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Froulays Geburtstag und Projekte – Extrablatt – Rabette – die Harmonika – die Nacht – der fromme Vater – die Wundertreppe – die Erscheinung
Glücklicher Albano! du wärest es nicht geblieben, hättest du am Geburtstage des Ministers das gehöret, was er da vorbrachte!
Schon seit geraumer Zeit war Froulay voll bedenklicher gewitterhafter Zeichen, und jede Minute konnte – mußte man fürchten – der Donnerschlag aus ihm fahren; er war nämlich munter und mild. So drohet auch bei phlegmatischen Kindern große Munterkeit Ausbruch der Pocken. Da er Hausvater war und Despot – die Griechen hatten für beides nur das Wort Despot –: so erwartete man von ihm als ehelichem WettermacherTempestiarii oder Wettermacher hießen im Mittelalter die Hexenmeister, welche Ungewitter erregen konnten. Man brauchte in Kirchen Wettergebete gegen sie; und andere Hexenmeister, die jenen entgegenarbeiteten., er werde die gewöhnlichen Stürme und Ungewitter für die Familie besorgen. – Eheliche Gewittermaterie zum bloßen Trüben der Ehe kann nie fehlen, wenn man bedenkt, wie wenig sogar zum Scheiden derselben gehöret, z. B. bei den Juden bloß, daß die Frau zu laut schreie, das Essen anbrenne, ihre Schuhe am Platze der männlichen lasse u. s. w. Noch dazu war manches da, worüber gut zu donnern war; z. B. Liane, an welcher man die Missetat des – Bruders heimsuchen konnte, weil dieser hartnäckig wegblieb und um keine Gnade bat. Man ist immer gern auf Frau, Tochter und Sohn zugleich ungehalten und lieber ein Land- als Strichregen; ein Kind kann leichter eine ganze Familie versalzen als versüßen.
Aber Froulay verblieb der lächelnde Johannes. Ja trieb ers nicht – die Beweise hab' ich – so weit damit, daß er, da die Tochter der Prinzessin einmal beim Abschiede um den Hals fiel, anstatt ihr mit blitzenden Augen vorzuhalten, wie man Vertraulichkeiten bei Höhern nur annehmen, nicht erwidern und sich eben da nicht vergessen müsse, wo sie sich vergessen – und anstatt ernst zu fragen, ob sie ihn je in seiner wärmsten Liebe gegen den Fürsten wider die déhors habe verstoßen sehen – daß er, sag' ich, anstatt dieses hagelnd und stürmend zu tun, diesesmal bloß in die schönen Worte ausbrach: »Kind, du meinst es zu gut mit deiner vornehmen Freundin; frage deine Mutter, sie weiß auch, was freundschaftliche liaisons sind.«
Bloß Liane – obwohl so oft von dieser Meerstille hintergangen – war voll unsäglicher Hoffnung und Freude über den häuslichen Frieden und glaubte Bestand, zumal in der Nähe des väterlichen Geburtstages, dieser Olympiade und Normalzeit, wornach das Haus vieles rechnete. Das ganze Jahr lauerte der Minister auf diesen Tag, um am Morgen, wenn die Wünsche kamen, das sichtbare Vergessen desselben nicht zu vergessen, sondern darüber zu erstaunen – die Geschäfte machens, sagt' er – und um abends, wenn die Gäste kamen – der Geschäfte wegen dinier' er nie, sagt' er –, erstaunen zu lassen. Er war wechselnd der Anbeter und der Bilderstürmer der Etikette, ihre Ministerial- und Oppositionspartei, wie es gerade sein Schimmer gebot.
Liane drang so lange in den Bruder, bis er den Vater mit etwas zu erfreuen versprach: er machte dazu ein Familienstückchen, worein er die ganze Beicht-Nacht zwischen sich und Albano einschob, nur daß er Albano in eine Schwester verkehrte. Gern lernte Liane noch diese Rolle für den Geburtstag ein, ob sie gleich die blühende Weste lieferte.
Der Minister nahm die Weste, den Hauptmann und dessen Komödienzettel des abendlichen Spiels wider Vermuten – gütig auf; da er sonst wie einige Väter desto lauter knurrte, je öfter ihn die Kinder streichelten. Er tanzte wie ein PolackeDie polnischen Tänzer tragen immer eine Peitsche unter dem Pelze, damit die Tänzerin durch die Schläge entschuldigt ist, wenn sie mit ihm fehlet. Oberschles. Monatsschrift, 1stes St., Jul. 1788. ganz aufgeräumt mit seiner Familie dahin und versteckte die Peitsche fest unter den Pelz. Es ging ihm jetzt nichts Schlimmers im Kopfe herum als bloß die Frage, wo das Liebhabertheater am besten, ob im Salon de lecture oder ob im Salon der bains domestiques aufzuschlagen; denn beide Säle waren ganz von einander und von andern Zimmern durch die Namen unterschieden.
Der Tag kam. Albano, dessen Einladung Karl ertrotzen müssen, weil der Minister seinen Stolz hassete aus Stolz, brachte leider den Ton in seiner Seele mit, den ihm das letztemal Liane nach Hause gegeben. Seine Hoffnung hatte bisher von diesem Tone gelebt. O verdenkts ihm nicht! Das luftige Nichts eines Seufzers trägt oft eine Schäferwelt oder einen Orkus auf dem Ephemeren-Flügel. Alles Wichtige ist wie ein Fels auf einen Punkt zu stellen, wo es ein Kinderfinger drehen kann.
Aber der Ton war verklungen. Liane wußt' es gar nicht anders, als daß man unter der Visitengemeinde – deren moralische PneumatophobieGeisterscheu. sie nicht einmal ganz kannte – vor jede betende Empfindung den Kirchenfächer halten müsse.
Logen, Parterre und Groschengalerie wurden fast um die gewöhnliche Schauspielszeit mit stiftsfähigen Gratulanten verziert und ausgefüllt. Der deutsche Herr ragte sehr hervor durch den reichen Trotz seiner Verhältnisse. Von der Visitenkompagniegasse kann im Durchgehen nur angemerkt werden, daß in ihr und im antiphlogistischen System der Sauerstoff die Hauptrolle spielte, welchen aber weniger die Lunge abschied als das Herz. –
Als der Vorhang auseinanderging und Roquairol jene Nacht der Vergebung und Entzückung noch feuriger wieder vorbeiführte, als sie gewesen war; als diese träumerische Nachäffung erst die rechte Wirklichkeit schien: wie glühend und tief brannt' er sich dadurch in seines Freundes Seele ein! (Guter Albano! Diese Kunst, sein eigner révenant, sein Vexier- und After-Ich zu werden und die Prachtausgabe des eignen Lebens nachzudrucken, hätte dir kleinere Hoffnungen verstatten sollen!) – Der Graf mußte in der ernsthaftesten Sozietät, die je um ihn saß, ausbrechen in ein unschickliches – Weinen. Und warum legte Karl Albanos Worte in jener Nacht der zauberisch-gerührten Liane in den Mund und machte die Liebe durch so viele Reize groß bis zum Schmerz? –
Selber der deutsche Herr gab Lianen, diesem weißen Schwan, der errötend durch das Abendrot des Phöbus schwamm, mehrere laute und dem Grafen verdrüßliche Zeichen des Beifalls. Der Minister war hauptsächlich froh, daß das alles zu seiner Ehre vorfalle und daß die Pointe des letzten Aktes ihm noch einen ganz besondern epigrammatischen Lorbeerkranz auf den Scheitel werfen müsse.
Er überkam den Kranz. – Das Kinderpaar wurde von der anwesenden Erlanger Literaturzeitung und von der Belletrischen sehr günstig rezensiert und mit Kronen überdeckt, mit edlen Märtyrerkronen. – Der deutsche Herr hatte und brauchte das laute Recht, die Krönung und den Kronwagen anzuführen. Niedriger Mensch! warum dürfen deine Käfer-Augen über die heiligen Rosen, welche die Rührung und die Geschwister-Liebe auf Lianens Wangen pflanzt, nagend kriechen? – Aber wie noch viel munterer wurde der alte Herr – so daß er mit den ältesten Damen badinierte –, als er den Ritter sein Interesse an Lianen nicht phantastisch oder sentimentalisch, sondern durch stilles stetes Nähern und verständige Aufmerksamkeit, durch Scherze und Blicke und kluges Anreden und endlich durch etwas Entscheidendes herrlich an den Tag geben sah! – Der deutsche Herr zog nämlich den alten in ein Kabinett hinein, und beide kehrten heftig-belebt daraus zurück.
Die einsame, ins eigne Herz versenkte Liane flüchtete vom Giftbaum des Lorbeers weg zur erquickenden Mutter. Liane hatte mitten in den stürmischen Mühlengängen täglicher Assembleen eine leise Stimme und ein zartes Ohr behalten, und der Tumult hatte sie eingezogen und fast scheu gelassen.
Die schöne Seele erriet selten etwas – eine schöne Seele ausgenommen –; so leicht ihr Ebenbild, so schwer ihr Gegenbild. Bouverots Annäherungen schienen ihr die gewöhnlichen Vor- und Seitenpas der männlichen Höflichkeit; und sein Ritter-Zölibat erlaubte ihr nicht, ihn ganz zu verstehen: – prangen nicht die Lilien der Unschuld früher als die Rosen der Scham, wie die Purpurfarbe anfangs nur bleich färbt und erst später rot anglüht, wenn sie vor der Sonne liegt? – Sie hielt sich diesen Abend der Mutter nahe, weil sie an ihr einen ungewöhnlichen Ernst wahrnahm. –
Als Froulay das Geburtstags-Kränzchen, worin mehr Stacheln und Stiele als Blumen steckten, oder das Dornenkrönchen von seinem Kopfe heruntergetan hatte und in der Nachtmütze unter seiner Familie stand: macht' er sich an das Geschäft, worauf er den ganzen Abend gesonnen hatte. »Täubchen« (sagt' er zur Tochter und entlehnte einen guten Ausdruck aus der BastilleSo nannten ihre Schließer die Gefangnen.) – »Täubchen, lasse mich und Guillemette allein.« – Er entblößte jetzt das Ober-Gebiß durch ein eignes Grinsen und sagte, er hab' ihr, wie er hoffe, etwas Angenehmes zu hinterbringen. »Sie wissen,« (fuhr er fort) »was ich dem deutschen Herrn schuldig bin« – Er meinte nicht Dank, sondern Geld und Rücksicht.