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Der allgemeine Verdacht, wie ihn die Volksstimme zum Ausdruck brachte, richtete sich gegen die Brüder Sprauhn, sowohl gegen Philipp wie gegen Eugen. Sie wurden beide verhaftet und einem Verhör unterzogen.

Die Affäre erregte das größte Aufsehen, schon um der Personen willen, die in diesem Drama eine Rolle spielten. Der Skandal war immer um Lisa Slevan herumgeschlichen, hatte bald von dem gemunkelt, bald von dem. Sie war volle dreiundzwanzig Jahre jünger als ihr Mann, bildschön, lebenslustig …. In den Salons der vornehmen Gesellschaft hatte man Wetten abgeschlossen, wer das Rennen bei ihr machen würde. Allgemein hatte man sich auf Philipp geeinigt. Eugen Sprauhn bewarb sich gleichfalls um die Gunst der jungen Frau, die viel mit ihm ritt, Tennis spielte und tanzte. Philipp Sprauhn war nicht in so vielen Sätteln gerecht wie sein Bruder. Er war ernst, schwerfällig. Er stand um vier Uhr morgens auf und ging als erster auf seine Felder. Er war eigentlich nicht der rechte Mann dazu, um eine junge Frau zu trösten. Doch wurden schließlich all die hundert Augen, die gierig die Entwicklung der Lebensgeschichte der schönen Lisa Slevan bewachten, ihrer Sache sicher: Der Philipp Sprauhn und kein andrer!

Daher griff der Verdacht zuerst nach ihm und hängte sich an ihn am stärksten. Die Rauferei des Eugen Sprauhn mit Slevan –? Man kannte die beiden. Eine Rauschangelegenheit – weiter nichts …. Und um ganz sicher zu gehen, nahm die Gendarmerie auch den jüngeren Bruder fest.

Hinter dem Gebüsch wurden Spuren eines langen, schmalen Männerstiefels festgestellt und zwei Zigarettenstummel gefunden. Es zeigte sich, daß die Fußspuren sowohl von den Schuhen des einen wie des anderen Bruders herrühren konnten. Und die Stummel stammten von der österreichischen Monopolzigarette »Luxor«, die sie beide rauchten. Also wer? Eugen? Philipp?

Zwei Tage lang war nicht nur die nähere Umgegend, sondern das ganze Land in Aufruhr. Die Sprauhns waren eine uralte Familie. Sie hatten den Kaisern von Österreich zwei Feldmarschälle, einen Ministerpräsidenten und mehrere Botschafter gestellt. Sie galten etwas. In den vornehmen Salons in Prag, in Wien, in Budapest debattierte man über die Frage: Philipp – oder Eugen. Beide bestritten ihre Schuld. Beide konnten aber nicht angeben, wo sie sich in der fraglichen Nacht aufgehalten hatten. Eugen verweigerte überhaupt jede Auskunft. Philipp erklärte, auf nächtlichem Pirschgang gewesen zu sein. Allein? – Jawohl …. allein! – Ein Alibi, das nicht genügte …. Man zuckte mit verständnisinnigen Blicken die Achseln. Cherchez la femme!

Doch die Gesellschaft stand Kopf, als am Tage der Untersuchung, nachdem der Gutsherr zu Grabe getragen war, Frau Slevan beim Untersuchungsrichter erschien und unter Eid aussagte, daß in der fraglichen Nacht Philipp Sprauhn mit ihr zusammen gewesen war. Daraufhin wurde der ältere Bruder, Philipp, freigesprochen. Eugen aber wurde vor das Schwurgericht gestellt, wo er am 3. Juli des Jahres 1912 zu zwanzig Jahren schweren Kerkers verurteilt wurde. Ausstoßung aus der Armee, Verlust des Adelstitels waren die Folgen dieses Urteils.

Zwei Jahre später der Krieg …. Auch in die Mauern des Zuchthauses drang die große Kunde. Mehrere Male hörten die Gefangenen in ihren Zellen die alten Soldatenmärsche, unter deren Klängen die Regimenter ausrückten. Es gab Aufregung unter ihnen; Hoffnungen sprangen auf. Die Aelteren, Hartgewordenen zuckten die Achseln und machten zynische Bemerkungen. Aber von den Jüngeren gingen viele zum Direktor und baten, mitmarschieren zu dürfen.

Eugen Sprauhn richtete als erster ein Gesuch an den Kaiser, mit der Bitte, ihn, wenn schon nicht als Offizier, so doch als gemeinen Soldaten ins Feld ziehen zu lassen.

Sein Bruder Philipp meldete sich am Tage der Kriegserklärung an Serbien bei seinem Bezirkskommando und rückte als Reserverittmeister ein. Aber erst Ende September erhielt er den Marschbefehl. Am 15. September heiratete er Lisa Slevan, und am Tage vor seinem Abmarsch ins Feld fuhr er in die kleine Stadt, in der das Zuchthaus stand. Es war sein letzter Versuch, den Bruder zu sehen.

Nicht der erste. In den zwei Jahren, in denen Eugen Sprauhn im Kerker saß, war Philipp mehr als einmal zu ihm gekommen. Nie hatte Eugen ihn sehen wollen. In diesen Jahren war in dem wilden Sprauhn alles noch wilder geworden: Haß gegen das Gericht, das ihn nicht nur verurteilt, sondern auch verdammt hatte; Haß gegen den Bruder; Haß gegen die Frau, deren Zeugnis allein ihn, seiner Meinung nach, zum Schuldigen gestempelt hatte. Man war gegen ihn ungerecht gewesen; also wurde er ungerecht gegen die anderen. Am ungerechtesten gegen den eigenen Bruder.

Wiederholt schrieb ihm Philipp; einmal kam Lisa selbst zu ihm. Die Briefe schickte er uneröffnet zurück; Lisa ließ er antworten, er hätte ihr nichts zu sagen. Es war alles schwarz in diesem jungen Menschen. Da waren Tage, an denen er sich fragte, ob es nicht besser wäre, sich den Schädel an der Wand zu zerschlagen. Ein Sprung, mit dem Kopf voraus …. Aber immer wieder behauptete sich in ihm der Trotz zum Leben.

Der Krieg …. Eugen Sprauhn schrieb sein Gesuch, glühend, voll Hoffnung. Von Tag zu Tag wartete er. Er wurde wieder fröhlich, lachte wieder. Für ihn war es völlige Gewißheit, daß er wieder in den Sattel steigen dürfe.


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