er nie erwartet hatte, seine Freundlichkeit könnte sie dazu verleiten, den Unterschied zwischen einem Weißen und einem Braunen zu vergessen.

Diese Sachlage wirkte erheiternd, da er viel brauner war als meine neuen Gefolgsleute. Von diesen interessierte mich der jüngste am meisten. Er hieß Rahail und war noch ganz knabenhaft, ein schön gebauter, starker Bursche, etwas zu wohlgenährt für das Leben, das uns bevorstand, aber deshalb auch imstande, mehr zu ertragen. Seine Gesichtsfarbe war hell, seine Wangen etwas voll und vorgewölbt, fast Hängebacken. Der Mund war klein und aufgeworfen, das Kinn sehr spitz. Dadurch und durch die geschwungenen, starken Brauen und die durch Antimon künstlich vergrößerten Augen bekam er einen zugleich listigen und mutwilligen Ausdruck und etwas von einer künstlich angenommenen müden Geduld, die auf Stolz beruhte. Er sprach geziert in einem ziemlich gewöhnlichen Dialekt; im Gespräch war er vorlaut und dreist im Reden, stets angriffslustig, prahlerisch, unruhig und nervös. Sein Geist war nicht so stark wie sein Körper, aber beweglich. Wenn er müde oder verärgert war, fing er erbärmlich zu weinen an, hörte aber ebenso schnell auf, wenn man ihn beruhigte, und war dann wieder fähig, neue Anstrengungen zu ertragen. Meine Leute, Mohammed, Ahmed und die beiden neuen, Raschid und Assaf, ließen Rahail viel durchgehen, teils weil er das Unbekümmerte eines jungen Tieres hatte, teils weil er gern seine Person in den Vordergrund stellte. Ein- oder zweimal mußte er zurechtgewiesen werden, weil er den Sergeanten gegenüber frech wurde.

Stokes, der Engländer, wurde unter den fremden Arabern noch mehr er selbst, noch mehr Engländer. Seine zurückhaltende Korrektheit erinnerte meine Leute bei jeder Bewegung daran, daß er anders als sie und ein Engländer war. Diese Einschätzung brachte ihm Respekt ein. Für sie war er »der Sergeant«, während Lewis »die lange Latte« war.

Das waren Charakteristika, die bei fast allen Engländern, verschieden abgestuft, zu finden waren. Es war beschämend zu sehen, daß wir bei allem Bücherwissen, bei unserer Kenntnis aller Länder und Zeiten doch noch Vorurteile hatten wie Waschfrauen, ohne dabei über ihre Zungenfertigkeit zu verfügen, durch die sie sich mit Fremden anbiedern. Unter den Engländern im Nahen Osten gab es zwei Klassen. Die erste Klasse war feinfühlig und anpassungsfähig, sie nahm die Merkmale der sie umgebenden Völker an, ihre Sprache, ihre hergebrachte Denkweise, ja fast ihre Sitten. Sie lenkten die Menschen, ohne daß diese es merkten, und führten sie nach ihrem Willen. Hinter dieser reibungslosen Beeinflussungsfähigkeit lag ihre eigene Natur verborgen und unbeachtet.

Die zweite Klasse war der John Bull, wie er im Buche steht, der immer englischer wurde, je länger er von England entfernt war. Er machte sich ein eigenes Alt-England zurecht, die Heimat aller nur denkbaren Tugenden, das sich aus der Entfernung so glänzend ausnahm, daß er heimkehrend die Wirklichkeit als traurigen Verfall sah und sein wirrköpfiges Ich auf eine streitsüchtige Verteidigung der guten alten Zeiten zurückzog. Draußen war er in seiner gewappneten Sicherheit ein schönes Beispiel aller unserer Eigenarten. Er stellte den vollkommenen Engländer dar. Auf seinem Wege gab es ständig Reibungen, und seine Leitung war weniger glatt als die des intellektuellen Typs; doch sein standhaftes Beispiel machte Schule.

Beide Arten arbeiteten in der gleichen Richtung, der eine geräuschvoll, der andere durch stille Führung. Und beide waren sie davon überzeugt, daß der Engländer ein auserwähltes, unnachahmliches Wesen, und ihn zu kopieren Frechheit oder Lästerung war. In dieser Überzeugung drängten sie den Völkern das nächste Beste auf. Gott hatte sie zwar nicht als Engländer erschaffen, doch hatten sie die Pflicht, in ihrer Art so gut wie möglich zu sein. Infolgedessen bewunderten wir ihre Sitten, studierten ihre Sprache, schrieben Bücher über ihre Architektur, ihr Volkstum, ihre sterbenden Handwerkskünste. Und dann wachten wir eines Tages auf und entdeckten, daß diese primitiven Geister sich mit Politik befaßten, und wir schüttelten besorgt die Köpfe über ihren undankbaren Nationalismus – der doch nur die schöne Frucht unserer unschuldigen Bemühungen war.

Obgleich die Franzosen ähnlich wie wir von dem Grundsatz ausgingen, daß sie die Vollendung der Menschheit waren (bei ihnen war das allerdings nicht ein verborgener Instinkt, sondern ein Dogma), zogen sie im Gegensatz zu uns die Folgerung daraus, daß sie ihre unterworfenen Völker ermutigten, ihnen nachzustreben. Diese konnten zwar niemals die wahre Höhe des Franzosen erreichen, aber ihr Wert wurde größer, je näher sie ihr kamen. Wir hielten es für komisch, wenn man uns nachahmte, die Franzosen für eine Huldigung.

In der frühen Hitze des nächsten Tages näherten wir uns Guweira. Wir ritten eben gemächlich über eine sandige Ebene, deren graugrüner Grund vom letzten Schimmer der Morgenröte überleuchtet wurde, als sich plötzlich ein Brummen hoch in der Luft vernehmen ließ. Wir bogen rasch von der offenen Straße seitlich ab auf die buschbesetzten Flächen, wo die Kamele mit ihrer unregelmäßigen Färbung von dem feindlichen Flieger nicht bemerkt werden konnten; denn die Lasten hochexplosiver Schießbaumwolle sowie der Vorrat an schweren Granaten für Stokes' Geschütze bedeuteten eine wenig angenehme Nachbarschaft bei Fliegerangriffen. Dort warteten wir ruhig, im Sattel bleibend, während die Kamele das bißchen Fressenswerte von den Büschen abknabberten, bis das Flugzeug zweimal über den Bergen von Guweira gekreist war und drei Bomben heruntergeknallt hatte.

Wir sammelten unsere Karawane wieder auf dem Weg und zogen langsam dem Lager zu. Guweira wimmelte von Leben, da dort ein Markt der Howeitat aus den Bergen und dem Hochlande abgehalten wurde. So weit das Auge reichte, wogte die Ebene von Kamelherden; es waren so viele, daß die Brunnen jeden Morgen schon vor der Dämmerung ausgeschöpft waren und die Spätaufsteher viele Meilen wandern mußten, um zu tränken.

Das machte wenig aus, denn die Araber hatten nichts zu tun, als jeden Morgen auf das Flugzeug zu warten; und wenn es vorbei war, schwatzten sie, um die Zeit totzuschlagen, bis es spät genug war, sich schlafen zu legen. Geschwätz und Muße aber waren zu reichlich vorhanden und hatten alte Feindschaften wiederaufleben lassen. Auda strebte danach, aus unserer Abhängigkeit von seiner Hilfe bei der Aufstellung der Stämme Vorteil zu ziehen. Er empfing den Gesamtsold für die Howeitat und benutzte das Geld dazu, die kleineren, unabhängigen Clans unter seine Führerschaft zu bringen.

Das gefiel den Howeitat nicht, und sie drohten, sich entweder in ihre Berge zurückzuziehen oder die Verbindung mit den Türken wiederaufzunehmen. Faisal sandte Scherif Mastur als Vermittler herauf. Die Tausende von Howeitat, Hunderte von Clans, waren unversöhnlich und dickschädlig. Sie zufriedenzustellen, ohne Auda zu verstimmen, war eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Außerdem waren hundertundzehn Grad im Schatten, und der Schatten war eine Wolke von Fliegen.

Die drei südlichen Clans, auf die wir für unser Unternehmen gezählt hatten, gehörten zu den Abtrünnigen. Mastur sprach mit ihnen, der Scheik der Abu Taji redete, wir alle redeten – ohne Erfolg. Es schien, als würden unsere Pläne schon vor Beginn zunichte.

Als ich eines Vormittags unter den Felsen entlang ging, kam Mastur zu mir und berichtete, daß die südlichen Clans ihre Kamele bestiegen und unser Lager wie unsere Sache verlassen wollten. Voller Unruhe eilte ich in Audas Zelt. Er saß dort auf dem Sandboden und schäkerte mit seiner jüngsten Frau, einem hübschen Mädchen, dessen braune Haut von einem neuen Kleid blau gefärbt war. Als ich unverhofft eintrat, huschte die kleine Frau flink wie ein Kaninchen durch die rückwärtige Klappe des Zeltes hinaus. Um mit Auda ins Gespräch zu kommen, begann ich, den alten Mann zu verspotten, daß er trotz seines Alters noch so närrisch sei wie alle übrigen seines Volkes, die das komische Geschäft des Zeugens nicht als ein unhygienisches Vergnügen, sondern als eine Haupttätigkeit des ganzen Lebens betrachteten.

Auda erwiderte, daß er sich einen Erben wünsche. Ich fragte ihn, ob er das Leben so schön fände, daß er seinen Eltern dafür dankbar sei, daß sie aus Selbstsucht eine ungeborene Seele mit dieser zweifelhaften Gabe des Lebens beschenkten.

Er beharrte auf seinem Standpunkt. »Ich bin Auda«, sagte er, »und du kennst Auda. Mein Vater (dem Gott gnädig sein möge) war ein größerer Herr als ich selbst; und er wieder pries meinen Großvater. Die Welt wird größer, je weiter wir zurückgehen.« – »Aber, Auda, wir rühmen uns doch unserer Söhne und Töchter, der Erben unserer angesammelten Werte, der Vollender unserer brüchigen Weisheit. Mit jeder Generation wird die Erde älter und die Menschheit entfernt sich weiter von ihrer Kindheit …«

Der alte Bursche, der sich heute nicht aufziehen lassen wollte, sah mich aus zugekniffenen Augen milde lächelnd an und wies auf seinen Sohn Abu Taji, der draußen auf der Ebene ein neues Kamel ausprobierte und vergeblich versuchte, es mit Schlägen seines Stockes zum Ausgreifen wie ein Vollblutkamel zu bringen. »O, Menschensohn«, sagte er, »wenn es Gott gefällt, hat der Junge meine Vorzüge geerbt, aber noch nicht meine Stärke, Gott sei Dank; und wenn ich einen Fehler an ihm finde, werde ich ihm den Hintern blutig prügeln. Du bist zweifellos sehr klug.« Das Ergebnis unseres Gesprächs war, daß ich fortreiten und an einem neutralen Ort das Weitere abwarten sollte. Wir mieteten zwanzig Kamele für den Transport der Sprengstoffe; die Stunde für unseren Aufbruch wurde auf den nächsten Tag festgesetzt, zwei Stunden, nachdem das Flugzeug vorbei wäre.

Im Lager von Guweira war das Flugzeug nachgerade eine Art Regulator des täglichen Lebens geworden. Die Araber, wie stets schon vor dem ersten Morgengrauen auf den Beinen, hatten sich auf diesen regelmäßigen Gast schon genau eingerichtet. Mastur pflegte einen Sklaven auf einen Felsgipfel zu setzen, um sein Erscheinen anzumelden. Nahte dann die gewohnte Stunde seines Kommens, so schlenderten die Araber, schwatzend in absichtlich zur Schau getragener Sorglosigkeit, den Felsen zu. Dort angekommen, kletterte jeder auf seinen Lieblingsplatz in den Klippen. Hinter Mastur klomm der Schwarm seiner Sklaven hinauf, mit dem Teppich und dem Kaffee auf offenem Kohlenbecken. In einer schattigen Ecke saß er dann mit Auda zusammen und unterhielt sich, bis dann der kleine Schauer der Erregung über die dichtbesetzten Klippennester lief, wenn das erste leise Surren der Maschine vom Paß von Schtar herübertönte.

Alles drückte sich gegen die Wände und verhielt sich still, während der Feind, ohne ein sicheres Ziel zu finden, über dem seltsamen Schauspiel dieses roten Felsgeländes kreiste, das mit Tausenden von buntgekleideten Arabern gesäumt war, gleich Ibissen in jede Ritze des Gesteins eingenistet. Das Flugzeug warf je nach dem Wochentag drei, vier oder fünf Bomben ab. Der aufquellende Rauch lag eine Weile dicht wie Watteballen auf der blaßgrünen Ebene und wand und drehte sich dann in der windstillen Luft einige Minuten lang um sich selbst, ehe er sich langsam zerteilte und zerfloß. Wußten wir auch, daß keine Gefahr dabei war, so hielten wir doch den Atem an, wenn das Krachen der krepierenden Bomben das Geknatter der über uns kreisenden Maschine unterbrach.


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