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Das große Bette der Ehren – das weiße Meer – das anonyme Paradies – die romantischen Bekanntschaften – Durchgang des Globen durch Sonnen
– Aber zwischen Himmel und Erde wurd' ich am einsamsten. Ganz allein wie das letzte Leben flog ich über die breite Begräbnisstätte der schlafenden Länder, durch das lange Totenhaus der Erde, wo man den Schlaf hinlegt und wartet, ob er keine Scheinleiche sei. Die großen Wolken, die unten aufeinanderfolgten, waren der kalte Atem eines bösen Geistes, der in der Finsternis versteckt lag. Ein Haß gegen alles Dasein kroch wie Fieberfrost an mir heran; ich sagte wieder: ich bin gewiß ein böser Geist. Da riß mich ein zweiter Sturm dem ersten weg und schleuderte mich über unbekannte entlaufende Länder fort.
Plötzlich zog ich über eine anmutige Ebene voll zerstreueter Laubbäume, ganz mit Affen des Lebens, mit Körpern bedeckt, die sich wie Mittagsschläfer warmer Länder zum Schlummer ausstreckten. Neben einem Feuer lagen ihre Kleider – da sah ich einen Mann, der einen in seinem Arme hängenden Leichnam entkleidete. – – O Hölle, es war dein Boden, es war ein unbegrabnes Schlachtfeld! – Ich warf Steine auf das Ungeheuer – ich brüllte ihm aus den Lüften: Teufel! Teufel! zu – ich wurde in einen eiskältern Himmel aufgezuckt – – und der Orkus des Mords floh zurück, und blühende Weinberge flogen daher.
Aber der Erdengreuel hatte durch ein giftiges Fieber meine Herzensmuskeln gelähmt; und ich senkte mich erschöpft tiefer der Wärme entgegen und ließ, von Grimm und Wachen matt, die vergeblichen Augen unter ihre Augenlider kriechen.
Wie sonderbar und hold verträumt' ich den äußern Traum! »Von der Stadt Gottes ist wie von Pompeja erst eine Gasse aufgedeckt!« So rief es im Traum; dann wiederholte es bloß sinnlose Worte: Pompeja – Hesperien – warme Blütenwälder – und dunkle Wellen der Lust liefen über mich hinüber.
Ein helles Glänzen weckte mich. Wo wohn' ich? sagt' ich. Ich glitt warm angeweht auf einem unabsehlichen silbernen, aus den zu zartem Schaum geschlagenen Sternen zusammenwallenden Meere weiter – ein Meer, weich und weiß wie Schneenebel, wie Lichtduft – alle Fenster meiner Hütte schimmerten – ich war ganz erleuchtet. – Ich schiffte in dem über die Nachterde hingedeckten Wolkenhimmel, in dessen Flut der aufgegangne Mond wie ein Schwan mit seinem Glanzgefieder alle Wogen durchstrahlend stand, eh' er herauszog ins Blaue.
Statt wie ein Wasservogel länger über der weißen Fläche wegzustreifen, riß ich meine Lufthähne auf und tauchte mich unter in die lichte Flut der zusammenspringenden Naphthaquellen – So ging es selig dahin – in der weißen busenwarmen Nacht – Ich wußte nicht, welches Land unter mir grüne – Ich wühlte mich noch tiefer in den silbernen Dampf – Ein paarmal wälzte sich der Blütenrauch von Gärten herauf – Einmal fuhren Waldhörner wie Blitze durchs Gewölk und tanzten nahe vor mir wie Geister in der Luft. – – Lange war es still – Wieder klingelte ein Glockenspiel, also aus einer zugedeckten Stadt unter mir – Dann wurd' es kühl – Das Meer zerriß in lange Berge, und weite Spalten schaueten auf die Erde. – –
Ich senkte mich zu den lauten festschwebenden Lerchen hernieder und endlich zu den Nachtigallen in Zweigen und berührte einen unbekannten Boden zwischen schlafenden Blumenbeeten – mit Felsen unter Efeu – und Orangeblüten weiß, die der Morgenwind statt der Früchte abschüttelte – mit Rasensitzen, in elysäische Felder hinausgerichtet – und ringendes Morgenrot und Mondlicht durchschnitten einander und vergossen wunderliches Licht auf der Zauberstätte – In der Ferne liefen Pappelreihen vor Lusthäusern vorbei, an runden, heitern, mit Wein übersponnenen Bergen flogen Segel hin, und überall zeigte ein durchsichtiger Kastanienwald eine freudige Welt. Ich wurde von dem dunkeln Paradies wie von einem stummen Kinde angelacht; alles, was unbekannt um mich lag, glich einem alten erinnerten Wiegenliede, nicht einer kunstgärtnerischen Georgika. – So hold und neu! – Gebe nur Gott, sagt' ich, daß ich wieder von dannen fahre, ohn' es von einem gehört zu haben, wie das Land sich schreibt! –
Die Weinberge wurden immer heller unter dem feurigen Morgenduft gefärbt. Ein Mohr in türkischer Kleidung lief über eine grüne Gartenbrücke. Da ich mich jedem Rocke zu begegnen hütete, der eine Erkennung nicht auf dem Theater, sondern des Theaters nach sich ziehen konnte, so wich ich fernen Tritten ins ausländische Buschwerk unter Nachtigallen aus. Endlich trat die Sonne wie ein Musengott in den Morgen und nahm die Erde als ihr Saitenspiel in die Hand und griff in alle Saiten.
Ich war ein anderer Mensch, ich küßte den Blüten den Tau lechzend und liebend ab. Da hört' ich italienische Verse munter weggesungen. Eine große weibliche Gestalt, glühend wie der Morgen, mit keckem Schritt, dunklem Haare und schwarzem Auge, kam umherblickend und singend über die Brücke nach und hatte, wie es schien, den Mohren vorangeschickt. Ich ging auf die glänzende Heldin zu, sie stand sogleich wartend. Welcher Sonne schauete ich geradezu in den Jugendglanz aller Reize! Ich sagte italienisch, ich käme heute vom Brocken und bäte sie, mir alles zu sagen, nur nicht, wie sie oder die Gegend heiße, die ich vor mir sähe. Sie sah messend und lächelnd mich und besonders meinen grünen, römisch umgeworfenen Mantel an: »Ihr seid«, sagte sie italienisch, »aus Rom der Maler –?« – »Giannozzo!« sagt' ich. »Giannino?« sagte sie lächelnd. »Der!« sagt' ichGiannozzo heißet der große Hans; Giannino Hänschen; indes scheint er recht absichtlich eine gewisse Dunkelheit über diesen Morgen zu werfen.
und machte sie mit meiner Luftfähre bekannt. Ich bat sie ernsthaft um ein Frühstück durch den Mohren, um wirklich niemand hier zu sehen und zu hören als sie. Sie befahl ihm französisch, es auf den Pharus zu bringen; »vite,« sagte sie,»et ne dis pas qu'oui!«
D. H.
»Ihr gefallet mir damit,« (sagte sie unter dem Ersteigen der außen laufenden Wendeltreppe des Pharus) »Ihr liebt die Poesie; nichts außer ihr ist schön, die Jugend ist auch eine.« – Ich sagte nur weniges Böse von denen, die aus den Blumen der Poesie immer eine Blutreinigung kochen, und von denen, welche die der Freuden nur wie Lesezeichen in ihre Akten und Handelsbücher legen.
Oben auf dem Pharus schauete man in eine ausgebreitete Welt hinaus, die sich tief in Südosten mit Gebürgen schloß, wahrscheinlich den schweizerischen. Der Mohr brachte mir Wein. Teresa – denn einen Taufnamen mußt' ich haben – sprach von der Liebe und von ihren Brautführerinnen, der Malerei und der Musik, so groß und so frei wie wenige Männer. Welch eine schöpferische, gerüstete Zeit zieht daher, welche das große, dumpfe Nonnenkloster des weiblichen Geschlechts abbrechen und die finstern Mönchsschleier von den schönsten Augen reißen wird. – Sie blickte oft nach Norden, und ich sah sie dann recht an. Welche schöne, dunkle Augen – halb unter dem sanften Augenlide ruhend – gegen die Gewohnheit der schwarzen nur in einem sanften Glänzen bleibend, das weder wuchs noch fiel und das nur ein heller Tau zuweilen dünn überzog! – Sie entdeckte mir offenherzig, wornach sie so nördlich sehe und abweiche – ihr Geliebter wollte diesen Morgen kommen.
»Liebt nur recht, Schöne,« (sagt' ich) »und so recht über alle Beschreibung! Aber gebt mir eine von Ihm!« Ich würde nachher, setzt' ich dazu, einen Pomeranzenzweig mit einer Frucht abreißen und ihr ihn, wenn ich den Geliebten auf meiner Höhe sähe, herabwerfen zum Zeichen. Ihr göttliches Auge glänzte nicht feuriger, nur feuchter. Es war, beschrieb sie ihn, ein rotgekleideter Jüngling auf einem Rappen, mit einem grünen Reitknecht auf einem Schimmel. Ich holte drunten einige mit Gas gefüllte Kügelchen von Goldschlägerhaut und ließ sie als Wetterhähne und Leuchtkugeln auffliegen, um den obern Wind über der Windstille zu erforschen. Zum Glücke weht' er sehr südlich und trieb mich der Reitbahn des Jünglings entgegen. Ich sagt' ihr alles. »Nun geht!« sagte sie. Meine Avisfregatte war schnell zum Auslaufen ausgerüstet und hing nur an einem Geländer mit einem darum geschlungenen Kettchen fest. Mein Herz schwamm, berauscht, im Glanze der Schönheit und des romantischen Morgens. »Nehmt Euch doch recht in acht, Giannino!« sagte sie. Ich stieg unter dem stolz aufarbeitenden Bucentauro ein und ließ sie das Kettlein lösen. Da zog ich ihr drei Rosen aus der Brust und bückte mich zur Gebückten heraus und flog mit dem Raube eines Flammenkusses von den üppigen, vollen Lippen in den Himmel hinauf. »Addio, caro!«rief sie nach; »addio, carissima!« rief ich herab.
Göttlicher Morgen! Göttliches Weib! Ich schwebte schon in den kalten Monaten der Luft und blickte durch das Glas nach Norden; aber ich entdeckte nichts. Die Teresa stand wie eine Marmorgöttin auf dem Pharus, aber kein Zweig fiel für sie aus der Höhe.
Mit ihren frischen Rosen an den heißen Lippen und mit dem Fernglase an den brennenden Augen flog ich über die Berge und Ströme. – Endlich, als die Blühende dem bewaffneten Auge nur noch ein weißer Schatten hinter mir war, entdeckt' ich damit viele Meilen von mir einen rotgekleideten Menschen auf einem Hügel und neben ihm zwei leere Pferde weidend. Mein Auge wurde naß, da es sich auf zwei getrennte, einander von Bergen verdeckte Menschen richten konnte, beide schmachtend und träumend, er die heilige Zukunft in Süden suchend und sie ihre in Norden; indes für mich wie für einen Gott alles nur Gegenwart war. Ich riß ein Blatt aus diesem Buch, schrieb darauf: »Eile, Jüngling, die schöne Teresa wartet deiner auf dem Pharusturm«, band es an den Pomeranzenzweig und warf es, da ich über seine Augen wegzog, die sich schon lange auf das allein immer schneller fliegende Wölkchen im großen Blau geheftet, über ihm aus, und die Frucht riß das flatternde Blatt der Liebe steilrecht hernieder.
Ich wandte mich um – die schöne Teresa auf dem Pharus war verschwunden – der Jüngling sprengte die Hügel hinab und kehrte den Kopf häufig gegen das eilige erfreuende Wölkchen. O liebt, liebt, ihr Glücklichen! –
Die Knospe meines Rosentags blätterte sich weiter auf. Um 10 Uhr senkt' ich mich in Lilar nieder. Die junge, erst vor einigen Wochen verheiratete Frau führte mich zu meinem alten Freund Dian, der sich im Flötental abkühlte. Wir tranken tapfer wieder. Er sah mich nie so glühend. »Im Winter« (sagt' ich) »ist bei dem Volke die größte Armut; nur der warme Geist ist ein reicher. Aber hier ists zu heiß; ich kühle meinen Wein oben im Himmel.« – Auf! auf! rief ich und fuhr aus dem prächtigen Garten davon, den leider noch keiner unserer erbärmlichen Reiseskribenten nur mit einem Dintentropfen abgemalt.
Um 12 Uhr sank ich in Fantaisie bei Baireuth zum Essen nieder. Blühendes, tönendes, schattendes Tal! – Wiege der Frühlingsträume! Geisterinsel des Mondlichts! Und deine Eltern, die Berge, die in dich hereinblicken, sind so reizend wie ihr Kind in seinem Kranz. Fort von der Lust zu der Lust!
Um 6 Uhr sank ich im Seifersdorfer Tale zum Goutieren nieder. Es war schon ein Josaphats-Tal von Schatten; das Abendlicht lief als vergoldetes Leistenwerk um die Berge. Stilles, reiches Tal! du umschließest, wie ein geschmückter bräutlicher Busen, mit Blumen und Hügeln das Herz eng und süß, und es pocht feuriger im schönen Gefängnis. Fort, fort, der Südost fliegt gerade über Wörlitz.
Mit der Sonne sank ich da in den wechselnden Garten, dessen Aussichten wieder Gärten sind. Da war mir, als gehe die Sonne eben auf; alle Tempel blitzten wie von Morgenlicht – erfrischender Tau überquoll den Boden, und die Morgenlieder der Lerchen flogen umher. – Lange, sonnentrunkne Perspektiven liefen wie glänzende Rennbahnen der Jugend, wie Himmelswege der Hoffnung hin – das goldne Alter des Tags, der Morgen, schien meinem schönen Wahne umzukehren. Ach, kein Morgen und keine Jugend stehet von Toten auf ohne eine Nacht. Die langgegliederten Schatten standen wie angelandete Geister der Nacht an den Ufern und überfielen bald die verlassene Welt. Aber ich sehnte mich nach meiner Sonne zurück und stieg wieder auf, um ihr nachzusehen, wie sie hinter die letzten Gebürge fällt. Droben sah ich sie zehnmal und jedesmal schneller untergehen und ich flog immer wieder durch das Abwerfen der Erdenlast vor ihr sterbendes Gesicht – auf der ganzen Erdfläche lag schon schwarzer Schlaf – ich gab der Erde den letzten Stein zurück – da sah mich tief unter dem Himmel das erloschne Sonnenangesicht recht bedauernd an, als hätt' ich meinen letzten Freudentaumel gehabtWelche sonderbare Ahnung! D. H. – und unversehends begruben es niedrige Wolken oder Berge. Sogleich warf hinter mir der Brocken den letzten falben Rosenkranz des toten Brauttags weg und sah düster in die Welt; und der Himmel wurde zusehends unter meinen Augen mit Sternenflocken weiß überschneiet. »Teresa«, rief ich, »dein Abend glüht jetzt heller als dein Morgen! – Meiner ist blaß, und der Morgen ist vorbei.«