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Wenig Verkehrsschutzmänner gibt es, und das Polizeipräsidium macht nicht soviel von sich reden wie das von New York oder gar das von Chicago, weder in Reklameabsicht noch als Gegenstand der Angriffe. Hier, in der Hauptstadt, handelt es sich um keine Sensationen für das Publikum, hier geht's dem Staat um sich selbst.
Wer – wie zum Beispiel der Doktor Becker – viele Bekannte hat in der Welt, darunter solche, die zwar bürgerlich sind, aber bürgerlich nicht ganz verankert, etwa während des Krieges in Genf tätig oder nachher in einen Dokumentenprozeß verwickelt gewesene Leute, tut gut daran, wenn er einem von ihnen hier begegnet, nicht freudig auf ihn zuzustürzen. Der Doktor Becker begrüßte auf so spontane Weise in Washington einen alten Wiener Freund, und nun stellte sich heraus: der alte Wiener Freund war gar nicht der alte Wiener Freund, sondern ein barscher Uramerikaner, der nur englisch zu antworten wußte. An dieser Tatsache änderte es nichts, daß der Doktor Becker am nächsten Tag im Ritz-Carlton den barschen Uramerikaner fließend wienerisch konversieren hörte.
Die Teilnehmer am Big Game lieben Anonymität und verzichten – darin der Washingtoner Polizei ähnlich – auf Ruhm.
Das Ministerium des Äußern ist einer von den Bankhaltern des Großen Spiels und opfert dafür jährlich den Betrag von hunderttausend Dollar, die es niemandem verrechnet. Aber wir wollen hoffen, daß dieser Fonds in wichtigen Fällen erhöht oder überschritten wird, denn sein Zweck ist wichtig: »The contingent fund is used for the purpose of enabling the Department of State to keep a close watch on affairs in other nations, in order that the United States may at all times be apprised of any foreign developments which might affect its interests.«
Da von den Einnahmen der Vereinigten Staaten mehr als ein Drittel in Armee und Flotte investiert werden, kann man sich ausmalen, was hier für Spionage – Verzeihung, für Evidenzhaltung von Nachrichten ausgegeben wird.
Der Doktor Becker sprach auf der Pennsylvania Avenue mit einem einstigen Kriegskameraden, der sich nicht verleugnete wie jener alte Wiener Freund. Am Abend empfing der Doktor Becker den Besuch eines Detektivs. Der wollte wissen, was der Doktor Becker in Washington treibe, ob er einen militärischen Grad bekleide, und so nebenbei fragte er, ob der Doktor Becker Bekannte in Washington, ob er jemanden getroffen und wo er die Bekanntschaft dieses Jemand geschlossen habe.
Hinter jedem dorischen oder korinthischen Portikus, hinter dem eine Zentralbehörde amtiert, ist auch eine Geheimabteilung tätig. So ungeschützt, wie es aussieht, ist der Präsident nicht, wenn er im Weißen Haus nachmittags von zwölf Uhr fünfzehn bis zwei Uhr den Untertanen die Hand schüttelt – zwei lebende Karyatiden stehen näher beim Besucher als dieser beim Präsidenten, handfest und bereit zu verhindern, daß sich zu den zwei in Washington getöteten Präsidenten ein dritter geselle.
Noch besser gehütet ist freilich der wahre Herr Amerikas: Mister Dollar. Der wird nicht gewählt auf ein paar Jahre, kommt nicht als Fremder hierher und geht nicht als Fremder von dannen. In Washington wird er geboren, und in Washington stirbt er. Der Doktor Becker durfte Se. Majestät den Dollar begleiten auf hochdero Lebensweg . . .
Im Bureau of Engraving werden alljährlich zweieinhalb Milliarden Dollarnoten, zehn Milliarden Staatspapiere, um achthundertvierundfünfzig Milliarden Marken, außerdem Zertifikate und Garantiescheine gedruckt, im Macerator des Schatzamtes an einem Tag bis zu hunderteinundfünfzig Millionen alte Dollarnoten rückstandslos vernichtet.
Die Schauplätze dieser Maßnahmen sind ziemlich gesichert; Wälle und Gräben ringsum, ein Heer von Wächtern, Meilen von Stahlplatten und Gittern, ein Glockenspiel von Alarmuhren, ein Zeughaus von Waffen in den Amtsräumen, eine Telefonzentrale mit direkten Leitungen zur Polizei, zu den Infanterie- und Kavalleriekasernen, zur Feldartillerie des Arsenals und sogar zur Festungsartillerie von Fort Meyer.
Auf vergitterten Schwebegalerien werden die Besucher durch einige Räume geleitet. Von dort aus sah der Doktor Becker weiße und schwarze Arbeiter, junge und alte Frauen an den Pressen, an den Walzen, an den Perforierungs- und Schneideapparaten, an den Farbeneimern, am laufenden Band. Immer wieder, immer wieder bringt der Conveyor neues Material, welches die Arbeiter mit maschinellen Bewegungen beider Hände einlegen, falzen, kontrollieren, verpacken, Milliarden und aber Milliarden von Dollars. Bei Fehlleistungen werden die Unkosten vom Lohn abgezogen. »Nach Hause nehmen dürfen sie die Arbeit nicht?« fragte der Doktor Becker. »Nein, Herr«, antwortete die bebrillte Führerin, die keine Ironie verstand.
Abgesehen von den strategischen und fortifikatorischen Maßnahmen gegen eine Eroberung der Dollarfabrik (wer die in Besitz bekäme, hätte ganz Amerika und alle Amerikaner in der Hand) gibt es erstaunliche Vorkehrungen gegen Falschmünzerei und Diebstahl.
Sogar die Nachahmung des mit Seidenfäden durchflochtenen, unbedruckten Papiers wird als Verbrechen der Münzfälschung geahndet. Zur Kontrolle und unausgesetzten Beobachtung der Druckbogen während ihres Behandlungsprozesses ist ein System eingerichtet, das nicht weniger als anderthalb Cent per Banknote kostet. Obwohl über eine Million Dollarnoten täglich gedruckt werden, fehlte innerhalb der letzten fünfzehn Jahre nur einmal ein Druckbogen; die Beamten gaben zu, daß ein Zählungsfehler vorzuliegen scheine, dennoch mußten die Arbeiter des Raumes, in dem der Verlust entdeckt worden war, den Fehlbetrag in vollem Währungswert bezahlen.
Von je drei Milliarden, die das Schatzamt passieren, sind durchschnittlich zwölftausend Dollar Falschgeld. Dessen Ursprung nachzuforschen ist Aufgabe der Division of Secret Service; kriminologische Laboratorien und eine Brigade von Detektiven verfolgen rückläufig den Weg des Falsifikats. Zu ihren Resultaten gehört die Aufdeckung einer Geldfabrik in St. Louis, von deren Fortbestand der Staat eigentlich Nutzen gehabt hätte. Denn die Münzfälscher hatten echte Goldstücke ausgehöhlt und mit Platin ausgefüllt, das ähnlichen Klang und das gleiche Gewicht wie Gold hat, damals aber viel weniger kostete. Bevor die ersten sechzigtausend Stücke dieser Privatmünze in Umlauf kamen, war der Preis des Platins enorm gestiegen, es war weit mehr wert als Prägegold, und der Staat machte an den beschlagnahmten Goldstücken ein glänzendes Geschäft.
Die Darstellung von Falschmünzerwerkstätten im Film, auch wenn sie ganz primitiv und unrichtig ist, erlaubt der Secret Service nicht – man soll niemanden auf eine solche Idee bringen; sind nicht andere, harmlosere Verbrechen genug da für den Film: Raubüberfälle, Giftmorde, Einbrüche? Es gibt keinen Dollar außer dem meinen, und du sollst dir kein Abbild machen . . .
Nicht nur daraufhin werden die Dollars untersucht, ob sie falsch sind, oft bedarf es auch kriminologischer Methoden, um ihre Echtheit zu beweisen und zu beglaubigen. Eine Kuh hatte das im Heu versteckte Papiergeld eines Farmers aufgefressen. Nachdem die Exkremente dieser echt amerikanischen Kuh in der Treasury mikroskopiert worden waren, erhielt der Bauer den halben Wert des verschlungenen Vermögens zurück. Nach dem Erdbeben von San Francisco kamen immense Mengen eingeschmolzener Münzen und verbrannter Scheine zur Agnoszierung nach Washington.
Dem Schmuggel zu begegnen ist ein stattlicher Menschenapparat vonnöten. Überall, wo ein schmuggelndes Schiff landen könnte, muß ein Zollhaus stehen; aber wo ein Zollhaus steht, landet kein schmuggelndes Schiff. Weshalb in Beaufort, North Carolina, die Erhebung von 1 Dollar 55 Cent Zoll den Staat 1500 Dollar kostet; und im Hafen von Maryland betragen die Spesen des Staates zur Kassierung von je 61 Cent Zollgebühr nicht weniger als 1000 Dollar!
Bei der Verhinderung der Alkoholeinfuhr haben die Polizeibehörden mitzuwirken, und sie tun dies mehr oder weniger, je nachdem, wie der betreffende Bundesstaat zum Volstead Act eingestellt oder wie hoch der »graft« ist, Tarif und Niveau der ortsüblichen Korruption. Beim Schmuggel anderer Waren aber, insbesondere von Juwelen, führen die Zollbehörden den Kampf allein, einen Kleinkrieg um winzige Dinge.
Bereits am Weesper Plein in Amsterdam oder auf Hotton Garden, dem Londoner Brillantenmarkt, sind amerikanische Detektive tätig. Jede des Juwelenschmuggels verdächtige Person wird vom Washingtoner Geheimdienst in Evidenz gehalten, alle großen Brillantenkäufe werden aus Europa gemeldet und in die Kartothek eingetragen. Der Käufer kommt in Hoboken an. »Wo hast du die Ware, die du vor acht Tagen im Antwerpener Diamantenklub gekauft hast?«
Unaufgefädelte Perlen gelten nach dem Zolltarif als Edelsteine. Der Einfuhrzoll für Edelsteine beträgt zehn Prozent des Wertes. Perlenschnüre aber sind als Fertigschmuck mit sechzig Prozent zollpflichtig. Natürlich ziehen die Händler einfach den Seidenfaden heraus. Die Zollbehörde stellte sich nun auf den Standpunkt: nicht das Vorhandensein des Fadens entscheide den Begriff »Perlenschnur«, sondern ob die Stücke zur gemeinsamen Auffädelung ausgesucht und geeignet seien. Auf Grund dieser Ansicht wurde der Importeur einer solchen Garnitur mit einem Zoll von hundertundzehntausend Dollar belegt. Dem Einspruch gab der Oberste Gerichtshof statt und entschied, nur achtzehntausend Dollar seien zu zahlen, so daß sich das fehlende Schnürchen als eine Kostbarkeit von zweiundneunzigtausend Dollar entpuppte.
Eine beträchtlichere detektivistische Apparatur als Postbehörden anderer Staaten braucht das Post Office Department of the U.S. Government, denn hier gilt es nicht nur verschwundenen Sendungen nachzuspüren. Vor allem sind die Postillone der Prärie und wildwestlich gebliebener Bezirke vor Überfällen zu schützen, und außerdem ist es in diesen Regionen der Staaten noch immer beliebt, Lebewesen als Höllenmaschinen zu verwenden: in einem Paket schickt man dem Feind eine Giftschlange mit dem Weihnachtswunsch zu: »I hope this puts an end to you.«
In Amerika werden bestimmte Handlungen nur dadurch zum Verbrechen gestempelt, daß man sich zu ihrer Durchführung der Post bedient. So wird Pornographie erst dann mit Zuchthaus bestraft, wenn die Handschrift oder Druckschrift nicht persönlich eingehändigt, sondern frankiert zugesandt wird; ähnlich verhält es sich mit Mitteln zur Empfängnisverhütung, Aufforderungen zu Glücksspielen und sogar mit Wildbret, das außerhalb der Jagdsaison geschossen wurde.
Daß das Statistische Amt (Census Bureau) einen polizeilichen Überwachungsdienst unterhält, um die Angaben seiner Mitarbeiter und Korrespondenten zu überprüfen, muß jedem verwunderlich erscheinen, der Uncle Sam nicht kennt, seine Reklamesucht und seinen Rekordwahnsinn nicht kennt. Wer ihn aber kennt, dem wird es verdächtig vorkommen, daß die Bewohnerschaften von Seattle und von San Francisco seit der letzten Volkszählung gigantisch zugenommen haben. Und alsbald eruiert man: beide Städte haben gemogelt, jede, um nach Los Angeles die größte Stadt der Westküste zu sein. Auch Amerika hat seine Tschitschikows: Gemeindefunktionäre, die in die Zählungslisten tote Seelen eintragen und auf Grund der erhöhten Bevölkerungsziffern ein erhöhtes Gehalt beanspruchen.
An achtzigtausend Erfindungen zum Schutz des Eigentums wurden seit Kriegsende beim Patent Office in Washington angemeldet, Panzerplatten, Einbruchsalarm, Sicherheitsschlösser und ein künstlicher Wächterhund mit gefletschten Zähnen, rotfunkelnden Augen und drohendem Bellen.
Vieles von dem, was durch die Geheimorganisationen Washingtons an außergewöhnlichen Steuerhinterziehungen, Schmuggel, Bestechungsaffären, Postschwindel, Münzfälschungen und Finanzbetrug, allzu plumper Übertretung des Anti-Trustgesetzes, ausländischer Handels- und Militärspionage auf amerikanischem Gebiet, Schwarzbrennerei im entlegensten Winkel aufgedeckt wird, kommt als großer Gerichtsfall wieder nach Washington zurück, wo Justizministerium, Verwaltungsgericht oder Handelsgericht darüber urteilen oder unter der Kuppel des Capitols der Oberste Gerichtshof das Wort der letzten Entscheidung spricht.
Jeder Deputierte oder Senator oder Beamte von Washington ist mit einer der großen Kriminalaffären befaßt, und jeder gilt, wie dem Doktor Becker im Lauf seiner Kreuz- und Querfahrten durch USA übereinstimmend versichert wurde, in solchen Dingen als Fachmann.