Egon Erwin Kisch
Paradies Amerika
Egon Erwin Kisch

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Harlem – Fegefeuer der Neger

Der weiße Mann hat die Neger zur Annahme des Christentums veranlaßt, indem er sie lehrte, alle Menschen seien Brüder und sollten einander lieben; der weiße Mann hat den Negern den Schnaps beigebracht, auf daß sie den lichten Söhnen der Kultur gleichen. Und als es soweit war, verwendete er die Neger als unbezahlte oder bezahlte Sklaven, wie er es vorher getan, stieß sie aus seinen Wohnbezirken und nahm ihnen sogar den mühsam beigebrachten Schnaps.

Selbst in den Ostbezirken New Yorks, wo Hunger und Schmutz ihre Residenzen haben, wo die Enttäuschten aller Erdenwinkel von neuem stranden, selbst dort würde es eine Revolution entfachen, wenn ein Neger eine Kammer mieten wollte.

Im mittleren Manhattan gibt es nur einen kleinen Block, in dem es einst den Negern gelang, sich einzunisten – im weiten Bogen huscht der rassenstolze Weiße an diesem Höllentor vorbei.

Die Masse der Schwarzen wohnt im Norden New Yorks, in Harlem. Keine volkreichere Stadt haben sie in ihrer afrikanischen Urheimat. Der Negerkral als Großstadt. Aber wirklich!

Flammen die Lichtreklamen auf, bricht der Abendlärm aus in der 125., in der 135. Straße und auf Lenox Avenue, dann lebt hier alles, Betrieb, Verkehr, Geschäft, Brunst, genauso wie es achtzig, neunzig Straßen weiter südlich ist, auf dem Broadway.

Wer viel reist, gewinnt eine sehr geringschätzige Meinung von der Phantasie der Schöpfung. Nur ihr Verteilungsapparat ist grandios: bei Belieferung einer Provinz wurde dafür gesorgt, daß sich die Landschaften nicht wiederholen, daß sich ein Berg oder ein Fluß nicht zweimal in der gleichen Ausführung präsentiere. Auch kommt der Mensch in einer Stadt nicht in zwei oder gar drei Exemplaren vor; wenn manche Typen einander ähneln, so hat die sich selbst plagiierende Schöpfung wenigstens kleine Abweichungen angebracht, den Namen der Figur, den Geschäftszweig oder die Zahl der Kinder geändert. In andere Länder aber wird ungeniert die genaue Kopie geliefert. Der Reisemensch lernt alsbald, daß alles auf Erden nur Fabrikware ist.

Selbst für die Herstellung von Negern gibt es keine eigene Werkstätte, die üblichen Modelle werden einfach schwarz imprägniert. In Afrika fällt einem das nicht so auf, weil die Eingeborenen im Schurz oder in zerrissenen Lappen umherlaufen und man ihre europäischen Doppelgänger nackt oder in Wäsche gewöhnlich nicht kennt. Aber in Harlem stolziert alles in europäischer Kleidung, und man trifft auf Schritt und Tritt Bekannte.

Ein Abgeordneter des Deutschen Reichstags kreuzt den Fahrdamm, Hildchen G. aus der Landsberger Allee prägt sich den angeschlagenen Theaterzettel ein, Erich Ludendorff stößt hochmütig in die Passanten, der Prager Journalist Anton U. soll an einer Straßenkreuzung irgendwelchen Zimt als heilkräftig anpreisen, vergißt aber den Zimt und berauscht sich und einen dicken Portier an seinen Worten, der Stuttgarter Maler S. will ein vollbusiges Mädchen überreden, ihm Modell zu stehen, Margot J. aus dem Romanischen Café schlürft Eiscremesoda durch einen Strohhalm, der deutsche Schachmeister L. erzählt einen Witz, und der Schauspieler Alexander G. lacht dazu in dröhnendem Baß, daß die Lichter flackern und die Häuserwände beben. Alle natürlich in Schwarz!

Die Geschäfte sind bis Mitternacht geöffnet, die Sprich-leise-Kaschemmen, die Nachtklubs und die Revuen beginnen erst um Mitternacht. Stehende Neger rasieren liegende, und da man den Scheitel nicht mit dem Kamm ziehen kann, so rasiert man ihn aus dem Kraushaar. Die Frau in Mount Vernon, die der Josephine Baker und einigen tausend anderen Negerdamen das Haar glättete, hat eine Million verdient – wer ein Mittel erfinden würde, das Pigment weiß zu färben, müßte eine Milliarde verdienen. Jeder gäbe seinen letzten Cent her, um über Nacht statt eines verachteten coon einer von den weißen Herren zu werden! Nicht nur wegen der Karriere. Von der Ideologie der Machthaber angesteckt, verachten die Neger sich selbst um ihrer Hautfarbe willen. Ein Spielwarenladen stellt Puppen aus, Negerpuppen selbstverständlich, aber nicht etwa mit pechschwarzen Gesichtern, wie man sie in der Weißenstadt bekommt, sondern mit einem zartdunklen Teint.

Alle farbigen Ladies verwenden weißen Puder. In den Varietétheatern von Harlem erscheint die Diva oder die Solotänzerin ganz hell geschminkt, hingegen hat der Groteskkomiker sein Gesicht berußt oder gar eine Negerlarve angelegt.

Ein brauner Neger mißachtet den schwarzen – nicht aus alter Stammesfeindschaft. Aus dem Grunde, aus dem die Weißen ihn verdammen, verdammt er den noch dunkleren. Im Verlauf eines solchen Farbenstreites wurde in einem Speak-easy in der 135. Straße der große Boxer Battling Sicky erschlagen.

Nach dem Untergang des Dampfers »Vestris«, bei dem die Bemannung einige hundert Menschen gerettet hatte, ließen sich auf den Varietébühnen New Yorks die Retter sehen. Im »Lafayette«, wo kein Weißer im Zuschauerraum ist, traten drei der schwarzen Helden auf, um in einigen Sätzen zu sagen, was sie Schreckliches erlebt. Vor ihrem Erscheinen bat der Conférencier das Publikum, den Vortrag nicht durch Lachen zu stören. Nicht durch Lachen . . .? Was könnte bei der Schilderung einer eben geschehenen furchtbaren Katastrophe zum Lachen reizen? Nun, die drei Seeleute waren rabenschwarze, besonders schief gezahnte Neger von den Philippinen. Nur mit Mühe konnten die etwas helleren angesichts solchen Angesichts ihr Kichern unterdrücken.

Zwölf Kinos, vier Vaudevillebühnen, zwei Burlesk Shows und ein richtiges Theater, zusammen mit 39 332 Sitzplätzen, drängen sich in Harlem aneinander – außer am Kreuzungspunkt des Broadway mit der 42. Straße wird es wohl nirgends derart viele große Vergnügungsstätten in einem so kleinen Winkel geben. Allnächtlich werden in jedem Nachtklub von Harlem zweimal Revuen mit großem Personal von Steptänzern, Komikern, Sängern und exzentrischen Balletten heruntergepeitscht. Es gibt Eiscremebars, Restaurants, Billardsäle, Teehäuser, Spielhöllen und zahllose geheime Kellerkneipen.

Von den Inhabern der neunzehn Theater sind achtzehn Weiße. So wie die davon profitieren, daß der ausgebeutete und ausgestoßene Sklave wenigstens am Abend in seinem Lager ein fröhlicher Gentleman sein will, genauso ziehen die Hausbesitzer – durchweg Weiße – ihre Profitrate aus dem Zwangsghetto. Die Mieten sind hier bis zu hundert Prozent höher als an der Bowery und in den Oststraßen, wo die ostjüdischen, slowakischen und chinesischen Paupers in immerhin freiwilligem Ghetto leben.

Der Kaufmann der Negerstadt – auch er ist ein Weißer. Aber seine schwarzen Kunden bedient schwarzes Personal, das dem Chef die Losung abliefert. Er wohnt nicht hier. Der einzige Europäer, der die schwarze Nachbarschaft wagt, ist der Italiener; er steht selbst in seinem Fruchtladen oder in seinem Salon zur Reinigung von Hüten und zum Besohlen von Stiefeln und schläft im anstoßenden Kämmerchen.

Hinter seiner Wäscherolle schläft der Chinese. Ihm mag es nicht schmählicher erscheinen, im Bezirk der Schwarzen Teufel zu leben als in jenem der Weißen Teufel. Weiß er, daß ihn beide als Gelben Teufel ablehnen und daß sie allesamt Arme Teufel sind?

Unten in der Weißenstadt schuftet die Armee der zweimalhunderttausend Neger. Nach Arbeitsschluß müssen sie hinauf in ihre Zellen. Nicht einmal die Hausgehilfin nächtigt dort, wo sie dient. Die Wartung der Kinder obliegt ihr allein, und sie kocht für die Herrschaft. Wenn sie auch oft nur deshalb engagiert ist, weil in ganz Amerika Not an weißem Hauspersonal herrscht und weil sie der Herr des Hauses nicht einmal in den Popo zwickt (kein weißer Gentleman läßt sich mit einer Farbigen ein), so muß doch ihre Vertrauenswürdigkeit und ihre Reinlichkeit hoch eingeschätzt sein, da man ihr die Fürsorge für die beiden wichtigsten Dinge überläßt: das Kind und den Magen. Trotzdem darf sie nicht mit ihrer Herrschaft unter dem gleichen Dach schlafen.

New Yorker Neger sind erst die Urenkel jener Schiffsladungen, die, als »Schwarzes Elfenbein« deklariert, aus Afrika in die Plantagen der Südstaaten gingen, erst die vierte Generation jener übereinander und untereinander im Verdeck verfrachteten Sklaven, von denen die Hälfte während des Transports starb und die andere Hälfte über und unter den Leichen liegenblieb. Das Meer war fünf Meilen im Umkreis der Sklavenschiffe verstunken und verpestet . . . Seither sind sie Sklaven.

Bis vor kurzem waren sie nicht einmal von den Arbeitern als Arbeiter anerkannt; erst als die Kommunisten sie in ihre Organisationen aufnahmen, mußten die Gewerkschaften ihre Negersperre aufheben, um der kommunistischen Konkurrenz zu begegnen.

An den Kiosken Harlems kann man allerhand Blätter kaufen, die ihren Interessen dienen. »Opportunity« ist eine politisch-kulturelle Zeitschrift, »Harlem« ein literarisches Magazin, »The Afro-American« (aus Baltimore) eine Riesenzeitung mit Negernachrichten und Photos; das Wochenblatt »The Negro World« tritt für ein schwarzes Zion ein, ruft die Farbenbrüder in der Diaspora auf, das heilige Reich in Afrika wieder aufzurichten. Das wird wohl ein »Ugandaprojekt« bleiben.

Die Lautsprecher auf den Hauptstraßen Harlems locken hörbarer und deutlicher zu näheren Zielen. Zu den Geschäften mit Radioapparaten, Grammophonen, Musikinstrumenten und Noten. Und die armseligen Lastträger vom Hafen, die livrierten Gepäckträger der Bahnhöfe, die Elevator-men (zu deutsch: Liftboys) aus den Wohntürmen und Geschäftspyramiden der City, die Tellerwäscher und Botenjungen und Kindermädchen stauen sich davor.

Denn durch diese Pforte sehen sie, schwarze Schüler des Yankees, den Weg in das Reich von Erfolg und Geld, wo die Chocolate Kiddies und die Blackbirds Aufnahme fanden, wo Roland Hayes singt, wo die Plantation Orchestra spielt, wo Aida Ward und Josephine Baker tanzen und andere Schwarze in den Dancings von Paris und London jazzen und auf den großen Theatern steppen.

Aber: so viele Musikläden es gibt, so viele Pfandleihen. Die drei Goldkugeln, die in anderen Bezirken das Zeichen dieses Gewerbes sind, fehlen hier. Unverhüllt sagt das Firmenschild: »Pawnbroker«. Auch nachts geöffnet. Noch jetzt könnt ihr verkaufen, versetzen, einlösen, kaufen oder mieten. Ein Frackanzug mit Lackschuhen kostet für einen Abend einen Dollar Leihgebühr, um vier Dollar könnt ihr einen glänzenden Tuxedo (Smoking) kaufen.

Für wie wenige Cents mag er versetzt worden sein! Und selbst die konnte der Arme nicht aufbringen, um seinen alten Arbeitsanzug wieder einzulösen. Welche Not müssen die gehabt haben, die hier ihre Saxophone, Ukulelas und Banjos veräußerten, mit denen sie auszuziehen hofften aus der Hölle der Farbigen und spielend einzuziehen in das Himmelreich der Weißen.

 


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