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Hier waren wir schon einmal. Lang, lang ist's her. Mit Karl May zogen wir durch Kalifornien. Wir hatten Allan Marshall, den Goldgräber, zu retten, gegen den die beiden Schurken Morgan, Vater und Sohn, einen Raubmord planten. Mit uns waren außer Old Shatterhand und seinem roten Bruder Winnetou noch Bernard Marshall, der Bruder des bedrohten Allan, dann der Trapper Sam, genannt Sans-Ear, der immer »zum Beispiel« sagte und »hihihi« hinzufügte, und der Neger Bob.
Hier, in der Nähe des Cahunga-Passes, warfen wir das Lasso über einen Büffel, schlachteten ihn. Bernard Marshall wurde dafür von einem Gaucho der nahen Hazienda mit dem Lasso gefangen, auf dem Boden geschleift und wäre sicherlich dabei zu Tode gekommen, wenn Old Shatterhand nicht zum Beispiel mit seiner Silberbüchse den Mustang des Cowboys getötet und Bruder Marshall befreit hätte, hihihi. Auch Rothäute trafen wir, Shishis, Schlangenindianer auf dem Kriegspfad, aber es waren keine stinkenden Coyoten, keine Comanchen, sondern wackere rote Männer, Freunde der Apachen, wie uns Winnetou erklärte, und daher auch unsere Freunde.
Das alles kann uns heute noch passieren, wenn wir den Cahunga-Paß hinauffahren, mit der Straßenbahn zum Beispiel, hihihi, zum Filmatelier der Universal. Dort finden wir Prärie und eine Gruppe von Blockhäusern mit dem Store, in dem wir für eine Handvoll Nuggets Mokassins kaufen können, einen Sattel und Gewehrmunition.
Hollywood dreht hundertfünfzig bis zweihundert Western Pictures, das heißt Wildwestfilme, im Jahr, und braucht daher die Straße, die einmal in dieser Gegend keine Kulisse, sondern Wirklichkeit war. Freilich, wenn man den Raum dringend zu anderen Zwecken benötigt, so kalkuliert man, daß sich das nächste Western Picture in einem fremden Atelier gegen hundert Dollar Miete aufnehmen ließe und die eigene Western Street beseitigt werden kann.
Wie wird eine Western Street am billigsten beseitigt? Indem man sie niederbrennt. Und wie rentiert sich der Brand einer Western Street am besten? Indem man bei dieser Gelegenheit ein Western Picture aufnimmt.
In jeder mittleren Stadt Amerikas wird vor dem Hauptfilm entweder ein Collegian Picture oder ein Western Picture gezeigt, die nicht nach Europa kommen, außer in der Karikatur eines großen Filmkomikers. Das Collegian Picture hat immer die gleiche Handlung: der ungeschickte Student, von den Kollegen verspottet, von der Angebeteten verschmäht, springt im letzten Augenblick in ein Wettspiel ein, verschafft seiner Mannschaft den Sieg und sich selbst Ruhm und Girl.
Da sind die Western Pictures reichhaltiger, die haben nicht alle ein und dieselbe Handlung, sondern es gibt zum Beispiel nicht weniger als zwei ganz verschiedene Handlungen, hihihi!
Entweder: der edle Cowboy liebt die schöne Farmerstochter, die von dem schurkischen Cowboy, dem heavy, geraubt wird.
Oder: der edle Cowboy liebt die schöne Farmerstochter, aber ihr Vater will sie unbedingt einem heavy aus der Stadt geben, der ihn sonst auf Grund der Hypotheken von Haus und Hof vertreiben oder den Menschen und dem Vieh des Ranchos das Wasser entziehen würde.
In beiden Fällen siegt, das ist eben im Leben schon nicht anders, der edle Cowboy, so wie ja auch der ungeschickte College boy schließlich den Preis erringt, und das allabendlich höchlichst überraschte Publikum Amerikas jubelt begeistert.
Neu ist in fast jedem dieser Filme der Darsteller des Helden. Alljährlich findet in einer Stadt Arizonas ein öffentlicher Wettkampf der amerikanischen Cowboys statt, das Rodeo: Zureiten wilder Mustangs – Einfangen von Büffeln – Lassowurf – Reiterkünste; der Sieger wird als Cowboy-Star von einer Filmgesellschaft engagiert, und so zieht der Kuhtreiber in eine Villa von Beverly Hills oder in einen Bungalow von Maliboo Beach und gibt zum Beispiel Autogramme, hihihi. Tom Mix kam solchenwegs von der Hazienda ins Atelier und bezog dreitausend Dollar Wochenlohn, aber jetzt ist er ohne Engagement – Hoot Gibson und Ken Maynard haben seinen Ruhm verdunkelt, und Fred Thompson. Der war ein wirklicher Cowboy, denn er starb, kaum daß er aus dem freien Licht in das der Jupiterlampen kam; und sein Hengst, der »Silver King«, steht unbeschäftigt im Atelier der »Famous Players«, alle Cowboys, alle Sieger des Rodeo abwerfend, allen Lockungen von Zucker und Krippe hartnäckig trotzend – der einzige Charakter von Hollywood.
Die Rosse der anderen Reiterstars haben auch nicht viel zu tun. Während der Liebesszene mit der Farmerstochter grasen sie vor dem Blockhaus, im dritten reel (Western Pictures haben nur drei Akte) lassen sie sich's gefallen, daß auf ihren Pferderücken sich der heavy mit der geraubten Maid schwingt, beziehungsweise der edle Cowboy zwecks Verfolgung. Das sind Großaufnahmen.
Aber bei dieser Jagd sitzt der Verfolger nicht mehr auf dem Pferd, obwohl zum Beispiel ganz Amerika das glaubt, hihihi. Er sitzt bequem auf einem an das Aufnahmeauto montierten Sattel, der auf Sprungfedern schaukelt. Der Cowboy hält Zügel in der Hand, obwohl ja kein Pferd neben dem Auto angebracht ist, sondern nur ein Stück Pferdemähne – die Perücke eines Pferdes! So jagt er auf asphaltierter Straße kühn durch die Wildnis. Die Kamera ist derart auf ihn gerichtet, daß im fernen Hintergrund der verfolgte Reiter mitsamt seiner Sägespänepuppe im Bilde bleiben. Immer kleiner wird die Distanz, die Puppe ist keine Puppe mehr, sondern das Double, eine Ersatzperson der Hauptdarstellerin, und schließlich die Hauptdarstellerin selbst. Der Edle reißt sie vom Pferd des Schändlichen auf seinen neben dem Auto federnden Sattel, unter dem sich zum Beispiel ein Sofa befindet, damit alles bequem ist und nichts passieren kann, hihihi.
Die Aufnahmen der drei Akte leitet ein Anfängerregisseur, und sie dauern kaum drei Tage. Denn alles, was nicht Großaufnahme ist, die Verfolgung mit dem Sheriff zum Beispiel, das Dahinjagen der Mustangs, das Gefecht am Ufer, hihihi – das alles, viele tausend Meter, wird aus früheren Western Pictures übernommen. Greift nur hinein in die stock shots, und wo ihr's packt, da ist es interessant.
Das Publikum merkt nicht, daß es die gleiche Handlung mit den gleichen Bildern wiedersieht, wenn nur der Cowboy der neueste Cowboy ist, Held aller alten und jungen Jungen. So wie's mit der Politik, dem Sport und dem Wagemut ist, ist's mit dem Cowboy in Amerika: eine vergessene Generation hat selbst noch aus Tollkühnheit oder Romantik diese Reiterkunststücke getrieben, die nächste begeisterte sich nur, indem sie von Buffalo Bill in den Büchern las, die dritte aber nimmt sich nicht einmal die Mühe des Lesens, sondern sitzt gummikauend im Lehnstuhl und schaut zum Beispiel den immer von neuem verwässerten Kitsch immer von neuem an, hihihi.
Sieh mal an, auf ihre alten Tage macht sie plötzlich Zicken.
Viel tausend Jahre war sie da, und man mußte mit ihrer Existenz rechnen, manchmal fand man, daß sie komisch, manchmal, daß sie niedlich sei, aber nützlich, nein, nützlich fand sie keiner.
Sie selbst, vom Vergnügungswahn und Betätigungsdrang der Zeit erfaßt, ging zum Film und wurde anfangs nur als komische Alte verwendet. Aber jetzt, nach Jahren, ist sie als Hauptperson entdeckt worden, man hört die Filmbaumeister sie verfluchen, denn es gibt keine Riesenbauten mehr, man hört die Filmschauspieler sie verfluchen, denn es gibt keine Reisen zwecks Naturaufnahmen mehr, man hört die Filmdirektoren sie segnen, denn sie erspart Millionenausgaben.
In jedem Studio von Hollywood sind ihr zwei Tempel errichtet, die sich durch Anbauten immerfort vergrößern: die Miniaturenfabrik und das Trick Department.
Vor dem arbeitenden Aufnahmeapparat steht auf hohem Gerüst das winzige Modell einer Kirchenkuppel, der oberen Stockwerke eines Hauses mitsamt dem Dach, der Vertikalgliederung einer ganzen Straße. Und die Großbauten, in denen sich die Schauspieler bewegen, sind knapp über ihren Köpfen zu Ende, alles ist ebenerdig, denn das nah an die Kamera gerückte Modell wirkt genau wie die lotrechte Fortsetzung der Realität.
Erstaunt erfahren wir im Miniatures shop, daß die vielen hundert auf einem Tisch aufgestellten, kaum dezimeterlangen Kanonen und Tanks die Kanonen und Tanks waren, mit denen die Armeen des Weltkrieges, die Statisten des Films »Rivalen« (»What's Prize Glory«) ins Feld zogen. Die Aeroplane, französische und solche mit dem Eisernen Kreuz, hängen als winziges Kinderspielzeug auf Drähten, sie, die wir riesenhaft über den Kolonnen schwirren sahen. Und das hat mit diesen Dingen die Perspektive getan.
Ein Schiffchen – wir möchten's gerne dem kleinen Peter mitbringen, es hätte gerade noch Platz in unserem Koffer – Millionen Kinobesucher, schaudernd und kreischend, sahen es mit einem Eisberg zusammenstoßen und mit lebendigen Menschen, Weibern und Kindern und Männern und Greisen im Weltmeer untergehen, mit wirklichen Schauspielern und Komparsen, die zu ihrem Glück nicht auf dem Dampfer, sondern so weit hinter dem Dampfer standen, bis ihre Größe der seinen entsprach.
Das Prater-Riesenrad aus »Karussell des Lebens« (»Merry-go-around«), wo es sich als gigantische Himmelsuhr im Hintergrund drehte, da haben wir's nun: zwanzig Zentimeter Durchmesser das ganze Rad des Schicksals.
Dieser filigrane Eisenbahnzug ist der, dem die Leute bei »Sonnenaufgang« zuwinkten. Der Bahnsteig mit den Schauspielern war beträchtlich von der Kamera entfernt, damit das Größenverhältnis stimme.
Was da auf Brettern an der Wand aufbewahrt ist, Feuerwehrwagen, Autos, Luftpumpen für artesische Brunnen, Bäume, Telegrafenstangen, Schiffskessel, Windmühlen, des Henkers Haus und andere Gebäude (einige beschädigt vom Feuerbrand, der aus allen ihren Fenstern lohte und sichtbarlich das Dach verzehrte) – hei, wär das etwas für Peter zum Spielen!, ohne Hintergrund, ohne Perspektive und mit etwas mehr Phantasie, als der Film sie hat.
Nicht nur die Spielwarenfabrik des Ateliers ist darauf aus, den Kinobesucher für sein gutes Geld zu betrügen, sondern auch der Filmstreifen begeht jetzt Schwindeleien in einem Ausmaß, von dem unsere Vorfahren keine Ahnung hatten.
Ein Liebespaar treibt auf einer bequemen Steinplatte sein Spiel. Der Operateur, der allgegenwärtige, dreht. Dergestalt aber, daß die Szene nur ein Sechstel der Filmfläche einnimmt. Den Rest des Objektivs verdeckt er, fünf Sechstel bleiben unbelichtet. Ein Maler des Trickateliers stellt nun den Hinter- beziehungsweise Vordergrund her, der, auch wenn er keine vergrößerte Photographie ist, »enlargement« heißt. Und was ist aus der bequemen Bühne geworden! In schwindelhafter Höhe ragt der Stein aus anderen Felsenzacken empor, schwebt er neben anderen Felsenzacken. Eine einzige Bewegung aus dem Sechstel, und die Liebenden sind zerschmettert. Zwischen ihnen klafft nun ein schmaler, aber tiefer Spalt. Drei Sechstel des Films nimmt diese grauenhaft gefährliche Landschaft ein, nachdem der Filmstreifen – das bereits belichtete Szenensechstel und noch zwei andere Sechstel verdeckt – vor dem enlargement abgerollt wurde.
Ein drittes Mal wird gedreht, abermals ohne Schauspieler: aus dem Magazin werden alte Aufnahmen von Blitzen oder Wolken geholt, und auf den restlichen zwei Sechsteln des Bildchens zucken und ballen sich die kosmischen Gefahren über dem Haupt der Liebenden zusammen. Bei dieser double exposure können auch zwei Spielhandlungen oder gar drei auf einem Filmblättchen aufgenommen werden, Verkehr unten in der Straße, Schneegestöber hoch oben im Berg, eine Liebesszene vor dem Haustor, aus den Fenstern dreier Stockwerke schauen Menschen, und auf dem Rand des Daches kämpft der Detektiv mit dem Mörder den Todeskampf. Rauchen darf freilich keiner der Darsteller, sonst würde der Zigarettenrauch plötzlich haarscharf abschneiden.
Soll außer dem enlargement noch eine Aktion sichtbar sein, Riesenräder, Straßenleben oder Eisenbahnverkehr, so muß sie, auf Glas gemalt, vor den Miniaturen aufgestellt werden. Das alles bewegt sich lautlos, kein Regisseur ist bei dieser Aufnahme, niemand schreit durch das Megaphon, keine Schreibmaschinen klappern das Aufnahmeprotokoll, und keine Scheinwerfer heben und senken sich schwer, keine Schauspieler und keine Statisten werden wieder und wieder zurückgerufen.
Es ist totenstill in den Aufnahmeräumen des double print und der double exposure, wo sich der rollende Filmstreifen mit bewegten Handlungen füllt, niemand ist dabei als die, die Herrscherin geworden ist und alles regelt und entscheidet: die gute ehrliche Perspektive.