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Hasse lag in seinem Bett. Das Fenster stand offen, und vom Meer her wehte frischer, salziger Morgenwind ins Zimmer. Es kostete ihn einige Anstrengung, in den Federn liegenzubleiben. Er läutete.
Maurice, der Diener, dessen Obhut er anvertraut war, erschien. Maurice war ein kleiner, schmaler Kerl mit einem spitzen Vogelgesicht, wie alle Angestellten im »Haus der tausend Laster« tüchtig, diskret – und gerissen. Irgendeine Vergangenheit hatten sie alle. »Monsieur wünschen?« fragte er.
Hasse gähnte.
»Ich weiß nicht: Ich habe heute gar keinen Appetit ….«
Maurice tat erschrocken.
»Ich sehe: Monsieur haben das Frühstück nicht angerührt …. Vielleicht befehlen etwas anderes –?«
»Ach –!« Hasse gab sich alle Mühe, gutes Theater zu spielen. Er erhob sich und ließ sich wieder zurückfallen. »Ich habe das öfter, wissen Sie …. Bitte, schicken Sie mir mal Madame Durand!«
Madame Durand, in schwarzseidener Würde, trat in Erscheinung. »Womit kann ich Monsieur dienen?«
Hasse war inzwischen aus dem Bett geklettert und hockte in seinem Schlafrock am Fenster. Er hatte einen Riesenhunger, aber das Frühstück stand noch so, wie Maurice es vor einer Stunde hereingebracht hatte.
»Madame«, fing Hasse an, indem er sich mühselig erhob, »Sie haben mir, als ich hier einzog, gesagt, man würde alle meine Wünsche erfüllen. Ich weiß nicht, ob ich offen zu Ihnen sprechen kann –?« Er stand vor ihr und hielt den Kopf gesenkt; das Haar hing ihm in die Stirn, und er sah verlebt und gealtert aus.
Madame Durand glaubte zu wissen, was nun kommen mußte; sie hatte ihre Erfahrungen. »Was in den Grenzen des Möglichen ist – –«, sagte sie mit behutsamer Höflichkeit.
»Ich glaube, daß Herrn de Reux alles möglich ist ….«
»Herr de Reux kümmert sich nicht um Einzelheiten. Das ist meine Aufgabe!«
»Also, Madame, dann zu Ihnen: helfen Sie mir! Wissen Sie: Meine Nerven sind hin …. Das, was ich hinter mir habe – –«
Madame Durand war zwar nicht so klug wie ihr Meister, aber so ohne weiteres ließ sie sich nicht einfangen. »Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht, Monsieur«, meinte sie und wich vorsichtig zurück.
»Wirklich nicht, Madame? Ich möchte doch nicht deutlicher werden …. Aber ich weiß, was ich weiß!«
Ihr bleiches, aufgedunsenes Gesicht rötete sich. In ihren kleinen schwarzen Augen zuckte Schrecken.
»Ich verstehe Sie jetzt erst recht nicht, Monsieur«, sagte sie.
Hasse schien die Geduld zu verlieren. »Madame, zwingen Sie mich doch nicht, unhöflich zu werden! Glauben Sie, ich sei umsonst hierhergekommen?«
Klopfen an der Tür. Maurice überbrachte ein Telegramm.
»Ich danke!« Hasse drehte das kleine gelbe Kuvert unentschlossen hin und her. »Sicher von meinem Anwalt. Ich habe da einen Prozeß ….« Er öffnete das Telegramm, las es, knäulte es zusammen und warf es zum Fenster hinaus. »Natürlich! Hab' ich mir gedacht! Soll sofort kommen …. Und gerade jetzt –?« Er trat schnell auf die Durand zu und ergriff ihre Hände. »Hören Sie: Sie müssen mir helfen! Ich brauche – – nun, Sie wissen ja, was ich brauche!« Ein Wort der Blythe fiel ihm ein: »Man kommt ja nicht wieder davon los!«
Madame Durand wurde schwankend. »Wenn Herr de Reux es erfährt – –«
Hasse wurde immer ungeduldiger und schnitt eine wütende Grimasse.
»Mir egal!«
»Ich tue das auf meine eigene Kappe, Monsieur! Und es kostet mich sehr viel Geld ….«
»Geld?« Er lief zum Nachttisch zurück, auf dem seine Brieftasche lag. »Wieviel?«
Sie hob die Schultern. »Zweitausend Frank für die Dosis.«
Er zählte hastig die dünnen blauen Scheine ab. »Hier!«
Zögernd nahm sie das Geld. »Ich will sehen, was sich machen läßt ….«
Eine Stunde später erschien de Reux wie jeden Morgen in der Villa Plunkett: Wirtschaftskonferenz mit Madame Durand.
»Er will Schnee haben!« Damit fing sie ihren Bericht an.
De Reux zog die Augenbrauen hoch. »Woher weiß er – –?«
Sie breitete die derben roten Hände vor sich aus, wie wenn sie sich von vornherein gegen jede Anschuldigung verteidigen wollte. »Er steckt viel mit der Blythe zusammen ….«
De Reux nickte. »Das ist die dümmste Pute von allen! Wir werden sie – –«
»Was –?« Ein halblauter Schrei der Durand. Entsetzen in ihrem breiten Gesicht.
»Werde nur nicht hysterisch! Sonst noch etwas?«
»Ja …. Soll ich ihm geben?«
De Reux steckte die Hände in die Hosentaschen und ging in dem Zimmer auf und ab. Die Frau rührte sich nicht, sondern wartete, bis er wieder zu ihr zurückkam. Ein böses Lächeln lag um seinen dünnen Mund. »Der gute Mann ist nicht dumm. Aber –«, er nickte zufrieden, »– es ist ganz gut, daß er das haben will. Wir werden ihm etwas geben, worüber er erstaunt sein wird ….«
Madame Durands Augen wurden groß. Sie lebte in ständiger Furcht vor diesem schlanken, eleganten, kultivierten Menschen, den die Frauen bewunderten und die Männer beneideten.
Er lachte laut. »Ich bin kein Borgia, der Handschuhe vergiftet und gedokterte Weine trinken läßt. Man muß die Menschen zum Narren halten – das ist mein Prinzip! Wir werden Herrn von Sprauhn an der Nase herumführen, daß sie noch einmal so lang wird …. Verstehst du?«
Die Durand tat einen tiefen Seufzer der Erleichterung. Sie lachte, und ihr großer Mund zeigte die weißen, starken Zähne. Sie war wie ein treuer Hund, und in dem Blick, mit dem sie de Reux anschaute, lag die Bewunderung und Hingabe eines Hundes. »Er will heute abend verreisen. Nach Wien – sagt er.«
De Reux nickte.
»Hab' ich erwartet. Ich weiß auch, wohin er fahren will: nach Kudowa ….«
Die Durand war wieder ganz Schrecken. Sie stieß den Atem so heftig aus, daß es beinahe einen Knall gab. »Das läßt du zu?«
»Erstens kann ich es nicht verhindern. Zweitens hab' ich dafür gesorgt, daß er den Bescheid bekommt, der mir paßt. Die Frau Baronin tut noch immer, was ich will. Verstanden?«
Madame Durand wiegte den Kopf hin und her. Die Frau Baronin! Die Frau, die sie selbst in der tiefsten Tiefe ihrer Seele haßte! »Warum hast du gestern abend das Mädel hergebacht?« fragte sie.
Er setzte sich an seinen Schreibtisch und langte nach den Rechnungsbüchern, die sie bereitgelegt hatte. »Weil es mir paßt! Hast du etwas dagegen?«
»Nein!« beeilte sie sich zu versichern. »Aber weil du bis jetzt nicht – –«
Einen Moment lang veränderte sich das Gesicht de Reux', und der andere, wahre Mensch kam zum Vorschein: grausam, brutal, gemein. »Ich weiß schon, was ich will!« sagte er durch die Zähne hindurch.