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»Mir scheint, Sie sind noch jetzt betrunken.«
»Ich trinke niemals, Sir.«
»Sagen Sie: Konstantinopel.«
»Kolstantip – Konstaltinkopel.«
»Sind Sie vorbestraft?«
»Nein, Sir.«
»Ich spreche Sie schuldig.«
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»Ich habe in der Lexington Avenue gestanden, da kommt der Polizist da mit dieser Dame und führt mich ab.«
»Bitte, er verfolgt ein Mädchen aus unserem Geschäft mit seinen Liebesanträgen. Den ganzen Tag hängt er herum vor dem Laden, wir haben Damenkonfektion, bitte, und lugt ins Schaufenster. Unsere Kundschaften sind dadurch geniert.«
»Wenn Sie sich noch einmal vor dem Geschäft blicken lassen, bekommen Sie dreißig Tage.«
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»Hab den Mann arretiert, weil er auf Madison Square immerfort die Passanten angerempelt hat.«
»Sind Sie schon vorbestraft?«
»Nein, Euer Ehren.«
»Ich spreche Sie schuldig.«
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»Ich habe einen Bäckerladen in Walker Street. Heute um fünf Uhr nachmittags fliegen zwei Steine gegen meine beiden Ladenfenster und zertrümmern sie. Ich stürze hinaus und sehe Burschen, die davonlaufen. Der eine – dieser da – bleibt stehen und geht mir ruhig entgegen. Ich habe ihn festgehalten, und meine Frau hat den Polizisten geholt.«
»Wie alt bist du?«
»Sechzehn Jahre.«
»Warum hast du die Scheibe eingeschlagen?«
»Hab mit der Sache gar nichts zu tun, kenn die Jungs gar nicht, was da an mir vorübergerannt sind. Wollt für mein' Vater Pfeifentabak holen.«
»Willst du Zeugenschaft für dich ablegen?«
»Ja, Herr.«
»Stell dich herauf, heb die Hand und sprich mir den Schwur nach.«
». . . so help me God.«
»Ist dein Vater hier?«
»Ich, Euer Ehren. Es ist so, wie mein Sohn sagt.«
»Hören Sie, wenn der Junge das nächste Mal auch nur in den Verdacht kommt, eine Scheibe eingeschlagen zu haben, kommt er auf drei Jahre in die Fürsorge.« (Zum Angeklagten:) »Ich spreche dich frei.«
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»Hat Spielzeug verkauft auf dem Grand Central-Bahnhof. Hab ihn nach der Lizenz gefragt, sagt er, Weihnachten braucht man keine Lizenz.«
»Ich spreche Sie schuldig.«
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»Kommt vor einer Stunde betrunken nach Haus und schmeißt das Blechgeschirr nach mir. Hab ich meine Tochter nach der Polizei geschickt.«
»Nein, Sir. Komm gerade von der Arbeit nach Haus. . .«
»Von der Arbeit, du Lügner!«
»Schweigen Sie!«
». . . sagt mir die da, die meine Frau ist, ich bin der Sohn einer Hündin und so. Hab ich ihr etwas zugeworfen.«
»Ich spreche Sie schuldig.«
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»Dieser Mann (ein blinder Neger) bettelt täglich in der Untergrundbahn zwischen Bowling Green und South Ferry.« Magistratsvertreter: »Ist 41mal vorbestraft.«
»Dreißig Tage.«
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So und in diesem Tempo, guilty, not guilty, geht es die ganze Nacht, fünfzig bis dreihundert Fälle, am Sonnabend noch mehr, größte Ziffer: 495 in einer Nacht, 33 000 Fälle im Jahr. Wer schuldig gesprochen wird, muß in die daktyloskopische Abteilung, wo man nach der Kartothek feststellt, ob und wie oft er vorbestraft ist. Dann führt man ihn wieder dem Richter vor, der ihm nunmehr die Strafdauer zumißt.
Draußen, in einem mächtigen Käfig, warten die Verhafteten, noch erregt von dem Delikt und schon erregt wegen Verhandlung und Verurteilung, während die Zeugen mit nervösen Gesichtern im Zuschauerraum sitzen.
Immerfort liefern Schutzleute neue Arrestanten ein, vor dem Haus parken die »Grünen Minnas«, hierzulande »Black Maria« genannt. Sie haben Angeklagte gebracht und führen Verurteilte weg. Die, die weniger als fünf Tage bekommen haben, nach dem Seventh District Prison auf der Westhälfte der 53. Straße. Die, die auf unbestimmte Dauer oder bis zu sechs Monaten oder zu fünf Monaten neunundzwanzig Tagen (was mehr ist als das »Höchstmaß« von sechs Monaten, weil dabei der für gutes Verhalten ausgesetzte Strafnachlaß von fünf Tagen im Monat wegfällt), hinab auf die Teufelsinsel der Wohlfahrt, die Unmündigen nach dem Reformatory Prison auf Hart's Island.
In Brooklyn tagt ein Nachtgericht nur gegen Frauen, up town werden Frauen und Männer gerichtet, die am gleichen Tage nach vier Uhr nachmittags eines dem Inferior Criminal Court unterstehenden Bagatellvergehens verdächtig geworden sind. Dessen Nachtschicht heißt Night Court und hat eine reiche Klientel: Trunkene und Prostituierte; Handwerker, die sich der Anwendung von Kinderarbeit schuldig gemacht haben; Theaterdirektoren, deren Vorstellung einen Besucher aus sittlicher Entrüstung vom Zuschauerraum zur Polizeiwachstube trieb (die Direktorin May West bekam nächtlicherweile für das Stück »Sex« zehn Tage aufgedonnert); Hauswirte, in deren Haus Prostitution ausgeübt wurde; Burschen, die in einen Raufhandel gerieten; Kaufleute wegen unlauteren Wettbewerbs; Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schickten; Leute, die die Verkehrsvorschriften übertreten, die in der Hochbahn ausgespuckt, die einen Diebstahl unter hundert Dollar verübt, ohne Lizenz gebettelt oder ohne Lizenz Straßenhandel getrieben, eine leichte Körperverletzung oder sonst etwas begangen haben, was kleine Leute tun, die sich's nicht richten können und daher gerichtet werden.
Jeder Angeklagte kann den Zeugeneid ablegen oder sich der Zeugenaussage entschlagen, wenn sie für ihn belastend wäre. Ein Magistratsbeamter ist da, der »bridgeman«, um in leierndem Ton den Angeschuldigten die Rechtsbelehrung zu erteilen, daß sie Zeugen benennen und sofort holen lassen können, sich einen Rechtsbeistand nehmen oder Vertagung verlangen.
Wer freigesprochen wird, verliert dank dem schnellen Nachtgericht keinen Arbeitstag und hat keine Unannehmlichkeiten bei dem Unternehmer, wer schuldig gesprochen wird, kann dank dem Nachtgericht seine Unbescholtenheit, ein Jahr seines Lebens und vielleicht die ganze Bahn seines Lebens verlieren. (Die mitternächtig jagende Justiz sollte nur Freisprüche, Geldstrafen und Verwarnungen aussprechen dürfen und alle anderen Fälle den ordentlichen Gerichten überweisen – dann hätte sie einen sozialen Zweck.)
Unten, neben und gegenüber dem Gerichtsgebäude sind erleuchtete Geschäfte: die Läden der Rechtsanwälte. Mit Lichtreklamen zeigen sie an, daß sie die zu einer Haftentlassung erforderliche Kaution jedermann vorstrecken. Ihre Angestellten – oft ist es die Advokatengattin – nähern sich den Leuten, die das Gericht betreten. Zwecks Kundenfangs, den man in ihrer polnischen Urheimat »Chappen« nannte.
»Somebody in trouble – hat jemand Ungelegenheiten?« fragen sie, um das Gespräch zu beginnen.
Reporter sind im Saal. Aber wenn es ihnen auch gelingen würde, am rollenden Band der Justizmaschine eine Besonderheit abzupassen – für den »editor« in der Redaktionsstube ist eine Sensation vom Nachtgericht noch lange keine Sensation von New York, und er schmeißt den Bericht in den Papierkorb.
Kleine Leute, die Anwälte hier, die Reporter hier, die Angeklagten hier und der Richter hier, der allmächtig ist.