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Mr. Lewis J. Dale musterte mißtrauisch den Besucher, der in sein kleines Büro trat. Ein hagerer, elegant gekleideter Mensch stand vor ihm, mit scharfen, harten Zügen und hochmütig-kalten Augen. Grau war der Mann, leicht vornübergebeugt. Dale schätzte ihn aus fünfzig oder fünfundfünfzig Jahre.
»Ich habe Ihnen einen Empfehlungsbrief von Herrn Doktor Schwarz-Heller in Wien abzugeben«, sagte der Fremde in gebrochenem Französisch.
Des Detektivs Gesicht wurde von einem jäh erwachten Interesse erhellt. Er bat seinen Gast, Platz zu nehmen, und überflog hastig das Schreiben des Wiener Rechtsanwalts. »Ich bin im Bilde«, erklärte er dann, »und ich stehe selbstverständlich zu Ihrer Verfügung, Herr Baron!«
Der andere hob abwehrend die Hand. »Ich habe nicht die Absicht, hier als »Herr Baron« aufzutreten. Am liebsten möchte ich meine Haut wechseln, um unerkannt zu bleiben. Da das nicht geht, muß ich mich damit begnügen, einen andern Namen anzunehmen. Dr. Schwarz-Heller war so liebenswürdig, mir einen Paß zu besorgen, der für Robert Hasse ausgestellt ist. Die österreichische Regierung hat bei dieser Gelegenheit ein Auge zugedrückt, da es sich ja darum handelt, einen Namen wiederherzustellen, der durch gewisse Ereignisse in den Schmutz gezerrt wurde ….«
»Verstehe vollkommen, Herr Hasse!« antwortete Dale, obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte von dem, was diese etwas lang geratene Erklärung bedeutete.
Lewis J. Dale war Amerikaner und sah auch so aus. Ein kleiner, zaundürrer Kerl mit spitzem Windhundgesicht und einem Paar schlauer Augen, die immer das sahen, was sie nicht sehen sollten. Zäh, hartnäckig, nicht mit übertriebenen Skrupeln belastet, verdiente er an der Riviera sein Geld, indem er auf seine Landsleute aufpaßte, die hier das ihrige zum Fenster hinauswarfen. Es gab da eine ganze Menge indiskreter Affären, die eine diskrete Behandlung erforderten; darin war Dale Meister.
Und nun stürzte er sich ohne weiteres in medias res: »Ich habe Ihre Ankunft erwartet und daher mein Material vorbereitet. Den Aufenthalt der von Ihnen gesuchten Dame allerdings hab' ich nicht feststellen können: weder hier noch in Paris oder London, wo ich überall meine Beziehungen habe. Dagegen ist es mir, wie Ihnen Dr. Schwarz-Heller wohl mitgeteilt hat, gelungen, die Tochter aufzufinden. Wenn man bedenkt: Zwei Jahre lang hab' ich in der ganzen Welt nach diesen zwei Frauen gefahndet – und schließlich entdeck' ich die eine von ihnen hier, direkt unter meiner Nase! Die Ähnlichkeit mit der mir übersandten Photographie ist zu groß, als daß ich mich täuschen könnte. Freilich tritt die junge Dame hier weder als Fräulein Sprauhn noch als Fräulein Slevan auf. Das sind die beiden Namen, unter denen ich sie auf Schwarz-Hellers Anweisung hin zu suchen hatte. Ich habe sie mehrere Male gesehen, in Gesellschaft verschiedener Herren. Aus meinen Erkundungen ergab sich, daß sie als die Nichte des Herrn de Reux gilt, der – –« Dale zauderte einen Moment. »Ich weiß nicht, Herr Hasse, wie Sie zu der besagten jungen Dame stehen ….«
»Gar nicht! Ich interessiere mich nur für die Mutter, die ich durch die Tochter zu finden hoffe.«
»In Ordnung! Ich kann also ganz offen zu Ihnen sprechen?«
Der Mann, der Hasse genannt zu werden wünschte, blickte dem Detektiv ins Gesicht. Dale, sonst nicht leicht einzuschüchtern, rückte unbehaglich hin und her. Stechend war dieser Blick, unerklärlich. Was ist das für eine Art Wunderfisch, den mir Schwarz-Heller da geschickt hat? fragte sich der Amerikaner.
»Je offener, desto bester!«
Dale griff nach seiner Pfeife, die in einer Schale neben ihm auf dem Schreibtisch lag. »Was dagegen, wenn ich rauche?«
Der Besucher schüttelte den Kopf, und der Detektiv zündete sich den Shag an. »Dieser Herr de Reux ist eine etwas geheimnisvolle Erscheinung. Soviel ich weiß, hat er nach dem Kriege, so Anfang der zwanziger Jahre, auf Kap Martin die Villa gekauft, die sich mein Landsmann Plunkett dort hinbaute. Plunkett ist einer jener Männer, die in der Legende Monte Carlos aufgenommen worden sind. Ihm ist es nämlich geglückt, im Verlauf von drei Wochen viermal die Bank zu sprengen. Er hat 1909 vier Millionen Frank gewonnen: gute, anständige, solide Vorkriegsfrank. Mit denen hat er sich diese Villa gebaut, die eigentlich schon mehr ein Schloß ist. Dann hat er das ganze Geld wieder verspielt und die Villa mit ihrem schönen Garten dazu. Im Kriege mietete sie ein Khedive und schleppte seinen ganzen Harem mit. Er war ein Mann, der lebte und leben ließ. Er brachte Geld unter die Leute, und Monte Carlo legte Nationaltrauer an, als man ihn eines Tages mit durchschnittener Kehle in seinem Bette fand. Der Mörder ist bis heutigen Tages noch nicht entdeckt worden. Wissen Sie, Herr Hasse: Hier an unsrer blauen Küste legt man nicht so großen Wert darauf, Sensationsaffären aufzuklären, sondern ist vielmehr bestrebt, sie zu vertuschen. Oberstes Gesetz: Das Vergnügen nicht stören! – Die Villa blieb leer. Auf Kap Martin und Roquebrune bekamen die alten Weiber eine Gänsehaut, wenn sie von ihr sprachen. Es hieß, Gespenster gingen in dem Marmorkasten um; der tote Pascha feiere Orgien mit den Geistern seiner Favoritinnen. Ergebnis: Kein Käufer und kein Mieter wollte sich für das Besitztum finden, obwohl es eines der schönsten an der ganzen Riviera ist. Anfang der zwanziger Jahre jedoch, gleich nach dem Kriege, erschien Herr de Reux, zuckte die Achseln über die Spukgeschichten und kaufte die Villa. Er richtete dort nicht etwa ein Hotel ein – Gott bewahre, dazu ist er zu vornehm! – aber einen Aufenthaltsort für die Dummköpfe, die man Paying Guests nennt. Und er fand viele Kundschaft. Kundschaft mit Geld. Hauptsächlich aus den Vereinigten Staaten. Und obwohl er strenge Auswahl unter seinen Gästen hielt, hatte er das Haus doch immer voll. Sogar jetzt ist es gut besetzt. Die Hotelpaläste an der Riviera sind froh, wenn sie nicht zu schließen brauchen. Herr de Reux jedenfalls kann sich über Mangel an Besuch kaum beschweren ….«
»Wohl irgendein Hotelier, der sein Geschäft besonders gut versteht?« Dale sog ungeheure Rauchwolken aus seiner Shagpfeife. »Nun – nach einem Gastwirt oder Hotelier sieht der Mann nicht aus. Er sieht schon so aus, wie er heißt: vornehm und aristokratisch, mit Spitzbart und Monokel. Es gibt viele Hotelleiter, die als Tellerwäscher oder als Kellnerjungen angefangen haben; Herr de Reux jedoch hat sicher nie seine Hände mit Arbeit beschmutzt. Nein …. Aber diese Idioten bei uns drüben – ich meine die United States – rechnen sich's zur Ehre an, wenn sie im Hause eines richtigen Aristokraten wohnen können. Da kann Miß Johnson daheim in Denver erzählen, sie sei bei einem Mitglied der französischen Hocharistokratie eingeladen gewesen …. Oh, Herr Hasse, wir sind eingefleischte Republikaner – aber wir rutschten vor jedem Wappen auf dem Bauch. Und dann noch eins: Ich glaube, Herr de Reux versteht es, seinen Gästen mit Genüssen aufzuwarten, die sie sich an anderen Plätzen nicht so leicht verschaffen können ….«
»Spielen können sie doch auch im Kasino und im Cercle, soviel sie wollen?«
»Bah!« Der Detektiv rieb sich verächtlich die lange, spitzige Nase. »Spielen –? Das hat in der Zeit, deren wichtigste Tätigkeit das Geldverdienen und Geldverlieren ist, längst an Reiz eingebüßt. Bei uns drüben regiert heute der Stumpfsinn: Die Menschen wissen nichts mit sich anzufangen. Und so ist es zum Teil auch hier in Europa. Man ist leer geworden und muß sich mit immer neuen Sensationen füllen. Die alten Emotionen verpuffen. Die Nerven zittern nicht mehr, wenn die Bank dreimal hintereinander Zero schlägt. Was Sie heute hier spielen sehen, ist nur ein kleines Volk; die großen Spieler sind ausgestorben. Leute will man anderes: Boxkampf, Automobilrennen, Luftrekorde – das zieht die Massen an. Für Leute, die sich nicht recht vorwärtsentwickeln, bedeutet der Anblick eines Aeroplans, der aus zweitausend Meter Höhe, bei einer Geschwindigkeit von fünfhundert Stundenkilometern, herunterknallt und in Trümmer splittert, immerhin eine Sehenswürdigkeit. Und wenn der Pilot lebendigen Leibes verbrennt, mag noch ein besonderer Nervenkitzel dabei sein …. Denn das einzige, das noch über die Langeweile hinweghilft, ist der Rausch. » Let's have a drink!« ist zum Schlagwort bei uns geworden. Eigentlich müßte ich ja zufrieden sein; denn mein Geschäft läuft um so besser, je mehr meine Landsleute diesem Spruch huldigen.«
»Trinken?« Hasse rieb, seiner Gewohnheit nach, die knochigen Hände auf den knochigen Knien. »Ich weiß gar nicht mehr, wie das ist. Aber ich kann mir auch nicht recht vorstellen, daß so ein Alkoholrausch die Seligkeit darstellen solle ….«
»Trinken?« Dale grinste. »Auch altmodisch. Das Laster von vorgestern …. Es gibt noch andre Räusche!«
»Sie glauben – –?«
Hasses unvollendete Frage wurde mit vielsagendem Achselzucken beantwortet.
Eine Weile saßen die beiden einander schweigend gegenüber. Hasse schien Mühe zu haben, die Mitteilungen des Detektivs zu verdauen. Leicht begreiflich: In den zwanzig Jahren, da er die Welt nicht sah, hatte die sich auf den Kopf gestellt, war anders geworden, ganz anders. Bei jedem Schritt, den er machte, sah er das.
»Kann man in dieses Haus aufgenommen werden?« fragte er. »Ich meine: als Paying Guest?«
»Glaube wohl …. Wenn Sie Geld genug haben, um sich den Luxus leisten zu können? Es ist nämlich Luxus, Herr Hasse: raffiniertester Luxus ….«
Ein Ton in diesen Worten, der Dale aufblicken ließ. Was wollte der Mann? Er sah nicht danach aus, als ob er Ausschweifungen suche. Der hatte ein Ziel vor Augen …. »Ich könnte das vermitteln«, sagte der Detektiv. »Es gehört ja zu meinem Geschäft, überall Verbindungen anzuknüpfen. Ich habe sogar Beziehungen zur Villa des Herrn de Reux – durch Vermittlung eines sehr guten Freundes. Wenn Sie wünschen, kann ich Sie mit ihm bekannt machen.«
»Ich wäre Ihnen sehr dankbar …. Ist Ihr Freund auch Gast dort?«
»Gast? Glaube kaum …. Er hat wohl ein anderes Amt: Er führt Gäste ein. Sie verstehen –?«
Hasse stand auf. »Wie kann das also eingerichtet werden?«
»Mein Freund ist immer zwischen fünf und sieben im Kasino zu treffen. Er ist keiner von den Hypermodernen. Er spielt. Wenn Sie also wollen –?«
»Selbstverständlich. Ich wohne im Hotel des Gourmets. Wenn Sie mir dorthin irgendeine Nachricht zukommen lassen – –«
Der Amerikaner riß entsetzt die Augen auf. »Wo wohnen Sie? Wie heißt die Bude? Nicht zu machen, Herr Hasse! Das Auto des Herrn de Reux holt Gäste nur vom Hotel de Paris oder von den Ambassadeurs ab.«
»Gut – ich übersiedle ins Paris!«
»Wollen Sie sich nicht vorher mal die Villa des Herrn de Reux ansehen? Wir könnten ein Motorboot nehmen ….«
»Keine schlechte Idee! Sofort?«