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Roquairol
Linda hatte den ganzen Tag darauf in schweigendem Seelenschmerze zugebracht über den Geliebten, der ihr, wie einst Liane ihm, nicht im ganzen lebendigen Feuer der Liebe zu leben schien wie sie – sie war lange von der Fürstin umlagert und dann durch sie Juliennens für eine Lustreise beraubt worden, die ihr nur die Nachricht zuwerfen konnte, daß Albano diesen Tag auch einen Ausflug gemacht, um Schoppen früher zu umarmen – sie war still geblieben nach ihrem Grundsatze, daß der weibliche Stolz hier Schweigen, Ruhe und sogar Vergessen gebiete: – als sie abends durch das blinde Mädchen aus Blumenbühl, das sie in ihre Dienste genommen, folgenden Brief erhielt:
»Du Meine! Sei es wieder! Ich will noch sterben, aber für dich, nicht für ein Volk auf dem Schlachtfeld. Vergib das Gestern und beglücke das Heute. Ich habe meinen Vorsatz einer Entgegenreise wieder aufgegeben, um dir heute noch an das Herz zu stürmen und deinen Himmel auszuschöpfen und meinen zu füllen. Ich kann nicht warten, bis Julienne wiederkommt: mein Herz brennt nach dir. Morgen muß ich ohnehin im Prinzengarten sein, wo Roquairol seinen Trauerspieler endlich gibt. Komme diesen Abend – ich flehe dich bei unserer Liebe an – um 8 Uhr entweder, wenn es hell ist, in die Tartarus-Höhle, deren Totengräber-Putz und Orkus-Ameublement dir gewiß nur lächerlich sein wird, oder, wenn es wolkig ist, in das Ende des Flötentals.
Dein blindes Mädchen nimmst du nur mit. Du kennst ja das Spionenwesen, das gerade uns umstellt. Ich erwarte und begehre keine Antwort von dir, sondern Schlags acht Uhr schleich' ich durch das Elysium, um zu sehen, wo die Göttin steht, der Himmel, die Sonne, die Seligkeit, du.
Dein Albano.«
Wie durch einen Wetterstrahl des Himmels war ihr ganzes Wesen geschmolzen, zu weicher seliger Glut; denn sie glaubte der Handschrift, daß das Blatt von Albano sei – so unerwartet ihr auch an ihm eine so schnelle Umkehrung erschien –, ob es gleich von Roquairol geschrieben war. Lasset uns zurückgehen bis an die finstere Quelle des reißenden Höllenflusses, der seinen eiskalten Arm nach der Unschuld und nach dem Himmel ausstreckt.
Roquairol war im Winter bei allen Fehlschlagungen seiner unbändigen Wünsche ziemlich glücklich und gut geblieben; der Abendstern der Liebe, ob er wohl für ihn mehr ab- und zunahm, stand doch noch nicht unter dem Horizont, sondern nur unter Gewölke. Aber sobald Linda mit Julienne abgereiset war – und zwar, wie er sogleich erriet und früh erfuhr, nach Italien –: so bewegte sich ein neuer Sturm durch sein Leben, der ihm die letzten Blüten abriß und mit dem lange gelegenen Staub verfinsterte, weil er nun, wie er Albano selber vorausgesagt, das Netz zu diesem und der Gräfin im Strome heraufkommen sah, das beide eng gefangennahm. Das fressende Gift der Viel-Liebhaberei und Vielgötterei lief wieder heiß in allen Adern seines Herzens um –: er machte wilden Aufwand, Spiele, Schulden, so weit es nur ging – setzte Glück und Leben auf die Waage – warf seinen eisernen Körper dem Tode zu, der ihn nicht sogleich zerschlagen konnte – und berauschte sich in der Wilden-Trauer um sein gemordetes Leben und Hoffen im Leichentrunk der Schwelgerei; ein Bund, den Wollust und Verzweiflung schon oft auf der Erde miteinander auf Kriegsschauplätzen und in großen Städten geschlossen haben.
Nur etwas hielt den Hauptmann noch aufrecht, die Erwartung, daß Albano in seiner Ferne von Linda beharre, und die, daß diese wiederkomme. Jetzt kam die Fürstin zurück, noch mit allem frischen Hasse gegen den kalten Albano, für dessen »dupe« sie sich hielt. Roquairol bewog leicht seinen Vater, ihn ihr näher zu bringen, da er bei ihr über Albano und alles Nachrichten zu finden hoffte. Er wurd' ihr bald durch die ähnliche Stimme und die vorige Freundschaft gegen ihren Feind bedeutend, und noch mehr durch seine seltene Gewandtheit, einer Frau immer das zu sein, was sie gerade begehrte.
Da sie alle seine frühern Verhältnisse und Wünsche schon längst gekannt: so warf sie, sobald ihre Fernschreiber von Albano ihr die Nachricht von seiner neuen Liebe gegeben, ihm leicht die Erwähnung davon hin. Trotz der warmen Rolle, die Roquairol gegen sie zu spielen hatte, wurd' er doch vor ihr wütend-blaß, atemlos, bebend und starrend im Abwechsel; »ists so?« fragt' er leise – sie zeigt' ihm einen Brief – »Fürstin,« (sagte er wütend, ihre Hand an seine Lippen fortpressend) »du hattest recht, vergib mir nun alles.«
Wie groß er von Albano gedacht, sah er erst jetzt aus seiner Verwunderung über das Natürlichste von der Welt. Nie hasset das Herz bitterer, als wenn es den Gegenstand, den es vorher unter dem Hassen achten mußte, nun ohne Achten hassen muß; so wie aus demselben Grunde den schlimmen Menschen die Heuchelei des andern weit tiefer und eigenütziger entrüstet als den frommen. Roquairol glaubte jetzt, den stolzen Freund recht anfeinden zu dürfen; er wurde aus einer deutschen Ruine eine welsche voll Skorpionen. Die Fürstin wurde das heiße Klima, das die Skorpionen erst recht vergiftet. Sie erzählte ihm, wie Albano sie so lange zu gewinnen und auf seine tiefen Minen zu locken gesucht, bloß um bei deren Aufspringen den Genuß der Kälte und des Hohns zu haben, und wie er so gleichgültig vom Hauptmann gesprochen, ohne ihn nur des Hasses zu würdigen.
Die Fürstin erlaubte dem Hauptmann, eine Stufe nach der andern an ihrem Throne hinaufzugehen, bis er keine mehr hatte als ihre eigne Person. Sie gab ihm auch die letzte Stufe unter der Bedingung preis, sie zu rächen. Er sagte, er räche sie und sich, denn Albano habe feierlich in dem Tartarus der Gräfin für ihn entsagt. So schienen beide ihre wahre Liebe unter die Larve der Rache zu stecken, die Fürstin ihre für den Hauptmann, er seine für Linda.
Sie brachte ihm einen Plan immer dichter vor das Auge, den er nicht erblickte, so sehr sie ihn reizte durch die Bemerkung, daß Albano ein größerer Weiber-Liebling sei und sein werde, als man bisher noch dachte, daß sogar ihre fromme besonnene Schwester Idoine nach ihren stillen Fragen in Briefen und nach andern Zeichen fast beides durch ihn verloren, was sie ihm am Krankenbette wiedergegeben, Gesundheit und Friede, und daß er nie hoffen solle, die Gräfin je abtrünnig zu sehen oder auch zu machen.
Endlich sagte sie langsam das fürchterliche Wort: »Roquairol, Sie haben Seine Stimme, und Sie hat abends kein Auge.« – »Himmel und Hölle!« rief er aus, wechselnd rot und blaß und zugleich in Himmel und Hölle sehend, deren Türen vor ihm aufsprangen. »Va!« setzt' er schnell dazu, ohne die schwarze Tiefe dieses weißschäumenden Meers noch durchdrungen zu haben. Die Fürstin umarmt' ihn feurig, er sie noch feuriger. »In einer poetischen Dichtung« (sagt' er) »wäre mir dein Gedanke leicht gekommen, aber in der Wirklichkeit hab' ich keine List!« – »O Schalk!« sagte sie. So früh und so lang' er nur durfte, sagte er Du, weil er das Herz kannte, besonders das weibliche. – Bald darauf, als sie noch offenherziger gegeneinander gewesen waren, sagte sie: »Bleibt Sie unschuldig bei Ihnen, so haben Sie niemand beleidigt, und niemand hat verloren; bleibt Sie es nicht, so war Sie es entweder nicht, oder Sie verdiente die Probe und Strafe, getäuscht zu werden.« – »Ja, das ist göttlich – das gehört in den herrlichen Trauerspieler kurz vor dem Ende«, sagt' er, wollte sich aber nicht darüber erklären.
Jetzt kam Ziel und Mittelpunkt in die wilden Kreise seines Treibens. Er zerlegte kalt Albanos Briefe der Liebe in große und kleine Buchstaben, bloß um sie pünktlich nachzumachen; daher fand einmal Albano bei Rabetten seine Handschrift ohne seine Gedanken. Er fragte Rabetten alle kleine Verhältnisse Albanos ab, um seine Rolle bis ins kleinste auszuarbeiten; und ebenso las er alle italienische Reisebeschreibungen, um mit Linda über jede schöne Stelle frei zu sprechen, wo er als Schein-Albano mit ihr das hesperische Leben genossen. Es kitzelte ihn, so mit der Flamme in der Brust und mit dem kalten Eislicht im Kopfe einmal alle theatralischen Zurüstungen und Verwicklungen, so wie sonst für die Bühne, jetzt für das Leben anzulegen und besonnen zu regieren.
Er sah Albano von der Reise kommen, der ihn stolz behandelte – er sah die blühende Göttin in Lilar gehen – er hörte durch die Spionen der Fürstin von ihrer Verbindung: hoch ging sein totes Meer in schweren Wellen und suchte die Opfer aus ihrem Fluge bis vom Himmel herabzuziehen. Unmittelbar nach dem Trauerspiel, das er mit Linda zu spielen vorhatte, sollte sein eigenes im Prinzengarten kommen, das er von Zeit zu Zeit zu geben versprach und verschob; er mußte lange harren und spähen, bis eine Zeit erschien, in welche so viele Zähne eines doppelten Maschinenwerks zugleich eingreifen konnten.
Endlich erschien die Zeit, und er schrieb das oben mitgeteilte Blatt an Linda. Alles war berechnet und abgetan und jede Hülfe des Zufalls in den Plan gewebt. Sein Trauerspiel war von seinen Bekannten längst eingelernt, obwohl niemals einprobiert, weil er, wie er sagte, die Mitspieler selber mit seiner Rolle mitten im Spiele überraschen wollte. Die Freude, die er von jeher hatte, Abschied zu nehmen – weil ihn hier die Rührung zugleich durch Kürze und Stärke erquickte –, macht' er sich bei so vielen, als ihn liebten. Von Rabette schied er so stürmisch-weich, daß sie erschrocken zu ihm sagte: »Karl, das bedeutet doch nichts Böses?« – »Jetzt ist alles böse an mir«, sagt' er.
Durch Verwendung der Fürstin waren für sein Trauerspiel auf den nächsten Tag die bedeutendsten Zuschauer geworben, auch Gaspard und Julienne samt dem Hof. Das Geheimnis zog an; auch der Fürstin war seine Rolle verdeckt. Nur seinen Vater, der dem Hof gern folgen wollte, strich er aus der Zahl durch einen großen Zorn, worein er ihn setzte, weil er ihn mit keiner andern als dieser Dornhecke abzuhalten wußte. Seine Mutter und Rabette hatt' er beschworen bei ihrem Glück, bei seinem Glück, keine Zuschauerinnen seines Spiels zu werden.
Ein neuer Wind des Zufalls war ihm zum Heben seiner Flugmaschine durch den seltsamen Bruder des Ritters gekommen, der mit solcher Freude von der eisernen Maske seiner tragischen Maske hörte, daß er mit dem Antrag zu ihm kam, er wolle ihm einen neuen wunderbaren Spieler zuführen. »Alles ist besetzt«, sagte der Dichter. »Man mache einen Chor zwischen den Akten und geb' es einem«, sagte der Spanier. Roquairol fragte nach dem Namen des Spielers. Der Spanier führt' ihn in seinen Gasthof, innen im Zimmer rief schon eine tierisch-dumpfe Stimme: »Kommst du denn schon wieder, mein Herr?« Sie fanden darin nur eine schwarze Dohle. »Man stellte den Vogel auf das Theater, er sei das Chor, er sage in halbem Gesang mezza voce bloß zwei, drei Zeilen her, die Wirkung wird kommen«, sagte der Spanier.
Roquairol staunte über die langen Sprüche der Dohle. Der Spanier erbat sich einen längern von ihm, um ihn ihr vor seinen Ohren einzulernen. Roquairol gab ihm den: »Im Leben wohnt Täuschung, nicht auf der Bühne.« Der Spanier sagte anfangs bloß ein Wort zum Nachsprechen vor, dann wieder eins, wiederholte es dreimal, sagte dann, mit den Fingern den Vogel ermunternd: »Allons, diablesse!« und das Tier stotterte dumpf die ganze Zeile her. Roquairol fand in dieser komischen Tier-Larve etwas Fürchterliches und nahm den Vorschlag, einige Chorzeilen zu dichten und dem Vogel anzuvertrauen, unter einer eignen Bedingung an, – daß nämlich der Spanier seinen Neffen Albano den Abend vorher von Pestitz entferne unter irgendeinem Vorwand und dann mit ihm im Prinzengarten erscheine. Der Spanier sagte: »Herr Hauptmann, ich brauche keinen Vorwand, ich habe Wahrheit! Ich werde mit ihm seinem Freund Schoppe entgegenreisen, er will morgen abends kommen; auch dieser wird mit zusehen.« –
Albano konnte in seiner verworrenen Stimmung gegen Linda und in der erwartungsvollen gegen Schoppe nichts so leicht annehmen als einen kleinen Reiseplan, um diesen geliebten Schoppe früher an der Brust zu haben. Julienne wurde in Gegenwart des kranken Fürsten von der Fürstin gebeten, sie zu Idoine zu begleiten, die ihrer auf halbem Wege in einem Grenzschloß wartete, und den andern Tag in den Prinzengarten zurückzugehen. Sie weigerte sich. Der kranke angestiftete Bruder tat die von ihm erbetenen Bitten dazu. Die Schwester erfüllte sie.
Nun war alles für den Abend, woran Roquairol Linda sehen wollte, berichtigt – So glimmen nachts in den Scheuern eines schuldlosen Dörfchens die eingelegten Brände – der Sturmwind brauset um die müden schlafenden Einwohner – die Räuber stehen auf den Bergen im Abendnebel und schauen wartend herab, wenn die Feuerschwerter der Flammen auf allen Seiten durch die Nebel glänzen und mit ihnen rauben und morden werden, um zu ihnen herabzukommen.