Egon Erwin Kisch
Paradies Amerika
Egon Erwin Kisch

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Filmkostüme

Es war einmal vor vielen, vielen Jahren, als es auf der Erde noch überhaupt kein Kino gab . . .

»Das wird fein«, riefen die Kinder, »mal ein richtiges Märchen . . .«

. . . also damals, 1905, kam zur Weltausstellung nach Saint Louis ein junger Amerikaner namens L. L. Burns mit seiner Truppe von zehn Indianern . . .

»Großmama, gab es damals noch Indianer in Amerika?«

Jawohl, Kinderchen, damals gab es noch zehn Indianer in Amerika, und die traten in Schaubuden auf wie in der von Mr. L. L. Burns. Nun, und als die Ausstellung zu Ende war, kehrten die Indianer in ihren Autos nach Hause zurück . . .

»Großmama, was ist denn das: Autos?«

Autos waren Flugzeuge, die sich nur auf der Erde bewegen konnten, so daß man nur sehr langsam vorwärts kam . . .

»Großmama, konnte man denn durch die Häuser durchfahren?

Nein. Zwischen den Häusern waren Lücken gelassen, die nannte man »Straßen«, und darin bewegten sich die Autos und mußten immerfort anhalten oder ausweichen oder tuten – es war eine schrecklich langsame Zeit. Aber ihr dürft mich nicht immerfort unterbrechen, sonst kann ich euch das Märchen nicht zu Ende erzählen, verstanden, Kinderchen?

»Ja, ja, erzähl uns das Märchen. Wir werden mäuschenstille sein!«

Also, die zehn Indianer kehrten nach Hause zurück, und zwar in ihren alten Kleidern, in denen sie gekommen waren und die der Mr. Burns für viel zuwenig ausstellungswürdig und viel zuwenig indianisch gehalten hatte, weshalb er ihnen bei einem Schneider in St. Louis wilde Gewänder machen ließ. Mit diesen stand nun Mr. Burns da. Man riet ihm, damit nach Los Angeles zu gehen und einen kleinen Laden aufzumachen. Diese Stadt habe mexikanisches Blut in den Adern und liebe Masqueratos und Mummenschanz. Gut, sagte sich Mr. Burns, wenn ich jedes der zehn Indianerkostüme nur zweimal im Monat verleihe, so kann ich sechzig Dollar verdienen und damit zur Not leben . . .

»Da mußte er aber seinen Laden auch als Wohnung benutzen, um mit fünfzehn Dollar in der Woche auszukommen«, berechnete eines der Kinder.

Ja, das tat er, aber es ging ihm sehr schlecht. Er vermietete kaum sechs Kostüme. Da kam eines schönen Tages ein Mann ins Geschäft und sagte, er sei der Colonel Selig, der auf dem leeren Hügel Hollywood die beweglichen Bilder für die Schaubuden photographiere. Diesmal solle es ein großes indianisches Schaustück werden, und er brauche deshalb acht Indianerkostüme für anderthalb Tage. Und dann kam der Colonel Selig noch einmal und sagte, er wolle jetzt das größte seiner Western Pictures machen, eine Riesensache, für die er achtzig Dollar ausgeben werde . . .

»Achtzig Dollar für einen Film!« riefen die Kinder und klatschten in die Hände.

»Gab es denn damals keinen Star?« fragte eines.

Nein, damals gab es noch keine Stars, erwiderte die Großmutter.

»Ich fürchte mich so«, rief das Kleinste und schmiegte sich an die Großmutter.

Ja, also Colonel Selig wollte für seinen Riesenfilm eine Massenszene mit nicht weniger als fünfzehn Indianern in Originalkostümen machen. Haben Sie die, Mr. Burns? – Sicherlich habe ich die, erwiderte Mr. Burns, aber er hatte sie nicht, sondern ließ sie in der Nacht nähen. Und das hat er immer so gemacht, wenn andere Gesellschaften nach Hollywood kamen, um Filme zu drehen, und von ihm Kostüme haben wollten, und da ist das Geschäft immer besser und besser geworden . . .

»Und Mr. Burns hat eine Aktiengesellschaft daraus gemacht, nicht wahr, Großmama?«

Ja, meine Kinder. Er hat die Western Costume Company gegründet, die jetzt ein Aktienkapital von drei Millionen Dollar hat, und . . .

»Drei Millionen zweihunderttausend Dollar«, verbesserten die Kinder.

. . . deren Präsident Mr. Burns ist. Er lebt noch heute.

»Hu, muß der alt sein!« riefen die Kinder.

 

Trotz seines Alters ist Mr. L. L. Burns, Präsident, noch ein rüstiger Mann, gerne bereit, uns herumzuführen in seinem Laden, der für zehn Indianerkostüme entschieden zu hoch und zu groß wäre. Er stand auf seines Daches Zinnen und zeigte mit vergnügten Sinnen nach Hollywood, Beverly Hills hin, wo seine Kundschaften wohnen. Das alles ist ihm untertänig, und seine Herrschaft ist befestigt, denn auf dem Dach, auf dem die Autos der Klienten und Angestellten parken, starren auch zehn Kanonen drohend über Kalifornien und den Pazifischen Ozean. »Für Kriegsfilme«, erklärt Mr. Burns.

»Welches Land interessiert Sie?« fragt er. »Sie können jedes sehen, mit Armee, Zivilbevölkerung und Kaiserhof, China, Indien, England, Serbien, Kongo, Persien, Österreich . . .«

»Aber, Mr. Burns, Österreich hat ja gar keine Armee, keine Zivilbevölkerung und keinen Kaiserhof!«

»Natürlich hat es das nicht zu Hause. Das haben wir eben hier. Kommen Sie!«

Und wir fuhren mit dem Fahrstuhl tief hinab, ins zehnte Stockwerk, in die österreichisch-ungarische Monarchie. Da stand sie, da hing sie, verstaubt und muffig und pompös, wie sie gelebt. Wir passierten die Burggendarmerie und die Arcierengarde, das heißt: weiße Waffenröcke mit goldenen Schnüren, kniehohe Lackstiefel und rotweißschwarze Schabracken, und sahen die Wiener Stadtpolizisten, deren angsteinflößensollende preußische Pickelhaube an der Spitze durch ein Kügelchen symbolisch gemildert war, wir wiegten uns vorbei an der Musikkapelle des k. u. k. Infanterieregiments Hoch- und Deutschmeister »Nummer vier aber stier« mit einer Lyra auf den Aufschlägen, wir ließen das Ulanenregiment Nr. 11 defilieren und Dragonerhelme, Stabsoffizierstschakos, Feldbinden, Blusen, Infanterieoffizierssäbel, Bajonettkoppeln, Patronentaschen, Faschinenmesser, Pallasche.

Wir sehen das Seidenfutter nach und finden die eingenähten Vignetten der Uniformierungsanstalten »Josef Mattura, Göding«, »Josef Szallay, Wien 1913«, »Alex Sohr, Wien I«, von Budapest und Steinamanger ganz zu schweigen. Auch auf jedem Knopf steht eine Firma, auf denen der Waffenröcke »F. J. I.«, auf denen der Hosen »Moritz Tiller Wien VII-2 Stiftskaserne« oder »Franz Josef Zimbler k. u. k. Hof-Lief. Mähr.-Weißkirchen«.

In einer Kammgarnbluse ist das Etikett eingenäht: »Max Kamareith & Co. Alsergrund«. Der Stoff ist echte Friedensware. Wir wissen das, denn wir kannten Herrn Max Kamareith, über den Mitte Juli 1914 der Konkurs verhängt wurde. Hätte er das verschieben können – einen Monat später wäre er ein steinreicher Mann geworden und sein Selbstmord nicht nötig gewesen . . .

Auch der Name des Besitzers steckt fast in jedem Rock, »Oblt. Hubert Graf Vojkffy«, »Gf. Deym« oder so, die Intendanz- und anderen Kanzleioffiziere haben, jeder auf seine Weise, ihren Namen vor dem Verkauf sorgfältig unkenntlich gemacht. Die Gesandtenfräcke, goldgestickt, schlank, altvorzeitlich und unnahbar, halten sich abseits.

Und da – man reißt die Hacken zusammen, man reißt die Knochen zusammen, Gewehr herrrauauss!, das Avertissementsignal geblasen, Wache antreten! – da: die k. u. k. Generalität. Da sind sie versammelt mit roten Lampassen und grünen Federbuschen und goldenen Bauchbinden und vor allem mit der Kriegsteilnehmermedaille von 1859, die sie zur Führung des Krieges von 1914 berechtigte. In den glanzvollen Uniformen und unter den grünen Federbuschen stecken die Persönlichkeiten: nichts ist darin.

Jetzt: militärische Versatzstücke, amtliche Versatzstücke, ein ganzes Versatzamt von Stücken. Das größte: die gold-silbern-elfenbeinern-perlmuttern ausgeschlagene Hof- und Staatskarosse der Habsburger.

All das ist original und in Wien erstanden. Zumeist im Auftrag des Regisseurs Erich von Stroheim, der daheim den österreichischen Leutnantsrang verlor und sich in der Ferne den österreichischen Adel erwarb. (Weisung für Auswanderer: Legt euch in Amerika den Adel oder einen Titel bei! Je prunkvoller, desto größer die Wirkung, öffnet alle Türen und Millionärstöchter. It's tested.)

Der Leutnant Stroheim, den sich die Vorgesetzten »gekauft« haben, hat sich hernach die Vorgesetzten gekauft, er, dem man das Recht absprach, eine Halbkompanie zu kommandieren, befehligt nun die österreichisch-ungarische Armee samt dem toten Kaiserhof, dem toten Franz Joseph I. und einen lebendigen Erzherzog extra.

Zwei echte Exemplare vom Goldenen Vlies mit Komturband und der Miniatur für den Frack, ruhend in einbruchssicherem Schrank, werden wir sehen, wenn wir in das Department »Orden und Medaillen« kommen.

Wichtiger als die österreichischen Königreiche und Bänder sind die Requisiten der Stars. Denen wird das Kostüm angemessen, aber nur geliehen. Alles kommt zur Costume Comp. zurück. Jackie Coogans Mütze. Charlie Chaplins Schuhe. (Der hat aber noch zwei private Paare – ich bitt Sie, der kann sich's leisten!) Der Schmuck von Norma Talmadge. Ramon Navarros Altheidelberger Studentenflaus. Die Knabenhosen von Mary Pickford. Das Empirekleid der Lady Hamilton recte Corinne Griffith. Der Pelzmantel des Zaren Paul recte Emil Jannings. Das Wams des Musketiers d'Artagnan recte Douglas Fairbanks.

Nur Turban und Burnus fehlen, die der Sohn des Scheichs recte Rudolf Valentino getragen – eine Verehrerin hat sie für fünftausend Dollar gekauft.

An alten Filmen vorbei – »Rivalen«, tausend Uniformen des Weltkrieges – »Der König der Könige«, tausend Schuppenpanzer der römischen Legionen – »Der Patriot«, tausend Monturen der Zarengarde – »Zwei Waisen im Sturm der Zeit«, tausend Hosen der Sansculotten – an dem echten Inventar einer farbentragenden Korporation vorbei, grünweißgoldenes Band, bestickt mit Namen der Mensurgegner, Paradeschläger, Banner, »Cheruscia sei 's Panier« – an Lohengrinhelmen und Carmenmantillen vorbei – an preußischen Litzen und hannoveranischen Koppelschlössern »Furchtlos und trew« vorbei – an Sänften und Kanus vorbei – an dem Piratenschiff des Schwarzen Korsaren mit geschnitztem Gangspill, gedrechseltem Feuerrad, bemalter Galleonsfigur und bronzenen Mörsern vorbei – an einem Riesenmuseum von Helmen und Sandalen vorbei – an dem friderizianischen Bruststern des Pour le mérite mitsamt orangenem Schulterblatt vorbei – an einer Bibliothek der Trachtenkunde und der Militärvorschriften und illustrierter Zeitschriften vorbei – an Waffen vorbei – an Perücken vorbei –

– geht es durch alle Länder und durch die Jahrhunderte, die Großmütterchen noch nicht kannte, die aber die Enkelkinder in wahrheitsgetreuer Darstellung und in diesen echtestechten Kostümen und grotesker Verniedlichung, Verpuppung und Verkitschung kennen.

»Alles echt«, rühmt sich Mister L. L. Burns, der mit seinem Pfunde von zehn falschen Indianerkostümen nach allen biblischen Vorschriften gewuchert hat. »Echtheit ist unser Prinzip, denn man kann nie wissen, welches Detail die Kamera bei einem long shot erwischt, man kann nicht voraussagen, was zu einer Großaufnahme verwendet wird und wieviel Fachleute unter den Millionen sein werden, die den Film zu sehen kriegen, zum Beispiel Chinesen einen chinesischen Film.

Alles echt, rühmt sich Mister L. L. Burns, dessen falsche Indianerkostüme Zinsen und Zinseszinsen getragen haben, »alles echt.« Und er fügt hinzu: »Manchmal sogar zu echt. Wir müssen daran denken, daß die Kamera farbenblind ist. Hellgrüne und hellbraune Tuche photographieren weiß, rote und dunkelgrüne dagegen schwarz, Metallknöpfe, Mützenschirme und Lackschuhe würden störende Reflexe aufweisen, wenn wir sie nicht mit Seife oder Wachs überstreichen würden. So müssen wir etwas von der Wahrheit wegnehmen – den Rest besorgt die Filmfabrik.«

 


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