Jean Paul
Titan
Jean Paul

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Neunte Jobelperiode

Lust der Hoftrauer – das Begräbnis – Roquairol – Brief an ihn – die sieben letzten Worte im Wasser – die Huldigung – Redoute – Puppenredoute – der Kopf in der Luft, der Tartarus, die Geisterstimme, der Freund, die Katakombe und die vereinigten Menschen

46. Zykel

Die werdende Liebe ist die stillste; die schattigen Blumen in diesem Frühlinge meiden, wie die im andern, das Sonnenlicht. Albano spann sich tief in seine Sonntagsträume ein und zog, so gut er konnte, das grüne Wohn-Blatt der Wirklichkeit in sein Gespinste; nämlich den Montag, der ihm bei dem Paradebegräbnisse des Fürsten den Bruder seiner Freundin zeigen sollte.

Dieses Trauerfest, wo der dritte, aber größte fürstliche Sarg sollte zur Ruhe bestattet werden, brach endlich an und war schon durch das Vorfest wichtig gemacht, wo man die zwei ersten Särge samt dem Greise beigesetzt, wie man etwa Tugenden schon im Anfange eines Jahrhunderts beerdigt und erst am Ende desselben ihre leeren Namen, Gehäuse und Franzbände. Am Probe- und Vorbildsbegräbnisse des Höchstseligen war noch dazu der alte fromme Vater, Spener, sein letzter Freund, mit in die Gruft hinabgegangen, um sich das hölzerne und zinnerne Gehäuse des ausgelaufenen Gehwerks öffnen zu lassen und auf die stille Brust des lieben Schläfers noch dessen Jugend-Porträt und sein eignes mit der umgestürzten Farbenseite zu decken, ohne zu reden und zu weinen; und der Hof machte viel aus dieser Morgen- und Abendgabe der Freundschaft.

Alles schwillt für die Menschen ungeheuer an, wovon sie lange reden müssen – alle Pestitzer Gesellschaften waren Sterbebeitragsgesellschaften und voll Leichenmarschalle – jedes Gerüste der benachbarten Zukunft war ein Trauergerüste und jedes Wort ein Leichensermon oder eine Grabschrift auf den blassen Mann – Sphex als Leibmedikus freuete sich auf seinen Anteil am Leidtragen und Mitziehen – der Lektor hatte statt der versetzten Winterkleider die Hoftrauer schon an- und approbiert – der Hofmarschall hatte keine Minute Rast, und der jüngste Tag, der die Gräber auf-, aber nicht zumacht, wär' ihm heute schief gekommen – der Minister von Froulay, den der kalte Luigi willig alles machen ließ, war als Liebhaber alles altfürstlichen Pompes und als Kreisausschreibender Direktor des gegenwärtigen so gut im Himmel als der Höchstselige – die Weiber waren als Hochselige aus den Betten gestiegen, weil für diese fleißigen Gewändermalerinnen eine lange Wesenkette von Röcken und von deren Trägern wohl so schwer wiegt als für ihre Männer eine gekoppelte Sippschaft von Pferden.

Albano harrte ungeduldig am Fenster auf Lianens Bruder und liebte den Unsichtbaren immer heißer; wie zwei Flügel hoben und regten Freundschaft und Liebe in ihm einander verbunden auf. Die Trauerspule – nämlich der leere Sarg – war im Tartarus angelegt und wurde allmählich abgespulet, und man konnte das dunkle Trauerband nun bald bis in die Bergstadt spannen. Schon anderthalb Stunden vor Ankunft des Zuges war der Salpeter der weiblichen Volksmenge an den Mauern und Fenstern angeschossen. Sara, die Frau des Doktors, kam mit den Kindern und dem tauben Kadaver in Schoppes Zimmer herauf, dessen zweite Türe in Albanos seines offen stand, und sagte liebäugelnd zum Grafen hinein: »hier oben wäre alles besser zu übersehen, und Seine Gnaden würden verzeihen.« – »Bleibt nur zusammen da und molestiert mir den Herrn Grafen nicht«, sagte sie zurückgewandt zu den Kindern und wollte ins gräfliche Zimmer, auf dessen Schwelle sie der von Albano kommende Schoppe auffing und anhielt.

Sara war nämlich eine jener gemeinen Frauen, die von ihren Reizen mehr selber hingerissen werden als damit andre hinreißen – sie setzte bloß ihr Gesicht auf den Sessel und ließ es zünden und sengen und brennen, indes sie ihres Orts (im Vertrauen auf ihren faulen HeinzOder Athanor, ein chemischer Ofen, der lange Zeit ohne Nachschüren fort arbeitet. des Gesichts) ruhig und kalt andre Dinge machte, entweder einfältiges Zeug oder bösen Leumund; und dann, wenn sie eine Kleidergeißel der Weiber gewesen war, wie Attila eine Göttergeißel der Völker, so schauete sie auf und besah den Feuerschaden ihres Gesichts in den männlichen Tabaksschwämmen umher. Besonders auf den reichen schönen Grafen hatte sie ein Auge – unter der Amors-Binde. Ihr Kopf lag voll guter physiognomischer Fragmente; und Lavaters Vorwurf, daß die meisten Physiognomisten leider am ganzen Menschen nichts studierten als das Gesicht, konnte ihren reinen physiognomischen Sinn niemals treffen.

Schoppe, leicht erratend, daß bei der Seelen-käuferin der Gang ein Preßgang, das Weißzeug Jagdzeug, der Shawl eine Schlagwand sei und der Hals ein Schwanenhals für einen nahen Fuchs, faßte sie auf der Schwelle beider Stuben an der Hand und fragte sie: »Nehmen Sie auch so viel Anteil an der allgemeinen Landesfreude und erwünschten Hoftrauer wie ich? Ihre Augen lassen dergleichen lesen, Frau Landphysikussin.« – »Was für einen Anteil?« sagte die Physika, ganz dumm gemacht. – »An der Lust der Hofleute, die sich ohnehin wie die Urangutangs dadurch von den Affen unterscheiden, daß sie selten Freudensprünge tun; wenigstens trommeln sie wie junge Klavieristen ihre traurigsten und ihre lustigsten Stückchen ungerührt hintereinander weg. Wenn nur dem Hofstaate nichts Herbes die Trauer versalzt! – Wünschen Sie, daß die Lieben die schwarzen Freudenkleider, worin sie, wie die Nepoten der in der leuktrischen Schlacht Gebliebnen, dem Jubel eines neuen Fürsten entgegengehen, umsonst angezogen haben? Wie?« – Unglücklicherweise versetzte sie spöttisch: »Schwarz ist hierzulande Trauerfarbe, Herr Schoppe.« – »Schwarz, Frau Doktorin?« (prallt' er staunen zurück) »Schwarz? – Schwarz ist Reisefarbe und Brautfarbe und Galafarbe und in Rom Fürstenkinderfarbe, und in Spanien ists ein Reichsgesetz, daß die Hofleute wie in Marokko die JudenNach Lempriere. schwarz erscheinen.

Pestalozzi, Madame – aber Malz, versteht Er mich denn?« fuhr Schoppe herum und munterte den Menschen, der seine Trommel anhatte und sie heimlich unter dem Zuge rühren wollte um etwas vom gedämpften Leichentrommeln zu vernehmen, zum Schlegel auf, damit er vom Diskurse profitierte. – »Malz,« sagt' er lauter, »Pestalozzi bemerkt ganz gut, daß die Großen unsrer Zeit sich in Gesicht, Kleidung, Stellung, Bilderdienst, Aberglauben und Liebe zu Scharlatanen den Asiaten täglich nähern; – es spricht für Pestalozzi, daß sie den Sinesern, die sich für die Freude schwarz und für die Trauer weiß anziehen, nicht bloß Tempel und Gärten und Fratzenbilder, sondern auch eben dieses Freudenschwarz abborgen.«

Unter den Kindern – wovon die unerzognen allein noch nicht ungezogen waren – hoben sich Boerhaave, Galenus und van Swieten am meisten durch eingelegte Arbeit und Handzeichnungen, die sie von den Anwesenden mit den Fingern auf ihr Butterbrot gravierten, und Galenus wies seine satirische Projektion von der Mama, sagend: »Schau't, was Mama'n für 'ne lange Nas' an'setzt hab'.«

Der Bibliothekar, der etwas Ähnliches drehte, hielt sie, als sie hineinwollte, indem er versicherte, er lasse sie nicht, bis sie sich ergebe; die Trauermarschsäule könne kaum einen Acker lang aus dem Tartarus heraus sein und geb' ihm Zeit genug. Er fuhr fort:

»Echte Trauer hingegen, Liebe, macht immer wie der Zorn bunt oder wie der Schrecken weiß; z. B. die Kreaturen eines toten Papstes trauern violett, der französische König auch, seine Frau kastanienbraun, der venezianische Senat um den Doge rot. – Allein Trauer können Sie so gut wie ich keinem Regenten verstatten; dem Hohenpriester und einem JudenkönigeSanhedrin. c. 2. Misch. 3. war sie ganz verboten; warum wollen wir der Dienerschaft mehr verstatten als dem Herrn? – Und müßte ein Landesherr, Beste, der die kostbare Landtrauer zuließe, nicht offenbar die abgestellte Privattrauer aufwecken? Und könnt' er, indem er durch sein Exilium, wie Cicero durch seinesCic. ad Quirit. post redit. c. 3., 20000 Leute in Trauerhabit steckte, es verantworten, daß sein letzter Akt ein droit d'Aubaine, eine Beraubung wäre und daß das Sterbebette, worauf man sonst Bedienten und Armen Kleider vermacht, ihnen welche auszöge? – Nein, Madame, das sieht wenigstens Regenten nicht ähnlich, die sogar durch ihr Sterben oft, wie MarcionSeine Sekte ließ durch Christi Höllenfahrt alle Böse aus der Hölle kommen, Abraham, Enoch, die Propheten etc. aber nicht. Tertull. adv. Marcion. von Christi Höllenfahrt behauptete, einen Kain, Absalon und mehrere alttestamentliche Verdammte aus der Hölle bringen in den Himmel der neuen Regierung.

Sie ergeben sich noch nicht, und der Kadaver sieht mich an wie ein Vieh; aber bedenken Sie das: Perücken- und Zeugmacher haben häufig gekrönte Häupter angefleht, ihre Produkte zu tragen, damit sie abgingen; – ein Erb- und Kronprinz zieht sich gleich am ersten frohen Huldigungs- und Regierungstage, wo er den Vorfahrer absetzt, d. h. begräbt, kohlenschwarz an, weil die schwarze Wolle wenig taugt und wenig abgeht, und ein solches Exempel beschlägt auf einmal den ganzen Hofstaat, sogar Vieh, Pauken, Kanzeln schwarz. – Nur noch ein Wort, Liebe; wahrlich es kommt noch nichts als die Chorschülerschaft. Eben deswegen wird der fürstliche Leichnam, der leicht die ganze Freude des Leichenbegängnisses stören könnte, vorher beseitigt und nur ein vakanter Kasten mitgeführt, damit der Zug keine andere pensées habe als anglaisesSo heißen schwarze Farben. ... – O Traute, das letzte Wort; was sehen Sie denn am Stall- und Pagenkorps? – Meinetwegen! auch ich freue mich, auf einmal so viele Menschen und Fürsten mitten unter seinen Kindern so froh zu sehen.« – –

Aber je länger er die Prozession, dieses schlaffe Gauklerseil, woran man den leeren, aber figurierten Cypselus-Kasten in die Familiengruft einließ, werden sah, desto zorniger wurde sein Spott. – Er passete die Hypothese jedem beflorten Gliede der schwarzen Kette an. – Er lobte es, daß man den Bal masqué der neuen Regierung mit diesen langsamen Menuettpas eröffne und sich auf den Walzer der Vermählung und den Großvatertanz der Huldigung anschicke. – Er sagte, da man sich und Tieren an Freudentagen gern alles leicht mache, wie daher die Juden am Schabbes sich und ihr Vieh nichts, nicht einmal die Hühner die angehangnen Läppchen tragen lassen, so seh' ers gern, daß in den Zeremonienwägen und im Paradekasten und auf den Klagepferden nichts säße, ja daß sogar die Schleppen der Trauermäntel von Pagen und die vier Leichentuchzipfel von vier handfesten Herren fortgebracht würden. – Nur tadelte er es, daß die Soldateska in der Lust das Gewehr verkehrt ergriffen und daß gerade die Personen vom höchsten Range, Luigi, Froulay, Bouverot, da sie vom schnellen Leichentrunke auf einmal ins Freie kämen, sich wankend müßten auf beiden Seiten führen lassen. – –


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