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Bewegt, gleichsam feierlich betrat Albano das kühle Eiland, es war ihm, als wehten ihm die Lüfte immer die Worte zu: der Ort der Ruhe. Agata bat sie beide, bei ihren Eltern zu wohnen, deren Haus am Ufer, nicht weit vom VorstädtchenBorgo d'Ischia., liege. Als sie über die Brücke gingen, die den grünen, mit Häusern umwundenen Fels mit dem Ufer und dem Städtchen zusammenhängt: so zeigte sie freudig im Osten das einzelne Haus. Wie sie so langsam gingen und sich der hohe runde Felsen und die Häuserreihe im Wasser abspiegelte – und wie auf den flachen Dächern die schönen Weiber, welche die Feier-Lampen für den Abend ordneten, zueinander emsig herübersprachen und wie sie die wiederkommende Agata grüßten und fragten – und wie alle Gesichter so heiter waren, alle Gestalten so zierlich und selbst die ärmste in Seide – und wie die lebendigen Knaben kleine Kastaniengipfel niederzogen – und wie der alte Vater der Insel, der hohe Epomeo, vor ihnen ganz in Weinlaub und Frühlingsblumen gekleidet stand, aus deren süßem Grün nur zerstreuete weiße Lusthäuser beglückter Berganwohner schaueten: so war es Albano, als sei ihm das lästige Gepäcke des Lebens in die Wellen entfallen und die aufrechte Brust sauge weit den kühlen, von Elysium her wehenden Äther ein; – über dem Meere drüben lag die vorige stürmische Welt mit ihren heißen Küsten.
Agata führte beide ins elterliche Haus am östlichen Abhang des Epomeo und rief sogleich im lauten frohlockenden Empfang ebenso laut: »Das sind zwei brave Herren, die ins Haus wollen.« Der Vater sagte sofort: »Willkommen, Exzellenzen! Ihr sollt gern die Zimmer behalten, wenn auch nachher viele Badegäste kommen. Ihr findet nirgends besseres Quartier. Ich war sonst nur ein 'Dreher' in der Fayence-Fabrik; aber seit acht Jahren bin ich ein Winzer und kann etwas geben. Wenn war denn irgendein Dezember und MärzEr meint die Traube, die dreimal des Jahres da gewonnen wird, im Dezember, März und August. besser als diesmal? Befehlt, Exzellenzen!« – Plötzlich weinte Agata; die Mutter hatt' ihr das Begräbnis der jüngsten Schwester berichtet, zu dessen Feier, nach der Sitte der Insel, heute ein Freuden-Abend angeordnet war, weil man einander zur ewigen seligmachenden Bestätigung einer Kindes-Unschuld durch den Tod Glück zu wünschen pflegte. Der Alte wollte erst recht ins Erzählen eingehen, als Dian seinen Albano bat, nach so langer Seelen- und Körperbewegung schlummern zu gehen bis Sonnenuntergang, wo er ihn wecke. Agata wies ihm sein kühles Zimmer an, und er ging hinauf.
Hier vor dem kühlenden See-Zephyr war das Einschlummern schon der Schlummer, und das nachklingende Träumen schon der Schlaf. Sein Traum war ein unaufhörliches Lied, das sich selber sang: der Morgen ist eine Rose, der Tag eine Tulpe, die Nacht ist eine Lilie, und der Abend ist wieder ein Morgen.
Er träumte endlich sich in einen langen Schlaf hinab. – Spät, im Dunkeln, schlug er verjüngt wie ein Adam im Paradies das Auge auf, aber er wußte nicht, wo er war. – Er hörte fernes süßes Tönen – unbekannte Blütendüfte durchschwammen die Luft – er sah hinaus – der dunkle Himmel war mit goldnen Sternen wie mit feurigen Blüten bestreuet – an der Erde, auf dem Meere schwebten Lichter-Heere, und in tiefer Ferne hing eine helle Flamme mitten im Himmel fest. Ein unbekannter Traum verwirrte noch die wirkliche Bühne mit einer verschwundenen, und Albano ging durch das stille menschenleere Haus fortträumend heraus ins Freie wie in eine Geisterinsel.
Hier zogen ihn Nachtigallen zuerst mit Tönen in die Welt herein. Er fand den Namen Ischia wieder und sah nun, daß das Schloß auf dem Felsen und die lange Dächer-Gasse der Ufer-Stadt voll brennender Lampen stand. – Er ging auf die erleuchtete, von Menschen umlagerte Stelle der Töne zu und fand eine ganz in Freudenfeuern stehende Kapelle. Einer Madonna und ihrem Kinde in der Nische wurde unter dem geschwätzigen Rausche der Freude und Andacht eine Nachtmusik vorgespielt. Hier fand er seine Wirtsleute wieder, die ihn alle im Jubel ganz vergessen hatten, und Dian sagte: »Ich hätt' Euch schon geweckt, die Nacht und die Lust währt noch lange.«
»Hört und seht doch dort den göttlichen Vesuvio, der das Fest so recht gut mitfeiert«, rief Dian, der sich so tief in die Wellen der Freude eintauchte als irgendein Ischianer. Albano sah hinüber nach der hoch im Sternenhimmel webenden Flamme, die wie ein Gott den großen Donner unter sich hatte, und die Nacht hatte das misenische Vorgebürg wie eine Wolke neben dem Vulkan aufgerichtet. Neben ihnen brannten tausend Lampen auf dem königlichen Palaste der nahen Insel Procita.
Indem er über das Meer hinblickte, dessen Küsten in die Nacht versunken waren und das unermeßlich und finster als eine zweite Nacht dahinlag: so sah er zuweilen einen zerfließenden Glanz darüberschweifen, der immer breiter und heller floß. Auch zeigte sich eine ferne Fackel in der Luft, deren Lodern lange Feuer-Furchen durch die flimmernden Wellen zog. Es kam eine Barke näher mit eingezognem Segel, weil der Wind vom Lande ging. Weibliche Gestalten erschienen auf ihr, worunter eine nach dem Vesuv gewandte von königlichem Wuchs, an deren rotem Seidenkleide der Fackelschein lang herunterfloß, das Auge festhielt. Wie sie näher schifften und das helle Meer unter den schlagenden Rudern auf beiden Seiten aufbrannte: so schien eine Göttin zu kommen, um welche das Meer mit entzückten Flammen schwimmt und die es nicht weiß. Alle stiegen in einiger Ferne ans Land, wo bestellte Diener, wie es schien, dazu gewartet hatten, um alles zu erleichtern. Von der langen Gestalt nahm eine kleine, mit einer Doppellorgnette versehene einen kurzen Abschied und ging mit einem ansehnlichen Gefolge fort. Die rotgekleidete zog einen weißen Schleier über das Gesicht und ging, von zwei Jungfrauen begleitet, ernst und einer Fürstin ähnlich, der Stelle zu, wo Albano und die Töne waren.
Albano stand nahe an ihr, zwei große schwarze Augen, mit Feuer gefüllt und mit innigem Ernst auf dem Leben ruhend, strahlten durch den Schleier, der die stolze gerade Stirn und Nase verriet. In der ganzen Erscheinung war für ihn etwas Bekanntes und doch Großes, sie kam ihm als eine Feenkönigin vor, die vorlängst sich mit einem himmlischen Angesicht über seine Wiege lächelnd und begabend hereingebückt und die nun der Geist mit alter Liebe wiedererkennt. Er dachte wohl an einen Namen, den ihm Geister genannt, aber diese Gegenwart schien hier nicht möglich. Sie heftete ihr Auge mit Wohlgefallen und Aufmerksamkeit auf das Spiel zweier Jungfrauen, welche, niedlich in Seide gekleidet, mit Gold-besetzten seidnen Schürzen, zur Tamburine einer dritten anmutig mit verschämt gesenktem Haupte und gesenkten Augen tanzten; die beiden andern, von der Fremden mitgebrachten Jungfrauen und Agata sangen mit italienischer halber Stimme süß zur holden Lust. »Es geschieht alles« (sagte ein alter Mann zur Fremden) »in der Tat zur Ehre der heiligen Jungfrau und des heiligen Nikola.« Sie nickte langsam ein ernstes Ja.
Da stand plötzlich Luna, vom Opferfeuer des Vesuvs umspielet, drüben am Himmel, als die stolze Göttin des Sonnengottes, nicht bleich, sondern feurig, gleichsam eine Donnergöttin über dem Donner des Bergs – und Albano rief unwillkürlich: »Gott, der große Mond!« – Schnell hob die Fremde den Schleier zurück und sah sich bedeutend nach der Stimme wie nach einer bekannten um; als sie den fremden Jüngling lange angeblickt, wandte sie sich nach dem Monde über dem Vesuv.
Aber Albano war von einem Gott erschüttert und von einem Wunder geblendet: er sah hier Linda de Romeiro. Als sie den Schleier hob, strömte Schönheit und Glanz aus einer aufgehenden Sonne; zarte jungfräuliche Farben, liebliche Linien und süße Fülle der Jugend spielten, wie ein Blumenkranz um eine Götterstirn, mit weichen Blüten um den heiligen Ernst und mächtigen Willen auf Stirn und Lippe und um die dunkle Glut des großen Auges. Wie hatten die Bilder über sie gelogen und diesen Geist und dieses Leben so schwach ausgesprochen!
Als wollte die Zeit die glänzende Erscheinung würdig umgeben, so schön spielten Himmel und Erde mit allen Strahlen des Lebens ineinander – liebesdurstig flogen Sterne wie Himmelsschmetterlinge ins Meer – der Mond war über die ungestüme Erdflamme des Vesuvs weggezogen und bedeckte mit seinem zarten Licht die frohe Welt, das Meer und die Ufer – der Epomeo schwebte mit seinen versilberten Wäldern und mit der Einsiedelei seines Gipfels hoch im Nacht-Blau – darneben lebten die singenden, tanzenden Menschen mit ihren Gebeten und ihren Fest-Raketen, die sie in die Höhe warfen. – Da Linda lange über das Meer nach dem Vesuv gesehen: redete sie den stillen Albano, um seinem Ausruf zu antworten und ihr schnelles anblickendes Umwenden nach ihm gutzumachen, selber an: »Ich komme vom Vesuv,« (sagte sie) »aber er ist ebenso erhaben in der Nähe als in der Ferne, was so selten ist.« – Ganz fremd und geistermäßig klang es ihm, daß er diese Stimme wirklich hörte. Mit sehr bewegter versetzt' er: »Aber in diesem Lande ist ja alles groß, sogar das Kleine durch das Große – diese kleine Menschenfreude hier zwischen dem ausgebrannten VulkanDie Insel Ischia selber. und dem brennenden – alles ist eins und darum recht und so göttlich.« Zugleich an- und weggezogen, ihn nicht kennend, obwohl vorhin von seiner Stimmen-Ähnlichkeit mit Roquairol getroffen, seinen einfachen Worten gern nachdenkend, blickte sie länger, als sie merkte, das redliche, aber trotzige und warme Auge des Jünglings an; antwortete nichts, wandte sich langsam ab und sah wieder still den Spielen zu.