Jean Paul
Titan
Jean Paul

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»Kurz vor Sonnenuntergang kamen wir am Himmelfahrtstag in Mola an, der eingeborne Dian war ebenso überwunden von der grünenden Herrlichkeit, die er lange nicht gesehen, wie ich, und ich glaub' ihm noch nicht, daß es um Neapel schöner blühe und dufte. Ich ging gar nicht in die Stadt, denn die Sonne hing schon gegen das Meer. Um mich quillt der Blumenrauch aus Zitronenwäldern und Jesmin- und Narzissen-Auen – zu meiner Linken wirft der blaue Apennin seine Quellen von Berg zu Berg, und zu meiner Rechten dringt das gewaltige Meer an die gewaltige Erde an, und die Erde streckt den festen Arm aus und hält eine glänzende StadtGaeta, mit Gärten behangen, weit ins Wogen-Gewimmel hinein – und ins unergründliche Meer sind hohe Inseln als unergründliche BergeDie Insel Ischia mit dem Berg Epomeo, so hoch wie der Vesuv – Kapri u. s. w. hineingeworfen – tief in Süden und Osten greift ein schimmerndes Nebelland, die Küste von Sorrento, wie ein gekrümmter Jupiters-Arm um das Meer, und hinter dem fernen Neapel steht der Vesuvius mit einer Wolke im Himmel unter dem Mond. 'Fall auf deine Knie, Glückseliger,' (sagte Dian) 'vor der kostbaren Weite!' O Gott, warum nicht ernstlich es tun? Wer kann denn im Abendscheine das ungeheuere Wellen-Reich anschauen, wie dort das Regen sich in der Ferne stillt und nur glänzt und endlich blau und golden mit dem Himmel vorschwebt, und wie hier die Erde das weiche schwebende Feuer mit ihren langen Ländern in einem rosigen festen Erdschatten einschließet, wer kann den Feuerregen des unendlichen Lebens, den wehenden Zauberkreis aller Kräfte im Wasser, im Himmel, auf der Erde erblicken, ohne niederzuknien vor dem unendlichen Natur-Geiste und zu sagen: wie bist du mir so nahe, Unaussprechlicher! – O hier ist er in der Nähe und Ferne, die Seligkeit und die Hoffnung schimmert von der Nebel-Küste her, und auch aus den nahen Quellen, die das Gebürge in das Meer heruntergießet, und in der weißen Blüte über meinem Haupt. O rufet denn nicht diese Sonne, von brennenden Wellen umflattert, und das Blau droben und drüben und die erglühenden Menschen-Länder, die Welten in der Welt, rufet nicht diese Ferne das Herz und alle seine stolzen Wünsche heraus? Will es nicht schaffen und in die Ferne greifen und seine Lebensblüte vom höchsten Gipfel des Himmels reißen? Wenn es aber sich umsieht auf seinen Boden, auch da wieder ist der Gürtel der Venus um den blühenden Umkreis geworfen, hell grünet der hohe Myrtenbaum neben seiner kleinen dunkeln Myrte, die Orange schimmert im hohen kalten Grase, und oben duftet ihre Blüte, der Weizen weht mit breiten Blättern zwischen dem Mandel- und Narzissen-Schmelze, und ferne ist die Zypresse und die Palme stolz; alles ist Blume und Frucht, Frühling und Herbst. Soll ich hin, soll ich her, das fragt das Herz in seinem Glück.

So ging mir die Sonne unter die Wellen hinab – die roten Küsten flohen unter ihre Nebel – die Welt erlosch von Land zu Land, von einer Insel zur andern – der letzte Goldstaub auf den Höhen wurde verweht – und die Gebetglocken der Klöster führten das Herz über die Sterne hinauf. –

O wie war meines so froh und so sehnend, zugleich ein Wunsch und ein Feuer, und in meinem Innersten sprach ein Dankgebet fort, dafür, daß ich war und bin auf dieser Erde.

Nie vergess' ich das! Wenn wir das Leben wegwerfen als zu klein gegen unsere Wünsche: gehören nicht diese zu jenem und kamen von ihm? Wenn die bekränzte Erde solche Blüten-Ufer, solche Sonnen-Gebürge um uns zieht, will sie damit Unglückliche einschließen? Warum ist unser Herz enger als unser Auge, warum erdrückt uns eine kaum meilenlange Wolke, die doch selber unter unermeßlichen Sternen steht? Ist nicht jeder Morgen ein Frühlingsanfang und jede Hoffnung? Was sind die dichtesten Lebensschranken anders als ein Rebengeländer, zum Reifen der Weinglut aufgebauet? – Und da das Leben sich immer in Viertel zerhackt, warum sollen es lauter letzte sein, nicht ebensooft erste, auf welche ein vollstrahlender Mond nachfolgt? – O Gott, sagt' ich, als ich durch die grünende Welt zurückging, die am nächsten Morgen eine glühende wird, nie lasse mich deine Ewigkeit irgendeiner Zeit leihen, ausgenommen der seligsten; die Freude ist ewig, aber nicht der Schmerz, denn du hast ihn nicht geschaffen.

'Freund,' sagt Dian unterwegs zu mir, da ich ihm meine innigste Bewegung nicht recht verhüllen konnte, 'wie kann Euch erst sein, wenn Ihr nach Neapel zurückschauet etwan auf der Überfahrt nach Ischia! – denn man merkts sehr, daß Ihr in Nordland geboren seid.' – 'Lieber,' sagt' ich, 'jeder wird mit seinem Norden oder Süden gleich geboren, ob in einem äußern dazu – das macht wenig.'«

*

So weit sein Blatt über Mola. Aber eine wunderbare Begebenheit schien ihn über die letzte Versicherung desselben noch diese Nacht beim Worte zu nehmen. Im Hofe des Gasthauses sammelten sich viele Schiffer und andere, alle stritten heftig über eine Meinung, und die meisten sagten immer: »Es ist doch heute Himmelfahrt, und Wunder hat er auch getan.« – »Himmelfahrt?« dachte Albano und erinnerte sich seines Geburtstages, der an diesem Feste oft fiel. Dian kam herauf und erzählte lachend, das Volk drunten erwarte die Himmelfahrt eines Mönchs, der sie in dieser Nacht versprochen, und viele glaubten ihm darum, weil er schon ein Wunderwerk getan, nämlich einem Toten auf zwei Stunden die Sprache gegeben vor ganz Mola. Beide wurden eins, das Werk mit anzusehen. Die Menge schwoll an – der versprochene Mensch kam nicht, der sie zu dem Orte der Auffahrt leiten sollte – alles wurde zornig mehr als ungläubig – endlich spät in der Nacht erschien eine Maske und gab mit einem Wink der Hand das Zeichen, ihr zu folgen. Alles strömte nach, auch Albano und sein Freund. Der reine Mond schien frisch aus blauen Lüften, der weite Garten der Gegend schlief in seinen Blüten, aber alles duftete, die schlummernden und die wachen Blumen.

Die Maske führte die Menge an die Ruinen von Ciceros Haus oder Turm und zeigte aufwärts. Oben auf der Mauer stand ein zitternder Mensch. Albano fand sein Gesicht immer bekannter. Endlich sprach der Mensch: »Ich bin ein Vater des Todes – der Vater des Lebens sei mir gnädig. – Wie es mit mir geht, weiß ich nicht – Unter euch« (setzt' er auf einmal in fremder, nämlich in spanischer Sprache dazu) »steht einer, dem ich auf Isola bella am Karfreitage erschien und den Tod seiner Schwester kundtat; er reise fort nach Ischia, dort trifft er seine Schwester an.«

Ergriffen und ergrimmend mußte Albano diese Worte hören, die Gestalt des Vaters des Todes auf jener Insel sah er jetzt recht klar auf der Ruine; und dessen Versprechen, ihm an einem Karfreitage zu erscheinen, fiel ihm wieder ein. Er suchte sich jetzt an der Ruine hinaufzuarbeiten, um den Mönch zu packen. Ein Molaner rief, da er die fremde Sprache hörte: »Der Mönch spricht mit dem Teufel.« – Der Himmelfahrer sagte nichts darwider – er zitterte heftiger – aber das Volk suchte den, der es gesagt, und schrie: der mit der Maske sei es, denn der sei nicht mehr zu finden. Endlich bat der Mönch bebend, sie möchten still sein, wenn er verschwinde, und für ihn beten und nie seinen Körper suchen. Albano war ihm jetzt, von Dian ungesehen, nahe hinter dem Rücken. Da kam hoch im dunkeln Blau ein Zug Wachteln langsam geflogen. Der Mönch hob sich schnell und wankend auf – zerstreuete die Vögel – rief in dunkler Ferne: »Betet« – und schwand in die weiten Lüfte dahin.

Das Volk rief und jauchzete und betete zum Teil, viele glaubten jetzt, der Teufel sei im Spiel. Unter den Zuschauern lag ein Mensch mit dem Gesicht auf der Erde und rief immer: »Gott sei mir gnädig!« Aber niemand brachte ihn zu einer Erklärung. Dian, heimlich ein wenig übergläubig, sagte: hier steh' ihm der Verstand still. Aber Albano erklärte, schon lange zucke und ziehe ein Geister-Komplott an seinem Lebensvorhang, allein irgendeinmal greif' er gewiß glücklich durch den Vorhang durch, und er sei fest entschlossen, sogleich von Neapel nach Ischia überzugehen, um seine Schwester zu suchen. »Wahrlich,« (setzt' er dazu) »in diesem Mutterlande der Wunderphantasie und jeder Größe glaubt man so leicht schöne gebende Wunder des Schicksals, wie in Norden entsetzliche raubende Wunder der Geister.«

Dian war auch für den frühsten Besuch der Insel Ischia, »weil sonst,« (setzt' er dazu) »wenn Albano in Neapel seine Briefe übergeben hätte und in die Ricevimenti hinein- oder auf den Posilippo und den Vesuv hinaufgeraten wäre, dann kein Wegkommen sein würde.«

Am Tage darauf gingen sie von Mola ab. – Das schöne Meer deckte sich an ihrem Wege auf und zu, und nur der goldne Himmel verhüllte sich nie. Neapels Freudenbecher berauschte schon von fernen mit seinem Dufte und Geiste. Albano warf trunkne Blicke auf die campania felice, auf das Coliseo in Kapua und auf den weiten Garten voll Gärten und sogar auf die rauhe appische Straße, die ihr alter Name sanfter machte.

Aber er seufzete nach der Insel Ischia, diesem Arkadien des Meers und dieser Wunderstelle, wo er eine Schwester finden sollte. Sie konnten nicht eher als Sonnabends in der Vornacht – wenn anders Wachen und glänzendes Leben eine ist, besonders eine welsche Sonnabends-Nacht – in Aversa ankommen. Albano bestand darauf, in der Nacht fortzureisen nach Neapel. Dian wollte noch ungern. Zufällig stand ein schönes, etwan vierzehnjähriges Mädchen im Posthause, sehr betrübt über die verfehlte Post und entschlossen, noch diese Nacht nach Neapel zu gehen, um am heiligen Sonntag noch früh genug nach Ischia zu kommen, wo ihre Eltern waren. »Aus Santa Agata« (sagte sie) »komme sie her, heiße aber nur Agata, und nicht Santa.« – »Wahrscheinlich ihr alter Spaß«, sagte Dian, war aber nun – bei seinem Umschweben jeder schönen Form – selber recht zur Nachtreise aufgelegt, damit man die Schwarzäugige, die freudig und hell in fremdes Augenfeuer blickte, fortbringen könnte. Sie nahm es lustig an und schwatzte vertraut wie ein Naturforscher viel vom Epomeo und Vesuv und weissagte ihnen unzählige Freuden auf der Insel und zeigte überall eine verständige Besonnenheit weit über ihr Alter. Endlich flogen sie alle unter die hellen Sterne in die schöne Nacht hinaus.


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