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Die erste einsame Minute, die Albano mit seiner Schwester fand, legte er zur Nachfrage über ihre lateinische Nachricht an, daß Lindas Vater gerade an ihrem Hochzeittage erscheinen würde; aber sie verwies ihn auf seinen eignen, der ihm alles über Lindas ihren sagen könne – und bat ihn, »Linda zu schonen, nicht nur in ihrer Zartheit, sondern auch in ihrer eignen Ehe-Scheu, die sehr weit gehe. Sie konnte nicht einmal eine Freundin an den Traualtar begleiten,« (setzte Julienne dazu) »sie nannte diesen den Richtplatz der weiblichen Freiheit, den Scheiterhaufen der schönsten freiesten Liebe und sagte, das Heldengedicht der Liebe werde dann höchstens zum Schäfergedicht der Ehe. Freilich weiß sie nicht, wohin solche Grundsätze endlich führen.« – »Ich hoffe auch, daß du ihr vertrauest«, sagte Albano, sich diese Seltsamkeit anders und höher ableitend als seine strenge Schwester. Sie brach schnell ab, um ihm noch den Rat nach Pestitz mitzugeben, die Fürstin zu fliehen, die ins Innerste hinein kalt, falsch, rach- und selbstsüchtig sei. »Sie hat etwas und zwar viel mit dir vor – und ihr Haß gegen die Gräfin kommt jetzt dazu – Linda fasset sie scharf auf, aber doch lässet sie sich aus Heftigkeit durch alle hinreißen und benutzen, die sie übersieht und voraussieht.« Albano blieb bei seinem alten sanftern Urteil über die Fürstin – um so mehr, da er Juliennens moralische Härte gegen jede genialische schon aus ihrem Mißurteil über Lianen kannte –; aber er gab ihr das leichte Wort, sie zu fliehen, ohne ihr den Grund, nämlich ihre so hart entzauberte Liebe für ihn, zu sagen. Für sein Zartgefühl gab es keine größere Roheit als dieses öffentliche Erbrechen und Vorlesen eines Liebesbriefs, als das männliche Auffangen und Ausrufen eines weiblichen Seufzers der Liebe durch ein Sprachrohr fürs Volk.
Alle kamen wieder zusammen – lagerten sich auf eine Stelle, die den See und die Alpen und die Blüten-Schatten gab – der Tag glühte sich ab und sank von Schönheit zu Schönheit zum Abend hinunter. – »Auf dieser feinen Insel« (sagte Dian) »fängt sich schon das nordische Wesen an, und wir stehen bald zu Hause unter einem spitzen Dach.« – »Nun ja,« (sagte Julienne) »aber endlich hat mans doch auch gern, wenn man wieder einen reinlichen Menschen, eine Blondine und einen Schatten sieht und ein paar Vögel hört.«Die Sangvögel sind in Italien selten, weil man sie für die Küche auf dem Markt verkauft. – »An Tivoli und Ischia und den Posilippo denk' ich nicht,« (sagte Albano) »ich denke an meine Kindheit und an die Alpen. – Drüben am Ufer des Langsees (Lago maggiore) mögen sich freilich die beiden Insel-Zuckerhüte nicht zum besten darstellen; aber dafür stellet sich hier auf dem Zuckerhut das Ufer und der See desto besser dar, und für den, der auf dieser Seealpe steht, ist sie doch gemacht.« – »Mir ist alles gleichgültig,« (sagte Linda) »denn ich finde mich hier ganz wohl. Das Rezensieren schöner Gegenden ist auch ein nordisch Wesen, weil man sie da nur aus Büchern kennen kann; der Italiener, der sie hat, genießet sie wie die Gesundheit und ist sich nur der Entbehrung bewußt; deswegen ist er nicht einmal ein großer Landschaftsmaler.«
»Man sollte« (sagte Dian) »das prächtige Welschland noch auf der Grenze besingen, wenn man von dem Kastellan eine Gitarre bekäme.« Er ging und brachte eine. Nun fing er italienisch zu improvisieren an. Er sang: »In Apollo wurde die alte Liebe nach dem vorigen Schäferlande auf der Erde und nach der verlornen verhüllten Daphne wieder wach – er stieg vom Himmel, um beide zu finden – ihm hatte Jupiter den Momus mitgegeben, der ihm das Häßliche zeigen sollte, damit er zurückfliege – als ein schöner lächelnder Jüngling ging er über die Inseln, durch die Ruinen der Tempel, durch ewige Blüten, vor göttlichen Gemälden einer unbekannten hehren Jungfrau mit einem Kinde und vor neuen Tönen vorüber und zog wie über die Zauberkreise einer schönern neuen Erde. – Vergeblich zeigte Momus ihm die Mönche und Seeräuber und seine von der Zeit niedergeworfnen Tempel und ließ ihn spottend Thermensäulen für Tempelsäulen nehmen – der Gott sah hinauf zum hohen kalten Olymp und sah herab auf dies warme Land, auf diese große goldne Sonne, diese hellblauen Nächte, diese ewig-blühenden Düfte, diese Zypressen, diese Myrten- und Lorbeerwälder und sagte: hier ist Elysium, nicht in der Unterwelt, nicht auf dem Olymp – da gab ihm Momus einen Lorbeerzweig von Virgils GrabeDian liebte den Virgil nicht. und sagte: das ist deine Daphne. Jetzt erzürnte sich seine große Schwester Diana, sie gab Daphnen ihre Gestalt und Kleidung, als komme sie aus den Wäldern der Pyrenäen herüber; aber er erkannte die Geliebte und ging mit ihr in den Olympus zurück.« – Als Dian das sang und die Lieder mit den Saitentönen fliegen ließ, so standen hoch drüben im Himmel die ewigen Glanz-Gebürge aus Eis, von den Bergen flatterten Quellen und Schatten in den hellen See, und der Abend bewegte sich entzündet und entzückt. Da ergriff der stille Albano die Saiten, senkte das Auge in den Blitz der Gebürge ein und fing errötend an: »Verweile, o Sänger, bei den hohen Geistern, die auf das Schlachtfeld zogen, tötend, sterbend – und die aufbaueten die ewigen Tempel der Menschheit – verweile bei den reinen Demanten, die glänzend und fest unter dem Hammer des Schicksals blieben – verweile bei der alten Zeit, bei dem Meere Roms, das einen Weltteil trug und die andern untergrub – aber fliehe vor der Zeit, die ihren Gipfel in ihren eignen Krater senkte. – Verweile, Sänger, auf der Höhe und schaue in den Garten der Welt herunter, der ein spielendes Menschenleben ist – die Ruine wird Fels, und der Fels Ruine – auf dem hohen Vorgebürge duftet die Blüte, unten liegt das Meer mit offnem Rachen – über die Scylla glänzen schöne Häuser und Gassen zwischen dem Lager erschrecklicher Felsen. – Und der Gott fliegt über das Land und sieht das Kind auf der Tempelsäule am Ufer und die Göttertempel voll Mönche, die Sümpfe voll namenloser Ruinen und die Küste voll Blüten und Grotten – und die blühenden Myrten und Regen und die Feuerberge und die Inseln – und Ischia ...«
Aber ihm entsank die bestürmte Gitarre und die Stimme, das Auge ging tief in den Himmel und in das Leben des Menschen ein, und er entfernte sich, um das laute Herz zu stillen. In der kühlenden Einsamkeit bemerkte er, wie weit schon die Sonne hinabgeflogen sei wie mit Amorsflügeln durch einen kältern Himmel; – er kehrte schnell zurück, in der Abendröte schlug seine Scheidestunde aus.
Als er wiederkam, war Linda allein – denn Julienne hatte seinen Dian unter dem Vorwande, das Bilderkabinett zu besehen, von den Liebenden weggezogen, denen heute ohnehin nur ein kürzester Tag des Glücks beschieden war – und die Geliebte sah in bedeutend an: »Dian sang eigentlich besser« (sagte sie) »und epischer, aber Euer lyrisches Wesen hab' ich doch auch sehr lieb.« Sie blickte ihn wieder an, dann wieder, dann in sein Auge, dann umarmte sie ihn schnell, und kein Laut erklärte den plötzlichen Kuß. »Wir wollen auf die Terrasse«, sagte sie leise. Sie bestiegen die schöne Höhe der zehn Terrassen, welche mit Lorbeer- und Zitronenbäumen und mit Pyramiden und kolossalischen Statuen und mit der Aussicht auf das ferne, von Dörfern und Alpen umzogne Ufer das Auge füllt und wo einst Albano seinen Vater hatt' entfliehen sehen. »Du gefällst mir immer mehr, Albano,« (sagte Linda) »ich glaube fast, du kannst recht lieben; erzähle mir deine erste Liebe, ich habe dir auch erzählt.« – »O Linda,« (sagt' er) »wie viel begehrst du! Aber ich bin wahr und sage dir alles; du wirst Sie lieben, wie Sie dich liebte. – Sieh hier dein Bild, das Sie sterbend machte und mir gab!«
Er reichte ihr die kleine Zeichnung, und ihr Auge wurde naß. Darauf fing er leise und feierlich das Gemälde seiner ersten Liebe an – wie er Sie so früh noch ungesehen und in ersten Morgenstrahlen des Lebens verehrt und gesucht – und wie er Sie fand – und wie Sie glücklich machte und es nicht wurde – wie sanft Sie war und er so wild und hart – wie er seinen eignen Ungestüm des Herzens Ihr zumutete – wie grausam er Ihre Entsagung aufnahm und wie Sie durch ihn unterging. Linda weinte mehr als gewöhnlich. »O ich habe hart gehandelt, gute Linda!« sagt' er. »Nein,« (sagte sie) »ich wein' über euch beide.« – »Ich habe große Mängel«, sagt' er. »Alle vergeb' ich dir,« (sagte sie) »wenn du nur lieben kannst; aber das liebliche Wesen hat auch sehr gefehlt und gegen die Liebe.« – Sie hielt innen, dann fragte sie leise: »Albano, ist Sie noch in deinem Herzen?« – »Ja, Linda«, sagte er. »O du redlicher und treuer Mensch!« (rief sie begeistert und legte ihr Haupt an seine Brust und betete:) »heiliger Gott, gib deinen Unsterblichen alles, nur laß mir ewig dieses Menschen Brust, damit er recht geliebt wird, recht unaussprechlich, und damit ich nicht untergehe! – Willst du, Lieber,« (lispelte sie plötzlich und richtete sich auf, ihn anblickend mit unendlicher Liebe und Hingebung) »daß ich in Lilar wohne, so gebiet es nur.«
Dieses weibliche gehorchende Ergeben eines so freien mächtigen Geistes machte ihn sprachlos – wie ein Adler faßte ihn die Liebesflamme und hob ihn empor – er glühte an ihrem blühenden Angesicht, und die Brautfackel der untergehenden Sonne schlug mit großen Flammen zwischen beide herein. »Linda,« (fing er endlich mit zitternder feierlicher Stimme an) »wenn wir es wissen könnten, daß wir uns je verließen und verlören – O! Linda,« (fuhr er mühsam fort unter seinen Tränen und Küssen) »wenn das möglich wäre, es sei durch meine Schuld, oder durch das kalte Schicksal: wär' es dann nicht schöner, wenn wir uns in dieser Minute hinunterstürzten in den See und in unserer Liebe stürben?« – Die Sonnenglut brannte wie eine Aurora herein, welche Jünglinge und Jungfrauen zu den Göttern entführt; und die Lebens-Dämmerung war zu hellem Morgenrot entzündet. »Wenn du das weißt,« (sagte Linda) »so stirb jetzt mit mir.« – –
Da weckte beide Juliennens ferne Stimme – endlich kam sie selber mit Dian zum Abschied. Sie sahen erwachend, von der Sonne und Liebe geblendet, umher, und alles war verändert – die Sonne war versunken, der weite See mit Nebel-Schatten bezogen und die Welt erkältet, nur die hohen Eisberge loderten noch rosenrot ins Blau, wie Gedächtnissäulen der flammenden Bundes-Stunde.
Vor Albanos Seele stand noch das menschentrennende Schicksal, die kalte verhüllte Felsen-Gestalt, deren Schleier auch steinern ist und den niemand hebt. Er wollte nun durchreißen und sogleich ohne feiges Zögern in den Winter hinunter. »O bis der Hesperus untergegangen, verzieh!« lispelte Linda. Er blieb; aber beide hatten keine Worte mehr, nur die Augen; die festgehaltenen Adler, die vorhin den himmlischen Venuswagen durch den Himmel gerissen, flatterten daran wild auf. Der Abendstern ging unter; der halbe Mond in der Himmelsmitte legte Strahlen als Zauberstäbe an die Erde an und verwandelte sie in eine heilige blasse Welt des Herzens. »Nur noch den großen Stern laß hinab« – sagte sie und sah ihn sehnsüchtig an. Er tats. Die Nachtigallen hüpften tönend zwischen den Silberzweigen; nur die Menschen hatten Himmel und Liebe ohne Stimme.
»Nur noch ein Sternchen!« bat sie; er gehorchte, schon vom Worte gerührt; aber sie entschied sich selber und sagte: »Nein, geh!« – »Wir wollen, Dian!« sagt' er. Dieser ging Liebeschonend die Terrassen voraus hinab. Heftig und lange lagen die beiden Geschwister einander am Herzen und wünschten sich ein heiteres unbestürmtes Wiederfinden. Linda gab ihm nur die Hand und sagte kein Wort; wie der stille Himmel der Nacht seine heiße Sonne bedeckt, so war ihr flammendes Herz verborgen; und da er ging, schloß sie, ohne nachzublicken, seine Schwester an die wallende Brust.
Glanz und Nacht und Duft bestreueten die Himmelsleiter der Terrassen, die er herunterging. Leise flog sein Schiff durch den Sternen- und Blüten-Schnee, der auf den Wellen wehte – die Nachtigallen der beiden Inseln klangen zusammen – die Schiffer sangen ihnen frohe Lieder zurück – die Orangendüfte führte der günstige Wind dem Schiffchen nach; – aber Albano hatte Herz und Angesicht weinend nach der versinkenden Pyramide gewandt. Die Schwester hatte allein auf der Höhe nachgesehen, dann war auch diese verschwunden – die Nachtigallen riefen noch leise nach – endlich war alles verhüllt. – Er kehrte sich um nach den blaßschimmernden Eisgebürgen, wie nach den Leuchttürmen seiner Fahrt, und vom Himmel dieses Tags war ihm nun nichts geblieben als die leitende Liebe, wie der Schiffer dem Magnete folgt, wenn die heiligen Sterne sich verborgen haben und ihn nicht mehr führen.